440

.Ich weiß schon, was ich spreche, Kind, und unheimlich bleibt es doch. Wäre ich an Deiner Stelle," fuhr sie zu der Rätin gewendet fort,so kündigte ich ohne weiteres die Stellung in diesem Hause. Mit Deiner Witwenpension kannst Du, auch ohne ein Engagement anzunehmen, ganz gut in der Stadt leben. Die Woh­nungen find ja so billig. WaS aber den Lebensunterhalt anbetrifft*

.Und mein Liebling, meine Elemente?" unterbrach Frau Barner die Rat­schläge der Freundin.

.So hängst Du wirklich an dem Kinde?" fragte das alte Fräulein.

.Mit ganzem Herzen. Betty! Ich habe mir ein Töchterchrn gewünscht, in Clemence fand ich dasselbe."

So plauderten die Damen, bis sich die Thür von neuem öffnete, und das junge Mädchen selbst über die Schwelle trat. Aber welch ein merkwürdiger Aus­druck lag heute auf dem jungen Gesicht! Man sah es ihm an, daß Clemence sich den größten Zwang anthat, um den Gästen der Rätin mit jener Höflichkeit zu be­gegnen, die der gute Ton verlangt. Ja, so hingenommen war sie von ihren eigenen Gedanken und Empfindungen, daß sie nicht einmal Staunen zeigte über die Ver­änderung. welche mit Hermine vorgegangen. ES schien sie auch durchaus nicht un­angenehm zu berühren, daß die beiden Damen sich bald nach ihrer Heimkehr em­pfahlen. Der Wagen war vorgefahren, und da ein Paar übermütiger junger Pferde eingespavnt worden, so durfte man nicht mit dem Einsteigen warten lasten.

Mit der liebenswürdigen Einladung, den Besuch doch recht bald auf dem Rosenhof erwidern zu wollen, schieden Tante und Nicht« dann auch unverzüglich. Die Rätin hatte sie noch bis vor die HauSthür begleitet und war nicht eher wieder in ihr Quartier zurückgekehrt, als bis sie das Gefährt davonrollen gesehen.

Als sie dann langsam wieder die Treppe hinaufgestiegrn war und die Thür zu ihrem Wohnzimmer geöffnet hatte, blieb sie betroffen auf der Schwelle stehen. Clemence lag vor dem Sofa auf den Knien und weinte leidenschaftlich. Während sie die Hände rang, klang es in abgebrochenen Sätzen von ihren Lippen: .So Schreckliches habe ich mir nicht gedacht!"

lautes Weinen aus und wendete stets den Blick vom seinen Opfern. Auf die Frage des Staatsanwalts, woher die Verletzungen rühren, die er am Kopfe hatte, antwortete der Verhaftete, eines von seinen 8 Ge­schwistern habe ihn verletzt, was jedoch sämtliche in Abrede stellten, und dis Kuh habe ihn gestoßen, ob­wohl die Familie keine besitzt. Der Jammer der Eitern und der 8 Geschwister des Verhafteten läßt sich nicht beschreiben. Ebenso ist das Entsetzen der hiesigen Einwohnerschaft. Auch der Kaminfegergeselle ist verhaftet. Der ermordete Mehl wird als ein großer starker Mann geschildert und es müssen zwei Mörder gewesen sein. Der ebenfalls umgebrachte Knecht ist nicht 20, sondern erst 16 Jahre alt. Neueste Nachrichten melden bestimmt, daß der Verhaftete die That eingestanden hat.

