Pforzheim, 29. Dez. Die Weih- riachtsfeicrtage sind hier im Allgemeinen viel stiller vorübergegangcn, als schon oft der Fall war. Die geschäftliche Gedrücktheit macht sich eben in allen Beziehungen geltend. Einige Bewegung verursachten nur die Reichstagswahlen, zumal nun auch die evangelisch-kirchliche (national-konservative) Partei einen Kandidaten in der Person des Holzhändlers Katz von Gernsbach aufgestellt hat und die Ultramontanen, die in unserm Bezirk zwar nicht stark vertreten sind, für den 9. bad. Wahlbezirk, dem wir angehören, Kaufmann Reichert in Baden in Vorschlag gebracht haben. Indessen ist doch Hoffnung vorhanden, daß für den Kandidaten der Nationalliberalen, Bürgermeister Friedrich in Durlach, eine genügende Mehrheit erzielt wird. (S. M.)
Württemberg.
Unter Bezugnahme auf die Bekantma- chung in Betreff der am 1. Jan. 1874 in Wirksamkeit tretenden neuen Fahrposttarife wird bezüglich der Fahrposttaxen im Verkehr zwischen Orten eines und desselben Oberamtsbezirks (Landpostverkehr) in Berücksichtigung der vertragsmäßigen Verabredungen zwischen der Postverwaltung und den einzelnen Amtskörperschaften angeordnet: 1) Das Gewicht- porto beträgt: a) bei Sendungen bis zu 1'/, Kilogramm Gewicht 3 kr.; b) bei Sendungen über I'/, Kilogramm Gewicht die Hälfte der internen Taxe der ersten Zone (Zone 1 d). 2) An Versicherungsgebühr ist zu erheben: der hälftige Betrag der tarifmäßigen Sätze des innern württemb. Verkehrs. 3) Der Portozuschlag im Falle der Nichtfrankirung ist bei Sendungen bis zu 5 Kilogramm Gewicht mit 1'/- kr. zu berechnen. 4) Für Sperrgut wird das nach Ziff. 1 berechnete Landpostporto um die Hälfte erhöht. 5) Ergeben die nach Ziffer I—4 zu erhebenden einzelnen Taxansätze Bruchkreuzer, so sind solche nicht je einzeln auf volle Kreuzer aufwärts abzurunden; die Abrundung findet vielmehr nur einmal nach erfolgter Zusammenrechnung der einzelnen Taxen statt. 6) Im weitern verbleibt es für den Landpostverkehr bei den seitherigen Bestimmungen. Insbesondere ist auch fernerhin die Ermäßigung zugestanden, daß im Landpostverkehr für Nachnahmesendungen bis zum Betrag von 1 fl. nur 1 kr. als Vorschußgebühr berechnet wird.
Ulm, 28. Dez. Dem Vernehmen nach hat die Stadtgemeinde Ulm bei dem Reichsinvalidenfonds ein größeres Anlehen zu den üblichen Bedingungen kontrahirt. Dasselbe ist in der Hauptsache zur Bestreitung der Kosten der bedeutenden, theils schon in Angriff genommenen, theils erst beschlossenen Schulhausbauten (Volksschulen, Realanstall, Gymnasium) bestimmt. — Der Hochdruck der neuen Wasserleitung hat sich für Feuerlöschzwecke in dem Maße erprobt, daß eine Reduktion der Feuerwehr- mannfchasten in Aussicht genommen ist.
Reutlingen, 29. Dez. Den Raubversuchen letzter Zeit in dem Walde zwischen Eningen und Mezingen ist vorgestern ein vollendeter Raubanfall zwischen Eningen und St. Johann gefolgt. Sonnen- wirth N. von Bleichstetten verließ am letz
ten Samstag Abend Eningen, und stieg den bewaldeten Berg auf der Fußstaige gegen St. Johann empor. Plötzlich trat ein Mann aus dem Waldesdnnkel hervor, packte den Wanderer hinten am Rockkragen und wollte ihn niederwerfen, was auch endlich ausgeführt wurde, als ein zweiter Strolch dem ersten zu Hülfe geeilt kam. Nachdem dieselben ihm alle Taschen vifi- tirt hatten, zogen sie ihm den Rock aus^ in dessen Seitentasche eine Schreibtascl mit! einem Zehnguldenschein sich befand, und ließen ihn endlich laufen. Derselbe lies
»ach Eningen ohne Nock und Hut zurück, wo sein Erscheinen die größte Aufregung verursachte und alsbaldige Streifen zur
Folge hatte, die aber bis jetzt erfolglos waren. (S. M.)
In Brenz bei Gingen ereignete sich
am 24. d. M ein schrecklicher Unglückssaü. Ein I9jähriger Küsergcselle war mit dem Auspichen von Bierfässern beschäftigt, als eines derselben auseinandcrsprang und der Deckel mit solcher Macht gegen den Kopf des Unglücklichen geschleudert wurde, daß er mit zerschmetterter Hirnschale vom Platze getragen werden mußte und nach kurzer Zeit den Geist aufgab.
Ausland.
