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sollte man im Hellen, warmen Sonnenscheine unter voll- belaubten, oder blühenden Bäumen in der srühlings- grünen Umgebung des alten Lübeck lustwandeln!-

Besonders fröhlich ging es am Dienstag Mittag zu an der glänzenden Table d'hote. Da sah man Unifor­men, Ordenssterne in Menge. Unermeßlich reiche rus­sische Fürsten und Edelleute, die zur Krönung der Kö­nigin Victoria nach England reisten. Alle Sprachen des gebildeten Europas tönten durch einander in den Krei­sen der hohen Diplomaten, der reichen Kaufleute und Fabrikanten, der Curricre mit wichtigen Depeschen, der angesehenen Vergnugensreiienden und vornehmen Aben­teurer und Gelehrten! Selbst die Frauen und Kinder (es fehlte sogar nicht an Jungfrauen angesehenen Stan­des ohne männliche Begleitung in dieser noblen Ge­sellschaft) hatten den leichten Anflug von Seekrankheit überwunden und scherzten, wie zu Hause, mit Verwand­ten und Bekannten. Champagnerpfropsen flogen, und Scherz und Laune erfüllten die gesellige Unterhaltung. So ging cs fort, als Alles nach Tische auf dem Ver­decke lustwandelte. Aber das Schiff ging nicht mehr so ruhig vorwärts; ein heftiger Windsczt aus Südwest klapperte in dem Tauwerk und strich über das Schiff, daß Alle sich fester in ihre Mäntel wickelten und na­mentlich die Frauen (auch von dem jezt auf das Verdeck nkederwirbelnden Dampfe belästigt) zogen sich in die Kajüte zurück. Die laut stampfende See hatte eine un­heimlich dunkelgraue Farbe angenommen, und warf von Zeit zu Zeit hohe Schaumwellen über das Seitenbord des Schiffes. Auf manchem bleichen, trübseligen Gesichte zeigten sich die Spuren der mit doppelter Gewalt wic- derkehrendcn Seekrankheit. Der Kapitän bemerkte, daß man wohl zwölf Stunden später aukommen würde, und vcranlaßte gegen Abend den größten Theil der Passa­giere sich in die Kajüten zurückzuzichen, um nicht das Treiben der Schiffsmannschaft zu behindern. Wir thun nun einen Blick in's Innere des Schiffes.

So sehr hier Alles angewandt ist, die Einrichtung bequem und glänzend herzustellen, so ist doch jede Nacht auf dem Schiffe, die man nicht im Freien verbringt, mehr oder weniger schrecklich, bis lange Gewohnheit diese engen Schlafstellen, diesen penetranten Geruch, diese dumpfe Luft, diese Nähe der wenige Zoll vom Ohre gegen die Schiffswand pochenden Wogen erträg­lich macht. Und auf einem Dampfschiffe finden diese Unannehmlichkeiten alle in noch höherem Grade Statt, sowohl wegen der großen Menschenmenge, die hier zu- sammcngedrängt ist, als auch wegen der Hize und we­gen des Getöses, die von der Maschinerie ausgehen. Aber alles dieses ist auf Dampfschiffen leicht zu ertragen, weil es so kurze Zeit währt.

So hatten auch von unserer Reisegesellschaft viele gar nicht, die meisten nur zu unruhigen Träumen die Au­gen in dieser Nacht geschloffen, und als man am Mitt­woch jn der Früh aus das Verdeck kam, da war der widrige Südwestwind nur noch stärker geworden, ja

er steigerte sich gegen Abend bis zum Sturme. Aber man blieb guten Muthes, denn näher und näher kam das Ziel. In der Früh hatte man sich der Insel Rügen genähert, um dort die Post adzugeben. Das war schon ein großer Trost, als man die ersehnte deutsche Küste so nahe vor Augen hatte, daß man die Kreidefelsen der Stubbenkammer, ja selbst die schon herrlich grünen, den Wiesen und Wälder und die Dörfer im Innern der Insel sehen konnte. Ueberdies ließ der Kapitän am Nachmittage eilf Reisewagen und alles größere Gepäck, das sich dis dahin im Schiffsraum befand, auf's Ver­deck bringen. Schon für die nächste Nacht versprach er Ruhe in den weichen Betten der guten Travemünder Gasthöfe, denn um 2 Uhr würde man ankommen. Auf die Worte eines anerkannt guten Kapitäns hört der Pas­sagier, wie ein Orakel. So brach wieder die Nacht ein. Es war eilf Uhr. Die Frauen und Kinder lagen, beim Anblick des Landes von der ermatteten Seekrankheit befreit, in ihren abgesonderten Nebenkajütcn im tiefen Schlummer. Die Männer hatten sich einestheils auch in ihre Schlafstätten an den Wänden der Hauptkajüte begeben, anderntheils saßen sie in derselben, leise plau- dcrnd, bei Wein und Spiel. Ein dritter Theil stand, troz des ungünstigen Wetters, auf dem Verdecke, denn von fern strahlte schon (ein sicherer Bürge baldiger An­kunft) der Leuchtthurm von Travemünde!

Auch der Kapitän saß unten in der Kajüte, die Pen- dule hatte eben Eins geschlagen, da-ein unheim­liches Treiben und Laufen auf dem Verdecke,ein Passagier stürzt bleich herein:Man habe soeben die Windbeutel der Dampfmaschine brennend über Bord geworfen!"und:Feuer! Feuer! Feuer!" schrie's gellend durchs ganze Schiff von al­ten und jungen, männlichen und weiblichen Stimmen. Alles eilte aus den Betten aufs Verdeck! Schon wir­belte dicker Rauch und ein Meer sprühender Funken aus der Herzkammer herauf. Alles wollte sich retten, flüchten,

doch wohin?-Noch zwei Stunden brauchte das

rasche Dampfschiff bis zur Küste, und, vom Sturme aufgewühlt, brandeten mit dumpfem Tosen die dunklen Wogen des empörten Meeres um das Schiff! Dort lagen einige auf den Kniecn und beteten und rangen die Hände mit vcrzweiflungsvoller Inbrunst. Andere, alle Hoffnung zur Rettung ausgcbcnd, konnten nur mit Mühe zurückgehalten werden, daß sie sich nicht in's Meer, oder in die Flammen stürzten, schnellen Tod der langen Todesqual vorziehend. Kinder, Frauen und Jungfrauen, auferzogen mit aller Sorgfalt der höheren Stände, standen halb nackt auf dem glühenden Schiffsboden, umbraust vom wilden, erstarrenden Meeressturme. Sie klammerten sich hülseflehend an ihre Väter, Gatten, Brüder, die, selbst nur durch das Bild ihres unver­meidlichen Todes vor Augen sehend, in die gräßlich näher und näher rückende Flamme starrten. Und o, Entsezen! das Schiff ging unverkennbar lang­samer. Der Maschinenmeister hatte nämlich die Dampf-