Köln, 18. Aug. In Mühlheim am Rhein herrschte in der letzten Woche große Erregung gegen die Köln - Mühlheimer Dampfschiffahrtsgesellschaft, welche um die Concurrenzgesellschaft zu vernichten, den Fahrpreis von 20 auf 15 Pfennige herabgesetzt hatte. Gestern Abend versuchte eine große Menschen-- menge das Landen der Schiffe der alten Gesellschaft zu verhindern. Dabei kam es zu einem Krawall,, worauf die Menge zu tausenden anwuchs und den ganzen Werftplatz und die angrenzenden Straßen be­setzt hielt. Als die Polizei von der blanken Waffe Gebrauch machte, wurde zur Hilfeleistung Gendarmerie requiriert, welche blinde Schüsse abgab. Die höchst erregte Menge eröffnet« ein Steinbombardement und demolierte sämtliche Laternen, ein Wetterhäuschen sowie ein Uhren-Postament. Zahlreiche Fensterscheiben in den umliegenden Häusern wurden eingeworfen- 22 Schutzleute wurden durch Steinwürfe verletzt, darunter auch ein Kommissar. Dieselben wurden teil­weise ins Spital gebracht. Unter der Menge wurden zahlreiche Personen durch Säbelhiebe von Polizisten verwundet, eine Anzahl Personen verhaftet. Der Landrat hat telegraphisch für heute Abend militärische Hilfe erbeten. In der Stadt herrscht große Aufregung..

Köln, 20. August. In der vergangenen Nacht stieß, wie dieKöln. Volksztg." berichtet, bei Mehrum am Niederrhein ein Personendampfer mit einem Schleppzug zusammen. Ein Schleppschiff ver­sank, 8 Personen ertranken.

Berlin, 18. Aug. Heute Vormittag 11 Uhr hat die unverehelichte Else Sänke ihren Geliebten,. einen Doktor in die Wohnung ihrer Freundin kommen lassen unter der Vorspiegelung, er sollte einen Kranken­besuch machen. Kaum hatte der Arzt die Wohnung betreten, als sich seine Geliebte auf ihn stürzte und ihn mittelst dreier Revolverschüsse tötete. Die Mör­derin wurde verhaftet.

Berlin, 20. Aug. Der Kaiser ist gestern Abend in Wilhelmshöhe eingetroffen und wurde von der Kaiserin am Bahnhof empfangen.

Berlin, 20. Aug. Der Nordd, Allg. wird

Auf den Fußspitzen gehend, hatte sich die Matrone dem Mädchen genähert. Jetzt legte sie die Hand auf ihre Schulter, und sich zärtlich über das dunkle Köpf­chen neigend, fragte sie:

»Was ist Dir, mein Liebling, sprich Dich aus, ich bitte Dich! WaS auch ge­schehen, Tu darfst es mir getrost anvcrtrauen. Ich kann schweigen wie das Grab!"

Aber Clemence hob abwehrend ihre Hände.Nein, nein, nein!" stieß sie dabei fast wild hervor.Ich darf nicht reden! Frage mich nicht, Tante, denn vor meinem Munde liegt ein Schloß. Und doch, ich ersticke an diesem Geheimnis, ich erstick«!'

In gellendem Aufschrei hatten sich diese Worte über ihre Lippen gerungen, dann sprang sie plötzlich m die Höhe. Flüchtig wie ein Reh stürzte sie aus dem Gemach, weiter durch die ganze Flucht der eleganten Räume, »ach ihrem Schlaf­stübchen, bissen Thür sie hinter sich verriegelte.

Nun ich das Entsetzliche weiß, wie soll ich leben?!" stöhnte sie hier und rannte im Zimmer umher, rastlos, immer von neuem. Endlich ermüdete sie jedoch und warf sich auf das Sofa. Lang ausgestreckt lag jetzt die reizende Gestalt auf dem weißen Polster. Die dunklen Augen waren aufgeschlagen und starrten regungslos auf die Stuckoerzierung der Decke. Ihre Lippen bewegten sich dabei, als lese sie da oben eine seltsame Mär. Ader eS war nur der eigene Geik. welcher ihr wieder­holte. was sie gehört und was sie erschüttert hatte bis in die Grundtiefen der jungen Seele.

