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»Aber das Wiedrrerkennen?« fragte Trubaine überrascht. »Seine Mutter sah sie; und sicherlich sie" »Ich habe »« so eingerichtet, daß sie gesehen wurde, selbst aber nichts sehen konnte. Meine früheren Er­fahrungen über die Danville gaben mir .die geeignetste Weise, das Experiment zu machen, an die Hand, und meine alte Polizeipraris leistete mir bei Ausführung dcffelb n gute Dienste. Ich sah den Wagen vor der Thüre halten unv wartete, bis die alte Dame herab­kam. Ich führte Ihre Schwester fort, als sie cinstieg, und führte sie wieder am Fenster vorüber, als der Wagen abfuhr. Es war Alles auf den Moment be­rechnet, doch führte das Manöver zu dem Ziele, wel­ches ich mir vorgestcckt hatte. Doch genug davon. Gehen Sie jezt zu Ihrer Schwester und bleiben Sie zu Hause, bis die Nachtpost nach Rouen abgeht. Ich habe im Voraus zwei Pläze für Sic genommen. Reisen Sie! Rehmen Sie wieder von Ihrem alten Hause Be- fiz und lassen Sie mich hier, um die Geschäfte zu be­treiben, die mir mein Prinzipal aufgctragen hat, und um zu sehen, welches Ende es mit Danville und seiner Mutter nehmen werde. Ich werde mir einige Zeit er­übrigen und Ihnen zu Rouen guten Tag sagen, ob­gleich ich nur einen einzigen Tag bei Ihnen bleiben kann. Pah! keine Dankergießungen. Geben Sie mir Ihre Hand. Vor acht Jahren schämte ich mich, sic zu nehmen; aber heute kann ich sic Ihnen herzlich ichüttcln! Dorthin führt Ihr Weg, nach hier der meinigc. Ucber- laffen Sie mich meinen Geschäften in Seiden- und Atlasstoffcn, und gehen Sie zu Ihrer Schwester und helfen Sie ihr einpacken für die Nachtpost."

Nach allen diesen Ereignissen waren drei Tage vergangen. Es war Abend. Rose, Trndaine und Lomaque saßen bei einander auf der Bank, von der aus man den sich schlängelnden Lauf der Seine über­sehen konnte. Die alte bekannte Landschaft breitete sich vor ihnen aus, schön wie immer unverändert, als ob sie dieselbe erst gestern zum lezten Male ge­sehen hätten.

Sie sprachen ernst und in gedämpftem Tone mit einander. JhreHerzcn waren von denselben Erinnerungen erfüllt, von denen Jeder wußte, daß der andere daran Antheil nahm. Einmal führte dieser, dann scner die Unterhaltung; wer aber auch sprach, stets war das ge­wählte Thema, wie durch eine gemeinsame lieberem» siimmung. ein solches, das nur von der Zukunft Han- delte-

Der Abend brach herein und Rose war die erste, die sich von der Bank erhob. Zwischen ihr und ihrem Bruder wurden Blick« geheimen EinverständmffeS ge­wechselt, und dann sagte sie zu Lomaque:

"Wollen Sie mir so bald als möglich nach Hause folgen? Ich habe etwas, das ich Ihnen zeigen möchte."

Ihr Bruder wartete» bis sie eine Strecke fort war, dann fragte er ängstlich, was sich zu Paris seit jener Nacht, in der er und Rose abgereist, ereignet habe.

»Ihre Schwester ist frei,« antwortete Lomaque.

»Also fand ein Duell statt?«

«Noch denselben Tag. Beide schossen zugleich. Der Sekundant des Generals versichert, Danville scp vor Furcht und Schrecken aufgelöst gewesen; dagegen be­

hauptet sein Sekundant, er scp entschlossen gewesen und habe den Muth gehabt, sein Leben dem ersten Schüsse des Mannes, den er so schwer beleidigt hatte, preiszugeben. Welches von beiden das Wahre ist, weiß ich nicht; nur so viel ist sicher, baß er sein Pistol nicht abschoß; er fiel durch die erste Kugel seines Gegners und kein Wort kam mehr über seine Lippen.«

»Und seine Mutter?"

»Ucbcr sie Erkundigungen einzuziehcn ist schwer. Ihr Thüren sind geschloffen, und der alte Diener be­wacht sie mit eifersüchtiger Sorgfalt. Ein Arzt ist be­ständig um sie, und nach dem zu schließen, was ich im Hause erfahren konnte, scheint sie mehr an einer Krank­heit des Geistes als des Körpers zu leiden. Das ist Alles, was ich weiß."

Noch einige Minuten saßen Beidr schweigend da, dann erhoben sie sich und gingen nach Hause.

»Haben Sie schon Ihre Schwester darauf vorbe­reitet, Alles, was sich ereignet hat, mit anzuhören?« fragte Lomaque, als er die Lampe im Gcsellschafts- l zimmer schimmern sah.

»Ich will mit dieser Vorbereitung noch warten, bis wir vollständig geordnet und die ersten Freudeu- tage unserer Rückkehr vorüber sind, und bis die ruhige Wirklichkeit des Alltagslebens, wie es einst war, wie­der cingetreten ist,- antwortete Trudaine.

Sie traten ins Zimmer. Rosa bedeutete Lomaque, sich neben sie zu sezen, stellte Tinte vor ihn hin, reichte ihm eine Feder und legte ihm einen offenen Brief vor-

»Ich habe Sie um eine lezte Gunst zu bitten,"

> sagte sie lächelnd.

! »Ich hoffe, cs wird keine lange Zeit erfordern, sie zu erfüllen," entgegncte er; »denn ich bleibe nur diese Nacht bei Ihnen. Morgen früh, ehe Sic aufgestanden sind, muß ich mich schon auf der Rückreise nach Chalons befinden."

l »Wollen Sie diesen Brief unterzeichnen?« fuhr sie,

> noch immer lächelnd, fort, und ihn mir dann geben, damit ich ihn auf die Post senden kann? Er ist von

! Louis diktirt und von mir geschrieben worden, doch wird er erst vollständig sepn, wenn Sie Ihren Nameu darunter gesezt haben «

§ »Darf ich ihn denn lesen?«

Sie nickte und Lomaque las folgende Zeilen.

^ »Bürger, ich benachrichtige Sie ergebenst, daß

> ick mich des mir anvertrauten Auftrags zu Paris ent­ledigt habe.

Ferner ersuche ich Sie, meine Verzichtleistung auf die Stelle, dw ich in Ihrem Comptoir hatte, anzunebmen. Die Güte, welche Sie und Ihr Vater mir erzeigt haben, berechtigt mich zu der Hoffnung, daß Sie mit Vergnügen den Anlaß zu meiner Verzicktlcistung ver­nehmen werden. Zwei Freunde von mir, welche glauben, daß sie mir einigermaßen verpflichtet sehen, wünschen, daß ich den Rest meines Lebens in Ruhe und in ihrem Haufe Hindi ingen soll. Widerwärtig­keiten früherer Jahre haben uns so aneinander gefes­selt, als ob wir drei Mitglied^ einer Familie wären. Ich bedarf nach dem Leben, das ich geführt, der Ruhe an einem zufriedenen Herde, wie deren nur einer de- ^ dürfen kann, und meine Freunde geben mir in so ern- ' ster Weise die Versicherung, von ganzem Herzen für