Donnerstag
Keilas» zu Ur. 20
16. Jebruar 1899.
^ e rr. Nachdruck «irboten.
heimliche Liebe.
Roman von Helene Voigt.
(Fortsetzung.)
Empört warf die junge Frau den Brief beiseite; wie durfte cs ein Mann wagen, mit solch' zudringlicher Vertraulichkeit einer verheirateten Frau zu schreiben, mit deren Gatten er am andern Tage ein Duell ausfechten sollte! Und doch! Er sprach von einem Preise, von einer mündlichen Unterredung? Wenn Nora das Kartenblatt besaß, dann wollte sie vor ihren Gatten treten und ihm alles sagen; wollte noch in elfter Stunde jenes unselige Duell verhindern und ihre Unschuld, ihre — Liebe ihin beweisen! Er liebte sie ja, hatte er gesagt, sie erglühte wir ein junges Mädchen, wenn sie daran dachte, wie glücklich sie dann sein könnten. Ja, es war eine herbe Prüfungszeit über sie gekommen, sie wußte, was es hieß: in Thronen säen, und stürmisch pochend verlangte ihr Herz danach, mit Freuden zu ernten.
Die Lampe warf ein gedämpftes Licht auf den Kranken, leise trat der Diener ein und brachte frisches Wasser; die junge Frau erhob sich, winkte ihn heran und frug halblaut: „Könnten Sie wohl eine Stunde hier bleiben, bis ich wieder komme? Ich muß noch eine eilige Besorgung in der Stadt machen."
„Gewiß, gnädige Frau," nickte der Mann freundlich, „recht gern. Ich hole mir nur die Putzseife und Lappen, denn ich soll des Herrn Senator silberne Stutzuhr putzen."
„Wissen Sie nicht — ob mein Mann — morgen zeitig ausgeht?" forschte die junge Frau verlegen und ehe der Diener es sich versah, glitt ein Fünfmarkstück in seine Hand, „ich muß es wissen, denn es handelt sich um wichtiges. Wenn Sie eS erfahren und mich hinführen wollen — werde ich Ihnen sehr dankbar und erkenntlich sein." Das schöne Gesicht trug so unverkennbare Spuren von Kummer und Angst, die braunen Augen standen voll Thränen, und teilnehmend schaute der Mann seine junge Gebieterin an.
„Ich will's gerne thun, gnädige Frau," sagte er treuherzig, „denn wir haben Sie und den Herrn Senator alle lieb und wünschen Ihnen nur gutes."
„Gott segne Sie," sagte Nora einfach und legte die weißen Finger in die schwielige Rechte des Mannes, dann glitt sie hinaus in den kalten Winterabend, das Kopftuch dicht vor's Gesicht ziehend.
Draußen flackerten die Laternen unruhig hin und her, nur wenige Passanten befanden sich in der Straße, die Noras bebender Fuß betrat und so eilte sie unbehelligt weiter; dort drüben das vorletzte Haus bewohnte Hauptmann von Bieberstein, sie stand bereits vor der Hausthür, da noch einmal verließ sie aller Mut, alle Selbstbeherrschung. Schwer fiel das Köpfchen auf die Thürklinke, krampfhaft schlossen sich die kalten Hände ineinander und es war, als dringe ein schluchzender Ton unter dem verhüllendem Kopftuche hervor:
„Ich kann es nicht, mein Gott, es ist zu schwer."
Da aber tauchte ein anderes Bild vor dem armen, zitternden Weibe auf, AlbrechtS männlich schönes, jetzt totenblasses Gesicht mit dem wehmütigen Blicke. Morgen würden sich diese beiden Männer mit den Waffen in der Hand gegenüber treten und weshalb? Um ein Mißverständnis und ein ganz furchtbares dazu! War es denn möglich, konnte ihr Gatte sie wirklich für treulos halten, hatte die eigne Mutter auch an ihrem Unglücke mitgeholfen?
Nein, nein sie mußte das durchstochene Kartenblatt haben, koste es was immer es wolle; es war ja der einzige Weg — zu Albrechts Herzen, zu seiner Liebe. Langsam betrat sie das HauS, langsam zog sie die Schelle an Biebersteins Wohnung.
„Der Herr Hauptmann zu Hause?" frug sie laut, möglichst hochmütig und malitiös lächelnd nickte der Bursche: „Jawohl, wen darf ich melden."
„Eine — Dame, welche Herrn von Bieberstein dringend sprechen muß."
Der Bursche ging in's Zimmer, sehr erstaunt über den sicheren Befehl der Unbekannten; die Damen, welche sonst hierher zu kommen pflegten, traten anders auf, unsicher, scheu und verlegen."
„Führe die Dame herein," hörte Nora drinnen Bieberstein nonobalant sagen, doch sie rührte sich nicht und sagte, sehr markiert und laut, als der Bursche die Thür offen hielt: „Sagen Sie Ihrem Herrn — daß ich ihn erwarte."
Jetzt sprang der Hauptmann hastig empor, daß der Stuhl zu Boden fiel, die Stimme sollte er kennen, sogleich war er draußen, verneigte sich ehrerbietig vor der verhüllten Gestalt und rief: „Meine gnädig" —
„Genug, Herr Hauplmann!" fiel sie ihm gebietend in's Wort, „ich verlange eine Unterredung mit Ihnen. Bitte öffnen Sie mir die Thür zu Ihrem Salon."
Sie betonte scharf das letzte Wort. Bieberstein verstand sie und rief dem Burschen zu: „Johann, rasch eine Lampe, zünde den Kronleuchter an."
