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die wildbewegten Wellen wehmüthigen Blickes hinaus in den unermeßlichen Luftraum, als mit einem Male sein scharfes Auge am äußersten Gesichtskreis eine Flagge zu gewahren glaubte. Immer deutlicher konnte er es unterscheiden; iezt tauchten auch Segel empor, es war ein Schiff. Schnell und freudig rief er seine Leute herbei. Näher und näher kam das Schiff; jezt konnte man sich gegenseitig schon Zurufen; jezt erkannte man schon die Mannschaft an Bord; cs war — Do- manski's Bruder aus Danzig, mit dem Steuermann, Zimmermann und dem Jungmann Joseph, nebst mehreren fremden Männern, dem Anscheine nach Schiffern aus Memel. Wer beschreibt die Freude und das Entzücken der armen Unglücklichen, denen bereits jede Hoffnung erstorben war und die nun mit einem Male der sichern Rettung so nahe waren. Laut auf jauchzte der Eine, während der Andere vor freudiger Rührung keines Wortes mehr fähig; aber Alle erkannten tiefbewegt die allwaltende Hand der Vorsehung und dankten dem liebenden Vater im Himmel, der in der höchsten Roth die Rettung gesandt.
Bald waren Wasser und frische Lebensmittel nach dem gefährdeten »Neptun» herübergebracht und auch Domanski's Bruder folgte mit den drei wiederkehrenden Kameraden, und des freudigen Hin- und Hcrredens und Fragens und Händedrückens wurde fast kein Ende: denn selbst die Kranken hatten sich aufgerafft und waren auf das Verdeck gewankt, um die willkommenen Erretter zu begrüßen; aber die beiden Brüder Domanski hielten lange sich umschlossen in heiliger Rührung, bevor sie der Reve wieder fähig waren; dann endlich sprach Julius zuerst: «Sag', Bruder, vor Allem, wie gcht's dem alten Vater, wie meiner Frau? Du glaubst nicht, welche Angst mich befallen, wenn ich ihrer gedachte in meiner hülflosen Lage."
„Julius," erwiderte der Bruder, „eine doppelte Botschaft Hab' ich dir zu bringen, Freude und Leid. Sey ein Mann! Unser guter Vater ist nicht mehr, Gott hat ihn zu sich genommen. Tröste dich, der Gute stand schon lange am Ziele seiner irdischen Lanfbahn; gönne ihm die Ruhe nach einem so mühevollen Leben. Sieh', der liebe Gott hat es gut gemeint mit dir und für den herben Schmerz auch sogleich lindernden Balsam gegeben: denn deine Frau hat dir einen Sohn geboren und Beide, Mutter wie Kind, befinden sich wohl, elftere aber erwartet deine Ankunft mit Sehnsucht."
Julius wollte antworten, aber Thränen erstickten seine Stimme, und lange lag er so an dem treuen Bruderherzen und es war, als ob der Geist des Hingeschiedenen Vaters sie umschwebe, so feierlich ergriffen fühlten sich Beide in dieser heiligen Stunde des Wiedersehens.
«Der Brief, den du an deinen Rheder nach Danzig geschrieben hattest," erzählte Domanski's Bruder, nachdem Beide ruhiger geworden waren, „hätte jenem keine Besorgniß verursacht, wenn nicht später dein Steuermann unfern Lootsenkommandeur von eurer hülflosen Lage in Kenntniß gesezt hätte. Dieser eilte zum Rheder, der, höchlich erschreckt, nunmehr die schleunigsten Maßregeln traf, um das Dampsboot „die Gazelle" euch zu Hülfe zu senden. Denke dir meinen Schmerz, als ich, selbst gebeugt durch den Tod unsres Vaters, nun mit einem Male von deiner hülflosen Lage erfuhr. Alle Freunde und Bekannten wollten dir zu Hülfe eilen und begaben sofort sieben Kapitäns sich auf's Dampfschiff und noch dazu achtzehn wohlgeübte Seeleute, die nicht so leicht vor einem Sturme zitterten. Aber kaum waren wir über die frische Nehrung weg in die Gegend von Lettersdorf gekommen —"
„Drei Meilen von Pillau nordwärts?" fiel Julius ihm in's Wort.
