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Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk (Lalw.

70. Jahrgang

lkrscheml DienSlagS, Donnerstag- und SamStagS. Die ^inrücknngsgebühr betrZgt tm Bezirk und in nSchfrer Um- .Hebung S Pfg. di, 5ltile, sonst 12 Pf-.

Dienstag, den 3. Dezember 1895.

Sdonnn»mr»i»tt« oi Lv Psa. LrSgerlohn, durch die g»nz Würtiemdrrg Ml. 1. Sk.

in der Sts!» « P»g. und bq«gn> MI. I. lii, sonst i»

Amtliche Aekanutmachunge«.

Die H.H. Ortsuorsteher,

welche mit dem Nachweis der Erledigung der Weg- visitationsrecesse noch im Rückstand sind, werden an alsbaldige Vorlage der Protokolle erinnert. Calw, den 29. November 1895.

K. Oberamt. Voelter.

Tagesneuigkeiten.

Calw, 1. Dez. Die Aufführung des OratoriumsPaulus" von Mendelssohn-Bartholdy durch den Kirchengesangverein übte eine so große Zugkraft auf dir Freunde klassischer, kirchlicher "Musik, daß die Stadtkirche von Besuchern stark be­setzt war. Mit höchstem Interesse und andächtiger Stimmung lauschten die Zuhörer dem großartigen Werk, das in ergreifender Wirkung zum Ausdruck gebracht wurde. Schon der Anfang mit der majestätisch daherbrausenden Ouvertüre über den ChoralWachet <»uf, ruft uns die Stimme", der gewaltige erste Chor Herr, der Du bist der Gott", weisen auf die tiefe, innere Macht der Komposition hin, eine Macht, die im weiteren Fortgang teils durch leidenschaftlich erregte Chöre, teils durch äußerst lieblich gehaltene Necitative Lind eingelegte, erhebende Choräle noch gesteigert wird. Die Aufführung gestaltete sich sehr wirkungsvoll. Sowohl die Chöre als auch die Arien, Necitative und Duette wurden unter tüchtiger Begleitung des Orchesters und der Orgel in angemessenster und feinfühlender Weise zum Vortrag gebracht. Der rührige Direktor des Vereins, H. Fr. Gundert, hat ersichtlich keine Mühe und Anstrengung gescheut, um die Aufführung

zu einem harmonischen Ganzen zu machen und dadurch sich den allseitig anerkannten Dank der Zuhörer in höchstem Maße erworben.

** Calw. Am Adventfest hat der hiesige Kirchengesangverein eine Aufführung gebracht, welche den Vielen aus nah und fern, die sie hörten, Erbauung und musikalischen Genuß in reichem Maß gewähren mußte. Es war das OratoriumPaulus" von Felix Mendelssohn-Bartholdy, welches schon durch seinen Gegenstand, den Märtyrcrtod des Stephanus, die Bekehrung des Saulus und die Kämpfe und Mühen des großen Hsidenapostels, eine außerordent­liche Anziehungskraft ausübt. Gerade der erste Teil mit der Steinigung des ersten Blutzeugen und mit dem Ereignis bei Damaskus bildet eigentlich den Höhepunkt des Ganzen. Nach dem majestätisch«ernsten, prachtvoll behandelten, von Sängern und Instrumenten aufs wirkungsvollste vorgetragenen ChoralWachet auf, ruft unS die Stimme" ist eine Steigerung kaum noch denkbar. Den gewaltigen Schlußchor des ersten TeilsO welch' eine Tiefe des Reichtums" an den Schluß des Ganzen zu stellen, war inhaltlich und musikalisch betrachtet ein guter Gedanke. Der circa 65 Mitglieder zählende Kirchengesangverein mit seinem Dirigenten, Herrn Buchhändler F. Gundert, hatte sich keine Mühe verdrießen lassen, das Oratorium tüchtig einzustudieren. Die Chöre und Choräle haben gewiß die Herzen der lauschenden Gemeinde mächtig ergriffen. Herzlicher Dank sei den beiden Solistinnen gesagt, welche als frühere Calwer Kinder wiederum so freundlich ihre Mitwirkung gewährt haben: Frau Bauinspektor Bareiß-Stälin aus Ludwigsburg (Recitatio mit dem Arioso: Doch der Herr vergißt der Seinen nicht) und Fräulein Anna Federhaff aus Stuttgart, welche die Güte hatte, fast sämtliche

Recitative zu übernehmen. Außerdem sang sie mit klarer Stimme die Arien:Jerusalem, die du tötest" undLaßt uns singen von der Gnade des Herrn" in einer Weise, welche das Ergreifende des Inhalts trefflich zur Geltung brachte. Hrn. W. Schwämmle ist besonders dafür zu danken, daß er in die Partien des Stephanus und des Paulus eintrat und dieselben mit feinem Gefühl und Verständnis zur Darstellung brachte. Die Instrumentalbegleitung lag in den be­währten Händen unseres Organisten, Hrn. Vinyon, und einer Anzahl Stuttgarter Musiker, welche, durch hiesige Kräfte verstärkt, zum würdigen Vortrag deS Ganzen (wir heben namentlich die meisterlich gespielte Ouvertüre hervor) wesentlich beigetragen haben. Mögen die Mitwirkenden für ihre viele aufgewendete Mühe einigen Lohn in dem Bewußtsein finden, daß mit derartigen erhebenden Darbietungen der dankbaren Gemeinde ein wirklicher Dienst geleistet wird.

