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lung von Marillesoldaten IN die Schiffrrvorstadt vordraii.zcn und dort zirmlich lange dem s.inv- lichen Feuer ausgesezl waren. Die Truppen drangen in die Häuser und fanden in einem derselben ein Kind von drei Monaten, das von den Eltern verlassen worden war. Das Kleine war allerliebst, schien auch von dem Lärm und Gekrach umher nichts zu merken. Einen Soldaten deö 88. Regiments rührte das Verlassen- sepn deS Kleinen so » daß er es vorsichtig a»f- hob und auf dem Nnck.ug, den dieses kübnc Häuflein mitten durch die Feindesschaaren machte, mitnabm. Dieses Kind, das icb im Lager gc- seben habe, wurde vom ganzen Regimeiue adop- tirt und ist jezt der Liebling Aller."
Rußland.
Warschau, 22. Juli. Ein kaiserlicher Ukas verbietet fernere Ansiedelung und Grund- eigenthumscrwerbung der Juden als Ackerbauer in de» Gouvernements Tschernigow und Poltawa. Der Administrarionsraih von Polen soll aufgelöst, die Kommissivne» für Inneres, geistliche Angelegenheiten und Finanzen sollen den Ministerien in St. Petersburg untergeordnet werden. > Das wäre also das Gegentbeil einer gehofften Rückkehr zu eigener polnischer Verwaltung. >
Miszellen.
Aus dem Regen in die Traufe.
(Nach dem Französischen von E>
Georges Ducoudray betrachtete sich im sechsund- zwanzigsten Jahr als den unglücklichsten aller Menschen. Erbe eines hinreichenden Bermögens, batte er den Best; desselben erst nach einer Reihe von widerwärtigen Prozessen antrcten können. In den Kreisen ferner, in denen er lebte, entsprach nichts seinen Begriffen von Rechtschaffenheit, Gerechtigkeit und Sitte; er hat von dem Neid der Einen, von der Verläumdung der Andern zu leiden, zwanzig Mal war er in eine listige Falle gerathen, die Unehrlichkeit der Geschäftsleute hatte seine Einkünfte geschmälert, selbst die Lustbarkeiten, zu denen er geladen wurde, flößten ihm Ekel ein durch die Ungcbundenheit und Frivolität, die daselbst herrschten. Kurz, sein Leben war ihm vollständig zuwider und nur noch eine Heirath schien ihm der lezte Nothanker zur Rettung. Er war auch wirklich so glücklich, eine Familie zu finden, deren patriarchalische Tugenden man allgemein rühmte. Alles ging auf's beste; der Vater empfing ihn stets mit dem kräftigsten Händedruck, die Mutter klopfte ihm zutraulich auf die Achtel und nannte ihn schon im Voraus: mein Sohn, die Tochter spielte auf dem Klavier vor ihm die schönsten Polkas und sang vor ihm ihre rührendsten Romanzen. Bei einer Unterredung, die Georges mit dem Vater hatte, kamen die ersten Präliminarien des Ehe- contrakts und dadurch auch die gegenseitigen Vermö- gensverhältniffe zur Sprache. Der Alte fragte den Schwiegersohn in spe nach dem Betrage seiner Renten "Achttausend Franken," enkgegnete Georges ganz ernsthaft, ,.zu vier Prozent." — „Was Teufel,» murmelte
der Papa vor sich hin, »nur achttausend? man hat mir sa von fünfzebntamend gesprochen.« — Als Georges sich am nächsten Morgen wie gewöhnlich bei der Familie einfand, behielt der Vater seine Hände m den Tasche», die Mutter sagte ganz kurzweg: Monfieur, und die Tochter ließ sich vollends gar nicht sehen. Nach einigen Tagen erfuhr er, daß in der patriarchalischen Familie fich ein anderer junger Mann habe vorstellen lassen, für den der Herr Papa seinen herzlichen Händedruck, die Frau Mama ihr zutrauliches Achsclklopfen und das Fräulein Tochter ihre Polkas und Romanzen wtedergefunden hatte. Unserm Georges schien eine kleine Unterredung mit jenem jungen Manne nöthig, die ein Duell zur Folge hatte, wobei er fich eine Schramme holte, die ihn acht Tage ans Bett fesseltö. Diese acht Tage nun wandte er an, um noch einmal und ernstlicher denn sonst über vas Leben in der Stadt und über die Städter selbst nachzudcnken; es dauerte auch nicht lange, so fand er, daß der Aufenthalt daselbst unbequem, langweilig, ja unerträglich sey, daß man, wenn man nicht mit den Wölfen heulen wollte, zur Zielscheibe werde für alle niedere« Leidenschaften; er fand sogar die Luft in der Stadt unrein und verdorben, die ASphalitrottoirs schlüpfrig und glatt, den Staub oder den Schmuz in den Straßen unerträglich; ein Mann, so meinte er, der ernsthaft an Rübe und Lebensglück denke, könne fich nicht genug beeilen, einen solchen Aufenthalt zu verlassen. Aber wohin sich zu- rückziehen? Eine schwere Frage, auf die ihm Gottlob die Antwort nicht fehlte. Wußte er nicht ans den Moralisten, Philosophen und Poeten, baß es stets auf Ereen ein Asyl gegeben für die reinen, unverfälschten Tugenden, für die frommen Sitten deS goldnen Zeitalters, wo man inmitten einer reizenden, fri blichen Landschaft die frische Gottesluft athmet ohne Kohlendampf und Straßenlärm, und wo ein frugales aber gesundes Mahl Körper und Seele zugleich kräftigt und stärkt. Er kannte ja ein solches Asyl, es war das Leben auf dem freien Lande, im stillen Dorf. Dorthin also beschloß unser Held zu ziehen, um dort ein Glück zu finden, das er in der Stadt vergeblich genicht. Aber man muß nicht glauben, daß Georges einer von jenen einfältigen Leuten war, die aus Geffnee'schen Idyllen und derartigen Büchern ihre Vorliebe für daS Landleben geschöpft; bewahre! Er wußte sehr gut, daß der Bauer etwas Anderes zu thun habe, als im festlichen Schmuck um den Preis des Gesanges auf blumiger Wiese zu streiten; er wußte recht gut, daß die Hirten nicht bundbebändert und in rothen oder blauen Sei- denst-ümpfen ihre Kühe und Schafe auf die Weide trieben. Er sah die Sache ganz prosaisch und nüchtern an und beurtheilte fie daber unbefangen und richtig. So begriff er denn auch auf der andern Seite eben so gut, daß man, wenn man fich auf dem Lande eine elegante Billa baut und dorthin alle Gewohnheiten und Gebräuche des städtischen Lebens mit hinübernimmt, dadurch eben den schönsten Genüssen des Landlebens entsagt, ohne fich dabei den Unbequemlichkeiten des erstcren ganz zu entziehen, fich mithin eine Zwitter- eristenz schafft, halb Städter, halb Bauer, was erst recht unbefriedigt lassen muß. Wir sehen, Georges betrachtete die Sache von ihrem wahren Standpunkte;