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Cannstatt, 3. Jan. Der Eisenhobler Jakob Abt, welchem kürzlich in der Maschinenfabrik von I. G. Mailänder hier, von einer Hobelmaschine eine Hand abgeschnitten wurde, ist nun seiner Verletzung erlegen. Als eifriger Turnwart des hiesigen Turner­bundes war derselbe in weiteren Turnerkreisen wohl- bekannt und geschätzt. Den braven Familienvater be­weinen eine Witwe und 3 Kinder.

Cannstatt, 4. Jan. In diesen Tagen wurde hier mit dem Abbruch der Nebengebäude der alten Gasfabrik, Ecke der Teck- und der Waiblingrrstraße, begonnen. Es ist damit der Anfang gemacht, diesen Platz für den im Frühjahr zu beginnnenden Neubau einer zweiten rv. Kirche (zugleich Garnisonskirche) frei­zulegen. Heute wurden hier in einem Haufen Bausand, der aus Großsüßen stammt, 4 lebende Maikäfer vorgefunden. Gewiß eine Seltenheit zu dieser Jahreszeit.

Großheppach, 3. Jan. Ein Leichenzug, wie ihn unsere Gemeinde selten gesehen, bewegte sich gestern Abend dem Friedhof zu. Es galt, Pfarrer Stock­mayer die letzte Ehre zu erweisen, der erst im Herbst von BeutelSbach hierher übersiedelt ist. Kirchenge­meinderäte aus Beutelsbach trugen den mit Blumen reich geschmückten Sarg. Am Grabe sprachen u. a. der Ortsgeiftliche von Großheppach, Pfarrer Georgii von Wilhelmsdorf namens deS Beutelsbacher Kirchen­gemeinderats, der OrtSgeistliche von Steinenberg und ein Mitglied des JünglingSvereinS. Dekan Hoffman» aus Schorndorf hielt die Predigt; Jnsp. Köhler von Schönbühl verlaß den LebenSabriß.

Erligheim, 4. Jan. Se. Majestät der König haben dem Christian Kientsch, Bauern hier, anläßlich der Geburt seines 7. Knaben einPathengeschenk von 20 Mk. verwilligt.

Frickingen OA. Neresheim, 3. Jan. Anton Wengert, der vor einigen Wochen 19 römische Goldmünzen auf seinem Acker gefunden hat, hat neulich wiederum 3 weitere Goldmünzen gefunden. Dieselben sind in der Größe von goldenen 5 ^ Stücken, und stammen jedenfalls aus der römischen Kaiserzcit. Ihre Prägung ist jedoch nicht so gut erhalten wie bei den früher aufgefundenen.

Ohmen he im OA. Neresheim, 3. Januar. Schultheiß Heckmann, der sich feit der Verhaftung seines Bruders entfernt hat, ist immer noch nicht zu­rückgekehrt. Es findet daher heute eine Untersuchung seiner Amtsgeschäfte, verbunden mit einer Kaffenüber- gab« durch den Oberamtmann statt. Man spricht da­von, daß Gelder des landwirtschaftl. Bezirksvereins, dessen Sekretär Heckmann war, fehlen sollen. Schult­heiß Heckmann hat sich übrigens ohne Geld vom Hause entfernt.

Jngersheim, 4. Jan. Vorgestern nach­mittag wurde hier ein Stromer verhaftet, welcher beim Vorführen vor das Schultheißenamt mit gezogenem Messer auf den Tisch sprang und jeden, welcher ihm

nahte, erstechen wollte. Er wurde festgenommen und an das Amtsgerichtsgefängnis Crailsheim eingeliefert.

Gerabronn, 2. Jan. Ein kaum glaublicher Fall ereignete sich dieser Tage in dem bei Nieder­stetten gelegenen Ort Vorbachzimmern. Daselbst sollte eine 42 Jahre alte Frau, die nach kurzer Krankheit starb, beerdigt werden. Als nun die Vorbereitungen vollendet, und daselbst der Schreiner mit seinen Gesellen seines Amtes gewaltet und den Leichnam in den Sarg gelegt hatte, richtete si ch die Tote plötzlich auf und sah um sich. Die Umstehenden wurden vor Schrecken fast gelähmt, und alsbald wurde die Schein­tote wieder ins Bett zurückgebracht. Wäre die Tot­geglaubte einige Stunden später erwacht, so wäre sie lebendig begraben worden.

Hechingen, 4. Jan. Im hiesigen Spital wurde die Speiscanstalt für auswärtige Fabrikarbeiter eröffnet. Preis für ein Mittagessen 50 A Die An­stalt findet bereits Anklang, bei der arbeitenden Be­völkerung. Für alle älteren Hypothekar-Darlehen bei der Spar- und Leihkasse wird der Zins vom 1. Juni 1898 von 4 auf 3'/-°/° herabgesetzt.

