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sich endlich das Rätsel gelöst. Beim Nachgraben im untersten Ortsteil fand man, daß ein schmirdeisernes HauSanschlußrohr durch Rost stark zerfressen war und aus zwei Löchern starke Wassermengen nach unten in den Boden entweichen ließ. Die schadhafte Stelle lag unter einem Stallboden und wurde sofort repariert. Sogleich füllte sich das LeitungSrohrnctz wieder ganz mit Wasser an und nach 3 Tagen schon war auch das Reservoir wieder gefüllt, und zwar durch das Kröber'sche Pumpwerk allein, ohne Benzinmotor. Die Befriedigung hierüber ist groß.
8. Maisenbach-Zainen, 2. Dez. Letzten Samstag hielt Schullehrer Seyfert aus Beinberg auch hier einen kurzen Vortrag über die Homöopathie. Es wird allem Anschein nach hier ebenfalls in allernächster Zeit ein homöopathischer Zweigverein gegründet werden.
Stuttgart, 2. Dez. Heute abend fand die Festvorstellung des Infanterie - Regiments Kaiser Friedrich, anläßlich der Feier von VillierS und Champigny, im großen Saal der Liederhalle statt. Derselbe war mit Büsten, Waffen, Fahnen, Pflanzen u. s. w. aufs schönste dekoriert. Auf verschiedene Tafeln waren die Namen der Gefallenen verzeichnet. Seine Majestät der König und Ihre Majestät die Königin, die Herzoge Albrecht, Robert und Wilhelm von Urach, die Generalität, sämtliche Minister und viele aktive und inaktive Offiziere waren erschienen. Der Saal war von den Veteranen des Regiments, die überaus zahlreich erschienen waren, und früheren Regiments-Angehörigen vollständig besetzt. Nach der von der Prem'schen Kapelle gespielten Festouvertüre, sprach Hauptmann Spindler den von ihm verfaßten Prolog. Als erstes lebendes Bild folgte: „Biwack auf der Französischen Grenze am 4. August 1870". Bunt durcheinander wogten die Soldaten, dazwischen Marketenderinnen; Soldatenlieder singend beschäftigten sich die Mannschaften mit Abkochen, aus der Ferne schallt Kanonendonner, endlich kommt ein Soldat dahergestürzt, den Sieg bei Weißenburg verkündend. Im Lager wird darauf die „Wacht am Rhein" an- gestimmt. Die Veteranen wird es wohl angenehm berührt haben, die jungen Siebener in der Uniform der Alten gesehen zu haben. Eine ganze Reihe solcher Bilder folgten: „Auf Vorposten vor Paris." Besonders wirksam war der „Barrikaden-Sturm in Champigny" und der „Häuserkampf in Champigny". Letzteres stellte die Verteidigung eines Hauses durch Feldwebel Bader vor. Bornen am Fenster, welches einen Blick in das brennende Champigny gewährt, steht der Feldwebel den Schützen das Ziel angebend. Im Zimmer liegen verwundete Deutsche und Franzosen. Im 6. Bild: „Nach der Schlacht" stehen und knieen die Soldaten an den Gräbern der Gefallenen, die Regimentsmusik spielt einen Choral dazu, eine wirklich ergreifende Episode. Zum Schluß in: „Kaiser und Reich" gruppieren sich die Krieger aller deutschen Stämme um die Büsten der Kaiser Wilhelm I. und
Wilhelm II., sowie des Königs von Württemberg, die Wacht am Rhein singend. Zwischen den Aufführungen spielte die Regimentsmusik mit Pistonsolo von Hoboist Blumenschein, der besonderen Beifall fand. Auch einige Solostücke wurden vorgetragen. Zum Schluß kamen gymnastische Hebungen von Unteroffizieren und Mannschaften des Regiments, die sehr exakt ausgeführt wurden und alle Anerkennung verdienen. Unter den Klängen der Königshymne und Hurrah- und Hochrufen der Anwesenden, verließen die Majestäten um 9'/- Uhr den Saal. Nach Schluß der Festvor- stellung vereinigten sich die aktiven Angehörigen des Regiments mit den Veteranen zum Bankett in den verschiedenen Sälen der Liederhalle.
Heidelberg, 2. Dez. Ein Leser teilt dem „N. Heidelb. Anz." mit: Ueber einen an Frau Zimmermeister R. verübten Straßenraub teilen wir Ihnen folgendes mit: Ein ziemlich sauber gekleideter junger Mensch lief neben Frau R. schon in der Nähe der Bienenstraße her, bis ungefähr in die Nähe der Ziegelgaffe. Plötzlich griff der Gauner nach dem an Frau N. Arm hängenden Täschchen, in welchem sich ungefähr 500 ^ befanden, ließ dasselbe ab und ergriff damit die Flucht. Frau R. rief so laut sie konnte, den Dieb aufzuhalten, doch niemand kümmerte sich darum, bis vier beherzte Schulknaben im Alter von 12—14 Jahren demselben nachjagten und ihn bis in die Akademiestraße verfolgten, wo sich der Gauner in ein Haus flüchtete. Zwei von den Knaben postierten sich vor dem Hause und hielten Wache, die zwei andern holten Schutzleute herbei, welche den Gauner verhafteten und glücklicherweise noch das ganze Geld bei ihm vorfanden.
