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Entwurf eines Gesetzes, betreffend Aende- rungenund Ergänzungen des Strafgesetzbuchs, des Militärstrafgesetzbuchs und des Gesetzes über die Presse, in seiner derzeitigen Gestalt, »ie jedem anderen, die freie Meinungsäußerung oder die Freiheit der Lehre, der Wissenschaft und der Kunst gefährdenden Gesetzesentwurf die Zustimmung des Bundesrates nicht erteilt werde. Lang erklärt, diese Vorlage sei eine Schmach für Deutschland — dieser Ausdruck „Schmach" wird vom Präsidenten als unparlamentarisch bezeichnet —, über Wissenschaft und bildenden Künsten werde damit der Polizeistock geschwungen, im Lande Uhlands und Schillers müsse die Umsturzvorlage mit Entrüstung rurückgewiesen werden. Frhr. v. Gültlingen: Nachdem sich der Reichstag in sechs Sitzungen mit dieser Vorlage beschäftigt hat und ich allen diesen Sitzungen von Anfang bis zu Ende beigewohnt habe werden Sie es begreiflich finden, wenn ich nicht das Bedürfnis habe, über diese Umsturz-Vorlage länger zu sprechen. Ich habe mir das Wort nur erbeten um meine Abstimmung zu diesem Antrag kurz zu motivieren. Ich werde gegen diesen Antrag stimmen, nicht etwa weil ich prinzipiell gegen ihn bin, sondern weil ich Bedenken trage mich über einen konkreten Gegenstand, der mir anderweitig zur entgiltigen Entscheidung vorliegt, schon vorher an anderen Orten zu binden. Ich habe mit derartigen Bindungen schon schlimme Erfahrungen gemacht und ich möchte mich nicht wieder in eine derartige Gefahr begeben. Man kann ja auch ganz gut in Neichstagsangelegenheiten sich allgemeinen Bitten an die Kgl. Regierung an- schließen, wie wir dies vorhin mit überwiegender Mehrheit gethan haben. Allein gerade bezüglich solcher konkreter Gegenstände, wie sie hier zur Beschlußfassung vorliegen, möchte ich mich nicht zum Voraus binden. Ich habe aber auch noch andere Bedenken gegen diesen Antrag. Es heißt hier: „Dem Gesetz-Entwurf in feiner derzeitigen Gestalt." Die derzeitige Gestalt des Gesetz-Entwurfs ist mir aber offiziell nicht bekannt. Das was hierüber in den Zeitungen steht stimmt nicht alles miteinander überein, ich weiß daher nicht was richtig ist. Den Bericht der Commission habe ich noch nicht erhalten. Ich würde also hier über etwas abstimmcn von dem ich keine ganz bestimmte possitive Vorstellung habe. Sodann wirft man dem Gesetz-Entwurf seine dehnbaren Bestimmungen, seine Kautschuckparagraphen vor. Nun ist hier beantragt, zu bitten, daß auch jedem anderen die freie Meinungsäußerung oder die Freiheit der Lehre, der Wissenschaft und der Kunst gefährdeten Gesetzes- Entwurf die Zustimmung des Bundesrats nicht erteilt werde. Diese Worte sind doch gewiß auch dehnbar und ich könnte ihnen in ihrem vollen Umfang nicht zustimmen. Was speziell die freie Meinungsäußerung betrifft, so bin ich weit entfernt dieselbe unterdrücken zu wollen. Auch ich bedarf in meinem bürgerlichen und politischen Leben ja sogar in meinem privilegierten Leben dieser Freiheit der Meinungsäußerung und möchte in keiner Weise darauf verzichten, sie aber auch in keiner Weise einem andern verkümmern. Allein meine Herrn ich muß mich bei
