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Miszellen.
Der Phrenolog
(pkrevqloxie. Die Schädellehre.)
Clara saß am Piano und ließ eben die lezten Accorde verhallen, als Leyden mit frohlockender Miene ohne anzuklopfen eintrat, (und dieses Recht besaß nur er), und in sprachloser Freude dem lieblichen Mädchen zu Füßen sank, indem er ihr vor den Augen ein beschriebenes Blatt Papier mit gehörig unleserlichen Zügen und obligatem Amts-Groß-Jnsiegcl entfaltete.
„Wie," rief Clara freudig überrascht, „das Diplom? darf man gratuliren, Herr Doktor? lieber Leyden, darf ich hoffen?"
„Ja, Clärchen, entgegnete Leyden aufspringend, „ich habe dieses Ziel erreicht, und nun bleibst du mir noch zu erringen. Aber nenne mich nicht Doktor, du könntest dir dabei einen alten, lebensmüden Grübler vorstellen, der theilnahmlos und unempfänglich für alles Schöne und also auch für dich keine Leidenschaft und keinen Wunsch hat, als die Befriedigung seiner Selbstsucht. Und ich will ein junger Priester Aeskulaps vor dir erscheinen. Nenne mich also mit dem Namen, den mir deine Liebe gibt. Doch höre: Wie steht ihr mit dem Fremden? Es wäre schrecklich, wenn dein Vater dich wirklich zwänge, jenem Menschen anzugehören; denn wie sehr seine glatten Manieren und seine bescheidenen Prahlereien auch Alle bestechen und blenden mögen, ich sage dir doch aufrichtig, daß ich dich lieber in den Armendes Todes, als in seinen wünschen möchte. Weiß ich auch nichts von seiner Herkunft, seinem Stande und seinen Verhältnißcn, aber ich kann nichts Gutes von ihm denken, und ich habe ihn oft und genau beobachtet, seitdem ihn dein Vater in seiner Gunst so hoch gestellt hat, daß er ihn nächstens für seinen Schwiegersohn öffentlich erklären würde, wenn nicht deine Einwilligung noch fehlte."
„Nimmermehr geb' ich sie, versezte Clara mit Entschlossenheit, «und wenn auch dem Vater dein jeziger Stand und deine Stellung noch zu ungenügend wären, um ihm die sanguinischen Erwartungen für den E n- dringling zu ersezen, so wird er mich doch nie überreden können, daß mein Herz ein Opfer der Kindespflicht, oder vielmehr seiner unbegreiflichen Verblendung werden müsse."
„Beruhige dich, meineTheure," sagte Leyden, „ich hoffe dein Vater wird nicht so unvorsichtig in Ausübung ernstlicher Schritte seyn, als er in der Vertheilung seiner Gunst ist. Vielleicht ist mir als Arzt Vorbehalten, ihm irgend einen erheblichen Dienst zu erweisen und ihn mir zu Dank zu verpflichten; wäre es auch —als
Seelenarzt und —auf Kosten seines Favoriten."
„Wir haben heute Gesellschaft zu Abend, du wirst doch nicht fehlen?" crwiederte Clara ihn sanft umschlingend; „sprich mit ihm und laß mich das Beste vernehmen."
„Und mit wehmüthigcm Lächeln entwand sich das Mädchen seinen Armen und schwebte wie auf geflügelter Ferse an das Piano, wo sie sich oft so gerne den kindischen Träumereien einsamer Stunden hingab.
Es kann nicht leicht ein leidenschaftlicheres und doch edles Gemüth geben, als Leydens. Immer durchdrungen von dem Gegenstände, den er besprach, ließ er seine Aufmerksamkeit durch keine Nebendinge zerstreuen, oder sie von dem einmal begonnenen ablenken.
Als Arzt war er ein treuer Anhänger des Gall-uud Spurzheim'schen Systems und wenn von seiner Lieb- lingswiffcnschaft, der Schädellehre, die Rede war, und es hierin nun gar auf Untersuchungen ankam, die er, obwohl ein Mann von 30 Jahren und lebhaft, nie zu ungeduldig oder unbesonnen war, zu vollführen, dann leuchtete sein Auge, seine Stimme wurde leidenschaftlich, seine Pulse schlugen sichtlich höher und jeder andere Gegenstand war in dem Momente für ihn todt. Seine Anschauungsweise hiebei war Seelenstudium!
Baron Hartmann, Claras Vater, nannte ihn gerne den Phrenologen, auch in der heutigen Societe siel die Conversation auf diese interessante Wissenschaft. Es war ein heiterer Sommerabend, der seine wohlthätigen Einflüsse auch auf den behaglich versammelten Zirkel zu verbreiten schien. An einer reichbesezten Tafel ließen die Freunde des Barons zu Preis und auf Kosten seines Kellers köstlichen Johannisberger und Laffite rc. kreisen, und auch der Phrenolog und sein Lieblingsthema wurden von den fröhlichen Zungen munter gehandhabt.
Leyden, hingerissen vom Enthusiasmus für seine Sache, fieng an, ohne viel Complimente seine Beweise an den Köpfen der anwesenden Gäste zu versuchen. Mit salbungsvoller AufmerWmkcit befühlte er die Kopferhöhungen und Beulen, indem er versicherte, dies seien untrügliche Anzeichen für den Charakter und die Ge- müthsart eines Menschen.
Jeder ließ sich zum Scherze gerne beurtheilen, Manchen ärgerte insgeheim die Wahrheit, die zuweilen ausgesprochen, mit seinem Bewußtsepn zusammentraf.
(Fortsezung folgt.)
Auflösung des Räthsels in Nro. 74.
IIn urt. Unart.
Redigirt gedruckt und verlegt von C. Meeh in Neuenbürg.