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Miszellen.
Schwester Rose.
(Fortsezung.)
Können Sie so hartherzig sepn und mich hier allein kaffen?" fragte er.
„Was soll denn aber aus meinen Freundinnen im anderen Zimmer werden, Sie selbstsüchtiger Mann, wenn ich hier bei Ihne» bleibe?" cntgegncte Fräulein Berthelin und suchte sich frei zu machen.
»Rufen Sie sie herein!« sagte Danvi'lle heiter und bemächtigte sich auch ihrer anderen Hand.
Sie lachte und zog ihn fort nach dem Gesellschaftszimmer.
»Kommen Sie I" rief sie, „damit die Damen sehen, waS für einen Tyrannen ick zum Mann bekommen werde. Kommen Sie und zeigen Sic ihnen, was für ein widerspenstiger, unüberlegter, lästiger —"
Plözlich versagte ihr die Stimme und sie wandte sich furchtsam um. Danville's Hand war in der ihrigen kalt wie eine Leiche geworden, und die momentane Berührung seiner Finger hatte sie mit einer wunderbaren Kälte durchschauert, die ihren ganzen Körper durch- rieselte. Sie sah sich erschrocken nach ihm um und bemerkte, daß seine Augen starr in das Gesellschaftszimmer blickten» und unverändert und in unheimlicher Weise auf einen Punkt gerichtet waren, während aus seinem Gesicht aller Ausdruck und Charakter, ja überhaupt jede Bewegung vollständig verschwunden war, so daß es einer leblosen, weißen Maske glich. Mit einem Schrei des Entesezens blickte auch sic dahin, wohin er sah, doch bemerkte sie nichts als den Fremden, der in der Mitte des Gesellschaftszimmers stand. Ehe sie indessen noch eine Frage stellen, ja che sie noch ein einziges Wort sprechen konnte, kam ihr Vater herbei, ergriff Danville's Arm.und drängte sie ungestüm in die Bibliothek zurück.
„Dorthin geh und nimm die anderen Frauen mit Dir," sagte er in der höchsten Aufregung. »In die Bibliothek!« fuhr er fort, wandte sich an die Damen und verstärkte den Ton seiner Stimme „In die Bibliothek, Sie alle zusammen mit meiner Tochter!"
Die Frauen über sein Wesen erschreckt, gehorchten ihm in der größten Verwirrung. Als sie an ihm vorüber in die Bibliothek geeilt waren, gab er dem Notar rin Zeichen, ihnen zu folgen und -ob dann durch Verschließen der Thüre alle Verbindung zwischen den beiden Zimmern auf.
»Bleiben Sie, wo Sie sind!" wandte er sich an die alten Offiziere, die sich von ihren Stühlen erhoben Hallen. „Bleiben Sie, ich bestehe darauf! Was sich auch ereignen möge, Jacques Btithelin hat nichts begangen, dessen er sich in Gegenwart seiner alten Freunde und Kameraden zu schämen hätte. Sie haben den Anfang gesehen, jezt bleiben Sie und sehen Sie das Ende.«
Während er dieß sprach, ging er nach der Mitte des Zimmers und zog Danvillc, den er immer noch am Arme fcsthielt, Schritt vor Schritt nach der Stelle hin, wo Trudaine stand.
»Sie find in mein Haus gekommen und haben um
meine Tochter angchaltcn — und ich habe sie Ihnen zugefagt," sprach der General, indem er sich ruhig an Danville wandte. „Sie sagten mir, Ihre erste Frau und der Bruder derselben wären vor drei Jahren in der Schreckenszelt guillotinirt worden, und ich glaubte Ihnen. Nun, sehen Sie diesen Mann an, blicken Sie ihm fest ins Gesicht. Er hat sich mir als den Bruder Ihrer Frau vorgestellt und versichert, seine Schwester lebe in diesem Augenblicke noch. Einer von Ihnen beiden hat mich hintergangen. Wer ist eS?«
Danville versuchte zu sprechen; aber kein Laut kam über seine Lippen. Er versuchte seinen Arm frei zu machen, aber die feste Hand des alten Soldaten wankte bei seinen Anstrengungen nicht."
»Hat Sie Furcht ergriffen? Sind Sie eine Memme? Können Sir Jenem nicht ins Gesicht sehen?" fragte der General und packte den Arm Danville's nur noch fester.
„Halt! halt!" unterbrach ihn einer der Offiziere, indem er herbeitrat. „Lassen Sie ihm Zeit. ES kann hier eine wunderbare zufällige Aehnlichkeit obwalten, die freilich unter solchen Umständen hinrcichen würde. Jeden in Verwirrung zu bringen. Sir werden mich entschuldigen, Bürger,« fuhr er fort und wandte sich an Trudaine; „aber Sie sind ein Fremder; Sie haben uns noch keinen Beweis Ihrer Identität gegeben."
„Dort ist der Beweis,« sagte Trudaine und deutete auf das Gesicht Danville's.
„Ja, ja,« fuhr der Andere fort; »er sieht bleich und bestürzt genug aus, das ist gewiß; aber ich sage noch einmal, lassen Sie uns nicht zu rasch sepn; cS gibt wunderbare Fälle von zufälliger Aehnlichkeit, und dieß kann einer von ihnen sepn.«
Als er diese Worte wiederholte, sah ihn Danville an und ein schwacher Ausdruck einer kriechenden Dankbarkeit flog über sein geisterblciches Antliz. Er verbeugte sein Haupt, murmelte etwas und gestikulirte verwirrt mit der einen Hand, die er noch frei hatte.
„Sehen Sir!« rief der alte Offizier; »Sehen Sie, Berthelin, er läuguet die Identität des Mannes."
„Hören Sie dieß?" sagte der General und wandte sich an Trudaine. „Haben Sie Beweise, ihn zu wiederlegen? Wenn Sic diese haben, so legen Sie dieselben sofort vor.«
Bevor noch eine Antwort gegeben werden konnte, wurde die von der Treppe her ins Gesellschaftszimmer führende Thüre heftig aufgeriffcn und Madam Danville, mit verwirrtem Haar und einem vor Schrecken bleichen Gesicht, also ganz in derselben Lage wie ihr Sohn, erschien auf der Schwelle mit dem allen Dubais, hinter sich eine Gruppe erstaunter und bestürzter Diener-
»Um Gottes Willen unterzeichne nicht! um Gottes Willen komm fort!« rief sie. »Ich habe Deine Frau gesehen, ob als Geist oder als Gestalt von Fleisch und Bein, weiß ich nicht, aber ich habe sie gesehen. Karl, Karl, so wahr der Himmel über uns ist, ich habe Deine Frau gesehen!»
„Sie haben sie in Wirklichkeit gesehen, lebend und atbmend, gerade so wie Sie dort ihren Bruder sehen," sagte eine feste, ruhige Stimme unter den D-h^rn, die sich außerhalb auf den obersten Treppenstu^.' befanden.
„Laßt den Mann eiutretcn, wer es auch.lmmcr sep," rief der General. ^
(Fortsczung folgt.)
Redaktion, Druck und Verlag der M ee h'schcn Buchdruckern in Ueuendürg.
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