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Tierbesitzer zu eröffnen, und ist der gesamte Bestand an Wiederkäuern und Schweinen im verseuchten Ge­höft zu erheben und an das Oberamt und den Oberamtstierarzt anzuzeigen.

Weiter ist sofort zu erheben und mit der Vor­lage der Seuchenanzeige an das Oberamt zu berichten, ob und wohin innerhalb der letzten fünf Tage Wieder­käuer und Schweine aus den verseuchten Gehöften, Herden oder Weiden ausgeführt worden sind. Zugleich ist anzuzeigen, ob die Schutzmaßregeln dem Viehbesitzer zur Nachachtung eröffnet und durchgeführt sind.

3. Wenn der Verdacht vorliegt, daß Seuchen­fälle verheimlicht werden, so ist dies sofort dem Oberamt anzuzeigen.

3. Von dem erstmaligen Ausbruch der Seuche hat der Ortsvorsteher nach deren Feststellung sofort die Polizeibehörden aller dem Seuchsnort benachbarten Gemeinden auf mündlichem oder schriftlichem Weg, wo thunlich unter Benützung des Telegraphen oder des Telephons zu benachrichtigen, welche ihrerseits den Seuchenausbruch zur Kenntnis der Ortsemwohner zu bringen haben.

4. Die zur Bekämpfung der Seuche getroffenen allgemeinen Maßregeln sind in den beteiligten Ge­meinden in ortsüblicher Weise zur Kenntnis zu bringen, wobei darauf hinzuweisen ist, daß eine Zuwiderhandlung gegen die ergangenen Anordnungen, sowie die Unter­lassung oder Verspätung der Anzeige von Seuchen­ausbrüchen nicht nur Bestrafung, sondern auch den Verlust der Entschädigung für an Maul- und Klauen­seuche gefallenes Rindvieh nach sich ziehe.

5. In den von der Seuche betroffenen Ge­meinden sind auf Kosten der Gemeinde die erforder­lichen Desinfektionsmittel, insbesondere frisch gelöschter Kalk anzuschaffen. Dabei wird dringend empfohlen, die Dunglegen und Jauchenbehälter der Seuchen­gehöfte mit dem genannten Mittel täglich durch eine von der Gemeinde hiezu aufgestellte Person, welche kein Vieh besitzen darf, desinfizieren zu lassen. Die Besitzer der Seuchengehöfte sind anzuhalten, dafür zu sorgen, daß keine Abläufe von Dunglegen und Jauchen­behältern auf öffentliche Straßen und Wege oder Orte, welche von fremdem Klauenvieh betreten wsr-

-den, gelangen.

6. Im klebrigen wird auf das bei jedem erst­maligen Ausbruch der Seuche in einer Gemeinde er­gehende oberamtliche Ausschreiben zur genauen Nach­achtung verwiesen und die bestimmte Erwartung aus­gesprochen, daß die Vorschriften der Bundesrats­instruktion ZZ 5769 (Reichsgesetzblatt von 1895, S. 371) strengstens zur Durchführung gebracht werden.

Calw, den 8. Febr. 1896.

K. Oberamt.

Voelter.

Bekanntmachung.

Die unter'm 25. v. M. über die Gemeinde Liebenzell wegen Ausbruchs der Maul- und

Klauenseuche daselbst verhängten Sperrmaßregeln bleiben bis auf Weiteres aufrecht erhallen.

Calw, den 10. Februar 1896.

K. Oberamt.

> Voelter.

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Tagesneuigkeiten.

-r. Martinsmoos, 8. Febr. Auf An­regung des Schultheißen Strehler von Neu­weiler versammelten sich heute mittag die Orts­vorsteher des Hinteren Waldes einschl. der vom Kirch­spiel Neubulach in der Krone hier zu Besprechung gemeinsamer Standes- und Gemeindeangelegenheiten. Die wieder im Bezirk so stark austretende Maul­und Klauenseuche, welche den ganzen Viehhandel dar­niederlegt und überhaupt die Landwirtschaft sehr schädigt, bildete den ersten Gegenstand der Besprechung; allseitig wurde anerkannt, daß die so rasch in ver­schiedenen Gemeinden verbreitete Seuche nur durch den Hausierhandel mit Vieh entstanden sei und trotz allen Vorschlägen zur Hebung der Landwirtschaft dies einer der ersten Krebsschäden sei, welcher immer wie­der auf diese oder andere Weise auftrete und daher abgeschafft oder erschwert werden müsse, eine dies­bezügliche Eingabe der Gemeinde Liebelsberg an den landwirtschaftl. Verein zur Vorgehung in der Sache soll unterstützt werden. Des weiteren wurden die Hinteren Gemeinden auch zum Beitritt zu dem Bezirks­obstverein veranlaßt, da ja heutzutage in jeder Ge­meinde sich etwas im Obstbau, wenn auch nicht viel, erzielen läßt und dann seine Unterstützung findet. Ferner bildete den Gegenstand der Beratung die Ver­sicherung der Grund-Eigentümer gegen Hagelschaden; es trat hier die bestimmte Ansicht hervor, daß durch Uebernahme eines Teils der Prämien auf die Ge­meindekasse die Anregung zur Versicherung gegen Hagelschaden in den Gemeinden zu geben sei, um einerseits die Einwohner vor Schaden zu bewahren und andererseits künftig nicht mehr die Mildthätigkeit der Mitmenschen anrufen zu müssen, die Sache selbst liegt ja fast in jeder Gemeinde wieder anders; doch dürfte den Ortsbehörden daran gelegen sein, sie in obiger Weise zu fördern. Weitere minder wichtige Gegenstände gaben den Anlaß zu gegenseitigem Aus­tausch der Ansichten und verlies der Nachmittag in unerwartet rascher Weise. Die Beteiligten trennten sich mit dem Gefühl, daß durch derartige Besprechungen manches Geschäft erleichtert wird. ^