Merkwürdige Wandlungen macht der ehemalige Abgott der republikanischen Schwärmer aller Länder, der jetzige Beherrscher Spaniens, Emilio Castelar, durch. Daß er eingesehen, mit Theorien komme man beim Regieren nicht durch, man muffe praktisch auftreten, und wäre eS auch reaktionär, ist früher schon berichtet worden und ist am Ende auch menschlich und natürlich. Aber daß er jetzt sogar den Pfaffen die Hand küßt und auf ihre Nathschläge hört, das hätte man doch kaum erwartet. Es unterliegt gar keinem Zweifel, daß die spanische Regierung jetzt namentlich in Rom ganz klerikal auftritt. So ändern sich Zeiten und Menschen! Die Monarchien werden zu Vertretern liberaler Strömungen; die Republiken arbeiten der Rückkehr der krassesten Pfaffenwirthschast in die Hände.
MisMen.
Stephan Drake.
Geschichte einer falschen verurthrilnng durch rin Schwurgericht.
(Von Dr. K.-d.)
(Fortsetzung.)
Der Zeuge Franz Didle gab nach vorausgegangener Eidleistung an, er sei während der Hellen und kalten Nacht in dem Warthause bei der Fähre gestanden, um einen Herrn zu erwarten, der auf einen Ball in Southampton gegangen; derselbe habe ihm aufgetragen, mit seinem Boot bereit zu sein, da er gegen Mitternacht oder etwas später zu seiner Familie auf dem anderen Ufer des Jtchen zurückzukehren beabsichtige. Während er so harrte, kamen Stephan Drake und Miß Bissington, ohne ihn zu bemerken, an ihm vorbeigeeilt und gingen nach der Fähre hinunter. Da Dible wußte, es liege dort nur ein einziges, sein eigenes Boot, in welchem übergefahren werden konnte, so gab er sich nicht die Mühe, ihnen r.achzugehen, weil er dachte, sie wür
den bald wieder zurückkommen. Aber cS vergingen fünf Minuten, zehn Minuten, eine Viertelstunde; Dible wurde jetzt neugierig und ging nach der Fähre hinunter, wo er fand, daß das spitzbübische Paar wirklich sein Boot genommen und zur Ueber- sahrt benutzt hatte. Der Gefangene sowohl, als Miß Bissinglon war ihm vom Ansehen gut bekannt und es konnte über ihre Identität kein Zweifel obwalten. ES mochte damals gegen zwölf gewesen sein. Außerdem war ein Hut, welchen man als den der Miß Bissington erkannte, von der Fluth an's andere Ufer gespült und dort gesunden worden. Daraus bildete sich im Publikum sofort die Ansicht - Drake hohe eine erfolgreiche Jntrigue mit Mr. Par- son's Freundin angesponnen, sie, wenn er nicht etwa selbst milhalf, veranlaßt, den alten Herrn zu ermorden und zu berauben und schließlich, von dem Grundsatz ausgehend, daß der Mensch nur sich selbst, nicht aber einem Anderen trauen könne, vielleicht auch in der Absicht, den Raub allein zu behalten, die unglückselige Weibsperson von dem Fährboot aus in den Fluß geworfen und ertränkt. Diese Muthmaßung fand eine Stütze in der Angabe zweier Weiber, die auf der andern Seile des Flusses wohnten und von dem Wasser her weibliche Nothrufe vernommen haben wollten. Thomas Dible versicherte, kein Schreien gehört zu haben, und er hätte es hören müssen, wenn geschrieen worden wäre. Der klägliche Zustand, in welchem man Drake gefunden, wurde von denen, die sich den Glauben an seine Schuld nicht nehmen lassen wollten, für eine Komödie erklärt. Weil er gefürchtet, daß es ihm unmöglich sei, unangefochten mit seinem Raube außer Landes zn kommen, habe er ihn an einem Platz, wo er sich wieder finden lasse, vergraben und die unsinnige Geschichte von Mißhandlung und Beraubung durch einen Mann ersonnen, den er nicht einmal gesehen. Solche Dinge konnte man höchstens einem — Eeesoldaten weis machen!
(Fortsetzung folgt.)
Die FraurnarbritSschule zu Reutlingen.
Reutlingen hat weder Militär noch eine große Beamtenzahl, es verdankt seine Blüthe einzig dem regen Fleiß seiner Bevölkerung; zahlreiche Fabriken weiß die kleine Echatz in Bewegung zu setzen, und wozu sie nicht ausreicht, hat der Dampf seine Macht geliehen.
Mit welcher Zähigkeit und Ausdauer aber auch die Frau dort dem Erwerbe obliegt, ist bekannt, wenn auch nur dem näheren Beobachter es gelingt, sich von einzelnen Grundzügen der tapferen Gesinnung zu überzeugen, wenn es gilt, den Familienwohlstand zu begründen, ausrecht zu erhalten oder zu vermehren. Es nimmt hier die Frau den regsten Antheil an der Industrie, ihre Kunstfertigkeit ist mit der Zeit vorwärts geschritten und belebt den Handel in sogen. Reutlinger Artikeln aus dem Weltmärkte.
Darum Achtung vor Frauen, die es verstehen, zu gleicher Zeit dem Haushalte zu dienen und dem Gewerbe nützlich zu sein; sie lösen praktisch, einen Theil der Frauensrage und zwar aus dem für daz