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Miszellen.
Verbrechen und Kinderliebe.
(Fortseznng.)
Und Anton? Wir werden weiter von ihm errählen. Obdachlos irric er umher, immer weiter fort von rer Stadt, in welcher er zulezt sich ansgchalieii. Die Stiefeln waren das Erste, was er verkaufte, — er hatte noch ein Paar Schuhe in seinem Bunte! — er verhandelte sie für einen Spottpreis an einen Dicnstknccht, den er in einer Dorfichenkc antraf. Dann wandcrte er wieder weiter. Ein haustrcnder Jude, dem er begegnete kaufte ihm die Ubr ab. Nun batte er so viel Geld beisammen, wie noch nie. Das Wandern gefiel ihm, er lebte gut von seinen paar Thalern, so weit sic reichten, se ne Kleidung sah auch noch ziemlich anständig aus, für einen Vagabunden hielt man ihn gerade nicht- Doch nach acht Tagen war das Geld vermehrt, einiges auch im Spiel verloren, und Anton wanderte noch ans der Landstraße.
Sollw er betteln gehen? Daran dachte er m t Schaudern, das hielt er doch für ehrlos. Aber im Mage» pochie der Hunger er sprach bei den Bauern ein. Nicht alle wiesen ihn ab, man gab ihm ein Stück Brod, ein Glas Milch. Aber er hätte ja um Arbeit bitte» können? Allein das ihat er nicht, er hatte ja nun eingcschen, man verhungere auch ohne diese nicht, wenn man auch wohl einmal hungern muffe-
So trieb er eS noch mehrere Tage. Da führte ihn sein Weg — denn die große Landstraße mied er absichl- Uch der Polizei wegen, von der er wohl wußte, daß sie den brodlos umherirrciiden Vagabunden nachipürc — zu einem einzelnen Gehöfte. O>e Dämmerung war bereits hercingebroche», doch erkannt, er deutlich, daß er zwischen wobl. -angebauten Kornfelder» einherschreiie. Davon schloß er auf die Wohlhabenheit'res Bauern, der den Hof bewohnte- Darin wurde er »och mehr bestärkt, als er plöztich in dem einen Zimmer, denen Fenster nicht durch Paten oeischloffen waren, ei» Licht an linden sah. Dann trat ei» Mann zu einem Schranke, öffnete ihn. nahm eenen Beutel heraus, schüttete leinen Inhalt ans den Tisch und fing an, die blanken Thaler zu zählen. Anton sab es renllich mit seinen scharfsichtigen Auge», wie pochte ihm das Herz! Er hatte sich bei weitem nicht satt gegessen, seit mehreren Tagen schon nicht. Die Schuhe fingen an zu reißen. die Kleider die er trug, wurden bereits sehr abgeschabt, waren dazu »och schmnzig, weil er seit lange nur auf dein Felde die Nachte zugebrachl hatte. Nur Einen Thaler von den v clcn möchte er sein nennen, besser wen's freilich, er hätte sie alle!
Kurz, das Bö'e siegte in ihm, er faßte den Entschluß, einen nächtlichen Einbruch z» versuchen So stand er lange sinnend über die sicherste Art. wie dieses auszu führen, an einen Baum gelehnt. Der Bauer hatte sein Zahlen beendet, steckte das Geld wieder in de» Beutel, stellte dielen in den Schrank, den er abschloß, nahm dann das Licht nnd begab sich in das Nebenzimmer. Das war die Wobn- und Schlafstube zugleich, in den Wänden die Beiten mit Vorhängen von Kattun. Also die Stube, wo der Scha; lag, war Nachts leer.
