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zu bringen sucht/ dennoch die Seelenzahl der evangelischen Gemeinde fortwährend zunimmt. Dieselbe betrug nämlich bei ihrer Gründung im Jahr 1802 nicht mehr als 6700 und ge­genwärtig ist sie auf beinahe 7000 Seelen angewachsen. (Fr.I.)

Preußen.

Im Kroll'schen Garten in Berlin erregte dieser Tage die Amveseubeii des Tyrolers Pan- zel, eines Kampfgenossen Andreas Hofer's / viel Aufmerksamkeit. Wie dieser Greis erzählte, le­ben außer ihm nur noch zwei Tyroler, welche sich rühmen können, an der Seite des Paffeyer Sandwirths 1809 gekämpft zu haben. Derselbe machte noch unter Radetzky den Feldzug in Ita­lien 1849 mit und erhielt dafür ein Ehrenzeichen.

Miszellen.

Die bayerische Kellnerin

(Fortsezung.)

»Nach Hause? Wohin?«

»Zurück nach Nürnberg. Die Mutter ist krank und schon bei Jahren, und jezt sie ganz allein.«

»Marie, mein süßes Mädchen, einen Kuß, einen einzigen. Nur Deinetwegen kam ich ja so oft. Ich liebe Dich so sehr, so sehr»

»Ach, ich hab's wohl gemerkt,« erwiderte Marie kaum hörbar in träumerischer Selbstvergessenheit. »Nein, lassen Sie mich. Ich bin ja nur ein armes Mädchen. Was kann ich Ihnen seyn?«

Aber sie entriß sich ihm nicht, sie legte ihre Hände leise auf Nodricps schmachtend emporblickende Augen, als sollten diese nicht Zeuge seyn ihres Erröthens, ihres Einwilligens, und dann senkte sie das lockige Haupt, und die Lippen begegneten sich im schmachten­den Kuß. Plözlich aufschreckend riß sich das Mädchen loS. Sie zitterte vor innerer Bewegung an allen Gliedern. Sie verhüllte ihr Gesichl, und ein schmerz­lich süßes Ach! verrieth ihre Erschütterung.

»Marie, verlaß mich nicht,» flehte Amberg, »lie­bes Mädchen, bleib.«

«Es ist recht unrecht von Ihnen,« stammelte Marie, »es ist noch weit größeres von meiner Seite ich kenne Sie ja gar nicht«

«Du kennst mich nicht,« erwiderte Rodrich, »und sagtest eben doch, daß Du wohl gemerkt habest, wie ich nur Deinetwegen gekommen sey.«

Das Mädchen schwieg verwirrt. Daß sie den wohlgebildeten, gewählt gekleideten Fremden und dessen stets auf sie gehefteten Blick bemerkt habe, war eben kein Wunder; gleicht doch der Licbesblick dem kaum hörbaren Seufzer am Eingänge des Dionysius-Ohres zu Syrakus: er schwingt sich weiter und weiter, lauter und lauter durch die Schlangengänge des weiblichen Herzens und wächst im heimlichsten Grunde zum lauten, hallenden Ruf. Nodrich schob einen Goldreifen an Mariens Finger und sprach: »Gedenke meiner und dieser Stunde.« Sie ließ cs schweigend und mit

gesenkten Augen geschehen. Ihr Busen wogte stürmisch bewegt. Abermals wollte sie Rodrich an seine Brust ziehen, aber sie wehrte sich entschieden: »Nein laßt, Herr, es ist nicht wohlgethan, laßt, ich bitte Euch sehr.« Dann aber küßte sie mit heimlichem Entzücken den eben empfangenen Ring. Amberg stand stumm und mit gefalteten Hände» in den Anblick des holden Na­turkindes versunken er wagte sie nicht mehr zu be­rühren, wagte nicht das Schweigen zu unterbrechen, aus Furcht die schmeichelnden Traumweüen, die sie beide märchenhaft umflossen, gewaltsam zu zerreißen.

»Und auch Sie verlassen München?-> fragte ße endlich. »War's nicht so? Auch Sie kehren heim? Sie sind kein Landskind, sind weit her gelt? Ich hör's an der Sprache.«

»Ich bin in Böhmen geboren, halte mich aber rn Schlesien auf.«

»'S trifft sich wunderlich genug,» erwiderte das Mädchen nachdenklich, »halb kaiferlich, halb königlich, ein Bissel böhmisch und ein Bissel deutsch, wie fie's singen. Just so'n zwciländisch Kind bin auch ich- Die Mutter stammt ans Böhmen her, der Vater war ein Anspach-Bayreuther ein Preuße mit Leib und Seel'. Er stand zulezt als Wachtmeister bei den Bayreuth-- Dragonern. Dort ist er erschossen worden.«

»Erschossen?« fuhr der Graf auf »geblieben willst du sagen, auf dem Schlachtfelde.»

»Nicht doch, Herr. Im Frieden erschossen das ist Euch aber eine gar traurige Geschichte. Seht nur, da waren Zwei mit Pferd und Waffen desertirt. Der Vater sezte ihnen mit dreien nach und holte sie eine- Meile von der Stadt ein. Sie hatten sich auf einen Hügel retirirt und schrie'n mit lauter Stimme hinab: es soll es keiner wagen, näher zu kommen, es sev denn auf Gefahr des eigenen Lebens. Da redete ihnen aber mein Vater ernstlich ein, sie möchten Gewehr und Waffen ablegen und sich gutwillig geben 's half doch zu weiter nichts, durchkommen könnten sie nicht. Der Eine Aber riß den Karabiner an die Backe und drückte ab, die Kugel fuhr dem Vater mitten durch die Brust. Noch einmal stöhnte er schmerzlich dann war's vorbei. Er starb einen ehrlichen Reitertod. Ich war noch ein kleines, dummes Ding, als uns das Unglück traf. Von dem Schmerz, der die arme Mut­ter traf, mag ich gar nicht reden. Ach, sie hatte wohl ein besser Glück verdient, so gut, so lieb wie sie war. Ich sah noch den Leichcnzug, wie die Trompeter lang­sam voranschritten und das Trauerlied: »Jesus meine Zuversicht« bliesen, und dann kam der Sarg, auf dem. der Hut genagelt war, und kreuzweis die schweren Spornstiefcl» und der blanke Pallasch. Ich weinte laut, wußt' aber noch nicht, weßhalb ich war noch allzu unverständig Dann kamen böse, böse Tage für die arme Soldatenwittwe. Ihre vornehmen Verwand­ten wollten nichts mehr von ihr wissen, seit sie unter dem Stande gcheirathet. Doch was schwaz' ich von alle dem Euch macht's nur Langewcil' und ich weiß noch nicht, wie ich Euch nennen soll?«

(Fortsezung folgt.)

Redaktion, Druck und Verlag der M e eh'schen Buchdruckerei in Neuenbürg.