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berückflchigt werden, sondern Jeder seinen Theil an der allgemeinen Last tragen müsse, begab sich schwei­gend zum Weinhändler, wo er endlich gegen eine förmliche Schuldverschreibung das Verlangte erhielt. Ungeduldig hatten ihn die Soldaten erwartet, und rißen ihm fluchend die Weinkrüge aus der Hand. Nun aßen und tranken sie mit einer Unmäßigkeit, die ihren französischen Wirth aufs Neue mit Unwillen und Verachtung erfüllte. Sie waren schon ziemlich be­rauscht, als Einer durch's Fenster einige Kameraden erblickte, die am Haus Vorübergiengen; er rief ihnen zu und lud sie ein, auch hier einzusprechen. Ohne sich lange drängen zu lassen, folgten diese der Einladung und traten ebenfalls in das niedere Stüblein, das sich von ihnen füllte. Einer der Einquartirten rief dem Wirth, der in einer Ecke in stummem Grimm dem Schalten der Feinde in seinem Eigenthum zuge­sehen hatte, den Befehl zu, mehr Wein zu bringen. Der Hausvater, nicht Willens, sich mehr Opfer aufzu­legen, als er gezwungen war, machte bescheidene Vor­stellungen und erklärte, ihm sep kaum möglich gewesen, ihre Bewirthung zu erschwingen, sie möchten ihn doch mit weiteren Gästen verschonen. Diese so höflich als möglich vorgebrachte Rede erzürnte die halbtrunkenen Soldaten auf's Höchste, "Du Hund, willst uns wider­sprechen? lang genug habt ihr in Deutschland gehaust; jezt sind w i r hier Herr!" ries Einer, ein Anderer aber, eben Eingetretener, trat auf den Mann zu, rief: "du willst uns verbieten, in dein Haus zu kommen?" und versezte dem Mann eine Ohrfeige. Eine dunkle Röthe schoß in das Gesicht des Franzosen und in sei­nen Augen blizte glühender Rachedurst; aber schnell faßte er sich, nahm die Krüge und ging, sie wieder füllen zu lassen. Abermals war den Soldaten die Zeit lang, bis er zurück kam, und sie fiengen an, im Haus umher zu rumoren. Da erschien endlich der Manu; sie schenkten den Wein ein und wollten aufs Neue ihre wilde Lustigkeit beginnen. Einer der neu Angekommenen aber rief, der Wein sep schlecht, sie sollten ihm in sein Quartier folgen, dort sep besserer zu haben. Zornig warfen die Andern den Wein sammt den Gläsern dem Mann fluchend vor die Füße und stürmten zum Hause hinaus. Der Franzose aber, von ihrer empörenden Brutalität heftig aufgeregt, mur­melte ihnen zwischen den Zähnen Verwünschungen nach.

In einem anderen Hause, dessen freundliches Äußere , von dem Wohlstand seiner Bewohner zeugte, waren mehrere Offiziere einquartiert und fanden hier williger» Empfang als die Soldaten bei der unbemittelten Familie.

Ein junges Ehepaar sammt der altern Schwester des Mannes waren die Wirthe. Die Offiziere fanden bald einen unterhaltenden Zeitvertreib darin, der Eitel­keit der jungen Frau des Hauses zu schmeicheln und ihr Interesse durch schöne Redensarten anzuregen. Dieß Benehmen verfehlte den Eindruck auf den leichten Sinn der Frau nicht, und mit zwar verlegenem aber wohl­gefälligem Blicke hörte sie die wohlklingenden Reden derselben an, beantwortete sie auch. In dem Maaße, als ihre Mienen steigendes Wohlgefallen auSdrückten, verfinsterten sich die ihres Mannes. Die eitle Frau war aber von der anziehenden Unterhaltung so gefesselt, daß sie dieß nicht bemerkte oder nicht bemerken wollte. Es war indeß Nachmittag geworden, und die Offiziere ent­fernten sich, um ihren militärischen Pflichten Genüge zu leisten. Die Frau war mit ihrem Gatten allein; ihr Gewissen machte ihr die Ursache seiner düstern Stim­mung augenblicklich bewußt; aber eine so unangenehme Stimme unterdrückend, indem sie sich beredete, selbst der beleidigte Theil zu sepn, räumte sie mürrisch die Reste der Mahlzeit ab. Darauf versuchte sie, den Tisch wieder an seine gewöhnliche Stelle zu rücken, und machte, als ihr dieß nicht gelang, ihrem Manne Vorwürfe, daß er ihr nicht dabei geholfen. "Warum konntest du

