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verdienst; es gibt Handlungshäuser welche jährlich mehr als 20,000 Thlr. in solchen Artikeln umsetzen.
Württemberg.
Stuttgart, 2. August. Heute wurde die vierte Versammlung deutscher Turnlehrer durch den Vorsitzenden des Centralausschusses, Dr. M. Kloß aus Dresden, in der hiesigen Centralturnhalle eröffnet. In seiner einleitenden Rede weist er in erster Linie darauf hin, daß leider die politischen Ereignisse des vergangenen Jahres die auf frühere Zeit bestimmte Versammlung verhindert hätten. Er betonte hierauf die Wichtigkeit der Heranbildung unserer Jugend zu tüchtigen, kräftigen Männern nicht nur in Voraussetzungen eines bevorstehenden Kampfes mit einer feindlichen Macht, sondern für jeden Lebenszweck, für jeden Beruf.
Tübingen, 1. August. Heute Mittags 3^2 Uhr wurde Paul Pfizer begraben; seit Uhlands Leichenbegängnis sahen wir keine so große Betheiligung aller Stände mehr, wie zu Ehren Pfizers. Bürger von Tübingen trugen den reichgeschmückten Sarg zum Grabe. Zu Häupten des Sarges war ein Kranz von Eichenlaub mit schwarz-roth-goldener Schleife, vom Volksvereiu in Tübingen dem treuen Kämpfer für Freiheit und für Recht gewidmet. Unter den Klängen eines Chorals wurde die sterbliche Hülle eines Mannes der Erde übergeben, dessen unerschütterliche Treue für die Sache des Volkes und des deutschen Vaterlandes nicht nur die Stadt Tübingen, welche zu ihm als ihrem Abgeordneten in ernsten Tagen der Reaktion unerschütterlich gehalten hat, sondern auch das ganze Land in dankbarem Andenken erhalten wird.
Zur Beurtheilrrng der gegenwärtigen Lage.
(Fortsetzung.)
Der Gegner hatte mit Ernst, wenn auch mit einem düstern und mißmuthigen, zugehört. Nach einer Weile versetzte er gemessen, bitter: ,'lieber diese deine Ansicht wundere ich mich n cht; und zwar um so weniger, als du deinem Versprechen, auf schon Gesagtes nicht mehr zurückzn kommen, darin schon einigermaßen untreu geworden bist. Es ist etwas geschehen, was nicht nur dir, sondern auch Andern imponirt — und du erblickst nun darin einen nicht zurückzumachenden Schritt der Geschichte. Du bc>ilst dich, diesen Schritt und seine unmittelbaren Folgen von der schönsten Seite anzusehen und ihn die auch bei den Werkzeugen aus den besten Motiven zu erklären. In alledem ii nichts, was mich überraschen konnte: nichts Anderes war von dir zu erwarten! Diese ganze Weisheit aber — wie ich dir bemerklich machen muß — steht auf Einer Voraussetzung: daß der Schritt Preußens uns — uns Deutschen — zum Heile dienen muß! Wenn du dich nun hierin betrögest? Wenn es ein Schritt wäre zum Untergang, wenn nicht Deutschlands, so doch eines in Freiheit edeln Deutschland? Du sagst: der gerade Weg zur Organisation des Vaterlandes war nicht zu gehen, also muß uns der andere zum Ziele führen! Ich habe aber dasselbe, ja ein
noch viel größeres Recht zu sagen: also wird uns der andere zu einem ganz andern Ende, zu dem Gegentheil jener Organisation führen: zu dem Einen Beamten- und Militärstaate, zu dem großen Despotenreich Deutschland!»
Ich schwieg. Dann, mit ruhigem Nachdruck, antwort te ich: »Zu diesem Reiche wird es niemals kommen!»
»Und wer wird es hindern?»
»Das deutsche Volk!» erwiderte ich.
»Da!» rief der Gegner. »Da haben wir es wieder, jenes allgemeine Wesen, das für jeden Schaden entstehen, das allen Gefahren begegnen muß! Das deutsche Volk,» fuhr er mit Indignation fort, »gleicht dir! Das deutsche Volk läßt sich imponiren von den Geschickt! Das deutsche Volk hält cs mit der vollendeten Thatsache und ergibt sich ihr! Derer, die vorausschauend murren und warnen, sind im Grunde doch nur Wenige, und diese Wenigen sind ohnmächtig. Die ungeheure Majorität hat mit ungeheurer Leichtigkeit den Begriff der Freiheit hingewors n um den der Einheit, und den Begriff des Rechts um den der Gewalt. Macht, Macht, Macht ist die Parole des Tage-. Sie wirkt ansteckend, und die Millionen, die früher nach Frechen sich heißer ge- schrie n haben, sie schreien jetzt nach e nein Regiment, das mit dem Säbel in der Hand Europa in Schreck n setzt. Alle die alten Lieblingsvorstellungen der Deutschen sind gewichen vor der Riesengestalt der prussificirtcn drcinschlagenden Germania. Der deutsche Michel, dieses unglaublich wetterwendische Geschöpf, lechzt auf einmal rach der Glorie dcS Weltgebieters, mehr als es d r Franzose unter jenem ersten Napoleon gethan; — er will die Herrschaft der Erde um jeden Preis, so schnell als möglich. Dort aber steht das bu- reaukratisch-militärische Preußen und sch int ihm zuzuiuf ii: „Alles dieses will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest!» Und Michel überlegt. Die Forderung ist stark sehr stark; aber der Köder wirkt magisch — die Weltherrschaft ist ein göttlicher Gedanke: er wird niedcr- fallen und anbeten!»
Ich betrachtete den Aufgeregten erheitert. »Der deutsche Michel,» entgegnete ich dann, »wird stehen bleiben! Vor dem Niederknicn und Anbeten schützt ihn etwas in seinem Wesen, das du ganz richtig hervorgehoben hast!" Und auf seinen unmuthig fragenden Blick fügte ich hinzu: »Das Wetterwendische! — Das Wetterwendische, wie du cs nennst; — das Wechsclfrohe einer universell angelegten Natur, wie ich es nenne!»
Er stieß einen Laut des Zornes ans und wendete sich weg.
Ich fuhr fort: »Soll ich ernsthaft reden, so muß ich auch die Forderung bestreiten! Ja, dort steht das mächtig gewordene Preußen! Aber was ruft cs in Wahrheit uns zu? Organisirt euch, wie ich organisirt bin! Schließt euch an mich an — vertraut euch meiner Führung, und ich geb' euch die Stärke, die der Grund und die Bedingung aller politisch-socialen Wohlfahrt ist!»
„Wenn cs nicht vielmehr," rief der Umgewcn- dete mir heftig zu, „der Ersatz für diese Wohlfahrt ist!"
(Fortsetzung folgt.)
Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Meeh in Neuenbürg.