Vermischtes.
— Zur Reform de.s Wirtshauslebens macht der Geschäftsführer des deutschen Vereins gegen den Mißbrauch geistiger Getränke, Dr. W. Bode in Hildesheim, beachtenswerte Vorschläge. Dr. Bode empfiehlt, ein Platzgeld oder Stundengeld für den Aufenthalt im Wirtshaus einzuführen. Dieses würde 5 oder 10 oder 20 Pfennige die Stunde betragen, je nach der Vornehmheit des Lokales. Damit würde der Gast das Recht auf Benutzung aller Annehmlichkeiten der Wirtschaft erkaufen und von jeder Verpflichtung, etwas zu verzehren, namentlich etwas zu trinken, befreit sein. Will er etwas trinken, so würde er 5 oder 10 Proz. Rabatt erhalten. Wer eine Wirtschaft auf längere Zeit oder häufig besucht, würde Tageskarten zu 25, 40 oder 100 Pfennig nehmen, wieder je nach Klasse der Wirtschaft, oder aber Monatskarten zu 5 bis 20 Dann käme der Wirt zu seinem Einkommen, der Gast zu seiner Freiheit, das Wirtshaus zu einem ganz anderen und viel besseren Charakter. Der Wirt brauchte nicht mehr vom Trinken der Gäste zu leben; er würde ohne persönlichen Schaden der Unmäßigkeit entgegen
arbeiten können. Er würde die Preise der Getränks ermäßigen können, da er seine altdeutsche Einrichtung: rc. anderweilig bezahlt bekommt; er würde dadurch iw die Lage kommen, diese Getränke so billig zu liefern wie jeder andere Wiederverküufer auch, also einer jetzt sehr verdrießlichen Konkurrenz enthoben werden. Er würde größere Liebe zu seinem Berufe gewinnen.. Manche Wirtschaften würden den Lesehallen und Kasinos ähnlicher werden. — Die Wirte sind schon heute Vermieter auf kurze Zeiten (z. B. in Hotels); Bode's Antrag geht nur dahin,. sie in noch viel höherem Maße Vermieter werden zu lassen, damit sie in gleichem Maße aufhörsn, interessierte Agenten des Getränkehandels zu sein. Er fordert von den Wirten zunächst nur die Anbringung von Plakaten etwa folgenden Inhalts: „Gäste, die ein Stundengeld von . . Pfg. oder ein Tagegeld vow . . Pfg. oder ein Monatsgeld von . . Mark zahlen, sind willkommen, auch wenn sie Speisen und Getränks nicht verzehren, und erhalten bei allen etwaigen Bestellungen . . Prozent Preisermäßigung. Diese Plakate lassen den Gästen volle Freiheit, im Wirtshause nach der bisherigen Weise oder nach einer besseren zu leben.
Reklameteil.
Eine eßbare japanische Lilie, das ist das Neueste, was soeben in den Handel gebracht wurde. Es ist dies eine merkwürdige Erscheinung auf dem gärtnerischen Gebiete, und hat dieselbe für jedermann ein großes Interesse, da bisher weder der Fachmann noch der Laie eine Ahnung davon hatte, daß eine Lilie existiert, deren Zwiebel zu einem pikanten, -schmackhaften Gerichte Verwendung finden kann. Welche Aussichten eröffnen sich da dem Feinschmecker, wenn er auf dem Menu zur angenehmen Abwechselung verzeichnet findet: „Japanische Lilienzwiebel mit holländischer Sauce". Dabei hat die Lilienzwiebel im Geschmack mit den bekannten Speisezwiebeln absolut nichts gemein. Doch die Lilie hat noch eine andere sehr gute Eigenschaft; die Zwiebel treibt nämlich einen hohen Stengel, an welchem sich eine Fülle der herrlichsten scharlachroten Blüten entwickeln, die in ihrer Pracht ihres Gleichen wohl überhaupt nicht finden dürften. Dabei ist die Kultur eine so einfache, daß jeder Laie die Lilie mit Leichtigkeit im Garten, ja sogar im Zimmer in Töpfen ziehen und vermehren kann, und der billigste Preis (unten genannte Firma versendet in Originalpackung 1 Stück für 60 Pfg., wozu noch 20 Pfg. für Verpackung und Porto kommen) erlaubt es jedem, mit dieser Wunderlilie einen Versuch zu machen, der zweifellos zu seiner vollen Zufriedenheit ausfallen dürfte. Die HH. Lieb au L Co., Hoflieferanten, Kunst-und Handelsgärtnerei, in der Gärtnerstadt Erfurt importirten die eßbare japanische Lilie aus Japan, und fügen dieselben beim Versand eine Kulturanweisung und eine Anleitung zur Herstellung des Gerichtes gratis bei.
