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Nr. 215
Donnerstag, den 15. September 1927
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101. Jahrgang
Die Abrüstungspolitik Deutschlands
Notwendige Feststellungen des Grafen Bernstorsf
TU. Genf, 18. Sept. Reichstagsabg. Graf Vernstorff, der Deutschland bereits in der vorbereitenden Abrüstungs- kommission vertreten hat, ergriff gestern in dem Abrüstungsausschuß der Völkcrbundsversammlung das Wort zu einer Erklärung, in der er den deutschen Standpunkt in der Ab- rüstnngsfrage zitierte. Der/Redner hob zunächst hervor, daß Deutschland jede Regelung der Abrüstungsfragc an- nehmen werde, wenn nur überhaupt die Abrüstung zur Durchführung gelange. Er beabsichtige nicht als Vertreter eines bereits abgerüsteten Landes im Nahmen der Generaldebatte, die nur prinzipielle Fragen behandele, für die Abrüstung der anderen Länder Einzelvorschläge zu machen. Es erscheine ihm jedoch erforderlich, im Hinblick auf die Debatte der letzten Tage auf die historische Entwicklung des B e g r i f fs „S i ch e r h e i t" im Laufe der letzten zehn Jahre hinzuweiscn. Die Note, die Clemenceau im Namen der alliierten und associierten Mächte am 16. Juni 1919 Deutschland übergeben habe, enthalte eine authentische Interpretation dieses Begriffes. In der Note heißt es, daß die Entwaffnung Deutschlands den ersten Schritt zu der allgemeinen Herabsetzung und Beschränkung der Rüstungen darstclle, die die alliierten und associierten Mächte als eins der wesentlichsten Mittel zur Verhütung des Krieges durchzuführen suchten. Die Herabsetzung und Beschränkung der Rüstungen sei eine der Absichten des Völkerbundes.
Graf Vernstorff wies sodann auf die Ausführungen Paul Loncours hin, in denen der Gedanke der Abrüstung durch Sicherheit zum Ausdruck gekommen sei. Demgegenüber stellte Graf Vernstorff die Formulierung „Sicherheit durch Schiedsgericht und Abrüstung". Die Vollversammlung von 1926 habe die Sicherheit für hinreichend garantiert angesehen, um bereits !m Jahre 1927 eine Abrüstungskonferenz einbernfen zu können. Der holländische Delegierte Laudon, der Borfitzende der vorbereitenden Abrüstnngskommission, habe erklärt, die Sicherheit sei inzwischen noch gewachsen. Es sei nicht verständlich, warum nunmehr die Sicherheit wieder als »«genügend angesehen werden solle. Die Sicherheit schreite fort, doch ihr sei bisher nicht die Abrüstung gefolgt. Während die Sicherheit in der letzten Zeit große Fortschritte ge
macht habe, zeige de: AbrüstuugSged-nke seit dem Versailler Friedensvertrag nicht den geringsten Fortschritt.
Der klare Wortlaut des Abs. 6 des Art. 8 des Völkerbundspaktes verlange ferner die volle Publizität des materiellen Rüstungsstandes der Länder. Dieser Absatz sei bisher niemals durchgeführt worden. Graf Vernstorff betonte sodann, in der öffentlichen Meinung aller Völker werde die Formulierung der Sicherheit lediglich als eine Terminologie aufgesaßt, um hinter ihr den Aufschub der Abrüstung verbergen zu können. Man müsse jetzt der Welt zeigen, daß man wirklich ehrlich abrüsten wolle. Der Redner erklärte dann mit dem Antrag des polnischen Delegierten in der nunmehr vorliegenden Form einverstanden zu sein. Er hob hervor, es sei nicht verständlich, aus welchem Grunde der Zusammentritt der vorbereitenden Abrüstungskonferenz verschoben werden solle. Der Gedanke der Sicherheit müsse selbstverständlich auch von der vorbereitenden Abrüstungskommission erörtert werden, nicht durch Verschiebung, sondern allein durch Beschleunigung der Abrüstungsarbeiten könne man vorwärts kommen. Graf Vernstorff schloß mit den Worten: In den Debatten der letzten Tage ist die Trilogie aufgestellt: Warten, hoffen, handeln. Wir fordern jedoch vor allem das Handeln im Interesse des Paktes und der Menschheit.
Die Ausführungen Graf Bernstorffs wurden von der Versammlung mit langanhaltendem Beifall ausgenommen.
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Um die Konferenz der Locarnomächte
Chamberlain wünscht eine Locarno-Besprechung?
