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verborgener Ruhe. Was sonst schwärmend um die Blumen sich wiegt, an der Erde kriecht, in Bulch und Baum haniirt, im Wassergraben hüpft, auf dem Ge­mäuer sich sonnt, ist verschwunden. Und niit den klei­nen Thierchen sind kleine u»d große Vögel abgezogen in's glücklichere Südland über Aloen und Meer; es ist nicht viel Schönes und Freundliches zurückgeblieben. Nur die großen Kräbcnschaarcn streichen hungrig durch das Land, ein paar Ammer, Finken und Spazen lun­gern um Stall und Scheune und ein Trüppchen Mer­ken kielten eilfertig in Stauden und Bäumen herum. Drei, vier Monate geht es so. Das Zippen und Pip- sen der Meisen, das krächzende Geschrei der Elstern und Krähen sind beinahe die einzigen Vogellaute weit um­her. Aber schon im Februar, wenn das junge Getreide sonncverlangend seine Spizen durch den SchncemM tel bohrt und die Blülben und Blqtteraugen der o usch- resscr lcnzbegicrig aufschwellen, kommen hie und da ein paar Fcldlerchcn an und schwingen sich von der Acker­scholle frisch auf zur Sonne und den Früblingswolken. Jede Woche bringt neue Gäste, stimmt neue Licderkehlen und ehe ein vaar Monate im Lande sind, hat jeder Busch seinen Gesang und jeder Baum seinen Virtuosen.

Dann erst achten wir unachtsame Menschenkinder freudig und gl cklich auf all' das liedertrunkene Feder­volk, das sich so selig und mächtig hcrvorthut, um den Blumen des Frühlings den Vorran'g abzugewinnen. Lerchenrufe wirbeln hoch in der Luft, Am'eltöne im Tannenwipfel, Grasmückenlicder in den Fliederbüschcn und Wachtelschlag im Saatfeld. Erst jezt scheint uns die Vogclwelt da zu scyn und zwar einzig zu unserer Freude, ein Stück Poesie des Naturlebens, hübsches, fröhliches Spielzeug der Schöpfung. Das ist freilich schon etwas, schon eine Beziehung des Vogellebens auf das Menschenleben, die eine gewisse Wahrheit hat Sie ruft uns lebendig auf zur Verehrung des Schönen in der Natur, der Schönheit im melodienreiwcn Ge­sang, im hochzeitlich verjüngten, glänzenden Gefieder, in der Grazie des leichtbeschwingten Fluges, m der Anmuth der Geselligkeit. Aber wir verkennen nicht, daß ein großer Bruwtheil von Vogclanen dabei ganz aus der Betrachtung wegfällt, gar keine Schönheit an sich und in sich hat, oder sich dem Auge des Menschen fast ganz entzieht, für ihn nicht da zu scyn scheint.

Wir müssen, um die Bedeutung der Vögclwelt für den Menschen besser und umfassender zu verstehen, tiefer auf dasLeben und Treiben der Thierchen eingehe n, auf die Stellung, die ihnen in der großen Oekonomie der Natur angewiesen ist. Wir finden dabei immer wieder leicht den Rückweg der Beziehung auf den Menschen, für den doch am Ende Alles da tst.

Schon ein oberflächlicher Blick auf die Zusammen- sezung und Lebensweise der Vogelwelt zeigt uns, daß sowohl an Arten als an Ercmplarcn diejenigen Ord­nungen bei uns die zahlreichsten sind, welche ihre Nah­rung nicht vorwiegend aus dem Pflanzenreiche, sondern entweder ausschließach oder doch größtentheils aus dem Thierreiche nehmen In Deutsch­land und der Schweiz leben tbcils beständig, thcils für längere oder kürzere Zeit über dritthalbhundert Arten von Vögeln. Die zahlreichste Drdnnng ist die der Insektenfresser, die an Grasmücken, Laub­vögeln, Erdsängern, Rohrsängern, Schweizern, Brui- ncllen, Bachstelzen, Piepern, Lerchen, Meisen, Fliegen­schnäppern, Schwalben, Drosseln, Würgern u. s. w. gegen achtzig Arten zählt, von denen nur sehr wenige, auch v e g e t a b i l i s ch e, die andern alle nur thierischy Nahrung^genießen. Die folgende zahlreichste Ordnung, die der Schwimmvögel mit etlichen vierzig Arten, von denen viele freilich nur selten oder auf kurze Zeit uns besuchen, lebt in ihren am meisten hervortretcnden Familien, den Enten, Möven, Stcißfüßen (Lappen­tauchern), Sägern, ebenfalls weit überwiegend von thicrischer Nahrung; die Schwäne verschmähen diese nicht,^nur die Gänse halten sich an die Pflanzenstoffe. Die Sumpfvögel mit etlichen dreißig Arten sind

