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Lüge
Er wollte laut aufschreien, aber die Zunge ^ ein Schrei der Seligkeit, des Entzückens! versagte ihm den Dienst und man hörte "" ^ ^
nur ein heißeres, stöhnendes Gurgeln.
„Hoho, Goldgräfchen," fuhr die Zigeunermutter in noch höhnischerem Tone fort,
„ich glaube dein Gedächtniß bessert sich.
Ist dir vielleicht meine Enkeltochter: einge- falleu, oder deren Mutter, meine Erstge borne, bei deren schmählichem Tode ich geschworen habe, dich zu vernichten, und müßte ich auch Jahre lang zuwarten, bis meine Zeit gekommen? Siehe, Goldgräfchen, die rechte Zeit ist nun gekommen, und Sadalahar, der Zauberer aller Zauberer, welcher den Teufel selbst bannen kann, ist mir beigestanden, dich zu entlarven.
Betrachte einmal den Jungen hier," ries sie plötzlich mit kreischender Stimme, indem sie zugleich auf den jungen Hans deutete, der neben Agnes noch immer vor dem Grafen von Werdenberg kniete; betrachte den Jungen hier und sag' mir, hat er keine Aehnlichteit mit deinem Bruder, vor dem er kniet, wie der Sohn vor seinem Vater? Hast geglaubt, es steh' kein Hinderniß mehr zwischen dir und dem Erbe?
Ha, ha, ha, ha! Hast dich getäuscht,
Goldgräfchen, denn hier kniet der rechtmäßige Erde der Grafschaft Werdenberg!"
„Es ist eine Luge, eine schändliche ," schrie der jüngere Graf, der jetzt auf einmal die Sprache wieder gefunden hatte, aber nur, um sich und sein Verbrechen zu verrathen. „Das Bübchen ist seit z ranzig Jahren todt und wurde von Makabel eingescharrt."
„Makabel hat dich betrogen, Gräflein," höhnte das Weib, ihre Stimme so laut erhebend, daß sie allen Tumult, der sich eben unter den Anwesenden erheben wollte, übertönte. „Der Bube blieb auf mein Geheiß am Leben, und meine zweite Tochter, die mit der schwedischen Armee zog, hat denselben zu sich genommen und so lange behalten, bis sie ihn abermals auf mein Geheiß in die Hände des Mannes spielte, von dem ihn der Förster auf dem Lichten- stein bekam. Sieh' hier," fuhr sie eifrig fort, während sie das gelbe Tuch, in welches ihr Haar gehüllt war, abriß und einen sorgfältig darin eingewickelten Gegenstand entfaltete, „sieh' hier das Hemdchen mit der Grasenkrone, und hier die feine Haarkette mit dem goldenen Amulette! Beides habe ich aufbewahrt, um es dem Jungen zurückzugeben, wenn er groß geworden, damit er seinen Vater damit überzeugen könne. Und hier, hier," setzte sie fast athemlos vor Aufregung hinzu, indem sie zu gleicher Zeit dem jungen Jägersmanne den Aermel der linken Achsel abriß, „siehst du das kleine, kaum erbsengroße Maat, das der Junge mit auf die Welt brachte?
Ha, ha, ha, ha! Glaubst du jetzt, daß er lebt, — er, der Erbe von Werdenberg, während du doch nichts desto weniger sein Mörder bist?"
So rief das schrecklickeWeib und ihre Gestalt hob sich höher und höher bei der furchtbaren Anklage, und sie sah fast aus, wie eine Oberpriesterin, welche den Bann- strabl schleudert über die verbrecherische Welt, Aber jetzt übertönte ein mächtiger Schrei selbst ihre Stimme, — ein Schrei nicht der Angst oder des Zorns, sondern
Mein Sohn, mein Sohn, ich habe meinen Sohn gesunden!" jauchzte der Graf von Werdenberg, und in unnennbarer Wonne drückte er den jungen Jägerburschen an seine Brust.
In tiefer Rührung sahen die beiden Fürsten nebst den meisten Anwesenden auf diese Gruppe, aber eine Minute darauf erinnerte sich der Herzog von Württemberg seiner Pflichten als Herrscher.
„Ergreift den Genossen von Meuchelmördern," befahl er, „sein Recht soll ihm werden."
