Samstag

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Keilage;u Ur. 65»

1. Sunt 1895.

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Der Erbe von Nattingen.

Novelle von Wilhelm Berger.

(Fortsetzung.)

Ich nahm die Pause im Gespräch wahr, um mich zu empfehlen; hatte doch diese erste Unterhaltung, die mir mit der Freiin von Rattingen vergönnt war, ohne­hin schon lange genug gedauert. An diesem Abend sah ich sie nicht wieder; als die Thüren des Speisesaals geöffnet worden waren, mußte sie sich entfernt haben.

Hernach geriet ich in die Gesellschaft einer älteren Dame, einer geborenen Berlinerin, die sich ein Vergnügen daraus machte, den nordischen Fremdling ein wenig über die Persönlichkeiten zu orientieren, die in diesem Kreis« eine Rolle spielten. Nachdem ich von einer genügenden Anzahl der Anwesenden vernommen hatte, wo sie der Schuh drückte, wagte ich nach dem Fräulein von Rattingen und ihrem Neffen zu fragen.

,O, das Fräulein ist eine ganz vortreffliche Person/ ließ sich meine neue Bekannte vernehmen; »man hört nur Gutes von ihr. Sie soll ihre Besitzungen musterhaft verwalten, und wirklich ganz selbständig mit einem Eifer, als ob die Arbeit ihre größte Freude wäre. Nur eine Schwäche hat sie, nämlich eine fast blinde Zuneigung zu ihrem N>ffen. Nun, ein bildhübscher Strick soll er von Jugend an gewesen sein, der junge Herr, und gegen sein -süßes Tantchen' wie er sie noch jetzt im vertrauten Kreise nennen soll ist er immer sehr zärtlich gewesen. Da mag sich wohl bei ihr ein mütterliches Gefühl für den schönen Schmeichler ent­wickelt haben. Leider weiß der Herr Siegfried, daß die Tante ihn zu ihrem Erben bestimmt hat. Demgemäß lebt er, und das Fräulein läßt ihn gewähren. Neuer­dings treibt er'S etwas arg. Man spricht von einer sehr kostspieligen Liaison, die er angeknüpft habe. Ich will ihm wünschen, daß seine Tante nichts davon erfährt; wie ich sie kenne, hat sie über dergleichen Extravaganzen puritanische Ansichten. ES wundert mich schon, daß sie ihm zu spielen gestattet; denn das muß sie doch wohl, da sie seine Verluste deckt. Und diese Verluste können nicht unbeträchtlich sein, nach allem, was man hört. Der junge Herr scheint kein sonderliches Glück im Spiel zu haben."

Ich hatte genug vernommen. Es schien also, als ob auch Hulda eine jener Mütter wäre, die bei aller sonstigen Charakterstärke einem geliebten Kinde keinen Widerstand zu leisten vermögen und gelähmten Willens dasselbe seinen Kurs ver­folgen lassen. Nach dem Eindruck, den sie auf mich gemacht, hatte ich Besseres von ihr erwartet; ich war ich gestehe es unangenehm enttäuscht. Vielleicht aber that ich ihr unrecht; vielleicht hatte sie ihre besonderen Gründe zu der Nachgiebigkeit gegen den Sohn, der vor der Welt ihr Neffe war. Wenigstens hoffte ich es.

Am nächsten Morgen arbeitete ich in meinem Hotel bis Mittag. An den Besuch! den mir John Parker verheißen hatte, dachte ich nicht. Erst als ich mich rüstete, auszugehen, kam er. Unwirsch sagte ich ihm. er möge am Abend wiederkommen. Indessen bat er dringend, mir eine kurze Mitteilung machen zu dürfen, und ich glaubte hören zu müssen, was ihn drückte. Also forderte ich ihn auf, zu reden.

Sofort begann er mit wichtiger Miene: «Gestern Abend hat's einen heftigen Austritt gegeben zwischen Siegfried und seiner Mutter. Von seinem Kammerdiener weiß ich's. Ich erzählte Ihnen schon, der Junge habe ein Verhältnis. Na, was ist weiter dabei? In der großen Wett, dächt' ich, drückte man über so etwas ein Auge zu. Wie billig: Jugend hat nun einmal keine Tugend, und Most muß schäumen'

.Bitte, verschonen Sie mich mit einer Apologie des Lasters," unterbrach ich ihn scharf. »Weiter! meine Zeit ist kostbar."

