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Stuttgart, 8. November. In den lezten Tagen ist dem ständischen Ausschuß ein neuer Gesezentwnrf übergeben worden, der den Zweck hat, dem in Württemberg herkömmlichen, für das gcsammte Gewerbswesen überhaupt schäd­lichen und die Konkurrenz der inländischen In­dustrie mit der des Auslands hemmende» Borg- System Schranken zu sezen und durch die (be­schränkte) Ausdehnung der Wechselkrafi auf kaufmännische rc. Anweisungen dem Verkehr eine sicherere Grundlage zu verschaffen. Eine Ausdehnung des Vorzugsrechts der Wechsel auch aus die Anwei'ungen liegt nicht in der Absicht der Regierung, vielmehr gedenkt sie das Vorzugsrecht der Wechsel selbst auf dem Wege der Gesezgebuug aufzuheben. Ebenso ist ein Wechselarrest bei kaufmännischen Anweisungen nicht statthaft befunden worden.

Stuttgart. Der neue mit dem 15. d. Mis. ins Leben getretene Fahrtenplan ent­hält 5 neue Fahrten, die in dem seit dem 1. Oktober geltenden Plane nicht enthalten waren. Darunter sind jedoch auch die Güterzüge begriffen, die bisher sebon gingen und nicht nn Fahrten- plane enthalten waren) die aber früher keine Personen beförderten, was jezt wenigstens theil- weise der Fall ist. Sodann geht der Entzug von Bruchsal nicht mehr nach Friedrichshafen, sondern nur noch bis Ulm, da er nach dem Oberland zu sich nicht renrirt und auch keine größeren Postbefö'rdcrungsinteressen zu vertreten hat, wie auf der Strecke von Bruchsal nach Ulm wo er ein wichtiges Glied der Postkettc von Paris nach Wien bildet. Man hat bei uns angefangen, die Kleinuhrfabrikat-on nach Schweizer Vorbild cinzufiihren. In Weingarten ist bereits ein solches Etablissement im Gang, und in Ulm wird ein solches eben eingerichtet.

Baden.

Karlsruhe, 13. November. Der Erz­bischof von Freiburg und sein Domkapitel fahren in ihrer Widerspenstigkeit gegen die Staatsgewalt aller Erinnerung ungeachtet unbeirrt fort; die großherzogl. Staarsregiernng antwortet darauf mit den geeigneten Maaßregeln der Strenge.

L> e st r e i ch.

Wien, 13. Novbr. In diesen Tagen er­hielt Fürst Gortschakoff Befehl, sich nicht blos passiv abwehrend gegen die Türken zu vrrhalten, sondern förmlich den Krieg zu eröffnen und zu führen. (St.Anz.)

Ausland.

Frankreich.

Paris, 14. Novbr. Diesen Nachmittag wurde versichert, der Regierung sey die Nach­richt zugekommen, daß die Türken sich fünf russischer Festungen in Asien bemächtigt hätten.

Der Mechaniker Schwilgue Vater, der die astronomische Uhr des Straßburger Münsters wieder hergestellt bat, ist durch kaiserl. Dekret zum Offizier der Ehrenlegion ernannt worden.

Was mir einmal der Todtengraber erzählte.

(Fortsezung.)

Nun, sagen Sie einmal, konnte Paul blind seyn gegen so viel Schönheit? Und er sah sie im­mer in ihrem stillen Fteiße und liebreizenden Wesen.

