Die Vertheidignugsarmce von Poris betrögt nach einer Korrespondenznachricht des „Daily Telegraph" Alles in Allem 525,000 Mann und wird in 3 Armeen getheilt:
Iste Armee. General Thomas. 300,000 Mann; Nationalgardcn und Nationalgarden Löckoutuiro.
2te Armee. General Ducrot. 150,000 reguläre Truppen mit 80 Feld- und Mi- trailleusen-Batterien, so wie 2 Kavallerieregimentern.
3te Armee. General de Vinoy, für die Besetzung der Forts bestimmt, ist 70,000 Mann stark, und aus den Depotbataillonen der früheren Kaiserlichen Garde, einigen Linienbataillonen, den früheren Stadlser- ganten, Gensdarmen re. zusammengesetzt
Die Stimmung in Paris läßt sich aus den Ballonbriefen nur errathen. Viele Wendungen deuten darauf, daß eine Censnr statt findet oder daß die Briefsteller doch eine solche fürchten, und da in Paris der Ausbruch des Terrorismus nicht zu den Unwahrscheinlichkeiten gehört, ist es Keinem zu verdenken, wenn er sich nicht kompro- mittiren mag.
Dem „Journal de Bruxelles" wird mitgetheilt, daß Nantes von verwundeten Franzosen überfüllt sei. Das „Echo du parlement" schildert die Panigue in Folge der Schlacht von Le Mans als beispiellos. Die Zahl der Gefangenen werde jetzt schon als 20,000 übersteigend angegeben. General Ehancy ist leidend.
Vor wenigen Tagen wurde in den 20 Arrondissements von Paris die Volkszählung vorgenommen, wonach die Cwilbe- völkerung, nämlich ohne Heer, Marine und Mobilgarde, 2,005,709 beträgt. Man kann sich einen Begriff von der Verwüstung machen, welche in diesem Menschengedrange das Bombardement, der Hunger und die individuelle Verzweiflung und Demoralisation anrichten werden.
Edmond About, der bekannte Witzbold, kann auch jetzt sein trauriges Geschäft nicht ciustellen. Er strengt allen seinen Esprit an, um in dem Soix sich über die Krupp'schen Kanonen lustig zu machen. Sie erscheinen ihm gar plump und grob und rufen in Einem fort: Dumm, dumm! was auf Französisch so viel heißt, wie imböeile. Die französ. Kanonen seien dagegen viel intelligenter und civilisirter: sie reden die Sprache der Menschheit n. s. w. Das Journal deS Debats schickt den jämmerlichen Gesellen, der einer der schlimmsten imperialistischen Kriegshetzer gewesen ist, in wohlverdienter Weise heim. „Die plumpe, preuß. Kanone," antworten die Debats, „schreit Dumm! Gut. Aber wer ist denn Schuld daran, daß diese Kanone aus den preuß. Arsenalen herausgekommen ist? Wer hat sie denn gegen uns armirt? Das Kaiserreich hat es gethan. Und wer hat das Kaiserreich angefeuert und aufgehetzt, sich in das Abenteuer zu stürzen, in dem es untergegaugeu ist; wer hat es in den Abgrund hinabgestoßen, aus dem heute Frankreich mit hel- denmüthiger Energie sich zu retten versucht? Das waren die Leute, für welche die Ka- noncn, wenn dieselben französisch sind, nicht.
Dumm! sondern Bumm! sagen. Wir für unser Theil waren von diesem Bumm! nicht so sonderlich entzückt. Und wir würden heute nicht das Recht zu haben glauben, die bedrohte Civilisation zu beklagen und die deutsche Invasion zu verwünschen, wenn wir im Juli der Ansicht gewesen wären, daß die französischen Haubizen, die zum Ucbergang über den Rhein und zum Ueber- sall Deutschlands bestimmt waren, ans civilisatorischem Metall gegossen seien. Alle Kanonen sagen: Dumm! Und, wenn man es einmal zugibt, daß die Despoten ihnen das Wort geben, so wird von zwei Kanonen, welche einander Dumm! zurusen, diejenige immer die dümmste sein, welche die kleinere ist und sich für die größere gehalten hat.
Man schreibt aus New-Iork an den „Precruseur":
„Die amerikanischen Zeitungen haben neulich eine Thatsache gcoffenbarl, welche ein Helles Licht ans den schändlichen Beweggrund wirft, der John Wilkes Booth in seinem verbrecherischen Attentat geleitet hat. Man hatte eine Zeit lang geglaubt, daß er durch eine bis zum Wahnsinn gestiegene politische Ueberspanunng angetrieben worden wäre, den besten der Menschen zu ermorden. Es scheint, daß er der elende Söldling der in Canada versammelt gewesenen Nebelten- und Verschwörerbande war. In der That wurde ermittelt, daß einige Tage vor Ermordung Abraham Lin- coln's eine Summe von 3000 Pfund Sterling aus den Namen Booth's an eine der Banken von Montreal eingezahlt worden war.
