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den ihres Vaters so viel als möglich zu entfernen. Von Gertrud jedoch wollte sich Andrea nicht trennen. Sie war ein lieb­liches, kleines Wesen, in Zügen und Aus­druck der Mutter Ebenbild, während sie im Uebrigen dem Vater glich. Ihre Au­gen waren von jener dunklen, bräunlich- grauen Farbe, welche in der Regel nur den Jahren der Kindheit angehört so dunkel, daß man sie beinahe für schwarz hätte halten können; ihre Haare trugen jene lichte Färbung, welche die alten Mei­ster häufig ihren Christus- und Madonnen­köpfen gaben dem Auge des Uneinge­weihten mag sie rolh erscheinen, der Maler aber kennt keine schönere Haarfarbe sie verlieh der kleinen Gertrud das Aussehen eines Engels.

Das wiederkehrende Bewußtsein des Unglücklichen kündigte sich dadurch an, daß er seine kleine Tochter erkannte und bei ihrem Namen nannte. Es war der­selbe, den ihre Mutter getragen, und dieser Umstand, sowie die auffallende Aehnlichkeil, mochte ein Trost für den verwittweten Va­ter sein. Er begann wieder zusammenhän­gend zu reden, mit Gertrud nicht nur, sondern auch mit mehreren seiner Freunde, welche gekommen waren, ihn zu besuchen, und nach und nach sammelten Geist und Körper hinreichende Kräfte, daß er an seine Vertheidigung gegen das ihm zur Last gelegte Verbrechen denken konnte. Diese Vertheidigung war nun allerdings eine schwierige Sache, denn die znsammen- treffenden Umstände zeugten alle gegeu ihn, und Andrea konnte nichts anderes zu seinen Gunsten geltend machen, als seine eigene Aussage dessen, was ihni an jenem verhängnißvollen Abende auf dem Heim­wege begegnet, sowie den tadellosen Ruf, welchen er sich während seines ganzen Le­bens bewahrt hatte.

Endlich wurde der unglückliche Künst­ler aus dem Gesängniß in die Gerichts­halle geführt. Er kam sich selbst als ein aus dem Grabe Erstandener vor, und mochte wohl auch denselben Eindruck auf seine Umgebung machen. Andrea war ein schöner, starker Mann gewesen, nun aber war er vollständig abgemagert und seine Größe verlieh seiner Erscheinung ein nur noch schattenhafteres Aussehen. Dunkle Ringe umgaben seine Augen, und sein Antlitz war von Todtenblässe bedeckt. Nichts­destoweniger drückten seine Züge Ruhe und Entschlossenheit aus, und Niemand konnte bei seinem Anblick auch nur für einen Mo­ment an seiner Unschuld zweifeln. Die kleine Gertrud stand an seiner Seite man hätte versucht sein können, sie mit einer Blume zu vergleichen, welche dicht am Rande eines Grabes blüht. Sie hatte sich an die Veränderung in dem Aussehen ihres Vaters gewöhnt, und die ängstlichen und erschrockenen Blicke aller Anwesenden erfüllten sie nun mit Besorgniß. Sie schmiegte sich noch fester an ihn an und ließ ihre Augen unverwandt auf seinem Angesicht ruhen.

Die Verhandlung begann. Keiner, der Andrea kannte, zweifelte in seinem inner­sten Herzen an seiner Unschuld, allein die vorliegenden Beweise, unterstützt durch

jene Worte, die Andrea Künsten noch zn- gerufen hatte und die einer Drohung gli­chen, waren zu klar, um entkräftet werden zu können. Der Angeklagte ward schul­dig befunden, und Andrea der sanfte, biedere Mann, der niemals seine Hand gegen einen Nebenmenschen erhoben, aus­genommen in jener einen bösen Stunde, da er durch Melchior Kunst zur Wuth ge­reizt worden verließ die Gerichtshalle gebrandmarkt als Mörder.

Die Vollziehung des Urtheilsspruchs ward um des hisher unantastbaren Cha­rakters des Angeklagten willen auf kurze Zeit hinansgeschoben. In jenen Tagen wurden die Gesetze oftmals weniger streng gehandhabt als in unserer Zeit, und wohl nie geschah es mit einem größeren An­schein von Gerechtigkeit, als in diesem Falle. Audrea's viele Freunde legten sich zu seinen Gunsten ins Mittel. Es gelang ihnen doch nur einen Aufschub von einigen Monaten zu erwirken, und sie hofften, daß vielleicht irgend ein Zufall die Wahrheit an den Tag bringen möchte. In der Zwischenzeit aber ward Andrea die Ausführung eines Kunstwerks für das Calais cka llustiea in Brügge, in dem er verurtheilt worden war, übertragen. Zu diesem Zweck wurde er aus seiner Zelle entlassen und ihm der Aufenthalt in eben jener Halle angewiesen, welche sein Todes- urtheil vernommen.

(Forts, folgt.)

Die Pariserin.

(Schluß.)