Zu den Vorzügen des Leibes gesellten sich die der Seele. Sie war so demüthig, so zurückhaltend, so bescheiden, wie ich kein Mädchen jemals beobachtet habe. Eine recht aufrichtige Frömmigkeit erfüllte ihr Herz. Sie hätten sie in der Kirche sehen müssen, um davon überzeugt zu werden. Und im Hause war sie die Thätigkeit selbst. Wollte die alte Ricdelin eine Arbeit thun, so hatte sie entweder Jrmel schon gethan, oder sie nahm sie ihr rasch aus der Hand und that sie selbst. Das Gesinde gehorchte ihr blindlings, und doch halte sie niemals ein bös Wort mit ihm geredet, nie­mals ihm etwas verwiesen, niemals etwas ihm befoh­len. Anders sagte sie nicht, als:Sey jezt so gut, und rhue Das oder Jenes!" Dann liefen die Knechte und die Mägde sprangen, ihren Wunsch zn erfüllen. Die alte Riedclin sagte selber von ihr:Es ist eine wahre Here, das Mädel! Sie leitet und regiert Alles und doch befiehlt sie nie, und das Gesinde gehorcht ihr mehr, als mir, und ist ihnen nichts zu schwer, wenn die Jrmel sie lächelnd darum bittet. Wie sie das anfängt, begreife ich selber nicht! Aber es geschieht und ist richtig."

Ich frage Sie, Herr, ob ein Jüngling mit solch' einem Mädchen unter einem Dache wohnen, mit ihr in tausendfache Berührung täglich kommen, ihre Art und Weise beobachten könne, ohne diese Eigenschaften zu bewundern? Und wenn «ie es bejahen muffen, so frage ich weiter: Kann da die Liebe auSbleiben, wenn nicht etwa schon eine andere das Herz des Jünglings ganz eingenommen hätte? Ich sage einfach: Nein, und Sie können wohl auch kaum anders. Und in Pauls Herzen saß keine andre fest."

Wahrlich, nein!" sagte ich aus Herzensgründe.

Nun ja denn," fuhr er fort,wir sind einig; aber Pauls Eltern waren blind. Sic konnten es sich einmal nicht denken, Laß ein Mädchen ohne Geld und Gut irgend einen Werth haben könne. So kam kein Gedanke in ihre Seelen, daß die Zweie sich lieb haben könnten. Freilich sah's auch Niemand, wie es in den Herzen der beiden jungen Leute aussah, erstlich, weil eben kein Auge des Menschen dahinein blicken kann, wohin nur das Auge des Herrn dringt, und zum Zweiten, weil beide sowohl vor einander, als vor Andern sorgfäliig verbargen, was in ihrem Innern vorging. Es waren zwei absonderliche Menschen.

Das Jrmelchcn erkannte längst, daß es Nieman­den auf Gottes Erde lieber habe, höher achte und verehre, als Paul; aber es verschloß seine erste, hei­lige Liebe in das stille, duldende Herz, weil es die Gesinnungen seiner Verwandten kannte und die alte Riedelin in ihrer Geschwäzigkeit dem Mädchen oft genug gesagt hatte, der Paul dürfe im Lande nur wählen unter den reichsten Erbinnen. Da hatte denn das gute Kind seine Liebe in's Grab gelegt und den Kranz der Hoffnung welken sehen. Es fühlte wohl, es dürfe nur ferne stehen; es dürfe nur Gott um seine Liebe wissen. Und dies Bewußtseyn läuterte und hei­ligte sie so, daß das Mädchen sich glücklich fühlte, um ihn seyn zu dürfen und seine Wünsche ihm abzulauschen, daß es ihnen, wo möglich, zuvorkommen könne. ES mag wohl Stunden eines harten Kampfes und schweren Leides und heißer Thränen gegeben haben, bis das arme Kind solchen Sieg über sein Herz errungen hatte. Wenigstens bildete es sich ein, ihn errungen zu haben. Nun, es geht ja oft so in der Welt, daß man sich mühsam einredet, man habe etwas überwunden ; glaubt's auch; aber wie anders ist cs, wenn nun der Augenblick kommt, wo der Sieg als voll, acht und recht sich er­weisen soll? Herr, dann hapert's leider, wie wir hier zu Lande sagen! HFortsez. folgt.)

Redaktion, Druck und Verlag der M e ch'schen Buchdruckern in Neuenbürg.