254
Miszellen.
Das anvertraute Gut.
(Fortsezung.)
Als der junge Mann sich der kleinen Gartenthüre näherte, hielt er unwillkürlich seine Schritte an und blickte noch einmal zurück. Er sah in der Ferne zwischen den Bäumen die beiden theuern Gestalten, von welchen er vielleicht auf lange Zeit getrennt seyn sollte. Sich wehmüthigcn Betrachtungen hingehend blieb er einige Augenblicke regungslos stehen.
Auf einmal ließ sich in einiger Entfernung ein Geräusch in dem Blattwerk des Spaliers vernehmen. Der junge Mann war jedoch viel zu sehr in seine Gedanken versunken, um darauf zu achten.
Indessen erhob sich zwischen den Weinreben, welche die Gartenmauer einfaßten, ein ergrauender Kopf, wendete sich spähend nach allen Seiten, ohne jedoch Michel zu bemerken, welchen das dichte Buschwerk verbarg. Durch die ringsum herrschende lautlose Stille ermuthigt hob er sich kühner in die Höbe, und bald wurde die ganze Gestalt eines ärmlich gekleideten Mannes sichtbar, über dessen eine Schulter eine alte Jagdtasche hing. Gesicht und Kleidung trugen das Gepräge des Alters und des Elendes. Er erstieg die Mauer und suchte mit den Füßen einen kleinen Anhalt, um auf der andern Seite wieder hcrabklimmen zu können.
In diesem Augenblicke erwachte Michel aus seinen Träumereien und eilte der kleinen Gartenthüre zu. Sein unerwartetes Erscheinen verfezte den frühen Besucher in eine solche Bestürzung, daß er sich schnell beugte, um nicht gesehen zu werden und sich beeilte herabzusteigen. Unglücklicherweise konnte er in seiner Hast nicht sogleich die gehoffte Stüze für seine Füße finden, und so stürzte er ziemlich unsanft mitten zwischen Gestrüpp und Brennnesseln hinein.
Michel blickte bei dem Geräusch, das dieser Fall verursachte, um sich; da es aber noch zu dunkel war, um etwas deutlich zu erkennen, so hielt er sich nicht weiter mit Nachforschungen auf, sondern schritt durch hie kleine Thüre dem freien Felde zu.
Michel durchschritt ein blühendes Kleefeld, um zu seinem Pferde zu gelangen; da drangen plözlich dumpfe Schmerzenstöne an sein Ohr und erregten seine Aufmerksamkeit. Er horchte auf und ging in der Richtung zurück, von welcher her die Töne kamen; bald stand er vor dem Gefallenen.
„Francois!" rief er bei dessen Anblick verwundert.
„Ach, retten Sie mich!" rief der Alte, sich zwischen dem Gestrüpp windend; „ich bin verloren!"
„Ihr werdet gestern Abend im „rothen Kreuz" «in wenig zu viel getrunken haben," erwiederte der junge Mann, welcher den Sturz nicht für so gefährlich hielt; "der Fall wird Euch wohl nüchtern gemacht haben."
„Rein," seufzte der Alte, «das glaubet ja nicht. So wahr ich ein Christ bin, ich habe meinen Theil. Seht doch, wie das Blut fließt."
"Blut!?", wiederholte Michel erstaunt; „was ist Euch denn eigentlich widerfahren?"
Ungeachtet seiner Schmerzen hatte der Alte doch Geistesgegenwart genug, nicht bestimmt auf diese Frage zu antworten. Er verdoppelte seine Klagen und flocht eine so verworrene Erzählung hinein, daß der Zuhörer in dem Gedanken bestärkt werden mußte, der Fall sep nur eine Folge seiner Betrunkenheit gewesen.
Der junge Mann trieb ihn an, einen Versuch zu machen, sich aufzurichten; doch da er sah, daß es unmöglich war, holte er sein Pferd und hob ihn auf dasselbe. Er wollte ihn zurück nach der Meierei bringen, weil dieß die nächste Wohnung war; doch Francois widersezte sich heftig und verlangte in seine Hütte gebracht zu werden, welche sich vor dem Dorfe befand.
Michel gab nach. Als er ihn glücklich auf den Strohsack gelegt hatte, der dem Armen als Bett diente, wollte er forteilen, um den Arzt von Saint-Paterne zu holen. Aber der Verwundete hielt ihn zurück und flehte mit matter Stimme:
„Um des Himmelswillcn, verlassen Sie mich nicht! Haben Sie Mitleid mit mir — wenn Sie mich allein lassen, bin ich verloren!"
„Es muß aber doch ein Arzt gerufen werden," bemerkte der junge Mann.
„Nein, ick will keinen Arzt. Ich brauche nur etwas, um meinen Durst zu löschen, sonst nichts."
Der junge Mann suchte in der Hütte und fand einen Krug mit Wasser und eine Flasche Branntwein. Er reichte ihm den ersteren und wollte sich eben an- schicken, Hülfe zu suchen, obgleich der Alte dagegen stritt, als plözlich Herr Loisel an der Thüre erschien.
Der Besizer der Meierei, der gewöhnlich des Morgens in aller Frühe sein Besizthum durchwanderte, hatte das Pferd Michels vor der Hütte gefunden und konnte nicht begreifen, was denselben zu dieser Stunde hierher führen könne; daher war er eingetreten.
Der Alte erschrack sichtlich bei seinem Anblick nnd machte einen Versuch, sich aufzurichten; doch die Kräfte fehlten ihm. Herr Loisel erkundigte sich nach der Ursache seines Zustandes und Michel erzählte den ganzen Hergang der Sache.
„Was machtest Du denn an der Gartenmauer, Schurke?" fragte Herr Loisel, die Augen forschend auf Franxois gerichtet.
(Fortsezung folgt.)
Gethsemane ist — wie ein Reisender erzählt — ein beinahe viereckiger Plaz, dessen Westseite 160, dessen Nordseite 150 Fuß Länge hat. Er war bis noch vor Kurzem ein offener Plaz, bis ihn die Lateiner, weil seine Bäume durch Pilger und Wanderer zu sehr der Zerstörung ausgesezt waren, mit einer ziemlich hohen und festen Mauer umziehen ließen. Er ist gehörig geebnet, mit Blumenbeeten geschmückt und zerstreut stehen in ihm acht uralte Qlivenbäumc, ein paar Fuß hoch unten mit Steinen umgeben. Sie können wohl gegen 1000 Jahre alt seyn. Zwar hat Titus während der Belagerung von Jerusalem alle Bäume in der Umgegend abhauen lassen; da aber der Olivcnbaum die Eigenthümlichkeit hat, daß, wenn er gefällt wird, immer wieder aus seiner Wurzel neue Reiser ausschlagen und zu neuen Bäumen erstarken, so kann man wohl an- nehmen, daß die, welche jezt den Ort beschatten, Abkömmlinge jener seyn mögen, unter welchen einst der Herr mit seinen Jüngern wandelte.
Redaktion, Druck und Verlag der M e eh'schen Buchdruckerei in Neuenbürg.