dieser freien Meinungsäußerung hüten in Konflikt zu geraten mit der bürgerlichen und staatlichen Ordnung und mit den zu ihrem Schutz gegebenen und erforderlich erachteten und erachtet werdenden Gesetzen. Meine Herrn, ich habe gesagt, daß ich nicht aus prinzipiellen Gründen gegen diesen Antrag sei, sondern aus den von mir soeben erörterten Gründen. Ich kann noch weiter hinzufügen — Sie haben auch aus öffentlichen Blättern gelesen und ich habe Grund anzunehmen, daß das was in öffentlichen Blättern zu lesen war, richtig ist — daß namentlich meine Fraktion dem Gesetz-Entwurf, so wie er jetzt liegt, nicht zustimmen wird. Sie wird in erster Linie stimmen für diejenigen Paragraphen, welche gegeben sind zur Aufrechterhaltung der militärischen Disziplin, sie soll aber gesonnen sein, in der Gesamtabstimmung gegen den Entwurf, so wie er jetzt liegt, zu stimmen. Meine Herrn das sind Nachrichten, — eine Sitzung hat die Fraktion noch nicht gehabt, festgesetzt ist also der betreffende Beschluß noch nicht — ich kann aber soviel sagen, daß ich von meinem Standpunkt aus keinen Grund habe dieser Absicht der Fraktion irgendwie entgegen zu trete» und mich in diesem Punkt von ihr nicht trennen werde. Kloß: Die Sozialdemokratie stehe diesem Gesetz nicht ängstlich gegenüber. Wohl aber bedrohe dasselbe auch andere Parteien und überhaupt den ganzen Fortschritt unserer Kultur. Die Sozialdemokratie habe das Sozialistengesetz überwunden und sei dadurch nur um so stärker geworden. Ebenso ginge es bei diesem Gesetz, zehn oder zwanzig andere würden sich in die Lücke eines Gefallenen stellen. Redner schließt: So lange in Ihrem Busen noch ein Funken von Freiheits- und Rechtsgefühl ist, stimmen Sie alle für den vorliegenden Antrag. Gröber: Seine Fraktion lehne es ab, dem Antrag Hähnle und Gen. beizutreten, da es als eine ungewöhnliche Zumutung bezeichnet werden müsse, die Regierung zu einer bestimmten Stellungnahme im Bundesrate aufzufordern, da man die Fassung überhaupt noch nicht kenne. Redner begründet diesen Standpunkt noch weiter. Die absolute religiöse Freiheit wäre ihm lieber als jede Umsturzvorlage, welche in ihrer jetzigen Gestalt niemand befriedige. Zu Z 112 der Vorlage sagt Redner, daß es nur recht und billig sei, daß Einrichtungen im Heere und der Marine nicht verächtlich gemacht werden dürfen. Es sei der Kommission ein schauderhaftes Material Vorgelegen, Flugblätter, die in den Kasernen verteilt worden seien. Der Soldat müsse intakt bleiben und seine Dienstzeit nicht mit solchen Niederträchtigkeiten vercckelt werden. Gröber bestreitet der Volkspartei das Recht, sich als Freiheitspartei xar exeeUeoee zu bezeichnen, solange sie nicht auch für die religiöse Freiheit eintrete. Hausmann - Gerabronn legt in knappen Zügen seine schweren Bedenken gegen die Vorlage dar, wobei er durch häufige Berufung auf Bibelsprüche das Haus lange in Heiterkeit erhält. Prälat v. Sandberger will sich der Abstimmung enthalten. Er freue sich, daß Haußmann ein so wackerer Bibelkenner sei, aber seine Exegese leide doch an manchen Mängeln. Schrempf führt aus, er und seine konservativen Freunde seien in vielen Punkten einverstanden mit der Vorlage,
^ ^ ^ O sRschdruck verboten.!
Der tzröe von Hattingen.
Novelle von Wilhelm Berger.
(Fortsetzung.)
Kaum wurde es uns bewußt, fuhr die Erzählende fort, welcher seltsamen Beschäftigung wir uns eigentlich Hingaben, wie wunderbar, wie märchenhaft dies ganze Treiben war — in unserer armseligen, nüchternen, kahlen Oberförsterei!"
Nun fiel der Bruder wieder ein: .Inzwischen hatte ich Konrad in mein Zimmer geführt. Er trug Civilkleider. Ob er den Forstdienst quiltieit habe? fragte ich. Gleich wollte er mir Rede und Antwort stehen, versetzte er; vorher bäte er um einen Schluck Wein oder Branntwein, was ich gerade bei der Hand hätte; feine Zunge klebe ihm am Gaumen und es fröstle ihn bis ins Mark hinein. Während ich ihn bedient«, konnte ich doch das Fragen nicht lassen. Wie er von meinem Aufenthaltsort Kunde erhalten. Das war nun einfach genug zugegangen. Er hatte in einem Forftblatte von meiner Einennung gelesen und mir so viel Interesse bewahrt, um sich genau über die Lage des Baues, worin ich hauste, zu unterrichten.