Herrenberg. In einem hiesigen Gasthause waren fünf Handwerksburschen vom 4. auf 5. d. Mts. über Nacht und unterhielten sich noch in ihrem Zimmer vor dem Bettgehen mit Darstellung einer gerichtlichen Verhandlung. Der Träger der Nolle des Angeklagten, der 59 Jahre alte Fabrikarbeiter Bräuninger aus Stuttgart, kam mit einem der anderen in Streit und wurde von diesem dermaßen zu Boden geworfen, daß er liegen blieb, von zwei anderen schließlich in sein Bett gebracht wurde und, nachdem er die Nacht über

fortwährend gestöhnt und geröchelt hatte, am Morgen verstarb, ohne mehr zum Bewußtsein gekommen zu sein. Die vorgenommcne gerichtliche Sektion ergab, daß er infolge des schweren Falls an einer Gehirn­lähmung gestorben war. Der Thäter wurde in Haft genommen.

Stuttgart, 6. Februar. Der Spar- und Konsum-Verein Stuttgart hatte im IV. Quartal 95 bei einem Umsatz von 1 196 481 ^ einen Reingewinn von 114 758 Die an die Mitglieder zur Aus­zahlung kommende Dividende aus dem eigenen Geschäft beträgt 11°/».

Stuttgart, 7. Febr. Wie verlautet, wird Herzogin Vera sich mit den Prinzessinnen Töchtern zu den Krönungsfeierlichkeit nach Rußland begeben. In der II. Hälfte des Monats März soll wieder mit Genehmigung des Kgl. Kultministeriums seitens des Württemb. Stenographenverbandes Prüfung für künftige Lehrer und Lehrerinnen der Gabelsberger Stenographie in Württemberg abgehalten werden. Vorsitzender der Prüfungskommission rst Professor Erbe hier, an welchen bis 1. März die Meldungen zu erfolgen haben.

Stuttgart, 8. Febr. Gestern wurde eirr I8jähr. Mädchen hier festgenommen, das einem Herrn einen 100 ^-Schein gestohlen hatte. Das Geld hatte die Diebin bis auf 3 ^ verausgabt.

Cannstatt, 8. Febr. Die von hier aus einigen Blättern zugegangene Nachricht, die Leiche des vermißten Bäckermeisters Klei von Untertürkheinr sei hier aus dem Neckar gezogen worden, bestätigt sich nicht. Da der Hut des Klei ziemlich weit vom Neckar entfernt gefunden wurde, nimmt man vielfach an, daß Klei ermordet und die Leiche auf die Seite ge­schafft worden sei.

Marbach, 7. Febr. Gestern Vorm, wurde eine Leiche, die schon längere Zeit im Wasser gelegen zu sein schien, am Rechen der hies. Stadtmühle auS dem Wasser gezogen. Heute ist die Persönlichkeit festgestellt worden. Es ist ein Mädchen, das vor 5 Wochen in Münster aus Schwermut freiwillig den Tod gesucht hat.

Maulbronn, 5. Februar. Ein im hiesigen Amtsgerichtsgefängnisse wegen Körperverletzung und Widerstands gegen die Staatsgewalt in Untersuchungs­haft befindlicher Zimmermannsgeselle ist heute nacht aus dem hiesigen Amtsgerichtsgefängnisse entflohen. Derselbe erbrach zunächst die beiden seine Zelle ver­schließenden Thüren. Hierauf gelangte er in einen Gang. Die diesen abschließende, sowie die den Bühnen­raum von dem Treppenhaus trennende Thüre brach er ebenfalls auf, worauf er durch das Dachfenster zum Blitzableiter gelangte und an diesem sich in den Gefängnishof herunterlicß. Schließlich mußte der Flüchtling noch vie teilweise 4 und 5 Meter hohe Mauer übersetzen. Der Ausbrecher, der vor kurzer Zeit auch aus dem Arbeitshause in Vaihingen durch­

ballten. »Gesindel, feige Gesellen," da» klang einzig verständlich aus dem Gemur­mel. Da» junge Mädchen stand immer noch auf derselben Stelle und sah unbeweg­lich, dir Hände verschlungen, auf das bleiche Gesicht.