* Calw, I. Dez. Am Freitag abend hielt Hr. Rektor vr. Müller als Ergänzung früherer Vorträge im Georgenäum einen Vortrag überDante 'S Vorstellungen vom Leben nach demTode." Die Anschauungen des großen Dichters decken sich im allgemeinen mit der biblischen Lehre und sind in jeder Hinsicht sehr beachtenswert. Entsprechend den 3 Haupt­teilen dergöttlichen Komödie" nimmt Dante ver­schiedene Entwicklungsstufen des Lebens nach dem Tode an: Hölle, Fegfeuer und Paradies. In die Hölle, welche als ein Raum unter der Erdoberfläche gedacht wird, kommt nicht blos die verdammte Sünder­welt, sondern auch noch die Seelen der Heiden, der Kinder, der edlen, weisen Männer des Altertums, Seelen ohne Schmerz, aber ohne Gefühl der Selig­keit. Unter den ewig Verdammten giebt es ver­schiedene Abstufungen. In gräßlichen Bildern schildert

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Der verlorene 2ohn.

Eine Weihnachtsgeschichte.

Von Th. Schmidt.

(Fortsetzung.)

Ja jetzt hatte auch sie einmal einen grcübaren Beweis dafür, waS neulich die Tageszeitung der Stadt behauptete, daß nämlich die Arbeit der Frauen aus gebildeten Ständen oft, sehr oft sogar, schlechter gelohnt würde, als diejenige der geringsten Kuhmagd. Das moderne KapitelFrauenarbeit" und .Frauenerwcrb" nahm in ihrer Vorstellung eine immer häßlichere Gestalt an. Nein auf geistigem Gebiete Würde der Verdienst erst recht nicht die aufgewendete Mühe und Arbeit lohnen, da zahlte ja schließlich der Ladeninhaber, für den sie die litzten Monate gearbeitet hatte, «och bessere Preise.

Die Tante stand vor einer Stunde nicht aus, das kam Hedwig heute sehr erwünscht, denn sie hatte sich, nach kurzem überlegen zu einem Gange in die Stadt entschlossen. Trotz der Enttäuschung und M ßstimmung über die jämmerliche Honorie­rung ihrer Zeichnung, empfand sie es doch wie einen Trost, daß sie mit dem Geld« wenigstens den Rest der Miete bezahlen konnte. Sie übersandte den Schein mit ein paar Worten das Dankes für das Stunden der Miete sofort an Sauer in Geestendorf, dann nahm sie die letzte Nummer derProvinzial-Zeitung" zur Hand, überflog den Annoncenteil und ging darauf leise zum Hause hinaus. In kaum Hehn Minuten hatte sie einen Geschäftsladen erreicht, dessen Besitzer in der Zeitung für sein Weißwaren- und Aussteuergeschäft junge, im Nähen geübte Mädchen suchte.

Hedwig hatte heute Morgm Glück; sie war die erste, welche sich auf jene Annonce meldete. Der Geschäftsührrr, ein älterer Mann, betrachtete das frische Junge Mädchen mit wohlgefälligen Blicken. Er mochte es wohl sogleich merken, daß

er es hier nicht mit einer gewöhnlichenNähmamsell,' sondern mit einer aus guter Familie stammenden jungen Dam« zu thun hatte und war infolge dessen äußerst galant.Sie sollen auch die feinste Arbeit haben," so sagte er,eine ganze Braut­ausstattung für eine reiche Fabrikantentochter."

Schüchtern fragte Hedwig nach dem Verdienst. Der Geschäftsführer nannte ihr diehöchsten" Löhne für verschiedene Bekleidungs- und Wäsch-gegenstände und erwartete offenbar von der Arbeitsuchenden, daß diese mit Freuden die Arbeit an­nehmen würde. Allein als Hedwig hörte, daß das Geschäft unter Anderem für ei» Damenhemd nur fünfzehn Pfennige und für ein Unterbeinkleiv acht PfennigeNäh- geld" zahlte, da bereute sie fast hierher gekommen zu sein. ES bedurfte ja freilich keiner besonderen Fertigkeit zur Anfertigung der Wäschegegenstände, aber Hedwi- berechnete schncll, daß sie auch mit dieser Arbeit wiederum kaum eine Mark de» Tag verdienen würde; übrigens ein Betrag, der im Zeitalter der Maschinen mit seinem ungesunden Wirtschafts- und Erwerbsleben, wo der Reiche immer reicher und der Arme immer ärmer wird, durchaus nichts auffälliges ist, wenigstens was die Bezahlung der Frauenhandarbeit anlangt.

Hedwig blieb keine andere Wahl. Waren cS auch wiederum nur wenige Nickel, welche sie bei andauernder täglicher Arbeit hinter der Nähmaschine verdient«, so war eS doch immer etwas und Etwa» ist bekanntlich immer besser als gar- nichts. Damit tröstete sich Hedwig.

Sie nahm kurz entschlossen das Anerbieten an. und der Geschäftsführer schien darüber sehr erfreut. Während er den bereits zugeschnittenen Stoff aus feinstem Batist und die zugehörigen kostbaren Spitzen sauber «inpackle, flüsterte er ihr mit wichtiger Miene über den Ladentisch den Name» der reichen Braut zu. Es sei zwar gegen das G-schäfttprinzip, aber einem solch reizenden Fräulein gegenüber, wollte er einmal eine Ausnahme machen und auSplaudern. wissen Körper einst diese kostbare» Sachen tragen würde. Sie dürfe es aber beileibe nicht weiter verbreiten, bat er ängstlich.