mich nicht darum'bitten?" erwiederte der Mann, "fehlte es dir doch nicht an Worten gegenüber diesen Deut­schen!" "Du warst desto mürrischer," entgegnete die Frau, "und überliessest es mir, die Gäste zu unterhal­ten.". Der Mann stand auf, um sich zu entfernen, an der Thüre kehrte er sich noch einmal um und sagte: »sollte mein Weib freundlicher Mit den Feinden des Vaterlandes reden als mit ihrem Gatten?" und verließ das Haus. Die eitle Frau sah ihm nach, erst betroffen über seine Rede; dann aber, diese Regungen verban­nend, wandte sie sich, als wäre sie durch seine Abwe­senheit erleichtert, nach dem Spiegel und betrachtete wohlgefällig ihre Gestalt, ordnete ihre reichen, schwar­zen Haare und legte ein anderes, hübscheres Halstuch an, während sie, als wollte sie sich bei sich selbst ent­schuldigen, murmelte: "jenes ist zu warm, auch muß ich etwas daran ändern!" Hierauf nahm sie eine feine Näharbeit zur Hand, wie es schien, eifrig arbeitend. Eine Weile saß sie so, als ihre Schwägerin, ein ält­liches, unansehnliches Mädchen, das still und ruhig seine Pflicht versah, ohne aus sich selbst etwas zu machen oder Andern etwas in ihren Weg zu legen, in die Stube trat. Schüchtern war sie, so lange die fremden Offiziere anwesend waren, nicht in das Zimmer gekom­men, sondern hatte die Arbeiten ihrer Schwägerin im Hause versehen. Jezt wandte sie sich an dieselbe und sagte: "Louison,du solltest ein wenig kommen und nach der Wäscherin sehen; ich muß sie jezt verlassen, um aufzuhängen." Unmuthig sah die junge Frau auf; "ich kann jezt nicht abkommen, kaum habe ich ein Geschäft zur Hand genommen, soll ich's wieder hinlegen; man wird die Sachen auch ohne mich besorgen können." "Du solltest doch selbst kommen," erwiederte das Mäd­chen in stiller, ungetrübter Freundlichkeit; "du weißt, es ist nichts, wenn man die Leute ohne Aufsicht läßt." "Es ist doch unerträglich," unterbrach heftig die Frau, "flehst du denn nicht, daß ich das Zimmer jezt nicht verlassen kann? was ist's denn, wenn die Wäscherin eine Weile allein ist! Du wirst ja nicht ewig aufzuhän­gen haben!" und nähte eifriger fort. Das Mädchen entgegnete sanft: ich wußte nicht, daß deine Arbeit so pressant sei," und entfernte sich. Die junge Frau aber murmelte: »wie widerwärtig, immer so ein altes Ge­schöpf um sich zu haben, das in ewig unveränderter Weise sich in den alltäglichen Geschäften bewegt und für alle Freuden des Lebens abgestumpft ist! wahrlich! mein Mann wäre mir schon dafür besondere Nachsicht schul­dig, daß ich so eine unangenehme Zugabe an seiner Schwester habe."

Der Widerwille der jungen Frau gegen das Mäd­chen rührte wohl daher, daß die stille, unermüdet treue Pflichterfüllung der Leztern oft einen stillen Tadel des leichten, flatterhaften Sinnes der jungen Frau enthielt oder von ihr dafür angesehen wurde und wenn nicht ihr Bruder, der Gatte der jungen Frau, dem unbe- wehrten Wesen mit warmer, kräftiger Liebe beige­standen und noch mehr, wenn sie nicht selbst mit so viel stiller Geduld alle Angriffe ihrer heftigen, reiz­baren Schwägerin ausgehalten hätte, wäre wohl das Verhältnis! zwischen ihnen ein sehr übles geworden.

Bald kamen die Offiziere zurück und die anziehende Unterhaltung entspann sich aufs Neue; auch ihr Gatte kam zurück, ohne sich ins Gespräch zu mischen. Am andern Morgen zogen die unwillkommenen Gäste ab, begleitet von Blicken, in denen Haß und Rachgier um so unverholener sich aussprachen,als sie sich auf andere Weise nicht äußern durften.

(Fortsezung folgt.)

Wegen -es Charfreitags er­scheint nächsten Samstag kein Blatt.

fMit einer Beilage.)

Redigirt, gedruckt und verlegt von C. Mech in Neuenbürg.