»Rosa, wird er sterben?" klang eS jetzt fast unhörbar von den bebenden

Lippen.

.Ich denke nicht, Kind, Gott wolle eS verhüten!" tönte e» beruhigend zurück.

Sie nahm eben den Eisbeutel fort, und nun zeigte sich die tiefe, blutrote Wunde, die sich bis unter das Haar hinaufzog.

Elsa erschauerte bei dem Anblick.

»Es ist doch schrecklich, Rosa, daß eS so schlechte Menschen giebt!"

»Ja, mein Mann sagt auch, daß eS ein schlechtes Gesindel ist, und daß er garnicht darunter paßt, garnicht. Sehen Sie, Fräulein Elsa, sie können eS alle nicht leiden, daß er der Erste ist unter ihnen, und so stolz und vornehm thut, und nichts mit ihnen gemein haben will. Lieber Gott, er wird wohl von besserer Herkunft sein, das verleugnet sich nicht. Das können sie ihm aber nicht vergeben, und deshalb quälen sie ihn und machen ihm das Leben schwer, wo sie nur können."

Draußen erklangen Schritte, und eine Stimme rief nach Frau Klcmmhagen.

.DaS ist gewiß die Lene von Doktors» die will die Gurken holen. Wollen Eie sich nicht einen Augenblick hierher fetzen, Fräulein Elsa, und auf meinen Kranken auspassen, ich bin gleich wieder da. Sie dürfen eS ruhig thun," fuhr sie fort, als das junge Mädchen sich um einen Schritt zurückzog, »Sie dürfen eS ruhig thun, er weiß von nichts."

Und damit drückte die behende Frau das junge, widerstandslose Mädchen auch schon auf ihren Sitz nieder und war im Augenblick darauf verschwunden. Der Kranke stöhnte laut auf, und wohl oder übel mutzte das junge Mädchen den herabgrgl ttenen Eisbeutel wieder aufnehmen und auf die verwundete Stirn legen. Sie that eS mit bebenden Fingern, ihr war so seltsam bang zu Mute. Dazu wurde der Mann immer unruhiger, ach, warum war doch Rosa gegangen, rufen konnte sie nicht, und fortgchen durste sie auch nicht, es könnte sein Leben kosten.

«Ich muß fort, ich muß sie züchtigen-" klang eS in gebrochene»

Lauten von den L ppen des Kranken.

.Fort!" und mit wilder Bewegung hob er sich auf dem Lager empor.

Tief erschreckt sprang Elsa auf und drückte mit ihren zarten, zitternden Hände» den tobende« Mann auf die Kissen zurück.

«Sie dürfen eS ja nicht, o Gott, Sie dürfen eS ja nicht!"

.Eine grenzenlose Angst sprach au» ihrer Stimme. Er wurde plötzlich still und schien auf die Stimme zu lauschen. Die Augen öffneten sich weit und sahen starr in daS über ihn gebeugte Mädchenantlitz.

Wie Erkennen ging es durch seine Züge. «Das schöne Mädchen mit de» großen erschreckten Augen! - Ja. sie ist eS - sie warf mir die Rose zu - aber

ich mache mir nichts daraus ich will sie nicht.-Sie ist schön, aber sie ist

falsch sie hat rötliches Haar über der weißen Stirn sie ist falsch und kokett wie die anderen-ich verachte sie, alle, alle!"

Er hielt erschöpft inne, während Elsa auf ihren Sitz zurücksank und die Hände vor das erglühte Antlitz preßte.

O, wie peinvoll das war! Wo blieb nur Rosa?

Da kam sie endlich in ihrer hastigen Weise und nahm den verlassenen Platz wieder ein, während Elsa wie ein scheues Vöglein in die dunkelste Ecke flüchtete.

.Er war so wild. Rosa, und er sprach so viel, ich habe mich fast zu Tode gcängfligt." Di- Frau trat zu ihr und strich schmeichelnd über das goldige Haar- gewoge.

.ArmcS Kind, ich blieb so lange, es war nicht recht, aber ich konnte mcht schneller, gewiß nicht. Aber so weinen sie doch nicht!" fuhr sie bestürzt fort, da sich eben die großen Kinderaugen mit Thronen füllten, .wor'S denn gar so schrecklich? Das ahnte ich ja nicht, sonst' ^ . . - ,.

.Laß nur Rosa!" unterbrach sie daS junge Mädchen, und es spielte schon wieder ein Lächeln um die roten Lippen, .ich bin ein albernes, thörichte» Kindk Doch jetzt muß ich fort, cS ist schon spät, adieu Rosa!' (Fortsetzung folgt.)