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Du chm andächtig aufhorchen wirst. Werde nicht zu bald müde, denn er ist freigebig mit guten Rathschlägen und rächet Dir durchgängig besser als sich selbst; gewiß der Mann ist un- eigenniizig. Betrachte ihn genau; er hält et­was auf sich und auf äußern Anstand; seine Kleidung ist sauber, wenn gleich nicht immer ganz reinlich bisweilen sein Rock etwas faden­scheinig; aber bei festlichen Gelegenheiten hängt er eine goldene Kette mit Petschaften über den Bauch, er wünscht für einen ehrbaren Mann zu gelten. Er ist allseitig bekannt und gekannt, hat viel Erfahrung und Wissenschaft und ein seltenes Talent mit umfassendem Scharfsinn ge­rade das zu beurtheilen was er am wenigsten Versteht. Sprich mit ihm über was Du willst, etwa von geschehenen Dingen längst hat er ein ähnliches oder gerade dieses Resultat vor­ausgesagt, oder aber in irgend einer Weise selbsttätig in den Gang der Ereignisse einge- grissen. Dir schenkt er sein Zutrauen; freilich etwas bald, mit liebenswürdiger Offenheit sezt er Dir nach 2 3 Stunden allerhand auseinander, was nicht Jedermann wissen darf; gewisse Verhältnisse in Stadt und Amt, gewisse Familien Beziehungen', worunter auch seine eigenen mit Begeisterung bei den Lichtseiten verweilend; mit ächt christlicher Liebe gewisse Schattenseiten bedeckend. Sein Haushalt wenn Du ihn hörst ist geordnet, seine Tocht­er sittsam und still, immerhin sorgfältiger erzog­en und verständiger, als alle übrigen; sein Gesinde treu die Folge strenger Aufsicht fleissig und anständig die Folge des gegeben­en Beispiels; die Bücher, die Rechnungen in Ordnung.

Sonntags bemerkst Du ihn unter den Ersten in der Kirche; schweigsam hört er der Predigt zu; bisweilen verzieht er sarkastisch den linken Mundwinkel zum Beweis daß ihm die feineren Wendungen des Vortrags nicht entgangen sind; gewissenhaft giebt er Dir nachher seine frommen Reflexionen Preis; gewisse Stellen meint er Du werdest es bemerkt haben seyen ganz besonders auf seine Person berechnet gewesen. Er ist ein guter Christ, aber ein böser Schuldner; besuche ihn in einer Geldangelegen­heit. Er hat gegenwärtig große Ausgaben, aber verwendet seine Gelder stets auf's zweck- mäsigste; an seiner Person geht es aus, seine Familie! den Ehrenpfennig!

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Du wirst zudringlicher, im Augenblick hat er zufällig gerade kein Geld aber in nächstkommender Woche eine Abrechnung mit dem Ochsenwirth in A oder von Mittwoch über 14. Tage gleich nach Tisch cs wird nicht fehlen. Gelegentlich erfährst Du daß Du eine vortreffliche Frau und ein gutes Geschäft hast, aber in Verbindung mit der wohlmeinenden Warnung auf deiner Hut zu sein dieser oder jener Brodneid ernstliche Feindseligkeiten ein wahrer Komplott mehr darf Dein vortrefflich­er Freund für heute nicht sagen und unversehens bist Du zur Thüre hinausbekomplimeutirt die Treppe hinab auf die Strasse und mit einer lezten sezt etwas kälteren Verbeugung ent­lassen. Der Mann ist höflich, und ohne allen Widerspruchsgeist; es liegt ganz in Deiner Wüllkühr, ihn bald so, bald anders reden zu lassen. Behaupte kek, tiefer oder jener Ge­schäftsmann, Beamte, Arzt oder Kaufmann sey ein Betrüger, ein Ignorant, ein schlechter Haushälter; er widerspricht Dir nicht; er nickt Dir zu; darf nicht alles sagen; weiß aber selbst nicht recht, kann nicht recht begreifen, in diesem oder jenem Fall; bei dieser oder jener Verhandlung, er kann die Verblendung, die Leichtgläubigkeit der Leute nicht fassen, re. freilich hat er gestern den Einen bis zum Himmel erhoben und will morgen den Andern als seinen vertrautesten Freund zum veHeüuer bei sich sehen, aber dieß gehört jezt gerade nicht hieher.

Einmal in Deinem Leben lobt er Dich gewiß freue Dich er ist nicht sparsam in seinen Lobeserhebungen der Mann hat ein gefühl­volles Herz. Suche ihn zu gewinnen und laß ihn so spät als möglich von Dir; er genießt große Popularität. Zwar ist er von vielen gehaßt und von Allen verachtet aber er weiß den Anfang und das Ende aller Dinge; er spricht gut, und sehr viel von Personen zu­mal von abwesenden; theils mit Ansehen und Würde, wo es der Augenblick fordert, theils und zwar ganz nach der Beschaffenheit des Auditoriums mit ewas frivolem Wiz und sar­kastischer Laune und besizt Selbstverläugnung genug an einer lebhaft belächelten Erzählung, oder einem Wortspiel zu lieb, seine eigene Ehre mit derselben Gleichgültigkeit zu behandeln wie die aller Anderen. Oeffentlichkeit und Münd­lichkeit Gewiß der Mann ist liebenswürdig und heutigen Tags unentbehrlich.

on C. Me eh in Neuenbürg.