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auf seinem Antlitz milderte das Abstoßende seiner harten, finstern Züge. So oft er ein neues Blatt umwandte- zuckte er schmerzlich zusammen; endlich stüzte er das Haupt sorgenvoll auf den Arm und überließ sich seinem düstcrn Sinnen.
Der Schlag der Mittagsstunde weckte ihn aus seinen traurigen Betrachtungen. Hastig stand er auf und öffnete die Thüre des Comptoirs, wo eben die jungen Leute im Begriff waren, sich zu entfernen.
„Cornelis!" rief er mit tonloser Stimme, und der Gerufene, der treu bewährte alte Buchhalter des Hauses, trat ehrerbietig in das Kabinet. Der letzte der Schreiber verließ eben das Zimmer; — sie waren allein.
Eine Weile rang in sichtlicher Aufregung der alte Kaufherr nach einem Eingänge des Gesprächs
„Habt Ihr die Bilanz vom Ultimo gezogen, Cornelis ?" fragte er endlich wie vorhin und ohne den Blick vom Boden zu erheben.
„Ja, Mynheer!" antwortete der treue Diener mit einer Verbeugung und ging, von seinem Pulte ein zu- sammengcsaltetes Papier zu holen, welches er stumm dem Prinzipal überreichte.
Hastig riß dieser es zu sich und ließ sein Auge über die Zahlen hinglcitcn; vernichtet stürzte er auf den Stuhl zurück.
„Habt Ihr die Briefe von der heutigen Post gelesen?" fragte er nach einer langen Pause auf's neue.
„Ja, Mynheer," antwortete der Buchhalter trüben Blicks und in traurigem Tone.
„Nun, so kennt Ihr die ganze Tiefe des Abgrunds, vor dem ich stehe, fuhr Jener mit einem bittern Lächeln fort, „Robertson und Kompagnie in Liverpool haben ihre Zahlungen eingestellt, und wir sind mit achttausend Pfund bei der Maste bctheiligt, — die Ladung der „Sofia" ist zu Bordeaux wegen mangelnder Formalitäten bei der Deklaration mit Beschlag belegt worden, vom „Patriot" fehlen die Nachriüten ganz, obgleich er, wenn ihm kein Unglück zugestoßcn ist, schon längst cingetroffen sein müßte, meine Ziehungen finden keine Nehmer mehr, mein Kredit ist untergraben., — kurz ich bin rettungslos verloren!
Der Kaufherr bedeckte sein Gesicht mit den Händen, und eine neue Pause erfolgte.
„Und doch steht es noch gar nicht schlecht; Zeit gewonnen, Alles gewonnen!" ließ er sich nach einer Weile wieder vernehmen, „noch würde ich als ein ehrlicher Mann alle meine Verbindlichkeiten erfüllen können, aber ich soll achtzehntausend Gulden an van Schölten zahlen, und es ist kein Geld in Kassa, heute sind die Wechsel fällig, die er in Händen hat, und ist er auf der Bör<c nicht befriedigt, so steht mein ehrlicher Name am schwarzen Brette, und meine grauen Haare trifft die Schande des Bankerottst"
„Vielleicht läßt sich van Schalten zu einer Verlängerung der Respittage bewegen," warf schüchtern der Buchhalter ein, — „vielleicht. . ."
„Das wird er nicht, Cornelis!" fiel ihm der Andere heftig in die Rede; „ich weiß, daß ihm meine Lage hinlänglich bekannt ist, und e wird mit Freuden die
gute Gelegenheit zur Rache benuzen, dafür, daß der tolle Streich meines Fredcrik seine Tochter Jane lächerlich machte vor aller Welt! Nein, Cornelis," setzte er düster hinzu, „für mich gibt cs nur einen Trost, ich werde die Schmach nicht lange überleben!"
Hastig stand er auf, ergriff Stock und Hut, und reichte dem treuen Diener die Hand, der sich vergebens mühte, seine Thränen zu verbergen.
„Lebet wohl, Cornelis!" sagte er mit weicher Stimme, „ich muß jetzt zur Börse, es ist das letzte Mal! Habt Dank für Eure Treue, Ihr habt allein bei mir ausgehalteu, als mich meine Kinder verließen, der Willem zwar wohl gegen seinen Willen, als er nach seiner neuen Garnison abgehen mußte in Nordbrabant, aber mein Frederik ....
Er vollendete nicht, sondern fuhr sich mit der flachen Hand über die Augen. „Es hat so sein sollen!" murmelte er vor sich hin und mit unsicheren Schritten verließ er langsam das Zimmer.
Der Stolz des Kaufherrn war gebrochen, er drückte den Hut tief in die Augen und wich ängstlich jedem Bekannten aus, während er durch die Straßen wankte. Endlich gelangte er auf den „Damm," den freien Platz vor dem Starthause, wo währenddes Baues der neuen Börse, .innerhalb hölzerner Wände, die Notabeln der Amsterdamer Handclswelt sich versammelten. Mit größerer Seelenqual erblickte wohl kein Verbrecher, das für ihn aufgcrichtete Schaffst, als der unglückliche alte Mann den Ort der ihm bevorstehenden Entscheidung. Erschöpft lehnte er sich einen Augenblick an eine Ecke; doch gewaltsam riß er sich empor und trat mit klopfendem Herzen ein zu dem Orte, wo so lange sein Name mit Achtung genannt worden war.
Hier fand er Alles schon in voller Bewegung. In einzelnen Gruppen beisammcnstehcnd oder aus und niedergehend, verhandelten die Kaufleute ihre Geschäfte, und die Schaar der Mäkler drängte sich eilfertig durch das Gewühl. Plötzlich gewahrte er vor sich den Mann, in dessen Händen sein Schicksal ruhte; er blickte in van Scholiens Gesicht, und der höhnische Ausdruck, den er heute besonders darin wahrzunehmen glaubte, ließ sein Blut zu Eis erstarren. „In Gottes Namen denn!" murmelte er endlich leise zwischen den Zähnen, schon näherte er sich dem Feinde und öffnete den Mund zur Verkündung seiner Schmach, —da näherte sich ihm Jemand hinter seincm Rücken, drückte ihm schnell ein Papier in die Hand, aber wer schildert sein unbegränztes Staunen, als er beinahe willenlos, das Siegel gebrochen, — er hielt die in gehöriger Form von van Schölten quittirten Wechsel in seinen Händen!"
(Schluß folgt.)
Die Widersprüche dieser Welt.
Es gibt keinen Unglücklicheren, als manchen Glücklichen — keinen ärmeren Teufel, als manchen Reichen — keinen ruchloseren Bösewicht, als manchen Frömmler — keinen Thoren, als manchen Weisen — keine feigere Memme, als manchen Helden — keinen gemachteren Dummkopf, als manchen Gelehrten — keinen