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Mein Herr Bruder! Da ich nicht an der Spitze meiner Truppen sterben konnte, lege ich meinen Degen in die Hand Eurer Majestät nieder.

Ich verbleibe Eurer Majestät getreuer Bruder

Napoleon."

Da sich nach diesem Briefe Napoleon eigentlich nur für seine Person für kriegsgefangen erklärte, über die in und um Sedan stehenden Truppen keine Er­wähnung gcthan war, der Ueberbringer des Briefes auch erklärte, daß er zu keinen weiteren Unterhand­lungen ermächtigt sei, so antwortete König Wilhelm Napoleon folgendermaßen brieflich:

Mein Herr Bruder! Die Art und Weise unserer Begegnung beklagend, nehme ich Ihren Degen an und bitte Sie, einen Bevollmächtigten zu bezeichnen, mit welchem wegen der Kapitulation Ihres Heeres unterhandelt werden kann. Ich meinerseits habe den General Moltke zu diesem Zwecke beordert. Ich bin Eurer Majestät getreuer Bruder.

Vor Sedan, 1. Septbr. 1870. Wilhelm."

Noch an demselben Tage, am 1. September, begannen in dem Schlößchen Donchery bei Sedan die Kapitulations-Verhandlungen zwischen den deutschen Bevollmächtigten Moltke und Bismarck, sowie einige höhere Offiziere und den von Napoleon gesandten General Wimpffen und General Castelnau.

Bis Nachts 1 Uhr dauerten die Verhandlungen, denn Moltke, unterstützt von Bismarck stellte die Be­dingung, die in Sedan befindliche französische Armee ist mit allem Gepäck, Waffen und dergleichen kriegs- aefangen und die Festung Sedan zu übergeben. Daran hielt der Generalstabschef fest, trotzdem General Wimpffen wiederholt um Milderung dieser Bedingungen ersuchte, da die Ehre der französischen Truppen dar­unter leiden würde. Der französische Abgesandte suchte vielmehr zu erreichen, daß die französischen Truppen nur entwaffnet und dann unter Abgabe des Versprechens, in diesem Feldzuge nicht wieder gegen Deutschland zu kämpfen, entlasten würden. In der Erwiederung wies Bismarck unter Anführung von Beispielen aus der Geschichte darauf hin, daß bei der Unbeständigkeit des französischen Volkscharakters einem solchen Ansinnen, wie es General Wimpffen gestellt, nicht im Entferntesten stattgegeben werden könne, denn die Möglichkeit liege sehr nahe, daß die entwaffneten und französischen Truppen von Rache erfüllt, sich so­fort wieder an den Kämpfen gegen die deutschen Truppen beteiligen würden; darum sei unter allen Umständen daran festzuhalten, daß sich die französischen Truppen kriegsgefangen ergeben müßten.

General von Wimpffen erklärte darauf nicht eingehen zu können und so wurden die Verhandlungen um die angegebene Zeit abgebrochen, wobei Moltke kurz und bündig mitteilte, daß wenn bis am andern Morgen 9 Uhr die Bedingungen der Deutschen nicht angenommen wären, das Bombardement auf allen Seiten gegen Stadt und Festung Sedan eröffnet würde.

Die Festigkeit und Bestimmtheit, mit der Moltke und Bismarck austraten, verfehlte denn auch ihre Wirkung nicht; schon am andern Morgen fanden flch General von Wimpffen und seine Begleitung in dem vorher verabredeten Zusammenkunftsort, dem Schloß

Bellevue, ein, um mit Moltke und Bismarck weiter zu verhandeln.