„Nachdem er mir diese Erläuterung gegeben, legte er mir eine Beichte über die Ereignisse ab, denen ich daS Vergnügen verdankte, ihn wicderzusehen. Etwa ein Jahr vorher hatte er aus dem freiherrlich Rattingen'fchen Besitzungen in Bayern eine Stelle als Forstgehülfe erhalten mit der Aussicht aus rasches Voirücken, falls er sich bewähre. Diese Anstellung verdankte er dem Zufall und seinem angenehmen Äußern. Der Schwager des verstorbenen Freiherr» und Verwalter seiner hinttr- kaffenen Güter als Vormund der einzigen minorennen Tochter, ein Herr von Altmühl, halte ihn bei einem Treibjagen kennen gelernt und Gefallen an ihm gefunden.
„Und Gefallen an dem hübsche» Forstgehülfe» fand dann auch sehr bald die junge Freiin von Nöttingen. Häufig richtete sie ihre Spaz erritte so ein, daß sie ihn unterwegs antraf. Dann ließ sie ihn lange Strecken neben ihrem Pferde hergehen und unterhielt sich mit ihm. Und der alte Reitknecht, der sie begleitete, blieb diskret zurück. Konrad verstand bald die Sprache, die Huldas Augen redeten. O. «r war in dergleichen Dingen nicht auf den Kopf gefallen, mein schöner Freund!
besonders soweit sich dieselben auf die Sittlichkeit bp-- ziehen. Besser aber wäre es, wenn die schon bestehenden Gesetze zunächst einmal so konsequent angewandt würden, wie sie da sind. Er und seine Freunde seien gegen die Vorlage 1) wegen ihrer Entstehung von außen her, 2) wegen der Mittel, mit denen man den Umsturz bekämpfen will, 3) aus Gründen der segensreichen freien Kritik. Ministerpräsident v. Mitt- nacht gibt die präcise Erklärung ab, daß, falls die Vorlage entsprechend den Beschlüssen der Commission angenommen werde, die württembergische Regierung gewichtige Bedenken hätte, der Vorlage zuzustimmem- Der Antrag wird mit 56 gegen 24 Stimmen angenommen.
Berlin, 3. Mai. (Deutscher Reichst« g.) Die Vorlage detr. die Aufhebung des Bürgermeistergesetzes für Elsaß Lothringen wird in 3. Lesung debattelos angenommen. Nachtragsetat zu den Eröffnungsfeierlichkeiten des Nord-Ostsee-Kanals. Staatss. Bötticher motiviert die Notwendigkeit der Abhai-- Haltung eines großen internationalen Festes zu Ehren der Eröffnung und erbittet die Genehmigung des Nachtragetats. Abg. Bebel (Soz.) weist darauf hin, daß bereits im Jahre 1845 Marx und Engels die- erste Anregung zum Nord-Ostsee-Kanal gegeben hätten und mit Rücksicht darauf hätten auch vor 10 Jahren- seine Freunde der Erbauung des Kanals zugestimmt^ freilich waren sie dabei der Ansicht, daß die militärischen Zwecke den culturellen weichen würden. Den Nachtragsetat könne jedoch seine Partei nicht bewilligen, schon in Hinsicht auf die in Aussicht stehende Umsturzvorlage nicht. Abg. Richter (fr. Vp.) ist geneigt den Nachtragsetat zu bewilligen, bedauert jedoch^ daß nicht schon im März die Vorlage Vorgelegen habe, um sich über die Einzelheiten des Festes äußern zu können. In der 2. Lesung, welche sofort vorge- nommen wird, werden die Ausgaben genehmigt. Ber den Einnahmen stellt Abg. Richter einen Antrag auf Verweisung an die Budgetkommission. Der Antrag wird abgelehnt, die Einnahmen genehmigt. Nach Erledigung einiger Rechnungssachen folgt die Beratung der Interpellation Lotze und Gen. betr. Maßnahmen gegen die Petroleum - Preis - Treiberei. Staatss. Bötticher beantwortet die Interpellation dahin, indem er erklärt, die Reichsregierung habe in Verbindung mit der preußischen Regierung sich schon früher mit der Frage beschilft, ob und welche Maßnahmen zu ergreifen sind. Die Erwägungen seien noch nicht abgeschlossen, aus welchem Grunde er auch Definitives heute noch nicht sagen könne. Abg. Barth (fr. Vg-> beantragt Besprechung der Interpellation. Abg. Zimmermann (Ant.) begründet dieselbige. Abg. Bennigsen (natl.) macht auf einen Verstoß gegen die Geschäftsordnung aufmerksam. Abg. Barth zieht, indem er auf die Ausführungen des Staatssekretärs zu sprechen kommt, seinen Antrag zurück. Nach einer längeren Geschäftsordnungsdebatte stellt Abg. Liebermann v. Sonnenberg einen Antrag auf die Besprechung der Interpellation wieder auf. Derselbe wird jedoch abgelehnt.