ebenfalls fast ganz auf das Thierreich verwiesen, die Raubvögel mit eben so vielen nähren sich aus­schließlich von Tbieren; von den Hühnern, die in sechs Familien gegen zwanzig Arten zählen, fressen die Rallenarten und die Wasserhühner fast austwließlich Thierstoffc, die Feld- und Wasserhühner und die Trap­pen wenigstens zu gewissen Zeiten. Die Klctter« vögel (über ein Duzend Arten) geben vor Allem auf Animalien ans und nur etwa der Kleider, Wendehals und selten auch der Kukuk und die Spechte greifen im Herbst zu Beeren, Sämereien u. dgl Sämmtliche Krähen arten, elf an der Zahl, thcilen ihren Univcrsalappctit zwilchen Thier und Pflanze, sind gie­rige Allesfresser. Die einzige Ordnung von Vögeln, die sich ausschließlich an das Pflanzenreich hält, ist die der Tauben mit etwa fünf Arten; also im Ganzen nur eine Adthcilung, die auch nur eine schwache Familie umfaßt und einige wenige Familien aus den iwrigen Abthcilungen; zusammen kaum der zwölfte oder dreizehnte Theil unserer Vogel- arten sind ausschließlich Consumenten von Pflanzenkost und auch auf diesem Gebiete nicht ohne großen Nuzen für den Landmann, da alle Äörner- sresser in erster und nächster Linie auf das Verzehren von großen Massen der Unkrautsämereien angewiesen sind.

Dieser kurze (Überblick ist für unse n Zweck höchst bedeutungsvoll. Was lehrt er uns? Zunächst weist er uns bestimmt auf eine große, feste Natuiorvnung hin, welche mit den Erzeugnissen dcs Gewächsrc'chcs sparsam haushält; sehen wir dann aus die Art der thieiischen Nahrung, deren sich die große Ueder- zahl der Vögel bedient, so erkennen wir >ine zweite Seite jener Naturordnung, welche auf Schuz der Pflanzenwelt ausgeht.

Alle sogenannten Insektenfresser nämlich, alle Klet- tcrvögel, Sumpfvögel, fast alle Schwimmvögel, die Hühner-, die Krähenarten, ein Theil der Samenfreffer und ielbst der größte Theil der Raubvögel nähren sich ganz oder theilweise von solchen Thierklaffcn, die bei ihrer außerordentlichen Vermehrung die Pflanzendecke der Erde bedrohen und oft togar zerstören von log. »Ungeziefer" aller Art als Käfern, Raupen (Larven), Fliegen, Aderflüglcrn, Kau- und Scpnadel-Znlekten, Spinnen, Krustenthicren, Würmern und Wcicbtbieren; ein ansehnlicher Theil der größern Vögel deiner von Mäusen, sowie von Reptilien, die, obgleich selbst größten- theiis Insektenfresser, doch wieder durch allzustarke Ver­mehrung lästig fallen müßten.

Die Natur wählt nun freilich zur Erreichung ihrer Zewckc nicht iminer die einfachsten und scheinbar näch­sten Wege. Ihre Zwecke selbst sind vielfältig un ibnen entspricht die Unermeßlichkeit der Mittel. Sie stellt ihr Leben in Millionen Formen und Stufen dar, breitet ihre Reichthümer in scheinbaren Gcgcnsäzen und Wider­sprüchen aus.

Die Pflanzenwelt ist die Grundlage und Bedingung alles höhern Lebens. Ohne Pflanze kein Tbier; denn auch die Raubthicre hängen mittelbar von dem Pflanzenreiche ab, indem sie rflanzenfreffende verzehren. Ohne Pflanze ist aber ebenso das Dasein des Menschen undenkbar, dcs Men­schen, wie er das Ziel und die Krone der Schöp ung ist. Wenn nun die Natur bei den niedern Tbieren sich in der Darstellung einer beinahe zahllosen Menge von Arten und unermeßlichen Masse von Exemplaren ge­fällt, so beschränkt sie sich durch die stufenweise ent­sprechend beigcmengten Arten von Naubthieren s.lbst schon bis aus einen gewissen Grad; wenn sie aber vollends das so reiche Geschlecht der Vögel großen- theils ans jene niedere Thierwelt verweist, so hält sie das Gl-ichgewicht zwischen den der Vegetation schäd­lichen und den dieselbe beschüzenden Thieren in bestimmt ausgesprochener Weise aufrecht. Die Vögel halten Polizei in der Natur, sie wehren den Uebcrgriffcn der Arten, sie schränken die niedern Thiere auf ein Maß ein, welches dn Pflanzcnwcl im Großen nicht mehr