Er sah mich groß an, wie verwundert darüber, daß ich seine toleranten An­sichten nicht teilte; doch gehorchte er mir und fuhr fort: »Also die Mama ist dahinter gekommen. Wie, weiß ich nicht. Und als er vom Liebchen heimkam, hat sie ihn empfangen und eL ihm auf den Kopf zugesagt, wo er di« späten Abende verbringe. Und gedroht hat sie ihm, sie würde ihre Hand von ihm abziehen, wenn er nicht mit dem Mädchen breche, oder wenn er jemals wieder sich in ein ähnliches un­moralisches Abenteuer einlaffe. Denken Sie! Ihm zu drohen hat sie gewagt, sie in ihrer Lage! Und auS solchem Grunde! Wenn Siegfried nur wüßte, wie er zu ihr steht: er würde sie rasch genug nötigen, andere Saiten aufzuziehen!"

»Haben Sie etwa die Absicht, es ihn wissen zu lassen?"

»Noch nicht. Aber ich kann nicht voraussehen, wozu ich noch getrieben werde. Mein Junge soll etwas davon haben, daß er eine vornehme Mutter hat."

Ärgerlich rief ich! »Sie würden am besten daran thun, Herr Parker, heute noch nach Amerika abzureisen I"

Ich hatte die Geschichte satt. Meine M,ppe vom Tisch nehmend, schickt» ich mich an, meiner Wege zu gehen.

Siegfrieds rappelköpfijcher Vater strich sich nachdenklich den weißen Schnurr­bart. Dann stieß er einen englischen Fluch aus und brummte: »Sie mögen recht haben, Herr Rat. Meinen Sie. eS sei ein angenehmes Gefühl, mit der brennenden Lunte in der Hand bei einem Pulverfaß zu stehen wie ich jetzt? Aber ich kann noch nicht abkommen; meine Geschäft« rücken nicht von der Stelle."

Ich verließ das Zimmer und stieg die Treppe hinab; er blieb neben mir.

,Di» Münchener Brauereien sind so schwierig, als ob sonst nirgendswo Malz

mit Hopfen eingesotten würde," klagte er. »Und so mißtrauisch! Zuerst Zahlung, dann Lieferung; so allenthalben. Bei solch altmodischen Grundsätzen ist ja kein gesundes Geschäft möglich."

Weise Vorsicht der Münchener Herren! Daß sie bei John Parker wohl an­angebracht war, bezweifle ich nicht.

Er setzte seine Jeremiade bis auf die Straße fort. Da blieb ich stehen, um ihm anzudeuten, daß er sich von mir trennen möchte.

In diesem Augenblick fuhr eine Equipage vorbei. Ich beobachtete sie nicht, bis ich es in des Amerikaners Gesicht zucken sah und er plötzlich verstummte.

In dem Wagen befand sich Hulda von Rattingen mit Herrn von Altmühl, Ich grüßte; doch kam eL mir so vor, als ob beide meinem Gefährten eine größere Beachtung schenkten als mir.

Kommen Sie !* flüsterte ich dem starr Dastehenden zu. Mechanisch gehorchte er; rasch entfernten wir uns.

Nach dreißig oder vierzig Schritten rief ich unmutig auS: »Ich wollte, Herr John Parker, Sie wären, wo der Pfeffer wächst!"

Damit verließ ich ihn, die Straße kreuzend.

VII.

Die Folgen dieser Begegnung ließen nicht lange auf sich warten.

Schon bei meiner Rückkehr in das Hotel fand ich ein Biklet von dem gnädigen Fräulein vor. Sie wünschte mich zu sprechen und zwar sofort. Den ganzen Abend werde sie für mich zu Hause sein.

Eine schöne Bescherung! Was sie von mir wollte, darüber war kaum ein Zweifel möglich. Sie mußte ihn erkannt haben, den Liebhaber von ehedem, erkannt haben trotz der Veränderungen, die fünfundzwanzig Jahre eines wechsel- vollen Lebens in seinem Aussehen bewirkt hatten. O, das Auge der Furcht sieht scharf!

Ich begab mich ohne Verzug in das Haus, welches Fräulein von Rattingen bewohnte.