Um 11 Uhr Vormittags war die Kapitulations­urkunde von deutscher, sowohl wie von französischer Seite unterzeichnet. Dieselbe bestimmt:

Die französische Armee ist kriegsgesangen. In Anerkennung ihrer tapferen Verteidigung sind aber die Offiziere hiervon ausgenommen, auch behalten dieselben ihre Waffen und sonstiges Eigentum, vor­ausgesetzt, daß sie sich durch Ehrenwort verpflichten, in diesem Feldzuge nicht wieder gegen Deutschland zu kämpfen oder m anderer Weise gegen dasselbe thätig zu sein suchen. Ausgenommen sind ferner noch die Aerzte, die bei den Verwundeten zu bleiben haben. Alles Zubehör der Armee an Waffen und Geschützen, Adlern und Fahnen, Pferden und Fahrzeugen, Kriegs­lasten und Munition ist unverzüglich, die Festung Sedan in ihrem gegenwärtigen Zustand am 2. Sept. Abends zu übergeben."

83,000 Mann samt dem Kaiser und Marschall Mac Mahon, 558 Geschütze, 1 Adler, 3 Fahnen, eine große Menge Munition und andere Kriegsbeute fielen auf diese Weise in die Hände der deutschen Truppen; gefallen in dem Riesenkampfe waren 17,000 Mann tote und verwundete Franzosen, außerdem hatten sie am Tage vorher 21,000 Mann Gefangene verloren, sodaß sich der Gesamtverlust der Franzosen in der Schlacht von Sedan auf 121,000 Mann beziffert; 3000 Mann Franzosen war es gelungen auf belgisches Gebiet überzutreten, sie wurden dort entwaffnet, muffen also zum Verlust noch hinzugerechnet werden.

Die Deutschen verloren in dieser denkwürdigen Schlacht an Toten und Verwundeten 463 Offiziere und 8467 Mannschaften; die Bayern hatten die meisten Verluste, sie verloren allein 213 Offiziere und 3876 Mann, ein Beweis dafür, wie hervorragend sie an der Schlacht beteiligt gewesen.

Nach der Unterzeichnung der Kapitulationsur­kunde hatte König Wilhelm mit Kaiser Napoleon eine usammenkunft, welche Napoleon erbeten hatte. Der aiser war schon frühzeitig aus Sedan herausgekommen und nach einigen Kreuzfahrten, da er den König noch in Donchery wähnte, von Bismarck nach Schloß Bellevue geleitet worden. König Wilhelm traf erst Nachmittags 2 Uhr dort ein, wo ihm Napoleon schon auf der Treppe entgegenkam. Etwa eine halbe Stunde währte die von den Monarchen unter vier Augen geführte Unterredung. Ohne dem besiegten Gegner Vorwürfe zu machen für die Ströme von Blut die durch den mutwillig heraufbeschworenen Krieg ver­gossen worden, reichte der Sieger ihm mit Großmut die Hand. Napoleon suchte freilich die Schuld von sich und auf die öffentliche Meinung seines Landes unter deren Druck er gehandelt, zu wälzen, doch König Wilhelm ging auf diese Erörterungen nicht weiter ein, sondern bezog sich nur auf die näheren Bestimmungen über den zukünftigen Aufenthalt Napoleons.

Großmütig wurde ihm das reizende Wilhelms­höhe bei Kassel, wo einst auch ein Napoleon, des ersten Napoleon Bruder JerSme, als König von Westfalen ein gar lustiges Leben geführt hatte, zum vorläufigen Wohnsitz angewiesen, wohin er denn auch am 3. September, einem regnerischen Tage unter Deckung deutscher Truppen abreiste. Nachdem

seine Gefangennehmung in Paris bekannt wurde, setzte ihn die französische Nationalversammlung als Kaiser ab und siedelte Napoleon nach dem Friedensschluß nach dem Landsitz Chislehurst in England über, wohin ihm seine Gemahlin Eugenie und sein Sohn Lulu folgte; er starb daselbst am 9. Januar 1873. Sein Tod wurde gleichgültig von Europa hingenommen. Sein Sohn wurde, wie bekannt, in Afrika von Zulu- kaffern überfallen und ermordet, während die Ex­kaiserin Eugeniedie schöne Spanierin", wie sie in ihrer Jugend genannt wurde, sie war eine spanische Edeldame, noch in England lebt, vergessen von aller Welt, nichts mehr erinnert an die glänzenden Tage, welche sie während der letzten französischen Kaiserzeit: erlebt! Welche Wendung des Schicksals!