„Ja, ganz recht!" fuhr der Andere fort. „Kaum hier angekommen, so plazte in der Maschine die Röhre, welche den Dampfkessel mit Wasser speist, und es entstand dadurch ein so bedeutender Leck, daß troz aller Anstrengung unsrerseits es nicht möglich gewesen wäre,
das Dampfschiff so lange flott zu erhalten, bis wir Pillau erreicht haben würden. Wir suchten daher mit Benuzung der Segel — (denn die Maschine war ganz unbrauchbar geworden) — noch einige Meilen dem Lande näher zu kommen und die „Gazelle" auf den Strand zu sezen. Endlich gelang es uns, und wir Alle, fünfundzwanzig an der Zahl, retteten uns nun, in steter Lebensgefahr schwebend, mittels des kleinen Bootes und einer an den Strand gebrachten Leine, in sechs auf einander folgenden Fahrten. Die Schiffsmannschaft wollte von Pillau nach Danzig zurückkehren, ich aber machle mich an demselben Abend auf den Weg nach Kranz, wo ich gegen Mittag des andern Tages anlangte. Hier erfuhr ich von einigen Fischern, daß dir wohl noch Hülfe hätte gebracht werden können- wcnn cs nicht von der Behörde bei Strafe wäre verboten worden, der zu großen Gefahr wegen."
„Ist es möglich?" unterbrach ihn Julius.
„Die Leute sagten es uns. Zu untersuchen, ob sie die Wahrheit redeten, hatte ich keine Zeit, denn ich mußte ja meinen Weg längs dem kurischen Haff bis nach Rositten fortsczen, um mich mit eigenen Augen zu überzeugen, wie es mit dir und deinem „Neptun" stehe. In der Dunkelheit der Nacht kam ich mit Pferd und Wagen in den Triebsand, rettete mich jedoch noch zur rechten Zeit, und in Rositten angelangt, überzeugte ich mich aus einer Unterredung mit dem Strandinspektor, daß jene Fischer wohl nicht Unrecht gehabt hätten. Da ich nun sah, daß von hier aus keine Hülfe zu erlangen sep, so ließ ich dein am Sirande liegendes Boot auf einem Wagen nach dem Haffe bringen und sezte mit den Dreien deiner Leute unverzüglich nach Memel über. Es gelang mir dort, den großen Loot- sen-Kutter zur Fahrt nach deinem „Neptun" zu erhalten. Mcmeler Fischer begleiteten mich auf der gefahrvollen Reise gegen eine angemessene Belohnung, worauf wir denn, mit Proviant und Trinkwaffer versehen, troz des heftigen Sturmes unverzagt in See stachen, um euch zu retten."
„Und wohlgelungen ist euch euer Werk!" sprach Julius und drückte dem treuen Bruder lächelnd die Hand. „Wäret ihr um vierundzwanzig Stunden später gekommen, so hättet ihr unser Schiff nicht mehr weiter bringen können: denn schon hatte ich beschlossen, verlassen wie ich war, dasselbe morgen auf den Strand laufen zu lassen. Aber jezt komm! die Zeit ist edel, und ich sehne mich grenzenlos nach Hause. Holla, Bursche, lichtet die Anker! rüstig an's Werk, es geht der Heimath zu, wir segeln nach.Danzig!"
Und alsbald rauschte das stattliche Schiff, wenn auch stark beschädigt, pfeilschnell hinter dem Lootsen- Kutter dahin durch die hochaufsprizendcn Wellen, und schon am 5. Januar gelangte cs glücklich auf die Rhede von Neufahrwasser bei Danzig.
Groß, unendlich groß war die Freude der Geretteten, als sie das Land nach so vielen Tagen des Schreckens und Entbehrcns wieder betraten. Aber Peter Koch, der alte Bootsmann, befand sich nicht mehr unter seinen Gefährten. Am Tage vor der Ankunft in die Heimath fiel er vom Vordermast in die See und die Wellen gruben ihm das Grab, dem ihn seine braven Kameraden troz aller angewandten Rettungsversuche nicht mehr entreißen konnten; er hatte richtig prophezeit: eS war seine leztc Fahrt gewesen.
Auflösung der Nathsel in Nro. 17.
1.
China, Kaiserthum in Asien, welches ungefähr 248,000 Q.M. mit 300 Millionen Einw. enthält. — H i n.
2 .
Genua im Königreich Sardinien, Stadt am Meerbusen gleichen Namens mit 100,000 Einw.
3.
Lorenz — Florenz, Hauptstadt des Großherzogthums Toskana mit über 100,000 Einw.
Redaktion, Druck und Verlag der M e eh'schen Buchdruckerei in Neuenbürg.