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In ganz Frankreich herrscht ein panischer Schrecken vor communistischen Brandstiftungen. Versailles selbst soll mit Petroleum bedroht sein; in Fontainebleau hat man Leute verhaftet, die den Wald anzünden wollten und in Marseille will man sogar eine ganze Verschwörung von Brandstiftern entdeckt haben, als deren Haupt Naquet, unter Gambetla Präfekt von Corsica, ins Gefängniß abgeführt worden ist. Naquet's Frau bis an die Zähne bewaffnet, suchte den General Es- pivent zu erschießen, als derselbe an der Spitze einer Truppenabtheilung kam, um die Verhaftung zu vollziehen.
Versailles, 25. Mai. Die Verlustliste der durch Feuer zerstörten öffentlichen Gebäude von Paris wird mit jedem Tage, ja mit jeder Stunde länger. Eine Hiobspost schlimmer als die frühere. Daß viele Privathäuser, die um oder zwischen jenen großen Gebäuden lagen, ein Raub der Flammen geworden, ist nicht zu bezweifeln. Als Beispiel, wie das Feuer verbreitet wurde, erzählt man, daß die Aufständischen in die Nue Royale das Petroleum mit Feuerspritzen schleuderten; der Oberst dieser infernalstcheu Arbeit wurde nebst seinen Helfershelfern gefangen genommen und mit ihnen auf der Stelle erschaffen. Solchen Freveln gegenüber konnte von Retten kaum die Rede sein. So viele unersetzliche Schätze sind rettungslos verloren gegangen, und es waren Frauenzimmer, die sich ganz besonders bei den Brandstiftungen hervorthaten. Weiber und Kinder schleppten Gießkannen voll Petroleum hsrbei, um es in die Kellerlöcher zu gießen und brennende Schwefelhölzer nachzuwerfen. Auf dem Marineministerium überraschte man Weiber, welche die Wände mit Petroleum benetzten; auch diese wurden sofort auf die Straße gebracht und ohne Weiteres niedergeschoffen.
Brüssel, 30. Mai. In der heutigen Sitzung des Senats gab der Ministerpräsident Graf Anethan, in Beantwortung einer Interpellation, folgende Erklärung ab: Da die Regierung den Brief Viktor Hugo's als die Interessen des Landes gefährdend erachtete, forderte sie Viktor Hugo auf, Belgien zu verlassen. Derselbe weigerte sich, und wir haben in Folge dessen dem Könige eine Verfügung vorgelegt, welche bezweckt, den Genannten zum sofortigen Verlassen des Landes zu nöthigen. Die Verfügung ist bereits unterzeichnet und wird zur Ausführung gelangen. (Allseitig? Zustimmung.)
St. Petersburg, 31. Mai. Der russische Reichskanzler Fürst Gortschakoff ist heute nach Wildbad abgereist.
Miszellen.
Folgen -er Strohivitlwerschast.
Humoreske von Thekla Grabowska.
(Fortsetzung.)
„Was Du weißt, lieber Mann, kann ich ja auch wissen."
Mit diesen Worten entschlüpfte sie ihm, da er sie festzuhalten versuchte, um sich mit Gewalt des Papieres zu bemächtigen.
„Ich sage Dir", rief Herr Müller, „es ist besser für Dich, Du liesest es nicht. Du machst Dir vielleicht gar allerlei närrische Gedanken darüber."
Pfeilschnell war Frau Müller zur Thür hinaus und riegelte dieselbe fest hinter sich zu. Erst nach geraumer Zeit kam sie mit gerötheten Augen zurück und setzte sich schluchzend auf das Sopha. Sie hatte den Brief Karl'S an seinen Vater gelesen und glaubte nicht anders, als daß dieser Karl der Sohn ihres Gatten sei, dessen Existenz er ihr bis jetzt verschwiegen habe. Es ist einer noch jungen Frau nicht gleichgültig, ob ihr alternder Gatte einen Sohn und Erben hat oder nicht.
„Mich so zu hintergehen", sagte sie weinend, „es ist abscheulich von Dir."
„Beruhige Dich doch, Luise, es ist ja längst eine abgethane Thorheit; ich wollte Dir schon immer davon erzählen."
„Hätte ich das geahnt, hätte ich das nur früher gewußt!" schluchzte sie.
„Aber meine Liebe, ich versichere Dich, daß ich längst nichts mehr davon wissen mag, seit ich Dich habe. Sie schreibt es ja auch selbst."
„Ja, er schreibt es, und ich soll davon nichts wissen! Vermutlich ist es die neue Sommermaschine, die Du bei ihm bestellt hast."
„Sommermaschine? Wie kommst Du auf diesen Gedanken, von wem sprichst Du denn eigentlich?"
„Nun, von ihm."
„Aber ich spreche doch von ihr", sagte, ungeduldig werdend der Gatte.