Wie schon erzählt, hatte Clemence heute Morgen einen Gang nach der Stadt gemacht. Sie passierte dabei die verschiedensten Straßen und besuchte mehrere Läden, weil sie eine gewisse Nüancr roter Seide, dl« sie zu ihrer Stickerei bedurfte, nirgends bekommen konnte und doch unter allen Umständen haben wollte. Auf diese Weise kam sie auch über den Markplatz. Hier sah das junge Mädchen vor dem Hause eines angesehenen Bürgers einen Leichenwagen stehen und um diesen herum eine groß; Menschenmasse. Sie wußte, daß eine Neuvermählte zu Grabe getragen werden sollte. Da sie dieselbe gekannt, blieb auch sie stehen, um den Sarg zu er­

bte Verletzung nicht, bald stellte sich leider Blut­vergiftung heraus, die ganze Seite schwoll an und Scheible starb gestern unter furchtbaren Schmerzen.

Stuttgart, 20. Aug. Heute früh 9 Uhr wurde dem Raubmörder Vöster durch den Ersten Staatsanwalt Herrschner, im Beisein des Land- gerichtssekretärs Haug, die Eröffnung gemacht, daß Se. Majestät der König sein, Vösters, Gnaden­gesuch zurückgewiesen habe. Vöster nahm die Eröff­nung trotzig hin und beteuerte wiederholt seine Un­schuld, auch wies er den geistlichen Beistand zurück. Die Hinrichtung wird dem Vernehmen nach am Don­nerstag morgen stattfinden.

Stuttgart, 20. Aug. Durchschnittspreise des hiesigen Schlacht- und Viehhofes pr. Pfd. Schlacht­gewicht: Farren und Stiere 5860 Rinder 66 dis 68 -H, Schweine 5558 qZ, Kälber 7074

Freuden st adt, 20. Aug. In Herzogsweiler fand gestern nachmittag in der Wirtschaft zum Adler eine Schlägerei statt, wobei der I. Geiger von Lützenhardt von seinem Gegner N. Haub mit einem Stiletmesser in den Unterleib gestochen wurde. Das Leben des Verletzten ist in Gefahr.

Rottweil, 19. Aug. Dem heutigen Monats­vieh m a r k t wurden im Ganzen 552 Stück zugeführt und zwar 30 Pferde, 117 Ochsen, 149 Kühe, 222 Rindle, 30 Farren und 4 Ziegen. Für ein Paar fette Ochsen wurden bezahlt 10001200 »-/L, für Zugochsen 700 bis 1000 für Ansetzlinge 380500 für jüngere Kühe und Kalbeln 380420 für Farren '/-jährig bis Ijährig 250450 für Ziegen 1015 Der Handel war im Allgemeinen ordentlich. Mit der Bahn wurden befördert abwärts 20 Wagen, in der Richtung nach Villingen 6 Wagen, nach Tuttlingen 6 Wagen. Dem Schweinemarkt wurden 403 St. Milchschweine und 12 Läufer zugeführt. Der Handel war anfangs ein flauer, ging aber in kurzer Zeit lebhafter und wurden bezahlt für Milchschweine 1328 für Läufer 45 bis 60 Es wurde bereits die ganze Zufuhr abgesetzt.

Neu-Ulm, 19. Aug. Die Ulmer Ztg. be­richtet: Heute früh wurde der 21jähr. Sohn des Bürgermeisters Wiedemann im nahen Holz­schwang, als er nicht zur gewohnten Zeit zum Frühstück erschien, in seinem Bett tot aufgefunden. Die sofort angestellte Untersuchung des Leichnams führte auf Merkmale der Strangulation am Hals, so baß daraus die Vermutung entstand, der Unglückliche sei im Schlaf überfallen und erdrosselt worden. Das k. Amtsgericht hier und die k. Staatsanwaltschaft in Memmingen wurden unverweilt von dem Vorgang in Kenntnis gesetzt und der k. Untersuchungsrichter mit den Gerichtsärzten sind zur Erhebung des That- beflandeS und der Sektion des Leichnams heute Nach­mittag erwartet worden. Ueber der Unthat selbst und über den Urheber derselben schwebt bis zur Stunde noch ein undurchdringliches Dunkel.