Die Jahre fliehen pfeilgeschwind. Böbä wirdFilette" .... Die Aprilsonne lacht mild und freundlich am nachmittäglichen Himmel: Melanie, die Bonne, führt das Herzchens hinaus in den Jardin-des-Tui- leries oder in den Park-de - Monceaux. Madmoiselle spielt. Gummibälle und Rei­fen sind ihre Lieblingsspiele . . . Made­moiselle läuft sogar, -flüchtig wie das Reh der Haide", aber mit welcher No­blesse! .... Eine sechsjährige Parisienne wird sich nie das Kleidchen zerreißen oder die Strümpfe beschmutzen. Ein einziger Frühjahrskursus unter den rauschenden Kastanien genügt, um ihr die Gesetze der Grazie und des höheren clrie unauslöschlich in die Seele zu prägen. Auf den Ouvrier und den Kleinbürger macht die Pariserin bereits in diesem Alter den Eindruck einer vollendeten Dame. In der That ist Made­moiselle kein Kind mehr, der Portier zieht den Hut vor ihr, und das anmuthige, selbst­bewußte Lächeln, das um ihre Lippen spielt, verräth hinlänglich, daß sie diese Höflich­keit ganz in der Ordnung sinder.

Das geht so fort bis zum zehnten Jahre; dann ertönt das Signal zu einem entscheidenden Dekorationswechsel. Made­moiselle kommt in einInstitut", am lieb­sten in ein Kloster. Es ist, als fühle man das Bedürfnis, die ohnehin elastische Natur des flotten Geschöpfes möglichst energisch zu komprimiren, damit später im Augen­

blicke der Freilassung, die Expansionskraft um so gewaltiger wirke.

Jedes Wort, jede Bewegung, auch au­ßerhalb der Unterrichtsstunden, wird kon- trolirl; die graziöse Impertinenz von ehe­dem ist verpönt; an ihre Stelle tritt die christliche Demuth, die hingebende Liebe und Sinueseinfalt . . .

Leider wissen wir bereits, daß diese Lehren ohne Ausnahme auf unfruchtbares Gestein fallen. Ein feiner Psychologe würde beim Anblicke dieser schwarz gekleideten Pensionärinnen im Stande sein, das Schick­sal der ihnen eingeprägten Tugendvorschrif­ten, vorauszusagen, selbst wenn er nicht wüßte, daß er kleine Parisiennes vor sich hat. Trotz aller Unterwürfigkeit liegt ein neseio guick in ihren Mienen, das sich etwa solgendemaßen ins Deutsche übersetzen läßt:

Ihr sperrt mich jetzt ein! ihr zwingt mich, die Briefe Pauli zu lesen und das Kreuz Christi zu küssen! aber wartet nur: die Zeit wird kommen, da ich andere Briefe lesen und andere Dinge küssen werde, so wahr ich die Tochter meiner Mama bin!"

Und die Zeit kommt! mit siebzehn Jah­ren ist dieErziehung" der Pariserin voll­endet. Sie lritt in die Welt und sieht sich zunächst nach einem ungefährlichen Men­schen um, den sie sich zu ihrem Gatten macht. Nach Verlauf von zwei, drei Jah­ren ist die Parisienne vollkommen entwickelt. Der letzte Nebelstreif, den das Pensionat ihr um die Stirn gewunden, ist abgestreift, sie hat den festen Entschluß gefaßt, sich für die sieben verlorenen Lebensjahre nach allen Richtungen hin zu entschädigen . ."

Württembergs Wildstand am Anfänge dieses Jahrhunderts. Nach einer Mittheilung des Herrn von Kobell im Deutschen Forst- und Jagdkalender, welche sich auf die Jagdnotizen des ehe­maligen Württembergischen Kreis-Oberforst- meisterS, Freiherrn von Gemmingen stützt, war Württembergs Wildstand Ende vori­gen Jahrhunderts und noch am Anfänge des neunzehnten Jahrhunderts so stark, daß beispielsweise in der Aufhanser Huth ein Zeugjagen eingerichtet werden konnte, in welchem 1200 Stück Roth- und Schwarz­wild waren. Vom Jahre 1803/t bis 1815/16 wurden in der Württembergischen Hofjagd durch den König Friedrich gegen 209,000 Stück Wild (jährlich also über 16,000 Stück) geschossen, darunter gegen 6000 Hirsche, über 22,000 Rehe, 2300 Keiler, 2800 Bachen, 6700 Frischlinge, 116,000 Hasen, 2500 Fasanen,gegen 19,000 Feldhühner, fast 5000 Füchse u. s. w. Der Rest entfällt auf Dammwild, allerlei Geflügel und kleinere Raubthiere. Das Wildverzeichniß der Württembergischen Re­viere vom Jahre 1712 zeigt bereits einen sehr ansehnlichen Bestand. Auf einem Plan im Böblinger Forst zählte Gemmin­gen 700 Stück Hirsche.

Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Mech in Neuenbürg.