Tuttlingen, I. Jan. Gestern nachmittag explodierte im Laden des Andreas Kaufmann hier ein größeres Quantum Feuerwerkskörper mit solcher Heftig­keit, daß der Kreuzstock deS Hauses hinausgeschlagen wurde. Das entstandene Feuer konnte rasch gelöscht werden.

Langenau, 3. Jan. Ein ca. 16 Jahre altes Mädchen wollte gestern Nachmittag 2 Uhr aus dem schon wieder im Gang befindlichen Zug auf hies. Bahnhof aussteigen, blieb aber am Wagentritt hängen und kam so unglücklich zu Fall, daß es von den nach­folgenden Wagen überfahren und sofort getötet wurde.

Friedrichshafen, 2. Jan. Noch immer haben wir hier keinen Schnee zu sehen bekommen; dagegen hat uns die Kälte des verg. Jahrs eine prächtige Eisbahn gebracht. Der S ee ist auf dem nordöstlichen Ufer von hier bis Langenargen gefroren. Schade, daß die prächtige Schlittschuhbahn nur so Wenigen dienen kann.

Berlin, 5. Jan. Die Morgenblätter melden aus Papenburg: Das ostfriesische SchiffHoff­nung" Kapitän Brahm, ist auf der Rückreise von England mit Mann und Maus untergegangen.

Berlin, 5. Jan. Die Morgenblätter melden aus Paris: Der Miteigentümer des Modemagazins Bon Marchö, Hosbiller, wurde von seiner Gattin erschossen; alsdann brachte sich letztere 2 Schüsse bei, die jedoch nicht lebensgefährlich sind. Das Motiv der That ist Eifersucht.

Zürich, 2. Jan. Auf der Landquart, in der Nähe von Grüsch, riß ein thalwärts fahrender Strom geborstenen Grundeiscs mit furchtbarer Wucht und donnerähnlichem Krachen die ins Valzeinerthal führende Brücke hinweg. Bis ein Notsteg erstellt

ist, werden die Schulkinder über die Landquart täg­lich zu Pferde über den Fluß gesetzt.

Paris,"3. Jan. Wurde der Panamaprozeß noch kurz vor Schluß des alten Jahres beendet, so wird die Dreyfuß-Angelegenheit ins neue mit hinüber genommen, doch steht auch ihre Erledigung nahe bevor. Graf Esterhazy wird, wie bekannt, demnächst vor dem Kriegsgericht erscheinen. Was das Dreyfuß-Syndikat betrifft, so heißt es, dasselbe wolle noch eine letzte Anstrengung machen und eine dritte eingehende Prüfung versuchen. Auch soll eS noch neue Schriftstücke für die Verhandlungen in Reserve haben. Ueber deren belastenden Eigenschaften sind die Ansichten geteilt. Einige Blätter leugnen sie und behaupten, das hauptsächlichste für Esterhazy belastende Schriftstück sei ein in Nancy entdeckter und vom Drey­fuß-Syndikat für schweres Geld gekaufter Brief desselben an den Lieutenant v. Heuduck, Sohnes des ehemaligen kommandirenden Generals des 15. (deutschen) Armeekorps in Straßburg, den Esterhazy in Baden-Baden an der Tadls ä'botv kennen gelernt habe. Esterhazy erklärt in Bezug darauf, ein solcher Brief sei nicht vorhanden. Er sei nur ein einziges Mal. i. I. 1867, in Baden-Baden gewesen und da­mals bloß 24 Stunden dort geblieben, nämlich solange, bis er seine geringe Barschaft verspielt gehabt habe. Von dem Lieutenant v. Heuduck habe er niemals etwas gehört und ihm in Folge dessen auch nicht geschrieben. Der Umstand, daß Esterhazy vor das Kriegsgericht gestellt wird, wird zu seinen Gunsten gedeutet. Er soll ihm Gelegenheit geben, sich von der ungeheuer­lichen Anklage des Dreyfuß-Syndikats zu reinigen, was ihm, wie man annimmt vollkommen gelingen wird.

Ueber die englische Presse. Im Am­sterdamer Handelsblatt sagt unter der Aufschrift Schlechte Weihnachtslektüre" der Chefredakteur dieses Blattes, CH. Boissevain, seinen Kollegen jenseits deS Kanals ungeschminkt die Wahrheit. Einiges hieraus entnehmen wir dem Schw. Merk.Wer wissen will, wie man sich früher gegenseitig mit Schimpfwörtern bewarf, der lese theologische Zeitschriften aus dem 17. Jahrh.; wer aber erfahren will, was die englische Sprache heutzutage leisten kann, der lese einmal, was englische Journalisten schreiben, sobald sie über den deutschenKaiser und das deutsche Volk sprechen. Die schändlichsten Beleidigt.. des Enkels ihrer Königin werden nur so niedergeschrieben, als ob die Zeitungsschreiber nicht den geringsten Begriff von ihrer Verantwortlichkeit hätten. Die Worte des Kaisers werden aus dem Zusammenhang gerissen, einem drast­ischen Ausdruck oder einem kühnen Bilde wird die blödsinnigste Bedeutung untergeschoben. Die beschim­pfenden Beinamen, die selbst ein Wochenblatt wie die Saturday Review dem Kaiser giebt, sind eine Schande für dieses Blatt. Man kann sich keine niederträcht­igere Art und Weise des Polemisirens denken als die, einen Souverän, der keine Antwort geben kann, mit gemeinen Schimpfwörtern zu beleidigen. So geht eS nun Tag für Tag, Woche für Woche, obwohl