Walldürn, 17. Aug. Den rastlosen Be­mühungen der Gendarmerie ist es nach der Bad. L.Ztg. gelungen, einiges Licht über die Thäterschaft des ruchlosen Verbrechens zu bringen. Verhaftet wurde ein 17 Jahre alter Drechslersohn von hier als dringend verdächtig, an dem Raubmord mit be­teiligt gewesen zu sein. Das Hauptoerdienst, das zur Verhaftung des kaum den Knabenschuhen entwachsenen Verbrechers gedient hat, gebührt einem Schaffner der Walldürn-Seckacher Bahn. Die Umstünde, die zur Verhaftung führten, sind folgende: Mit dem letzten Zuge am Donnerstag abend, der von Hainstadt um 9 Uhr 2 Min. nach Seckach abgeht, kam in aller Eile ein junger Bursche, ließ sich im Stationsgebäude ein Glas Wasser geben und nahm eine Rückfahrkarte von Hainstadt nach Seckach. Beim Anblicke des Polizei­dieners, der zugleich am Bahnhofe anwesend war und die Postbotenstelle in Hainstadt mit versieht, erschrack der in großer Aufregung Befindliche so heftig, daß es den auf dem Bahnsteig anwesenden Bediensteten allgemein auffiel, doch legte man diesem Vorfall keine Bedeutung bei, da ja von dem Morde an jenem Abend noch nicht das Geringste bekannt war. Der Schaffner erkannte den Passagier sofort als Walldürner, wußte aber dessen Namen nicht. Er fragte ihn, was er denn noch in Seckach zu thun habe. Der Reisende ant­wortete, er wolle dort zu Nacht essen. Im Lamm in Seckach verzehrte der junge Mensch eine Portion Rindfleisch, wozu er 2 Glas Bier trank, und ließ sich noch 8 Zigarren geben, worauf er mit dem Zug wieder nach Walldürn zurückfuhr. In Hainstavt mußte eine Fahrkarte nach Walldürn gelöst werden, der Bursche stieg aus, doch bevor er sich in das Stations­gebäude .begab, machte er sich im Garten zu schaffen und hat dort aller Wahrscheinlichkeit nach verschiedene Gegenstände versteckt. In Buchen gesellte sich im Zug ein zweiter junger Mensch zu ihm, ein Kaminfeger­geselle, und beide begaben sich nach Ankunft des Zuges in Walldürn nach dem Gasthaus zum römischen Kaiser, derselben Wirtschaft, wo am Nachmittag der Ermor­dete die 68 ^ für ein verkauftes Schwein in Em­pfang genommen hatte, und tranken Jeder 8 bis 10 Schnäpse. Am nächsten Tage, als die Wahrnehmungen des Schaffners der Gendarmerie bekannt geworden waren, bekam der Erstere sofort dienstfrei, uni in Ge­meinschaft mit der Gendarmerie den Verdächtigen aus­findig zu machen, der auch am Samstag mittag, als die Leute vom Feld heimkehrten, vom Schaffner er­kannt wurde, als er, eine Sense auf dem Rücken, dem elterlichen Hause zuschritt. Das Erschrecken des Arretierten war ein furchtbares, er konnte nur lallen und ließ sich willig verhaften. Im Koffer fand man ein blutbeflecktes weißes Hemd, den ausgewaschenen Sonntagsanzug und die Stiefel, die ganz genau in die Spur paffen, wo am Feldbrunnen in der Nähe Hainstadts sich vermutlich der Mörder die Kleider gewaschen hatte. Bei der Gegenüberstellung mit den beiden Ermordeten brach der jugendliche Mörder in