Genf, 18. Sept. Von der englischen Delegation wurde gestern mittag mitgeteilt, daß Chamberlain, der am Samstag nach Cannes abzurcisen beabsichtigt, „hoffe", vor Verlassen Genfs noch eine Konferenz der Vertreter der Rhein- paktmüchte zustandezubringen. Er verhandelt hierüber gegenwärtig mit dem französischen Außenminister.
Stresemann bei Chamberlain.
TN. Berlin, 18. Sept. Den Morgenblättern zufolge hat Chamberlain gestern zum Frühstück den Besuch Strese- mannS, Briands und Vanderveldes empfangen. Dem Vernehmen nach Hat man sich über die Frage der Ratswahlen unterhalte».
Tages-Spiegel
Graf Bernstorsf entwickelte gestern den deutschen Standr pnnkt in -er Abrüstungsfragc.
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Der norwegische Delegierte Frithjos Nansen legte in der Abrüstnngskommission einen neuen Schiedsgerichtseut- wnrf vor.
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Die deutsch-litauische« Besprechungen werden wegen der Abreise Woldemaras nach Rom erst Ende des Monats in Berlin fortgeführt.
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Der Acltesteurat des Reichstags hat seine Beratung über die Herbstsitzung auf heute vertagt.
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Vor Swinemttnde fand gestern die Parade der Reichs» mariue vor Hindenbnrg statt.
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Die Arbeitsmarktlage in der zweiten Septemberwochc hat sich nach dem Bericht -er LandesarbeitsSmter weiter gebessert.
1. Streitigkeiten über die Interpretation von internationalen Verträgen.
2. Streitigkeiten über die von einem Staate übernommenen Entschädigungsverpflichtungen.
3. Festsetzung der Höhe dieser Entschädigungsverpflich- tungen.
4. Die Streitigkeiten über die Auslegung von Bestimmungen des internationalen Rechts.
Die Generaldebatte über die Abrüstung.
Im weiteren Verlauf der Generaldebatte über die Abrüstungsfrage im Abrüstungsausschuß des Völkerbundes sprach sich der italienische Delegierte für den polnischen Rc- solutionscntwurf in der vorliegenden Form aus, während der griechische Delegierte betonte, daß der polnische Antrag von der vorbereitenden Abrüstungskommission behandelt werden müsse, die sich überhaupt mit dem Gedanken der Sicherheit eingehend zu beschäftigen haben werde. Daraus! sprach der Unterstaatssekretär im englischen KricgSministe- rium, Lord Onslow, der sich gegen die Erklärungen Paul Boncours wandte und betonte, daß in den allgemeinen Fragen der Abrüstung bereits eine Einigung erzielt sei. Es müsse gegenwärtig ein Fortschritt in der moralischen Abrüstung festgestellt werden. Je mehr man die Dinge studiere, desto mehr sehe man die Schwierigkeiten, die in den Verhältnissen der einzelnen Länder begründet seien. England b.efinöe sich bereits auf dem Wege der Abrüstung und sei entschlossen, die übernommenen Abrüstungsverpflichtungen durchzuführen und die Abrüstungsfrage zu einem Erfolg zu führen. England sei ferner bereit, die Kontrolle der privaten und staatlichen Waffenherstellung in Erwägung zn ziehen. Lord Onslow betonte sodann, England könne den bisher vernommenen Verpflichtungen keine neuen hinzufügen. _
Noch kein Termin für den Reichsiagsbeginn
TU. Berlin, 18. Sept. Der Aeltestenrat des Reichstages trat gestern zu der angckündigten Sitzung zusammen, um über den Vorschlag des Präsidenten LöVe, die Zwischentagung am 3. Oktober beginnen zu lassen, zu beraten. Der Reichskanzler hatte jedoch dem Präsidenten mitgeteilt, daß bis zu diesem Termin weder das Neichsschulgesetz noch das Liquibationsschädengesetz, noch die Besol-ungs- ordnnng soweit gediehen seien, daß diese Vorlagen vor den Reichstag kommen könnten.
Mit Sicherheit würden die drei Gesetze erst für den 17. Oktober für die Reichstagsberatungen fertiggestellt sein. Abg. v. Gnerard sZtr.) erklärte, daß er bei dieser neuen überraschenden Sachlage sich an den weiteren Beratungen des Aeltcstcnansschusses nicht mehr beteiligen könne, vielmehr zunächst den Vorstand seiner Fraktion befragen werde. Er schlug deshalb Vertagung des Aeltestenrates auf Donnerstag vor. Reichsinnenminister v. Keudel legte dar, daß die Beratungen des Reichsrates über das Neichsschulgesetz längere Zeit in Anspruch nehmen müßte», und zwar wegen der preußischen Anträge und auch wegen der Fristen, die die übrigen Ländcrregierungen mit Ausnahme von Bayern für ihre Stellungnahme zu diesen Anträgen verlangt hätten. Die Abgeordneten Dittmann (Soz.) und Graf Westarp sDntl.i schlossen sich dem Antrag auf Vertagung au. Der Ncltcsten- rat vertagte hierauf die Beschlußfassung über den Wiedcr- zusammentritt des Reichstags auf heute nachmittag.
