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Der schon viele Jahre lang währende Prozeß der Mitglieder der Stuttgarter Allgemeinen Rentenanstalt gegen den früheren Direktor derselben, v. Reinohl ist dieser Tage durch Vergleich entschieden worden. Hr. v. Rcinöhl erhält für alle seine Ansprüche eine Abfindungssumme von 8600 fl. nebst Zinsen vom 1. Januar 1854 an zu 4'/- °/° und tritt ganz aus, wodurch es nun möglich ist, die längst für nöthig erachteten Reformen der Anstalt zu ihrem besseren Gedeihen vorzunehmen.
B a-en.
Aus dem Badischen, 31. Dez. Bei dem lebhaften Interesse, welches der große und schwere Krieg im Osten in Anspruch nimmt, dürfte bei den zahlreichen Berichten über Schlachten rc. wohl auch eine Mittheilung von durchaus friedlicher Natur nicht ungerne vernommen werden. Es haben nämlich Engländer 40,000 Neue Testamente für die Türken und 30,000 für ihre guten Freunde, die Franzosen, mit auslaufen lassen. Weiter verdient bemerkt zu werden, daß sich 305 Offiziere des englischen Land- und 3l0 des englischen Seeheeres zum Gebete für gewisse Zeiten verbunden haben.
Ausland.
Italien.
Leider bat man wiederholt versuchte Ausbrüche finsterer Bigotterie und brutalen Aberglaubens zu berichten. Ju Oneglia, allwo sich das Erdbeben in der Nacht vom 29. v. M. ziemlich heftig zeigte, wurde dasselbe von den Fanatikern aufs prompteste ausgebeutet und auf Rechnung des dortigen Protestant. Geistlichen geschrieben. Alte Weiber und Straßensanhagel aller Art versammelten sich unter den Fenstern des Pastors und die gemeine Demonstration war bereits im Gange, als noch rechtzeitig genug die Gendarmerie anrückte und die rasenden Weiber zu Paaren trieb.
T ü r k e v.
Aus Konstantin opel wird nach Wien telegraphirt, daß eine ungeheure Menge Getreide, welches der Vieekönig von Aegypten der Pforte zum Geschenke gemacht habe, daselbst eingetroffen sey. Unaufhörliche Truppenzüge nach drr Krim passtren durch Bosporus.
Sebastopol, 22. Dez. Schnecsälle und Fröste. Beiderseits Schlachtvorbcilirngen. (F.J. >
Miszellen.
Liesbeth.
(Fortsezung von Nro. 99.)
„Ich danke dir," entgegnete ich ihrem stummen Neigen, «du weißt ja, Kind, daß ich nicht trinke."
„Ich möchte Sie nur etwas allein fragen!" stieß sie hastig hervor, und wie ein Krampf zuckte es um den kleinen Mund.
„Nun, Bethle, frage dreist.«
„Sie behandeln die Tochter der Wittwe B.; — wie steht cs mit ihr?"
„Du kennst mich lange genug, Kind, um zu wissen, daß neugierige Fragen nach meinen Kranken mir stets unlieb sind."
„Ich frage nicht aus Neugier, ich muß cs wissen!« rief fie heftig, — dann, wie um sich zu entschuldigen, lezte fie leise hinzu: „Sie hörten gewiß, daß früher unsre Eltern Nachbarn waren?"
„Das wohl — aber es muß schon lange her seyn.«
„Neunzehn Jahre.«
„Und so lange ich weiß, sepd ihr einander völlig fremd geworden. — Ich glaube, man ruft dir da vorn, LieSbcth!"
Zwei dicke Thränen rollten dem Mädchen aus den schönen Augen, die mich so flehend, so herzinnig an- sahen, daß ich wie erschrocken aufsprang.
Sie lehnte zitternd an einer Buche. „Ich wußte nicht, daß Margarethe dir so lieb ist," wollte ich ablenken.
„Ich kenne Margrcth B. kaum noch," flüsterte fie leise; „aber gar zu gern möchte ich wissen, ob fie davonkömmt. Wenn es Ihnen möglich ist, so retten Sie fie um meinetwillen!" — Sie sprang davon, Mathilden entgegen, die langsam heraufkam, und bald hörte ich Beide lachend nnd schäkernd wieder durch die Reihen der Weinstöcke springen.
Der Auftritt hatte mir weh gethan. Am andern Morgen frug ich die Wlttwe über die Familie ihrer ehemaligen Nachbarn — fie entsann sich ihrer kaum. Ihre Tochter murmelte im Delirium des Typhus; dann rief fie lauter: „Ja, Johannes, dann ich, und Bethle zulezt!« Wahrscheinlich waren einige Worte meines Gesprächs mit der Mutter zu ihren wirren Sinnen durchgedrungen und hatten alte Erinnerungen wach gerufen. Nach acht Tagen wurde fie begraben. —
Das stürmische Auftreten der Rötheln in einem Orte meines Bezirks und die Häufigkeit anderer Herbst- krankheiten nahmen meine ganze Thätigkeit in Anspruch; ich war wenig nur zu Hause, hatte Liesbeth aus den Augen, und jenen rätselhaften Auftritt am Weinberge aus dem Gedächtnisse verloren. Da fand ich fie im Wohnzimmer nähend, und mit eigenem Ausdruck hafteten ihre Blicke auf mir; sonst war fie still, wie sonst, doch milder schien mir ihr Wesen und ein trübes Gelbbraun hatte das Gesicht überzogen; fie versicherte auf meine Frage, vollkommen wohl zu seyn. AbendS war fie mit dem Butterbrode in der Hand und der vollen Tasse vor sich fest eingeschlafen.
Eine längere Krankheit meiner Frau führte Liesbeth dauernder ins Haus, denn fie war die sorglichste und aufmerksamste Pflegerin, die geräuschloseste Wärterin der ganzen Welt; und als die Genesende wieder im Zimmer erschien, deuchtete es mir, als ob ein weit innigeres Verhältniß zwischen Beiden sich gewoben habe, als Leuchen es sonst mit den Leuten des Haushaltes zu knüpfen Pflegte. Ja, cs kam so weit, daß ich mir eine leise Andeutung darüber erlauben durfte; doch die wehmülhige Antwort: „ich weiß, daß ich in deinem Sinn handle — laß mich mit der Unglücklichen meinen Weg ruhig gehen," brachte mich zum Schweigen.
(Fortsezung folgt.)
Redaktion, Druck und Verlag der Mee h'schen Buchdruckerei in Neuenbürg.