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Kronik.
Deutschland.
Laut einer neuesten Depesche hat der preußische Geschäftsträger beim päpstlichen Stuhl, Legationssekretär Stumm, dem Kardinal Antonelli die Miltheilung gemacht, daß ihm der Befehl zugegangen sei, einen unbestimmten Urlaub zu nehmen und wird derselbe nach Berlin abreisen.
Württemberg.
Mit Bezugnahme ans die Publikation über die Ergänzung der Offiziere des stehenden Heeres wird bekannt gemacht, daß die vollgültigen Maturitätsprüfungszeugnisse folgender württemb. Lehranstalten von der Ablegung der Portepeefähnrichsprüfung entbinden: die Gymnasien zu Ehingen, Ellwangen, Heilbroun, Nottweil, Stuttgart, Tübingen und Ulm, die evangelisch - theologischen Seminare zu Blaubeuren, Maulbronn, Schönthal und Urach und das Realgymnasium zu Stuttgart.
Stuttgart, 31. Dez. In dem Besuche der gewerblichen Fortbildungsschulen hat sich die Erscheinung ergeben, daß alle Lokale sich als zu eng erweisen. Die so bedeutend gesteigerte Frequenz ist um so beachtenswerther und ist eine um so erfreulichere Thalsache, als für den Besuch kein Zwang ausgeübl wird und für das neue Schuljahr das Schulgeld um 2öpCt. erhöht worden ist. Sollten aus der gesteigerten Frequenz sich neue Lasten für Staat und Gemeinde durch Erweiterungsund Neubauten ergeben, so sind die betreffenden Baupflichtigen gewiß mit Freuden bereit, dem Bedürfnis gerecht zu werden. Kein Aufwand trägt schönere und reichere Zinsen als derjenige, der der Bildung gewidmet ist. (S. M.)
Aalen, 26. Dez. Das Weihnachtsfest endete leider mit einem traurigen Unglücksfall. Ein junger Mann von Waldhausen bei Gmünd, welcher am Christfestmorgen auf Besuch hierher kam, wollte Abends den Vr6 Uhrzug zur Heimfahrt benützen und kam irrlhümlich in einen Wagen 2. Kl., beim Verlassen desselben rutschte er aus und fiel hierbei unglücklicherweise auf die Schienen, daß ihm beide Beine abgefahren wurden. Heute morgen wurde der Unglückliche, an dem gestern Nacht noch eine Amputation vorgenommen wurde, von seinen Schmerzen durch den Tod erlöst.
Leonberg, 27. Dez. Die Witterung ist jetzt so mild, daß im Freien die Veilchen blühen, und unsere Schäfer hoffen nach altem Herkommen ani Neujahr mit silber- bordirten Hüten in die Kirche zu gehen. Es ist nämlich ein altes Herkommen, daß wenn die Schäfer bis zum Neujahr der günstigen Witterung wegen nicht in den Stall fahren dürfen, die Gemeinden oder die Schafhalter ihren Schäfern silberne Borden an die Hüte machen lassen.
(S. M.)
8 Zum neuen Jahr.
(Schluß.)
Während wir die blutige Saat, die wir im Jahre 1870/71 in den Boden der Welt
geschichte gelegt, in goldene Aehren schießen scheu, bereiten wir uns zu einem neuen großen Kampfe vor, — zu einem würdigen Auftreten auf dem industriellen Wettkampfe aller Völker der Erde in der Weltausstellung zu Wien. Wie die Wirkungen der ersten Weltausstellung zu London, — jener Ausstellung, die- ani Ansange der Eisenbahn-Periode veranstaltet worden, zur Stunde noch fühlbar sind, — wie jene Ausstellungen durch die Leistungen der Franzosen eine rollständige Geschmacks- Revolution bei den Engländern und eine große nachhaltige Anstrengung bei den Deutschen hervorgerufen, so wird die erste Welt - Ausstellung, die am Beginn einer neuen Epoche der Weltgeschichte eröffnet wird, auf die jetzt für allen Fortschritt so empfänglichen Gemüther einen Ausdruck ausüben, der Jahrzehnte lang nachklingen wird. An der Schwelle des neuen Jahres,
— wenige Monate vor Eröffnung der Ausstellung wissen wir an den Gewerbesland in Stadt und Land eine dringlichere Bitte nicht zu richten, als keine Kosten, j keine Mühe, keine Opfer an Zeit zu scheuen, um die Ausstellung zu studiren, so gründlich, als es die Verhältnisse dem Einzelnen irgend gestatten. Kein offener Kopf wird die Ausstellung besuchen, ohne die reichsten Früchte geerntet zu haben. Sollte je die Zukunft in ihrem Schooße Gefahren für unser größeres oder engeres Vaterland bringen: der in seinen einzelnen Gliedern wohlhabende gekrästigte Staat wird derselben gewachsen sein. Von der Intelligenz des Gewcrbestaudes allein ist jener Druck auf die gesetzgebenden Faktoren zu erwarten, welcher nothweudig ist, wenn die zur Ausbildung der Gewerbe erforderlichen Einrichtungen zur Vollendung gelangen sollen. Nur eine intensive Industrie führt zu einer dichten Bevölkerung, nur eine dichte industrielle Bevölkerung ist ein lohnender Abnehmer für landwirth- schaftliche Produkte.