Anton wartete, bis im Hause Alles zur Ruhe war, sa er wartete noch länger, obwohl cS ihn stark fröstelte in der kalten Nachtluft. Dan» nach Mitternacht schritt
er an's Werk. Leicht war eine Scheibe gebrochen, die Stücke vorsichtig herausgenommen. Er löste die Fenster- Haken, öffnete das Fenster und stieg hinein. Hier stand er nun horchend, Nichts regte sich. Er zog seGr Schuhe aus, welche er auf die Fensterbank stellte, und schlich znm Schranke. Sein Messer mußte das Schloß bearbeiten, cs war eine mübsame Arbeit, aber die Klinge war scharf» rasch flogen die Holzsplitter herunter; inzwischen lauschte er wieder. Alles blieb still, io still, daß er die nebenan Schlafenden schnarchen hören konnte. Hastig ging die Arbeit ihm von der Hand, aber immer noch woll e daS Schloß nicht weichen. Der Di»b ward, je länger rS dauerte, desto ungeduldiger. Nun konnte er bereits mit dem Fi"gcr den Zahn des Schloßes fühlen, der in die zweite Schrankthnr hinüderlangte. er schien nicht eben tief zu fassen. Gierig steckte er seine Messerklinge in die offene Spalte, bog, drückte — ei» schriller Klang. die Klinge war zcrs rungen, die Schrankthür schlug auf, — aber nicht sie allein, auch die Nebenthür, und Anton fühlte sich von nerviger Faust am Krage» gehalten. ES war der Bauer, die nicht ganz geräuschlose Arbeit batte er vernommen, alS er mach geworren. Es war ihm verdächtig geworden, er war aufgestandcn, hatte an der Thüre gehorcht, da zersprang gellend der Meffcrstahl. Der Bauer stürzte in die Stube und ergi iff den frechen Dieb. Dabei schrie er laut nach seinen Knechten. Die kamen, alle Hausaenoffcn wnrd » wach, auch die Frau, die Mägde, sie erschienen mit Lichter», die Knechte mit Heugabeln und Dreschflegeln, dazwischen schrieen die Kinder, bellten die Hunde, kräh-cn die Hahne — kurzum es war ein Larmen ein Toben, wie aus rer Hölle, und die drohende Männergruppe mir den gewichtigen Waffen umstand den armen, zitternde» Dieb, der am Boden lag und sein Angesicht mit beiden Händen bedeckte.
AM andern Morgen wu:de er zm» Schultheißen des nächsten Dor>es gebracht Der Bauer schritt voran, zwei Knechie, mit einem derbe» Knüttel versehen, rührten den Verbrecher zwischen sich, der beschämt die Augen zu Boden schtng. So ging es i„'s Dorf hinein, die edle Dvifjngciiv solgte höhnend, spottend, singend — zwanzig Jahre späcer, und die Lautesten unter diesen hatten vielleicht ein ähnliches Schicksal! — Der Schuldbe ß nahm den Dieb in Empfang, verhörte ihn und sandte ihn dann mit rem Protokoll des Verhörs an Vas Stadt- aericht. Hier wurde die Untersuchung sogleich vorgcnom- men, aber in eie Lange gezogen, obgleich Anton gleich gestand. Das Ilr.heil lautete, in Erwägung der sann jährige» Untersuchungshaft, der Jugend des Verbrechers re, aus zwei Jahre Zuchthaus.
Ma» sollte mnueii, das wäre ein Glück für diese unglücklichen Menschen. daS wäre zu ihrem wahren Heile, wenn sie rn ein »HanS der Zucht« kämen. Und wahrlich, das wäre ihnen gut. Aber unsere Zuchthäuser, die allermeisten, mit ihren gemeinsamen Arbeitsstilen, mit ihren gemeinschaftlichen Schlassalen, in welchen leztercn die Verbrecher, alte und junge, ohne Aufsicht, ohne Zucht sind, diese Berbrecherakadem en sind die Häuser der grauenhafiesten Zuchtlosigkeit. Da herrscht wohl Gehorsam, Ordnung und Reinlichkeit im Aeußcrcn» in Ansehung des Leibes, desto mehr Wildheit, Zügellosigkeit aber und Schmuz im Innern, in Angelegenheiten der Seele. Viele kommen als . leichte Verbrecher hinein und verlassen das Zuchthaus wieder att Solche, die zu den