Zwanzig Hände streckten sich zumal aus, aber — sei es nun, daß die Anwesenden von dem Außerordentlichen, dessen Augen- und Ohrenzeugen sie so eben gewesen, zu sehr betäubt waren, um den rechten Augenblick zu erhasche», oder auch daß der jüngere Werdenberg ihnen zu gewandt war, genug es gelang demselben, das Gedränge zu durchbrechen und die vordere Wand des Saales zu erreiche», ehe man ihn fest- halten konnte. Hier standen die Fenster der Wärme wegen alle weit auf; — ein Nnck nun, und er hatte sich über die Brüstung geworfen, noch ein Ruck, und er war verschwunden! Gleich daranf hörte man einen wilden thierähnlichen Aufschrei und zugleich einen schweren Fall, und — dann war Alles still wie das Grab!
Auch im Saale war's so still wie im Grabe. Das Entsetzen hatte alle Zungen gelähmt! Von jenem Fenster aus nämlich, durch das sich der Unglückliche gestürzt, ging es jäh hinab in den Abgrund, wohl über dreihundert Fuß tief, und wer dort hinabfiel, konnte nur als eine zerschmetterte Masse unten ankommen.
„Er hat sich selbst gerichtet," sprach nach langer Panse der Herzog van Württemberg, die Hände zum stillen Gebete faltend. Und wie er that, so thaten alle Uebrigen!
Wie nun aber endlich die Anwesenden das Grausen überwunden hatten und sich umschauten, da war die Zigeunermutler verschwunden, und man hat sie auch nachher nicht wieder erblickt. — Dm Leichnam des Selbstmörders, der durch den furchtbaren Sturz in einen fast unkenntlichen Klumpen verwandelt war, begrub man zur teile in nächtlicher Weile, das Geschlecht der Grasen von Werdenberg jedoch blühte noch viele Jahre fort in dem glücklich vereinigten Paare: Hans und Agnes.
Das ist die Geschichte vom Lichtenstein!
Von Bogen in Niederbaiern wird ein eigenthümlich-s religiöses Schauspiel berichtet. Am Pfingstseste wurde, wie alljährlich, eine riesenhafte Votivkerze aus rothem Wachs in die dortige Maria-Wallfahrtskirche aus den Gipfel des Berges gebracht, „um durch die Fürbitte der Gna- denmutter von schweren Waldschäden befreit zu werden." Diese Riesenkerze mißt in ihrer Länge 44 Fuß und hat ein Gewicht von 90 Pfund. Seit 200 Jahren alljährlich wird sie unter Bctheiligung einer unzähligen Menschenmenge von der 20 Stunden weil her wallsahenden Psarrge- meinde Holzkirchen bei Passau dargebracht. 6 junge überaus kräftige Männer tragen die Kerze abwechselnd auf den Berg, die Wallfahrer folgen unter lautem Gebete, alle Glocken läuten; in der Kirche wird die Kerze im Presbyterium befestigt und dort steht sie, bis kommendes Jahr am
Pfingstseste kommt.
eine andere an ihre Stelle
Im badischen Oberlande, unfern vom Hohentwiel, machte kürzlich ein Revierförster die Entdeckung, daß ein Bauer ein Prachtexemplar von Schnepfe an seine Scheuer angenagelt hatte. Auf die Frage, Martin, warum habt Ihr diesen schönen Vogel hier angenagelt? antwortete der Bauer treuherzig: „Herr Förster, scho lange Zit her häl des Malifizluder meine Tuba g'holt, jetzt Hab i den Habicht abeg'schossa und kein Tüble frißt er nüt me.
Frankfurter Course vom
Geldsorten. Friedrichs'dor . .
Pistolen ....
dto. doppelte .
Holland. 10 fl.-Stück Dukaten ....
al marlro . 20-Frankenstücke . .
Englische Souvereigns Ruß. Imperiales Dollars in Gold Frankfurter Bankvisconto
7. Juni.
9 fl. 57'/- 9 fl. 40— 9 fl. 40- 9 fl. 53— 5 fl. 33 - 5 fl. 34 9 fl. 22 11 fl. 50 9 fl. 42 2
58'/,kr. 42 kr.
- 42
- 55 —35 —36 -23 -52 —44
fl. 25'/,—26'/,kr.
kr.
kr.
kr.
kr.
kr.
kr.
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Goldkours der K. Württ. Staatskafscn- Verwaltung.
Friedrichs'dor ... 9 Pistolen .... 9 20-Frankenstücke . . 9 Rand-Dukaten . . 5
fl. 57 kr. fl. 39 kr. fl. 21 kr. fl. 32 kr.
Stuttgart, den 1. Juni 1872.
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Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Me eh in Neuenbürg.