„Seit dem Tode des Mörders haben die Vorsteher dieser Bank mehrmals an Madame Booth, die Mutter, und an Hru. Edwin Booth, den großen Tagödiker, geschrieben und sie aufgefordert, die Summe, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Erben ihres Sohnes und Bruders gehört, zurückzunehmen. Man muß glauben, daß der schimpfliche Ursprung dieser Summe ihnen bekannt war, denn weder die Mutter noch der Bruder haben jemals den geringsten Schritt thun wollen, um in den Besitz derselben zu treten. Es ist also erwiesen, daß John Wilkes Booth nur aus schmutziger Habsucht gehandelt hat und daß das so reine Blut, das er vergossen ihm im voraus bezahlt worden mar."
MisMcn.
Die rettende Hand.
Novelle von Otfried Mplius.
(Fortsetzung.)
„Sparsamkeit und Selbstverleugnung?!" wiederholte Alfred bitter; „wer wird bei mir an das Vorhandensein eines ernsten Willens dazu glauben? wer wird überhaupt an die Wirklichkeit und Dauerhaftigkeit meiner guten Vorsätze glauben, nachdem ich so oft den geleisteten Versprechungen und guten Vorsätzen ungetreu geworden bin?_"
—„Und bin ich es nicht, die Ihnen glauben, die Sie retten will, die sich schmerz
lich berührt fühlt, daß Sie meine rettende Hand aus falschem Zartgefühl zurückstoßeu ?" rief Angustine und schlug jetzt den Schleier zurück, um ihm mit flehentlicher Bitte in die Augen zu blicken.
„Sie, Augustine?.... Ja, Sie allerdings!_ Und Sie weinen? Sie weinen
über mich, den Unwürdigen, Unverbesserlichen? -O, Augnstine, süße-s, herrliches Mädchen! ist eS denn möglich, daß Sie
noch einen Funken von_von Sympathie
für den Mann fühlen, der Ihnen so wehe gethan?"
— Schweigen wir von vergangenen Dingen, Alfred! Solche vollendete That- sachen müssen aus sich beruhen bleiben. Denken wir lieber an die Gegenwart, au die Zukunft! Wenn eS Ihnen wohlihuend ist zu erfahren, daß .... daß ich mich noch für Sie interessire, daß ich mir gelobt habe. Sie zu retten so will ich es Ihnen ja
gern gestehen, daß-daß ich nie ausgc-
hört habe, in Ihnen den Freund und den Bruder meiner glücklichen Kindheit zu sehen!...."
„Edle, himmlische Angustine!" rief er leidenschaftlich ; „ich bin so vieler — Güte unwürdig! O, hätte ich Sie ehemals so gekannt, hätte ich gewußt, was für ein edles, liebevolles Herz sich hinter Ihrem stillen Wesen barg, es wäre nie so weit mit mir gekommen;"
— „Beweisen Sie mir dieß jetzt, Alfred!" sprach Angustine mit Wärme, „beweisen Sie es mir durch ein williges Eingehen auf meine Vorschläge, und ich werde nicht ansteheu, mich vor Ihnen selber der Feigheit anzuklagen, weil ich damals Ihnen Ihr Wort zurückgab und unser Verlöbnis) löste, während cs meine Pflicht gewesen wäre, als Ihre Gattin Sie aus Ihrem lhörichten und unordentlichen Leben heraus- zureißeu. Und nun werden Sie hoffentlich meine Hülfe annehmen und auf meine Vorschläge eingehen, die ich Ihnen in dieser Urkunde näher auseinandergesetzt habe!"
Tief gerührt aber mit einem Zaudern, das seinen inncrn Kamps miederspiegelte, griff Lieutenant Wehlen nach dem Papier und nach Augustens Hand, die sie ihm dießmal willenlos überließ. In diesem Augenblick aber pochte es an der Thüre, und ohne Verzug trat Herr Trantmann iu's Zimmer, gefolgt von dem Major v. Webern, Alfred's Vorgesetztem. Beide Herren stutzten bei dem Anblicke Augustineus, die momentan ebenfalls erschrack und abwechselnd erblassend und erglühend in einen Stuhl, gesunken war.
„Sein Sie ruhig, mein liebes Fräulein?" Hub Herr Trautmann freundlich an und bot ihr grüßend die Hand. „Ich ahne die Motive, welche Sie hieher führten, und die wir Beide gewiß nicht entfernt mißdeuten werden. Herr Major v. Webern — Fräulein Augnstine Fintelmann, die ehemalige Verlobte des Lieutenants Wehlen, die in der Absicht hier ist, denselben durch Aufopferung eines Theils ihres Vermögens zu retten, was wir aber nicht zugeben werden, nicht wahr?"
(Fortsetzung folgt.)
Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Me eh in Neuenbürg.