Stuttgart, 22. Juni. Der Entwurf der Kircheiwerfassung wurde von Seiten des Cult- Ministeriums bK dem Geheimrath zur Begut­achtung eingebracht Derselbe enthält zwei Hanpt- theile, wovon der erste die Landessynode, der zweite die Stellung des Ministeriums in inner­kirchlichen Angelegenheiten behandelt. Der Ent­wurf ist, wie wir hören, auf Grund der Vor­schläge des Synodus nusgearbeitet, welche sich selbst wieder durch die feit letzten Herbst einge- laufencn Aeußernngen sämmtlicher Diöcesansyno- den über den vorläufigen Entwurf bestimmt haben.

Ausland.

Paris, 21. Juni. Frankreich,reich genug, seinen Ruhm zu bezahlen" und prunkende Jn- validenhäuser zu erhalten, kann trotz des guten Willens des gegenwärtigen Unterrichtsministers die Mittel nicht erschwingen, im Dienst ergrauten Lehrern ein Auskommen zu sichern. Das neueste Gesetzbulletiu enthält kaiserliche Dekrete, welche einem 73jährigen Lehrer nach 49jähriger Dienst­zeit eine jährliche Pension von 100 Franken und einem 73jährigen nach SOjähriger Dienst­zeit eine Pension von 61 Frauken bewilligen. Jede Bemerkung erscheint hierbei überflüssig; der Glanz von Paris, die Hoffeste, die Heeres- vermchrung, die Appanagen der Hosbeamten und Senatoren, und Lehrerpensionen von 100 und 61 Franken, andere sogar von 50 Franken, sind für das gegenwärtige Regime bezeichnend genug.

New-Aork, 12. Juni. Präsident Johnson und Seward sind in Washington wieder einge- iroffen. Aus Mexiko wird berichtet, Lopez habe das Hauptfort in Queretaro um 1000 Unzen Gold an Escobedo übergeben, der nach der Ka­pitulation eine Anzahl Gefangener mit eigener Hand tödtete. Am 16. Mai marschirte Letzterer mit bedeutender Truppenmacht gegen die Haupt­stadt, um sich mit dem Belagerungskorps unter Porfirio Diaz zu vereinigen. Maximilian, dessen persönlicher Tapferkeit und Todesverachtung von seinen Offizieren das höchste Lob gespendet wird, soll eine Proklamation erlassen haben, die in den stärksten Ausdrücken den Kaiser Napoleon beschuldigt ihn verlassen zu haben, allen unvor­sichtigen ehrgeizigen Prinzen sein eigenes Schick­sal als Beispiel vorhält und die Mexikaner er­mahnt ihre Sache durch Tugend zu verherr­lichen.

Miszellen.

Das Testament.

(Schluß.)

Zwar die Wangen waren bleich, vielleicht vor Angst und Besorgniß, aber die Äugen strahlten von Liebe und Theilnahme, im Gesichte thronte Offenheit und Seelcnadel, und jede Bewegung verkündete de» Engel der Milde und Sanfnnuth. Hinter ihr ging Wilhelm, der Sohn des Herrn Fohmann.

..Mein theurcr, theurer Pflegevater," sagte das Mädchen, vor dem Bette des Kranken auf beide Knie nicdersinkcnd, »Sie verboten mir, zu Ihnen zu kommen, bis Sie mich rufen ließen; aber ich konnte meinem Herzen keinen Halt mehr gebieten. , Sobald ich von Ihrer Krankheit höite, mußte ich I

zu Ihnen eilen, denn mein Platz ist an Ihrem Bette. Oder habe ich nicht mehr das Recht, Sie meinen Vater zu nennen, Sie, der Sic mir fast mehr waren? Sie, der Sie zärtlicher und sorg­fältiger gegen mich verfuhren, als eine Mutter thun konnte?

Es lag etwas unendlich Rührendes in ihren Worten, und aus ihrem g nzen Wesen athmete eine heilige Liebe, so daß man unwillkührlich davon ergriffen wurde. Der Himmel hatte sich der Hölle gegenü bergestellt! Der Einfluß, welchen die Nähe Juliens auf den Kranken aus­übte, war ein wahrhaft erstaunlicher. Sein Ge­sicht nahm plötzlich einen ganz andern Ausdruck an. Es war als ob sich die Beklemmung löste, welche seine Seele bisher gefangen hatte; der Alp der Sünde siel nieder, und die Brust athmete wieder frei!

Mit einem Male richtete er sich hoch im Bette auf, seine Wangen färbten sich, sein Auge leuchtete.

»Das Testament, Herr Aktuar!" rief er und der Ton seiner Stimme klang fest und bestimmt, fast wie in früheren Togen. »Schnell, geben Sie mir das Testament."

Der Aktuar reichte es ihm, und mit Einem Riß lag es in Fetzen auf dem Boden.

-Jetzt setzen Sie sich noch einmal," fuhr der Kranke mit immer kräftigerer Stimme fort, und immer höher färbten sich seine Wangen. . Setzen Sie sich und schreiben Sie, denn nunmehr diktirc ich Ihnen meinen wirklichen letzten Willen, und ihr Alle," rief er den Umstehenden zu, die sich nach und nach in's Zimmer geschlichen hatten, da sie von der Ankunft Juliens hörten,ihr Alle seid Zeugen, daß ich verordne, wie folgt: Mein ganzes Vermögen fällt nach meinem Tode an Julie Marcet, der Tochter des französischen Odrists Marctt, zu. Es fällt ihr zu als ihr unbeschränk­tes Eigenthum, da ich mich bisher nur als den Verwalter desselben betrachtete. Mein Sohn erhält die Meierei, die ich eine Stunde von hier besitze, denn diese ist mein Eigenthum und wurde von meinem eigenen Vermögen erkauft; das hiesige Anwesen aber war nie mein eigen, sondern ich errichtete die Fabriken aus der Hinterlassenschaft des Obristen Marcet, dessen Erbin und Tochter Julie ist. Solches ist mein letzter Wille, an dem Nichts mehr geändert werden soll, und nun Mensch, nun Teufel in Menschengestalt," fuhr der Kranke in immer größerer Aufregung fort; »nun Schmel­zer oder Haudigel, oder wie du dich nennen magst, nun thue dein Aeußcrstes; ich fürchte dich nicht mehr, denn ich habe den Stein äbgewälzt, der bisher meine Brust beschwerte

»Was?" schrie jetzt der Aktuar aufspringend So habe ich mich also doch nicht getäuscht? Dieser Mann hier ist nicht Ihr Vetter, sondern führte früher den Namen Haudigel? Nun wollen wir gleich sehen, ob das Signalement paßt!"

Er rannte auf Herrn Schmelzern zu, welcher schreckensbleich zurückwich, und riß ihm mit einem starken Griff das Halstuch ab. Unter diesem zeigte sich eine breite Narbe!

»Jean Baptiste Lerour, ich verhafte dich als entsprungenen Galeerensträfling, der von Frank­reich reclamirt wird," rief der Beamte,und wo du bist, da wird auch deine Tochter, die Betrügerin Jeanette! nicht weit sein."

Es war so, wie der Aktuar sagte, denn eben tratAlopsia in's Zimmer und Aloysia war Jeanette'