Nach Nennung meines Namens führte der Diener mich sofort in das Arbeits­zimmer seiner Herrin ein schlicht möbliertes Gemach, d.ssen Hauptschmuck ein mächtiges Schreibpult von Eichenholz bildete. Eine Lampe mit grünem Schirm brannte in der M>üe des Sofatisches und erleuchtete nur einen kleinen Raum rings­umher; indem übrigen Teile des Zimmers herrschte eine Dämmerung, di« deutliches Sehen unmöglich machte. Diese Veranstaltung war klug ersonnen; sie schützte di« Freiin vor allzu scharfer Beobachtung. Sie konnte ja nicht wissen, wohin das Ge­spräch führen würde, zu dem sie mich geladen hatte!

Fräulein von Rattingen trat mir entgsgm und reichte mir die Hand. »Ich muß sehr um Verzeihung bitten, daß ich Sie bemüht habe," empfing sie mich, »um so mehr, als es sich nur um eine Auskunft handett, die ich von Ihnen erbitten möchte."

Kaum hatte ich mich dann, ihrer Aufforderung folgend, niedergelassen, als sie sofort, ohne Umschweife zur Sache kommend, fortfuhr: »Ich glaube heute in Ihrer Gesellschaft einen Menschen gesehen zu haben, der in einem Abenteuer, da» mir in meiner Jugend zustieß, eine Rolle gespielt hat. Mein Neffe sagt mir, der­selbe Mann habe sich ihm während der letzten Tage verschiedentlich in den Weg gestellt und ihn mit großer Unverschämtheit betrachtet. Die Anwesenheit dieses Mannes in München läßt mich befürchten, daß er gewisse Dinge, die er weiß, zu verwerten suchen wird. ES liegt mir deshalb daran, etwas Näheres über seine gegenwärtigen Verhältnisse, wo möglich über seine Sinnesart, zu erfahren. Nicht, daß ich ihn zu fürchten hätte; ich fürchte niemanden. Nur etwaigen Unannehmlich­keiten möchte ich, wenn möglich, Vorbeugen. Sie wissen ja ohne Zweifel, Herr Rat, daß Personen, die Ansprüche zu haben glauben, sehr lästig werden können, nament­lich wenn sie, ein direktes Vorgehen scheuend, auf allerlei sonderbaren Umwegen zum Ziel zu kommen suchen."

Sie hatte sich mit anerkennenswerter Vorsicht ausgesprochen. Es war an mir, ihr mitzuteilen, daß der von ihr bezeichnet« Mann sich John Parker nenn«, in Amerika ansässig sei und sich Geschäfte halber in München aufhatte.

DaS gnädige Fräulein stand noch immer, die Hände vor sich auf den Tisch gestützt. Etwas in dem Tone meiner Antwort mochte ihr verraten haben, daß ich zurückhielt, was mich die Form ihrer Erkundigung nicht zu sagen berechtigte. Sit mußte sich schon weiter vorwagen und that es, ohne zu zögem.

»Also Parker nennt er sich!" begann sie wieder. »Wenn er derjenige ist, für den ich ihn hatte, so führte er früher, als er noch in Deutschland war, einen andern Namen. Kennen Sie denselben vielleicht?"

»Allerdings. Er hieß Konrad Grubcr."

Und sie hastig: »Er hat Ihnen seine Geschichte anvertraut, nicht wahr?"

»Nicht er. Aber ich kenne seine Geschichte aus dem Mund« de» Förster» Wolsshagen."

Dieser Name traf sie zU unvorbereitet. Sie sank in einen Sessel, von mir abgewandt, und bedeckte das Gesicht mit den Händen.

Die Zeit, zu reden, war für mich gekommen.

Ich erzählte ihr von meiner ersten Begegnung mit dem Amerikaner, von meinen Beobachtungen im Theater, von dem darauf folgenden abermaligen Zu­sammentreffen mit dem verdächtigen Manne. Ich verhehlte keine der Äußerungen, die er über sich und seine Unternehmungen in Amerika gethan hatte. Warum sollt« ich auch? Hulda wollte ihren alten Liebhaber kennen lernen, wie das Leben ihn geformt hatte, wie sein Charakter sich in seinen Handlungen spiegelt«. Nicht» als Wahrheit konnte fi» befriedigen. (Fortsetzung folgt.)