Ein neuer Schiedsgerichtsentwurf
Ein Vorschlag Nansens zum Schiedsgerichtsproblem
TU Genf, 16. Sept. In der gestrigen Nachmittagssitzung des Abrüstungsausschusses des Völkerbundes legte der erste Delegierte Norwegens Frithjof Nausen den Entwurf einer internationalen Konvention für die obligatorische schieds- »erichtliche Regelung von Streitigkeiten vor, der folgende Bestimmungen vorsteht:
1. Die Signatarstaaten verpflichten sich, bei allen zwischen ihnen bestehenden Streitfragen für den Fall, daß eine Einigung auf dem Wege der üblichen diplomatischen Mittel ider auf dem Wege gerichtlicher Entscheidung innerhalb :ines normalen Zeitraumes nicht erzielt werden kann, sich »er folgenden schiedsgerichtlichen Regelung zu unterwerfen.
2. Bei allen juristischen Streitfragen einschließlich der- lenigen, die sich auf die gegenseitige Rechtslage der beiden streitenden Staaten beziehen, sowie insbesondere bei den in Artikel 36 Abs. 2 des Statuts des Haager Internationalen Lchiedsgerichtshvses angesührten Fragen erkennen die Sig- iiatarstaaten die Zuständigkeit des Haager Schtedögerichts- hoses als obligatorisch an. und zwar ipso facto und ohne besondere Uebereinkunft. In denjenigen Fragen, wo cs zweifelhaft ist, ob es sich um Differenzen über die gegenseitige Rechtslage handelt, oder bei der Kategorie derjenigen Fragen, die in Artikel 36 Abs. 2 des Statutes des Haager Schieösgerichtshofs erwähnt sind, soll dieser SchiedSgerichts- hvf selbst entscheiden.
3. In allen denjenigen Streitfragen, die nicht unter die rbengenannte Regelung fallen und in denjenigen, wo eine Uebereinkunft durch eine Intervention des Bölkcrbnndsrats »uf Grund von Artikel 18 des Statutes nicht erreicht werden kann, kommen die Signatarmächie überein, sich folgendem Verfahren zu unterwerfen:
a) die Streitfrage wird einem Komitee von Schiedsrichtern unterworfen, das auf Grund gegenseitiger Uebereinkunft zwischen den beiden Parteien gebildet wird,'
b) falls die beiden streitenden Parteien nicht zu einer Uebereinkunft über die Zahl, die Personen und Machtbefugnisse der Schiedsrichter oder über das schiedsgerichtliche Verfahren kommen, kann der Völkerbund selbst auf Grund eines Mehrheitsbeschlusses das Schiedsrichterkomitee bilden und die Fragen festlegen, über die das Komitee entscheiden soll:
c) die streitenden Parteien verpflichten sich, innerhalb eines bestimmten Zeitraumes die Entscheidung des schiedsgerichtlichen Komitees anzunehmen und im Laufe einer Zeit von sechs Monaten loyal durchzuführen.
4. Diese Konvention berührt in keiner Weise die Rechte und Verpflichtungen der Signatarstaaten, sowie andere schiedsgerichtliche Konventionen, die bereits bestehen oder in Zukunft eingegangcn werden.
In der Begründung zu diesem Entwurf wies Nansen darauf hin, daß eine internationale Konvention über die schiedsgerichtliche Regelung von Streitfragen die Durchführung der Abrüstung erheblich erleichtern würde. Die Abrüstung sei jedoch auch auf Grund des Völkcrbnndspaktes durchführbar. Der Stand der gegenwärtigen Rüstungen in Europa sei noch außerordentlich hoch. Die Militärbudgets in Europa betrügen gegenwärtig insgesamt 19 Milliarden Gvldfranken. Sie entsprächen beinahe dem Niveau der Nü- stungsausgabcn von 1914. Die von ihm vorgeschlagene schiedsrichterliche Regelung könnte ans dem Wege der Abrüstung einen Schritt vorwärts bedeuten.
Der in dem Kvnventionsentmurf Frithjof Nansens erwähnte Artikel 36 Abs. 2 des Statuts des Haager Schieds- gcrichtshofes umfaßt folgende Streitfragen, für die nach dem Konventionsentwurf in Zukunft der Haager Schiedsgerichts- Hof ausschl. zur endgültigen Regelung zuständig sein soll.