„Nein, nein, das darfst du armes Mütterchen nicht erfahren, nein, ninnals — eS wäre sonst dein Tod. O Gott, wie schrecklich! Dieser vornehme Charakter, dieser schöne stattliche Mann, dem alles Gemeine fremd war, dieser in seinem Umgänge früher so wählerische Mann irrt jetzt hungernd und frierend und zum Skelett abgemagert, durch die Straßen Berlins, ja er ist bereits zu einem Gast des Asyls für Obdachlose herabgesunken? O Gott, das ist ja garnicht denkbar! Und doch — eS muß alles, alles wahr sein, er schreibt es ja selbst, und die unsichere, zitternde Handschrift kann eS bezeugen, daß er nicht mehr im Vollbesitz seiner früheren Kräfte ist. Kaum genesen von langer, schwerer Krankheit, ohne Geldmittel, ohne Nahrung und ausreichende Winterkleidung, obdachlos, fern von der Heimat, unter fremden Menschen, kann es etwas Schrecklicheres für einen Mann wie Hans, der an ein geregeltes Leben gewöhnt ist, geben?" dachte Hedwig.
Schluchzend verbarg das junge Mädchen den Brief in ihrem Kleide und starrte zu Boden. Aber bei all dem Schmerz, der sie nach dem Lesen des schrecklichen Briefes durchwühlte, empfand sie doch die Genugthuung daß sie mit ihrer Meinung über sein rätselhaftes Schweigen Recht behalten hatte. Er war ohne Schuld, eine lange, schwere Krankheit, in der er oft tagelang ohne Besinnung war, erklärte alles, und das Weib, seine Wirtin, mußte ihn in Verfolgung irgend eines noch nicht zu durchschauenden RacheplaneS verleumdet haben; daS stand fest, und dieses war ihr ein großer Trost. Hans bat in dem Briefe um ihre Hülfe, um ein paar Thaler Reisegeld. Sie mußte Rat schaffen, und zwar schnell, ehe es zu spät war. Ihren Kopf zermarterten in der nächsten Viertelstunde ungezählte Pläne zur Rettung des geliebten Mannes, von denen sie indeß nicht einen zur Ausführung bringen konnte, denn sie alle erforderten Geld, Geld und wieder Geld, und das hatte sie nicht. Außer einigen Mark für die heute früh abgelieferte Arbeit, besaß sie nichts, gar nichts. O, noch nie in ihrem Leben hatte sie dir Macht des Geldes, oder richtiger den Mangel desselben so schwer empfunden, als in dieser Stunde.
Endlich, nach einer halben Stunde unausgesetzten GrübelnS und Sinkens «hob sich Hedwig, benetzte die heiße Stirn mit kaltem Wasser und kühlte sich die
von vielem Weinen brennenden Augen. Sie wollte gefaßt und mit einem fröhlichen „Guten Morgen, liebe Tante," bei der Leidenden eintreten, aber diese schnitt ihr jede Anrede ab. Die Tante hatte an ihrem langen Verweilen in der Küche, in welche sie Hedwig vorhin gehen hörte, längst gemerkt, daß etwas vorgcfallen war.
„Mein Kind. Du hast geweint? Was ist vorgefallen?" rief die Tante, als Hedwig zur Thür hereintrat.
Sie war auf diese Anrede vorbereitet. Nun galt es, zu einer Notlüge seine Zuflucht nehmen. „Ich Habs eine traurige Nachricht von einer Schulfreundin erhalten, Tante, welche ihr einziges Söhnchen verlor und die sich darüber fast zu Tode grämt. DaS hat mich so traurig gestimmt," antwortete Hedwig mit abgewandtem Gesicht.
An diesem Tage wurde zwischen den beiden Frauen wenig gesprochen. Wohl rasselte auch heute wie sonst die Nähmaschine, aber Hedwigs Hände schafften kaum halb so viel, als an anderen Tagen; ihre Gedanken weilten in der Ferne, ihr geistiges Auge begleitete den Sohn der armen Leidenden, wie er hungernd und frierend durch die Straßen der Residenz irrte und nach Arbeit suchte, nach Arbeit in diesem bösen, harten und arbeitslosen Winter. Sie sah ihn dem ihr bezeichneten Postamte zuwanken, hörte ihn nach einer Geldsendung aus Geestemünde fragen und vernahm im Geiste die verneinende Antwort des Postbeamten: „Für HanS Maring liegt nichts vor!" Sie sah auch sein niedergeschlagenes Gesicht und den verzweifelten Blick, mit dem er das Postamt verließ und wieder auf die Straße hinaus in die schneidende Kälte ging — wohin? wohin? —
Schon früh suchte Hedwig, gleich nachdem die Tante sich schlafen gelegt hatte, ihr Nachtlager auf, aber der Schlaf floh heute ihre Augen. Die Tante hatte sie tagsüber ruhig gewähren lassen und sie nur selten mit einer Frage behelligt. Sie empfand offenbar mit ihr den Schmerz um die „unglückliche Freundin." Nun schlief d:e Tante und jetzt rann wieder Thräne um Thräne in Hedwigs Kopfkissen; am Tage hatte sie dieselben standhaft zurückgehalten.
(Fortsetzung folgt.)