Amts und Anzeigeblatt für den Bezirk (Lalw
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Erscheint Dienstags, Donnerstags und Sam.'StagS. Die EinrÜSungSgebLhr beträgt tm Beziü und in nächster Umgebung S Pfg. die Zeile, sonst lS Pfg.
Samstag, den 17. August 1895.
AbonnemeMSpretS vierteljährlich tu der Stadt SV Psg u»> -0 Pfg. TrLgerlohn, durch die Post bezogen Mk. 1. 15. sonst i< ganz Württemberg Mk. 1. S5.
Tagesneuigkeiten.
X Calw. Für die Hagelbeschädigten sind bis jetzt bei der örtlichen Sammelstelle in Calw etwas mehr als 13 000 -/L, bei der gemeinsamen Sammelstelle, der hies. Oberamtspflege 4173 ^ und Lei der Nagolder Sammelstelle wohl auch ein erheblicher Betrag eingegangen. Es ist dies eine schöne Summe, welche wir der öffentlichen Mildthätigkeit verdanken. Wenn man aber die großen Schadenssummen bedenkt, welche bei der Verteilung in Betracht kommen (Bezirk Calw und Nagold 800000 so wird es zu Vermeidung irriger Auffassungen gut sein, darauf hinzuweisen, daß wenn auch die Gaben noch reichlich fließen, doch nur die armen und wenig bemittelten Beschädigten, und diese nur mit ganz mäßigen Beträgen bedacht werden können. Leider wurden nach dem Hagelschlag in den Bezirken Calw und Nagold noch verschiedene andere Bezirke von Hagelschäden betroffen, was auf unsere Sammlungen von erheblichem Einfluß sein wird. Erfreulich ist der große Eifer und der Erfolg mit welchem sich di« hiesigen Geschäftsfirmen die Sammlung für ihre Mitbürger in Stadt und Land angelegen sein lassen.
Wenn auch diesmal das Nichtversichertsein gegen Hagelschlag damit entschuldigt wird, daß unser Bezirk seit langer Zeit nicht von einem solchen Schaden heimgesucht wurde, so dürfte jetzt umsomehr allen Grundbesitzern zu raten sein, die Versicherung nicht mehr zu unterlassen, nachdem durch die Unterstützung des Staats die Prämien sehr mäßig geworden sind. In vorwiegend bäuerlichen Gemeinden dürfte es sehr zu empfehlen sein, wenn Hie Gemeindeverwaltung die ganze Markung versichert, wodurch sich die Beiträge noch weiter vermindern. Jetzt schon dürften derartige Beschlüsse gefaßt werden.
— Morgen Sonntag, den 18. ds., wird von Stuttgart nach Wildbad ein Sonderzug zur Ausführung kommen. Abgang in Stuttgart 6 Uhr 55 Min. morgens, in Calw ab 8 Uhr 43 Min., Liebenzell ab 8 Uhr 57 Min., in Wildbad an 10 Uhr. Abgang abends in Wildbad 8,30, in Liebenzell 9,32, in Calw ab 9,55, in Stuttgart an 11,25. Billette zu diesem Sonderzug werden in Calw und Liebenzell zu den gewöhnlichen Fahrpreisen ausgegrben.
Calw. Nach der Statistik, welche Hr. Kollaborator Daiber aus Laupheim auf Grund der Viehzählung vom Jahre 1890 über die Geflügelzucht ausgearbeitet hat, kommen auf Calw und die angrenzenden Bezirke folgende Zahlen: Eierertrag im Oberamtsbezirk Calw 2,775,400 Stück, Nagold 2,529,000, Horb 2,342,300, Herrenberg 3,108,200, Neuenbürg 2,646,800, Rottenburg 3,362,700, Böblingen 3,024,600, Laupheim 3,760,600. Die Produktionskosten berechnet Kollab. Daiber in sämtlichen Oberamtsbezirken auf 706,426 den Wert der Eier auf 1,175,510 hienach betrüge der Reingewinn 469,084 In Laupheim entfallen 143 Eier auf 1 Einwohner pro Jahr, in Herrenberg 128, Rottenburg 118, Horb 116, Böblingen 112, Calw 109, Nagold 100, Neuenbürg 98.
Balingen. Der Ersatz an Geflügel, welches in Folge der Ueberschwemmung verloren ging, findet dieser Tage statt. Derselbe beziffert sich auf 930 Hühner, 197 Enten, 106 Gänse (hiezu kommt noch 1 Bienenstand mit 13 Völkern) im Gesamtwert von 2 600 ; betroffen wurden im
ganzen 112 Familien. Zur Einführung gelangt italienisches Zuchtgeflügel und es ist in den nächsten Jahren dadurch sämtlichen Bezirksangehörigen Gelegen
heit gegeben, durch Benützung von Bruteiern dieses Nutzgeflügels den eigenen Bestand in wünschenswerter Weise zu verbessern. Es ist dies von ganz besonderem Werte für die teilweise sehr arme Bevölkerung, die ganz besonders darauf angewiesen ist, durch den allerdings häufig noch sehr geringen Eierertrag die notwendigsten Dinge für den Haushalt zu beschaffen. — Die im Bezirk gehaltenen 7 Vorträge über Geflügelzucht, welche die Kgl. Centralstelle auf Ansuchen des Hilfskomites anordnete, fanden überall zahlreiche Beteiligung.