„Nun, also von der Maschine?"
„Mein Gott, was hast Du nur mit der Maschine?" sagte, leicht mit dem Fuße stampfend, Herr Müller; ich meine die Gertrud."
„Gertrud?" fragte höchst erstaunt Frau Müller, „wer ist Gertrud? ich denke, Du sprichst von Deinem Sohn."
Herr Müller brach in ein schallendes Gelächter aus.
„Frau, was fällt Dir ein, wie soll ich zu einem Sohn kommen!"
„Ich will cs Dir schwarz auf weiß zeigen", sagte gereizt Frau Müller und holte in der Nebenstube Karl's Brief, das eorxus äslicli.
Kaum hatte Herr Müller einen Blick darauf geworfen, so lachte er abermals laut auf.
„Wie, Du willst nun wohl läugnen", sagte bitter Frau Müller; o, mein Gott, wie werden mir armen Weiber betrogen und hintergangen!"
Sie siel schluchzend auf das Sopha zurück.
„Aber, Kind, siehst Du denn nicht, daß dies eine arge Verwechslung ist? Der Brie ^ ist ja gar nicht an mich."
Uederrascht sah Frau Müller in die Höhe.
„Es hat mir ihn jedenfalls ein Bekannter aus Schabernack in meine Tasche gesteckt, anders wüßte ich es mir nicht zu erklären."
Noch nicht völlig überzeugt erhob sich die FiauNäthin. „Ich muß einmal diese Taschen einer genauen Revision unterwerfen, vielleicht findet sich noch etwas,
was nicht hinein gehört", sagte sie mit eichtem Spott.
Auch der Herr Rath begann den Nock einer eingehenden Besichtigung zu unterwerfen.
„Aber siehe da, das sind ja größere Knöpfe und helleres Futter!"
„Es ist gar nicht mein Rock!"
„Nein, ich sehe auch, er ist es nicht", sagte Frau Müller. „Du hast ihn vertauscht."
Es fiel ibr bei dieser Wahrnehmung eine Centnerlast vom Herzen.
i Schluß folgt.)
Ans einer andern Welt.
Von Emil D.. .
(Fortsetzung.)
„Wüthend, tausend blutgierige Gedanken im Kopfe, kam ich nach Hause; ich stürzte zu meiner Frau ins Zimmer, und machte ihr die bittersten Vorwürfe. In meinem Zorne war ich schon im Begriffe, mich an ihr zu vergreifen, als ich einen lauten Schrei hörte — ich hielt iune und sah eine blasse brünette Dame, imposant wie die Bildsäule einer Göttin. Langsam schritt sie auf mich zu und hob die Hand gegen mich auf: „Rühren Lie diese Frau nicht an, ehe Sie mir Zeit gelassen, sie zu rechtfertigen!"
„Und welche Rechtfertigung sind Sie im Stande zu geben," fragte ich.
„Hier ist sie, machen Sie Gebrauch davon, und warten Sie."
„Mit diesen Worten überreichte mir die Fremde ein Papier, worauf einige Worte geschrieben standen, dann nahm sie meine in Thränen schwimmende Frau bei der Hand, und Beide verschwanden."
„Ihre Geschichte wird interessant, Herr Wirth," sagte ich, „was stand in dem Billet?"
Er sah mich mit leuchtenden Blicken an, und zog einen schmutzigen, beinahe ganz zerrissenen Zettel aus seiner Westentasche.
Ich las folgende Worte: „Weisen Sie dem Ueberbringer dieser Zeilen in einer der vorderen Parterrelogen einen Platz an.
M. d. B."
„Eine sonderbare Art, den Schmerz eines getäuschten Ehemannes zu heilen, Ganz das gewöhnliche System unserer heutigen Aerzte; es wird Zerstreuung, Aufheiterung verordnet." bemerkte ich.
„Scherzen Sie nicht, mein Herr," er- miederte der Wirth ernsthaft; „halb aus Aberglauben, halb aus Neugierde ging ich ins Theater und sah ein Stück, welches einen entsetzlichen Eindruck auf mich machte."
„Und dieses Stück heißt?" fragte ich gespannt.
„Othello" — es ist die Geschichte eines Mannes, der seine unschuldige Gattin mordet. Aber rathen Sie, wer die Schauspielerin war, welche die Rolle der Letzteren gab? — Es war die Fremde, die in meinem Hotel wohnte. Meine Haare sträubten sich, als Desdemona sich vor dem eifersüchtigen Othello zu reiten suchte; ich breitete die Arme nach ihr aus und rief: „Gnade! Gnade für sie! Sie ist unschuldig!" Zu Ende des Stückes war ich einer Ohnmacht nahe. (Forts, folgt.)
Redaktion, Druck und Verlag von Ink. Meeh in Neuenbürg.