Mit Recht ist der 2. September durch die ge­waltigen Ereignisse, die sich 1870 an diesem Tage abspielten, seitdem ein Fest- und Freudentag für das deutsche Volk geworden. Kein Tag legt uns aber auch die Dichterworte:

, Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern,

In keiner Not uns trennen und Gefahr,

Wir wollen trauen auf den höchsten Gott Und uns nicht fürchte» vor der Macht der Menschen l" so warm ans Herz wie der 2. September. Möge es immer so bleiben für alle und ewige Zeiten, dies sei das Gelöbnis, welches wir jetzt bei dem Gedanken an die großen Ereignisse jener Zeit uns fester denn je einprägen und was jeder einzelne deutsch gesinnte Mann zu halten bestrebt sein möge.

Das walte Gott!"

(Fortsetzung folgt.)

Tagesneuigkeiten.

sAmtliches aus dem Staatsanzeiger.F Von der K. Negierung des Schwarzwaldkreises ist am 28. August d. I. die Aufstellung des Stadtarztes Zipper len aus Wildberg als Orts- und Armen­arzt von Holzbronn, Oberamts Calw, bestätigt worden.

Stuttgart, 1. Sept. Heute abend fand unter enormer Beteiligung und Vorantritt der zahl­reichen Veteranen auf dem Fangelsbachfriedhof vor dem Kriegerdenkmal eine ebenso ernste als er­hebende Feier zum Gedächtnis für die im 1870er Kriege gefallenen und an den Strapazen gestorbenen Helden statt. Dekan Leypoldt hielt die von patrio­tischem Geiste durchglühte Gedächtnisrede, welche auf die Zuhörer einen tiefen Eindruck machte. Abends 6 Uhr ertönten die Glocken von allen Kirchtürmen der Stadt. Um 8 Uhr begannen rings um die Stadt auf allen Höhen zahlreiche Freudenfeuer aufzulodern. Von mehreren hochgelegenen Punkten aus wurden auch prachtvolle Feuerwerke abgebrannt.

Schlaitdorf, OA. Tübingen, 30. Aug. Am 21. d. M. nachmittags hat der 32 Jahre alte Taglöhner Johannes Kümmerte nach einem voran­gegangenen Wortwechsel mit seinem Vater, dem 60 Jahre alten Gemeindestraßenwärter Johannes Kümmer­te, einen scharfen Schuß in dessen Gesicht abgefeuert, infolgedessen dieser zusammenstürzte und liegen blieb.

bäume umgaben denselben, sie ließen nur die teppichbelegten Stufen frei, welch« zu dem Sarge hinaufführten.

Langsam stieg Frau Barn« bis zu dem Sarge hinauf und senkte die Augen auf da» Me Gesicht des Toten, welchem das flackernde Licht hoher Wachskerzen die unheimlich« Farbe der Vernichtung nahm.

Mein lieb«, lieb« Bruder!" flüsterte sie und faßt« die starre Hand des Verblichenen in ihre Rechte. Nur für einen Moment jedoch, dann lag die alte Frau, wemend wie ein Kind, vor dem Sarge aus den Knieen, indessen Frau Bernhard mit niedergehaltenrm Haupt neben ihr verharrte, bis sich di« Thür deS Gemaches von neuem öffnete und auch Herr Luit« kam, um ein stilles Gebet an d« Leiche des Freundes zu verrichten.

* *

*

Von vielen Leidtragenden begleitet, war die irdische Hüll« Friedrich Schmiedens zur letzten Ruhe bestattet worden, und di« trauernden Angehörigen des Toten traten wird« in das verwaiste Heim. Noch zitterten im Auge d« Rätin Helle Thränen, zeugten die Gesichter der beiden Männer von d« tiefe» Ergriffenheit, mit welcher sie dm teurm Vater, dm lieben Freund in die Gruft gesenkt, als die Magd atem­los in» Zimmer gestürzt kam.