Heilbronn, 15. Aug. Der durch 2 Wagenpuffer zerquetschte Salzsteueraufseher Höschle ist seinen Verletzungen erlegen. — Es wurde schon seit einigen Jahren im hiesigen Wollhaus Wolle gestohlen und zwar gewöhnlich zur Zeit der Wollmärkte, ohne daß es gelungen wäre, den Thäter zu entdecken. Nunmehr wurde gestern ein hier wohnender Unterhändler und Taglöhner wegen dringenden Verdachtes diese Diebstähle vollführt zu haben, festgenommen und es hat auch die vvrgenommene Durchsuchung erhebliche Beweise zu Tage gefördert. Voraussichtlich sind noch mehrere Personen in diese Sache verwickelt.
Durlach, 12. Aug. Großes Aufsehen: erregt in hies. Stadt die plötzliche Verhaftung eines angesehenen und sehr reichen Bürgers, des verheirateten Architekten Seifert. Die Festnahme erfolgte auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft in Straßburg, wohin Seifert bereits verbracht worden ist. Wie man hört, hatte der Verhaftete längere Zeit ein Liebesverhältnis mit einem 25 Jahre alten Mädchen, das nicht ohne Folgen blieb. Um den drohenden Eventualitäten vorzubeugen, soll Seifert eine Hebamme in Straßburg zur Begehung des Verbrechens im Sinne
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Gnkrl Gerhard.
Erzählung von Marie Widdern.
(Fortsetzung.)
Der Wagen war schnell zur Abfahrt bereit gemacht. Mit eigenen Händen schaffte Lutter das Gepäck seines künftigen Schwiegersohnes von dem Giebelstübchen hinab, ohne daß er dabei HermineL ansichtig ward, die gerade in diesen Minuten weinend den Kopf an der Brust der treuen Tante barg.
»Fort — Guido muß fort," kam eL dabei stammelnd über ihre Lippen. „Und was das Schlimmste für mich ist, er trägt die Erinnerung an die .Karikatur', den .Dragoner vom Rosenhof', wie man mich vor seinen Ohren gescholten, mit sich." —
Inzwischen hatte Guido in Gesellschaft seiner Tante und deren Pflegebefohlenen ein paar angenehme Stunden verlebt. Beide Damen wetteiferten mit einander, um ihn die erlebte Scene vergessen zu machen. Ja. di« Tante hatte jetzt mit einem Mal so viel Gutes und Liebes von Hermine zu erzählen, daß der junge Arzt sich wirklich mit dem Gedanken an die Berlobung mit derselben ausgesöhnt haben würde, wenn nicht an seiner Seite daS reizende, fremdartig schöne Möschen gefisten, welche« ihn mit einem Schlage um seine ganze innere Ruh- gebracht hatte. Eben wieder hingen seine Blicke bewundernd an dem holden Gesicht der Kleinen, über dessen seltsam traurigen Ausdruck er immer wieder zu denken fand, als er plötzlich von hinten seine Schulter berührt fühlte. Erschrocken, wie auf einem Unrecht ertappt, schaute er sich um. Dieses Gefühl aber verstärkte sich noch, als er das Antlitz fiineS Schwiegervaters vor sich sah. Im Augenblick fühlte er. wie die Nöte des Zornes ihm in das Gesicht stieg. Hatte ihm Hermine etwa den Allen nachgesandt? Sollte Lutter ihn der Gesellschaft ClemerceS entziehen, weil das Monstrum von einem
Mädchen eifersüchtig war? Ein Blick der Empörung traf Herrn Lutter, und ohne Rücksicht auf die Gegenwart der vielen fremden Menschen, die ihn unter den schattigen Bäumen des RathauSgartenS umgaben, öffnete Guido die Lippen zu einem leidenschaftlichen Wort. Der greise Gutsbesitzer aber mußte in der Seele des aufgeregten jungen Mannes gelesen haben; er machte eine abwehrend« Handbewegung und sagte, die Damen am Tisch mit leichter Verneigung begrüßend:
.Ich komme Dir leider aus einer sehr schmerzlichen Veranlassung bis hierher nach, nachdem ich in der Villa Bornstedt erfahren, daß die Herrschaften zum Konzert nach dem Rathausgarten gegangen, und —"
.Aus einer schmerzlichen Veranlassung?' unterbrach Guido erschrocken de» Redefluß des Allen. .Um Gott, Herr Lutter, was ist denn geschehen? Sagen Sie mir schnell, was Sie hierher führt!' Aber p'ötzlich in m-rklich ruhigeren Ton verfallend setzte er hinzu: .Sollte etwa Fräulein Hermine ein Unglück passiert sein?"
.Nichts von meiner Tochter! Es handelt sich hier um ein Glied der Familie Schmieden. Es ist Dein guter Vater, mein Junge, welcher plötzlich sch ver erkrankt ist und nach Dir verlangt."
Guido war in dir Höhe gefahren; aber auch die Rätin verließ ihren Platz. Sie Halle ihren Bruder immer aufrichtig lieb gehabt; was Minder da, daß die Nachricht des Allen sie jetzt bis in die Seele traf.
„Du mußt sofort den Wünschen des Kranken genügen," sagte Lutter indessm mit möglichst ruhigem Tone, indem er Guido die Hand auf die Schüller legte. „Wie leid eS mir auch thut," setzte er mit einer kleinen Verbeugung vor der Räti» hinzu, welche fremd genug erschien in Anbetracht der allen Jugendbeziehungen, .wie leid eS mir auch thut, darauf verzichten zu müssen, den hurtigen Abend festlich z» begehen und liebe Gäste bei uns zu begrüßen. Übrigens," wandte er sich wieder an den Dollar, „habe ich Dir Dein Gepäck gleich mitgebracht, und mein Wagen wartet vor der Thür, damit Du ohne Verzögerung nach dem Bahnhof fahren kannst» um schon den Abendzug nach C ... zu benutzen." (Forts, folgt.)