Als der Diener dann die Thüre hinter sich geschlossen, ließ Nora langsam das verhüllende Kopftuch herabsinken, wandte ihr todtblasses, angstvolles Gesicht- chen Bieberstein zu und sagte einfach:
„Sie wissen, Herr Hauptmann, waS eS mich gekostet hat, diesen Schritt zu thuu — er ist furchtbar schwer für eine strenggesinnte Frau und durch die höchste Todesangst bedingt."
„Aber, meine gnädige Frau, bei der Verehrung, die ich für Sie im Herzen trage" —
„Nicht diesen Ton, Herr von Bieberstein! Ehren Sie in mir die unglückliche Frau, beleidigen Sie mich nicht in dieser schweren Stunde." —
Die ernsten traurigen Worte machten selbst auf das Herz des wüsten Mannes Eindruck, er sah teilnehmend in Nora's süßes Gesicht, welches sich jetzt abermals flehend zu ihm erhob.
„Sie haben meinen Brief erhalten — und ablehnend beantwortet?"
„Ja, gnädige Frau, Sie können nicht verlangen, daß ich mein kostbares Geheimnis Ihnen ausliefere; es kann mir noch oft gute Dienste thun. Sehen Sie, es trug mir soeben diesen Brief schon ein."
Er hob spöttisch lächelnd ein elegantes blaues Briefcouvert empor, auf dem Nora heißerrötend vor Scham der Mutter Schriftzüge erkannte.
„Frau von Trahlow hegt den gleichen Wunsch wie Sie, gnädige Frau, nur — setzte sie den Preis deutlich fest.", —
„O Gott, auch mir wäre kein Preis zu hoch, um unser aller Glück und Ehre zu retten." —
Ein prüfender Blick aus Biebersteins lauernden Augen glitt über die schöne, junge Frau; er lächelte unmerklich, ergriff ihre Hand und geleitete sie zum Sofa.
„Nehmen Sie Platz, Frau Senator, im Sitzen spricht man ruhiger."
Erschöpft sank sie in die Kiffen, sie merkte es nicht einmal, wie er sich um sie bemühte, wie seine Lippen gedankenschnell ihr lockiges Haar berührten. —
„Und nun lassen Sie uns auf unsere Angelegenheit zurückkommen," bat sie endlich weich, „nennen Sie mir den Preis, für den sie jenes unselige Kartenblatt mir auShändigen wollen und ich gelobe Ihnen" —
„Nora, wenn ich Sie beim Wort nähme" —
Der Ton ließ sie erbeben, leidenschaftlich flammend ruhten die Augen auf ihr, sein heißer Atem streifte ihre Wangen, und ein jäher Schauder überrieselte ihren Körper. Sie richtete sich empor, und es war wieder die unnahbare Weltdame, welche ihm gegenüber saß, nicht mehr das angstvoll flehende Weib.
„Herr Hauptmann, können Sie der Bitte einer tiefbeunruhigten Frau widerstehen, welche in Ihren Händen ihre Ehre und ihr Glück weiß."
„Ihr Glück, gnädige Frau I Wollte Gott es läge in meinen Händen und wäre mit meinem Geschick verknüpft."
„Ein unseliger Zufall gab Ihnen das Geheimnis preis, welches meinen Bruder und mich — zu Waisen macht! Wir haben — keine Mutter mehr, ob Sie das oorpus äsllcti mir zurückgeben oder nicht. Aber — ich muß es aus einem andren Grunde und sei eS auch nur für kurze Zeit besitzen, — es soll — mich rechtfertigen."
.Die letzten Worte waren so leise gehaucht, daß selbst Bieberstein sie nicht zu verstehen vermochte, aber er kombinierte scharf.
„Wollen Sie nicht wissen, gnädige Frau," frug er ironisch, „welchen Preis mir Ihre Frau Mutter — pardon, Frau von Trahlow, bietet, wenn ich ihr meinen kostbaren Fund ausliefere?"
„Herr von Bieberstein, Sie wollen mich hinziehen, mich elend machen — ich beschwöre Sie" — „nur einen Augenblick," er verneigte sich, „lesen Sie dies blaue kostbare Billetdoux."
Mit zitternden Fingern nahm Nora den Brief der Mutter und begann zu lesen, aber je weiter sie kam, je starrer wurden ihre Augen, je blässer ihr Gesicht; plötzlich ballte sie den Brief zusammen und sprang mit flammendem Blicke in die Höhe.
„Das ist erbärmlich, ist ein Verbrechen," rief sie in zornigem Tone, „mein Herr Hauptmann, ich sehe, daß mein gewagter Schritt umsonst war. Ein Mann, dem dieser Preis genannt werden darf" —
„Der Preis ihrer Liebe, Nora, die ich bisher vergeblich zu erringen hoffte" —
„Ein solcher Mann wird nie das Frauenhcrz verstehen, welchem seine Ehre mehr gilt, als alles andre."
„Ihre Ehre, schöne Frau, jawohl, aber Ihr Glück wird nicht wieder aufgerichtet. Liebt Sie denn Ihr Gatte?"
„Wer giebt Ihnen das Recht, Herr Hauptmann, eine verheiratete Frau danach zu fragen?"
„Eb.n die Schreiberin jenes blauen Briefes. Sie versicherte mir, daß Nora van der Huylen auf ihren Knien bereute, nicht mehr frei zu sein, einem Manne anzugehören, der sie nicht liebe."
(Fortsetzung folgt.)