Um Gottes willen, Herr Doktor," zitterte eS üb« ihr« Lippen,helfen Sie, helfe« Sie!' Al» d« junge Arzt verwundert zu d« aufgeregten Person hmübersah, in deren Zügen namenloses Entsetzen lag, fuhr sie fort:Jesus, soeben kam ein Bot« vom Stationsvorsteher des L . .er Bahnhofs und bat, wenn eS dem Herrn Doktor nur irgend möglich sei. sofort nach dem Perron zu kommen. Kurz vor d« Einfahrt in dmselben ist der Zug, welcher au» W. kam, entgleist. Es hat ein gräß­liches Unglück gegeben, zwanzig Menschen sind tot und eine große Menge schwer und leicht« verwundet. Dabei ist kein Arzt zur Stelle, und die meisten Ärzte, bei dmen die Boten bis jetzt gewesen, waren wohl de« Sonntags wegen nicht zu treffen. Da siel dem braven Mann zu rechter Zeit ein, daß Herr Doktor Schmieden wohl hier sein werde."

Ich komme," unterbrach Guido den Redefluß d« Magd. Und nach seinem

Hut greifenv sagte er zu den Gästen gewendet:Verzeche, Tante, und auch Sie, Herr Lutter, entschuldigen mich wohl! Diese Pflicht geht selbst über den persönliche» Schmerz und die Pflicht des Wirtes gegen seine Gäste."

Natürlich." entgegnete der aste Gutsbesitzer. Tante Klara streichelte nur die Hand des Neffen :Geh' mit Gott. Guido!"

Schnellen Schrittes verließ d« Doktor das Zimmer, in welchem Frau Barn« und Herr Lutter mit den traurigsten Empfindungen zurückblieben. Auch dm greisen Mann hatte der Heimgang des treuen Ge ährten seiner Jugend mehr erschüttert, als man es ihm zugetraut hätte. Und wie sich die beiden Asten nun in tausend lieben Erinnerungen an den Verstorbenen ergingen, rollten ihnen immer wieder belle Thränen über die runzrloollen Wangen. Frau Bernhard hatte inzwischen den Kaffe« serviert und war auf dir Einladung d« Herrschaften ebenfalls im Zimmer geblieben. Aber selbst während man nun zu dreien den duftigen Trank schlürfte, sprach man doch nur von den guten Eigenschaften des Toten, bis sich Herr Lutter endlich gewaltsam aus seinem Kummer ausraffte.

Und alles Übrige folgt, meine Damen," sagt« er jetzt und versuchte sein« Stimme den asten sicheren Ton zu geben.

In diesem Augenblick erschien auch Guido wieder im Salon. Er sah erhitzt und aufgeregt aus. Er wandte sich an die Haushälterin.Haben Sie die Güte. Frau Bernhard, das Schlasgemach unseres lieben Verstorbenen für zwei Kranke herzurichten. Der entgleiste Zug hat weit mehr Unheil angerichtet, als man anfangs fürchtete" fitzte er erklärend hinzu,so daß cs absolut unmöglich ist, die armen Verwundeten alle in unseren Krankenhäusern, die gerade jetzt des Typhus wegen überfüllt sind, unterzubringen. So muß denn die Nächstenliebe der Bürger thätig sein. Zur Ehre unserer Stadt sei es übrigens gesagt, daß sich auch sofort Barm­herzige genug fanden, welche bereit waren, Verwundete aufzunehmrn. Ich als Arzt wollte und konnte natürlich nicht zurückstehen. Hoffentlich zürnen Sie mir deshalb nicht, liebste Bernhard, und nehmen geduldig die Last der Krankenpflege von neuem auf Ihre Schustern."

(Fortsetzung folgt.)