Berlin, 4. Mai. Die sozialistische Fraktiou.
Und es wurde ihm auch nicht eben schwer, die Neigung des reizenden Mädchens' zu erwidern, eine Neigung, die für ihn so schmeichelhaft war. Außerdem lockten ihn, wie ich vermute, die glänzenden Aussichten, die sich ihm zu eröffnen schienen. Denn er war jung und leichten Sinnes und noch geneigt, die Liebe für allmächtig zu halten. Auch hatte er. verwöhnt wie er war, eine hohe Meinung von sich und glaubte an die Macht der Persönlichkeit. Deshalb warf er sich von Anfang an mit den ausschweifendsten Hoffnungen in diesen LiebcShandel.
„Derselbe verlief dann, da er nicht entdeckt wurde, wie vorauszusehen war.. Im Dunkel dstz Geheimnisses wuchs die Leidenschaft. Ein Druck der Hände, ein keckes, rasch geflüstertes Wort — und das Einverständnis war hergestcllt. Es folgten Begegnungen unter vier Augen und nach dem ersten Taumel Beratungen über die Zukunft. Angehören wollte Hulda ihm, allen Hindernissen zum Trotz. In wenigen- Jahren würde sie Herrin über ihre Hand sein; bis dahin nur gelte es, in Geduld auszuharren. Aber nicht lange vermochten die Liebenden sich an der Aussicht auf spätere Belohnung gegenseitiger Treue genügen zu lassen. Schleunigste Vereinigung wurde daS Ziel ihrer Sebnsucht. Der Gedarke an Entführung, an Flucht tauchte auf. Und einmal zuoelassen, stellte derselbe sich immer verführerischer dar. Bald war nur noch von Mitteln und Wegen die Rede, wie eine Flucht zu beweikstell gen sei. Eine kleine Reise, die Hulda gestattet wurde zu unternehmen, bot die erwünschte Gelegenheit. Konrad fuhr voraus und erwartete die Geliebte an der nächsten Station. Sie wurden ihres Beisammenseins nicht froh, die beiden unbesonnenen Menscher finder; denn sofort eranff sie die Angst vor Verfolgung, vor Entdeckung und gewaltsamer Trennung. Kr-uz und quer fuhren sie, um die Auffindung ihrer Spur zu erschweren. Es schien ihnen nichts geholfen zu haben; in Kassel sahen sie den Kammerdiener des Herrn von Altmühl auf der Straße. Glücklicherweise war es Abend, und sie vermochten sich unerkannt davon zu stehlen. Nun aber war kein Bahnhof mehr sicher. In jener Stunde heckte Konrad den Plan aus, aus meine alte Freundskbaft bauend, zu mir zu flüchten. Sofort wurde ein Wagen gemietet, und noch vor Mitternacht war das Paar unterwegs. Und da waren sie nun, nach einer schur endlosen, beschwerlichen Fahrt, bei mir «»gekommen und hatten ihr fragwürdiges Glück in diesen Mauern geborgen/
(Fortsetzung folgt.)