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Miszellen.
Der Junker von Roderich.
(Fortsezung.)
Zwei Jahre waren seitdem vergangen. Die Erinnerung an die grauenvolle That war mehr und mehr in den Hintergrund getreten und nur bei Denen noch so lebendig wie ehedem, welche den Ermordeten näher gestanden. Da kam Plözlich das Gcheimniß nicht allein von diesem, sondern auch von einem zweiten Morde auf die wunderbarste Weise an den Tag. Man erinnert sich des Lustspiels, welches der Junker geschrieben, das er dem vertrauten Freundeskreise vorgelesen und das er an dem Unglückstage mit sich nahm, um es während der Musestunden im älterlichen Hause noch einmal durchzusehcn. Der zierlich geschriebene Titel dieses Lustspiels war es, durch den die Unthat an den Tag kam. Einer von Denen, welche an senem lezten Abend bei dem Junker gewesen waren, machte eine Geschäftsreise, nnd auf dieser Reise kam der Doppelmord an den Tag. Doch lassen wir diesen Freund nun selbst sprechen.
Ich dachte, erzählte er, als ich in den Wagen stieg, um meine Reise anzutreten, nicht im mindesten daran, daß ich mich auf den Weg zu der Entdeckung eines schrecklichen Verbrechens begäbe. Mein Weg führte mich durch das Dorf R**. Da ich auch dort ein Geschäft abzumachen hatte, hielt ich vor dem Wirthshause des Dorfes an, und während mein Kutscher die Pferde fütterte, begab ich mich zu dem Herrn den ich sprechen wollte. Ich fand ihn aber nicht zu Hause und erfuhr, daß er erst am Nachmittag wiederkehren würde. Da mein Geschäft mit ihm nicht viel Aufschub zuließ, so beschloß ich, ihn zu erwarten. Um mir die Zeit zu vertreiben, ging ich in dem freundlich gelegenen Dorfe umher und kam dabei auch über den Kirchhof und bei dem Pfarrhause vorbei. Ich sah hier den Geistlichen in seinem Garten beschäftigt, und da meinem freundlichen Gruß ein noch freundlicherer Dank wurde, so trat ich näher und knüpfte ein Gespräch mit dem Greise an. Ein Regen, der sich bald darauf ergoß, verleidete mir die Lust zu weitern Spaziergängen, und so entschloß ich mich, um über diese und jene Verhältnisse Auskunft zu erhalten, mich in die Gaststube ans Kamin zu sezen, und mit dem Wirth zu plaudern. Er schien ein rauher, störrischer Mann zu sepn und fein Blick hatte etwas Lauerndes an sich, das mich unangenehm berührte; auch die Wirthin hatte ein zurückstoßendes Wesen. Da un- ere Unterredung bald ins Stocken gcrieth, beschloß ich einen Bief zu schreiben, den ich, wenn der Herr, mit dem ich zu sprechen wünschte, nicht zeitig genug zurückkehren sollte, in seiner Wohnung abgeben konnte. Ich forderte deshalb Feder und Papier und ließ mir ein Zimmer anweisen, wo ich ungestört schreiben konnte.
Die Wirthin führte mich die Treppe hinauf in ein Zimmer, die Schreibmaterialien aber, die sie mir gab, waren fast unbrauchbar und da ich gesehen, daß die Wirthin das Schreibzeug aus dem Schubkasten des Tisches, an dem ich saß, genommen, sah ich dort nach, ob ich nicht eine bessere Feder darin fände. Ich zog deshalb den Kasten heraus und kramte darin herum.
fand aber unter allerhand Sachen doch nicht Das, was ich suchte. Schon wollte ich den Kasten wieder zuschie- bcn, als mein Blick aus ein Blatt Papier fiel, auf dem etwas geschrieben stand, was meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Ich nahm es in die Hand. Ich kannte die Schrift — die Hand — ich las, und, gerechter Himmel, es war mir, als müßte ich in den Boden sinken! es war das Titelblatt des Lustspiels des Junkers von Röderich, seine eigene Handschrift, dieselbe, welche ich am Abend vor seiner Abreise bei ihm gesehen.
Kauch hatte ich mich vom ersten Erstaunen erholt, als sich mir eine neue Ueberraschung bot. Ans dem Titelblatte stand in lateinischer Sprache geschrieben:
"Wenn dieses Blatt je gefunden und erkannt wird, so soll es beweisen, daß ich, in dem Wirthshause zu R** übernachtend, ermordet worden bin. Man gehe nach Gent. Dort kennt man den Verfasser dieser Schrift, und man wird zugleich sein Schicksal erfahren. O meine armen geliebten Eltern! Meine geliebten Freunde! Indem ich dies schreibe, naht vielleicht die lezte schwere Stunde meines Lebens. Man wird mich sicherlich ermorden. Ach, ich bin in ihren Händen! Betet für meine Seele, welcher Gott gnädig sepn möge!
Mein Inneres ward bei Lesung dieser Zeilen von tausenderlei Gedanken durchstürmt. Fast schwanden mir die Sinne, das Blut drängte sich gewaltsam nach dem Kopfe, meine Nerven bebten. Wie ein Bliz durchzuckte mich ein Gedanke. Ich durchschaute mit Einem mal das furchtbare Gcheimniß. Dort standen der Wirth nnd die Wirthin als die Mörder meines Freundes. Mir war's, als sähe ich den Unglücklichen in Todesangst mit seinen Mördern ringen. Hier lag der Unglückliche vielleicht im lezten Todeskampfe.
Die Zeilen in lateinischer Sprache bestürzten,'mich nur in meiner Vermuthung. Zwar war nicht viel Zusammenhang darin und noch Manches zu erklären, aber sie boten doch genug Anhalt, Idas Verbrechen zu entschleiern.
Wie viel Ueberlegung des so Hart Bedrohten gehörte dazu, daß er diesen Tischkasten gewählt hatte, um seine Handschrift unter einer Menge anderer Papiere zu verbergen, wo sie der Beachtung seiner Mörder entgehen und vielleicht einem Dritten in die Hände fallen konnte. Wie viel Geistesgenwart bewies der Unglückliche, die Nachricht von seinem vermuthlichcn Schicksale Lateinisch aufzusezen, ohne seinen Namen dabei anzugeben, sodaß seine Mörder, selbst wenn sie das Papier fanden, nicht auf den Gedanken kommen konnten, daß diese Zeilen die Andeutung ihres Verbrechens betrafen.
Bis ins Innerste aufgeregt, vermochte ich nur nach und nach mich einigermaßen zu beruhigen, und nur der Gedanke, welche Gefahr mir selbst drohe, wenn mich Jemand aus diesem Hause in dieser Stimmung überrascht hätte, vermochte endlich, mir eine ziemlich ruhige Haltung zu geben. Ich ging mit mir zu Rathe, was zuvörderst zu thun sey, und auf meine eigene Sicherheit bedacht, die mir in diesem entwzltchen Hause nicht wenig bedroht schien, nahm ich das verratherifche Blatt an mich und begab mich die Treppe hinab. Als ich hinunter in die Hausflur kam, stand die Wirthin an der Hausthür, und es kam mir vor, als ob ihr