Ausland.
Paris, 28. Dez. Wie man versichert, wäre die Paßangelegcnheit mit Deutschland dahin geordnet, daß der Paßzwang mit dem 1. Januar aushören soll.
Der P ap st hat wieder eine große Allo- kution an die Bischöfe und Kardinäle erlassen, in welcher er die böse italienische Kammer und mehr noch den bösen Bismarck scharf mitnimmt. Neues kommt aber darin nicht vor, es müßten denn die Stellen sein, in welchen ?io nono davon spricht, daß der Katholizismus vernichtet werden solle, und hervorhebt, daß es „Ketzer" seien, die sich in die Angelegenheiten der katholischen Kirche einmischten.
— Die letzten Vorgänge in der Schweiz haben den Papst so erbittert, daß er die diplomatischen Beziehungen nnt diesem „altkatholischen" Lande abgebrochen hat.
In Petersburg liegt der älteste Sohn des Czaren, der Großfürst Thronfolger, am Typhus schwer erkrankt darnieder.
Ein trübes Kapitel ist das der Unsicherheit des Lebens in New-Jork. Ein Mord folgt dem andern, keiner wird gerügt.
Miszellen.
Der arme» WiUwe Weihnachtsreise.
Eine Erzählung, vielleicht für Alt und Jung.
(Aus dem „Volksblatt für Stadt und Land".)
(Fortsetzung.)
Als Mariechen süß und sanft im warmen Veilchen schlief, trat der Hausherr an dasselbe und betrachtete lange die kleine Schläferin. Daun sagte er zu seiner Frau gewendet: „Ich kann gar nicht sagen, wie mich des Kindes Anblick bewegt. Nnn eile ich in die Stadt, um Anzeige zu machen, denn mit welcher Angst müssen die unglücklichen Eltern das Verlorene suchen. Schon habe ich dem Schulzen ansgetragen, hier in der Runde des Kindes Auffindung bekannt zu machen. Beunruhige dich nicht, wenn ich heute Abend nicht heimkehre. Willst du auch, daß ich den Arzt bestelle?"
Die Frau dankte, sie war der Herstellung ihres kleinen Pfleglings froh gewiß. Noch einmal blickte er nach dem Bettchen, dann eilte er zur Stadt. Der Landrath kam ihm dort schon an der Thüre seines Hauses entgegen; dessen Miene drückte Unruhe und Spannung aus. „Eben wollte ich zu Ihnen hinausfahren, lieber Freund", so begann er. „Es ist heute ein wunderlich bewegter Tag und Manches dachte ich mit ihnen zu besprechen. Eins, was mir schwer auf dem Herzen liegt, ist, daß ein Kind verloren ging; ich lasse es im ganzen Umkreis der Stadt suchen."
„Und ich habe eines gefunden", rief der Gutsherr aus.
„Ein kleines Mädchen, vier bis fünf Jahre alt, mit blonden Locken, in dunkelblauem Mäntelchen und schwarzem Mütz- chcn, das mit weißem Pelz verbrämt ist?" fragt der Landrath lebhaft.
„Gerade so", sagte der Gutsherr. „Nun, dann enden wir so schnell als möglich der armen Ellern Angst und Noth. Aber wie konnte nur ein solches Kind verloren gehen; es gehört offenbar den besseren Ständen an?"
Er wurde zerstreut, indem er so sprach, weil es ihn befremdete, daß der Landrath, der auf die gute Kunde herzlich erfreut zwei Mal ausgerufen hatte: „Gott sei Dank!" nicht gleich zum Klingelzuge griff, um die gute Botschaft auszusenden. Dieser aber entgegnete ernst auf seine Worte: „Die arme Kleine wäre vielleicht nicht zu bedauern gewesen, wenn dieser harte Frost sie hingerafft hätte. Sie ist eine elternlose Waise."
Der Gutsbesitzer sah bei diesen Worten leuchtend auf und rief: „Denkt meine Frau wie ich, und ich zweifle nicht daran, so nehmen wir dies Kind als ein Christgeschenk Gottes für immer auf in unser Haus."
„Ueberlegen Sie, Freund", sprach immer gleich ernst der Landrath, „es ist zwar sonst nicht Ihre Art, übereilte Beschlüsse zu fasten, und Ihre Kinder werden genug und übergenug haben, auch wenn Sie ein fremdes Kind versorgen —"
„Gott hat meine Arbeit gesegnet", er- wiederte schnell der Andere bewegt.