daß sie fest geblieben, daß Ottomar weit, weit von hier war. Wie hätte das Unheil, die Schmach, die sie bedrohte, noch tiefer, noch schmerzlicher auf sie ge­drückt, wenn sie ihn als Mitleidenden, durch sie Leidenden neben sich gewußt hätte. Kein Schatten konnte jetzt von ihr auf ihn fallen; er war frei und der Weg zu der Höhe des Ruhmes und des Ansehens ihm durch sie nicht versperrt.

Aus dem Zimmer des VaterS ertönte die Klocke. Erschreckt blickten sich Alle an; wer sollte hineingehen? Man wußte, daß der Rat es nicht liebte, wenn daS Mädchen nach seinen Wünschen zu fragen kam, daß er sich von seinen Töchtern bedient zu sehen wünschte.

- Elli faßte sich zuerst. Noch brannte der Fleck auf ihrer Stirn, den sie der wuchtigen Hand des Vaters verdankte; dennoch erhob sie sich, entschlossen, seinem Rufe zu folgen.

Die Rätin, die so lange bleich, matt, fast ohne Leben dagelegen hatte, sah jetzt angstvoll zu ihr auf.

Bitte ihn für mich; ich bin nicht so schuldig als er henkt."

Ruhig, Mama, ruhig. Ich bürge Dir dafür, daß der Vater Dir nichts mehr thut."

Du? Ach Elli, wenn Du das könntest! Ich sterbe ja vor Angst."

Elli war schon aus der Thür. Wieder versank alles in Schweigen; nur der Rätin lautes Stöhnen unterbrach zuweilen die lautlose Stille.

Minuten vergingen, eine viertel, eine halbe Stunde. Elli war noch nicht zurück.

Mein Gott! Was ist mit ihr geschehen?" kam es endlich bange fragend von der Rätin Lippen.Wenn eine von euch zum Vater ginge, nachzusehen!"

Nein, nein," wehrten sich Lena und Otti.Waslkann ihr denn geschehen? Sie wird schon kommen." Aber auch ihr« Blicke hingen jetzt ängstlich an der Thür. Da öffnete sie sich, und Elli trat herein, bleich zwar, doch ruhig, ohne Zeichen besonderer Erregung.

Sie hielt einen großen Bogen Papier in der Hand, legte ihn schweigend auf den Tisch, der neben der Chaiselongue der Rätin stand, und holte dann aus dem Nebenzimmer vom Schreibtische Feder und Tinte herbei.

Laßt mich einen Augenblick mit Mama allein," wandte sie sich an Lena und Otti.

So neugierig sonst die beiden lebenslustigen Mädchen auch tvaren, heute kam eS ihnen ganz gelegen, sich der ernsten Auseinandersetzung, die sie vorous- sahen, entziehen zu können. Nicht alles zu wissen, schien ihnen hier das Bessere. Und Elli würde es ja schon machen. Sie trug ja immer die Sorgen für sie, es war also natürlich, daß sie es auch jetzt that.

Sie nahmen ihre Handarbeiten zusammen und zogen sich in daS Nebenzimmer zurück, die Thür fest hinter sich schließend.

Die Rätin hatte sich halb aus ihrer liegenden Stellung erhoben, aus ihren Augen, ihren verstörten Zügen sprach eine beklemmende Angst.

Sei nicht so aufgeregt," bat Elli, ihren Stuhl an der Mutter Seite schiebend. Es ist gar nicht so Schlimmes, was ich Dir zu sagen habe. Papa war schon wieder ganz ruhig und gefaßt. Nur verlangt er, und mit Recht, daß Du ihm ohne Hehl und Rückhalt, ganz wahr, alle die namhaft machst, denen Du etwas schuldig bist. Ich werde eS hier für ihn niederschreiben, und dann erst kann Papa sehen, wie er die Schulden tilgen, den Flecken von seiner Ehre abwaschen kann. Hoffentlich," fügte sie ermutigend hinzu,ist's nicht gar zu viel. Die böseste Schuld bei Isidor, denke ich, haben wir ja durch Irmgards Vorschuß getilgt."

Die Rätin war noch bleicher geworden, sie sank stöhnend in die Kissen zurück.

Ich kann nicht," murmelte sie,ich kann nicht!"

Nun erschrak auch Elli.

(Fortsetzung folgt.)