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Miszellen.
Eins Wette.
Vor mehreren Jahren ging eine Familie aus England nach den Vereinigten Staaten und ließ sich auf Long-Island (deren Hauptstadt bekanntlich New-Jork ist) nieder, wo sie ein Gasthaus errichtete.
Unter dem mitgcbrachten Hausrathe befand sich auch eine Schlaguhr, welche der Familie mehr ihres Alters, als ihres wirklichen Wcrthes willen theuer war, obschon sie Jahr aus Jahr ein die Stunden mit der größten Pünktlichkeit angesagt hatte. Was könnte auch dem Auswanderer nach den Seinigen, nach seinem Hauswächtcr oder einem andern Lieblingsthiere theurer sein als die nie rastende Uhr, welche Ordnung in sein Leben bringt und die, ein immerwährender Kalender, ihm sein vergangenes Leben vergegenwärtigt?
Vor jenem Gasthause hielten eines Tages gegen die Dämmerung in einem prächtigen Phaeton, von einem herrlichen Braunen gezogen, ein paar muntere Jankers (wie die Nordamerikaner sich oft nennen) und bestellten ein ganz feines Abendessen, bei dem der Champagner nicht fehlen durfte. Gegen die Gewohnheit ihrer Landsleute, welche bei Tische nur die Kienladen, nicht die Zunge in Bewegung setzen, so daß an einer tadle ä'Kote in wenigen Minuten Berge von Fleisch verschlungen sind —woraus sie auch in Gesellschaft von Damen ihre Füße auf die Tafel legen oder hoch gegen die Wand stemmen, vielleicht weil man cs für die Verdauung höchst vortheilhaft gefunden — gegen alle Gewohnheit ihrer Landsleute also waren sie die Heiterkeit selbst, und ein Witz und ein Lachen folgte dem andern. Da hörten sie Plötzlich die lauten Schläge der Wanduhr, welche Zwölf schlug. Ein Gedanke schien in ihren Köpfen aufzutauchen, sic bestellten noch eine Flasche Champagner und sprachen ganz gegen die Gewohnheit dieses Weines leise mit einander, bis man sie um Ein Uhr zu Bette leuchtete.
Den andern Morgen waren sie bei guter Zeit auf, ließen einspannen und gingen in die Gaststube hinunter, um ihre Rechnung zu bezahlen. Nachdem dieses geschehen, fragte der Acltere den Buchhalter, ob er ihm nicht die alte Schlaguhr verkaufen wollte. Der junge Mann wußte nicht, was er antworten sollte; die alte Uhr schien ihm ein so elender Hausrath, daß sie nur als ein Erbstück einigen Werth haben konnte; wie konnte sie also ein solcher Herr nur kaufen wollen? Doch eben ging die Thür aus und der gutmüthige Wirth trat herein.
„Ich wünschte die alte Uhr oben zu kaufen! Wollen Sie sie verkaufen?" redete derselbe den Wirth an, welcher ebenfalls, über diese Frage erstaunt, auf die Ver- muthung kam, sie möchte die Eigenschaften von Martin Hapwoods Stuhl besitzen, der mit Dollars ausgestopft war, und unwillkürlich begaben sich alle Drei in das Zimmer, worin die Uhr stand.
„Die Sache iss," sagte der Jankee, „daß ich einst hundert Dollars mit einer solchen Uhr gewonnen habe." —„Hundert Dollars!" wiederholte der Wirth.— „Ja sehen Sie, in Jersey stand auch eine solche Uhr in einem Zimmer und da bot mir ein Kerl die Wette an, er wollte seinen Zeigefinger eine Stunde lang mit dem Perpendikel hin-und Herschwingen, indem er nichts sagte als: „Hierhin, dorthin." Aber er konnte es nicht, und cs dauerte nicht fünf Minuten, so mußte er zahlen." — „Nun, von mir lollten Sie nichts ziehen. Ich will mit Ihnen um fünfzig Dollars wetten und das gleich auf der Stelle." —„Es gilt!" rief der Jankee.
Eben schlug die Uhr Acht, und mit dem Rücken gegen den Tisch und die Thür, sprang der Wirth in einen Stuhl. „Hierhin, dorthin!" und seine Augen auf den Perpendikel geheftet, folgte sein Finger der krummen Linie, welche er beschrieb. Die Jankers hinter ihm ricftn: „Wo ist das Geld? Heraus mit dem Gelde!" — Aber der Wirth war auf diese Weise nicht irre zu machen. Während der Finger seiner Rechten langsam und sicher mit dem Perpendikel ging, zog er mit der Linken seinen Beutel aus der Tasche und warf ihn auf den Tisch. Alles wap still, bis endlich der eine Jankee ihm zurief: „Soll ich das Geld in die Hände des Buchhalters niederlegen?" — „Hierhin, dorthin!" war die einzige Antwort.
Einer der Jankee's verließ das Zimmer. Der Wirth hörte ihn hinuntergehen, aber er ließ sich durch diesen Streich nicht stören. Sogleich trat der Buchhalter herein und klopfte ihm leise auf die Schulter. „Herr B., sind Sie von Sinnen? Was machen Sie?" — „Hierhin, dorthin!" antwortete er und sein Zeigfinger bewegte sich wie vorher. Der Buchhalter flog die Treppe hinunter und bat einen Nachbar mit hinaufzukommen. Dieser ergriff ihn sanft beim Kragen und sagte in bittendem Tone: „Herr B., sitzen Sie doch nicht hier. Kommen Sie hinunter. Sind Sie denn behext, daß Sie so dafitzen?" — „Hierhin, dorthin!" war die einzige Antwort, die er mit einer feierlichen Miene ugd der langsamen Bewegung des Fingers 'gab.
„Er ist verrückt geworden;" sagte der Freund ganz leise. „Wir müssen nach dem Doktor schicken. Der Wirth ließ sich nicht irren, und sollte die ganze Stadt herbei- gelaufen kommen, er war entschlossen, sich nicht unterbrechen zu lassen. „Sie sollten lieber seine Frau Heraufrufen," fügte der Freund hinzu. — „Hierhin, dorthin!" wiederholte der Wirth, und seine Hand bewegte sich unaufhörlich. In einer Minute trat seine Frau voller Seelenangst herein. „Mein Lieber," sagte sie mit sanfter Stimme, „sieh mich an. Es ist Deine Frau, welche mit Dir spricht. —„Hierhin, dorthin!" und seine Hand fuhr fort, sich zu bewegen. Er glaubte, seine Frau hätte sich auch gegen ihn verschworen, um seine Wette zu verlieren. „Mein Lieber," fuhr sie unter Thrä- ncn fort, „soll ich Deinen Sohn hereinkommen lassen?" Sie wußte, wie sehr er ihn liebte-—„Hierhin, dort-