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Nr. 193

Amts- unck AnzeigeLkall für den Oberamtsbezirk calw.

SamstöH, den 80. August 1927

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Jahrgang 101.

Noch Keine Entscheidung in der Besatzungsfrage

Der gestrige französische Ministerrat

TU. Paris, 20. Aug. Der gestrige Ministerrat dauerte von 9.30 Uhr bis 12.15 Uhr. Das über ihn herausgegebene offiziöse Cvmmuniqne besagt nur, daß er sich mit laufenden innen- und außenpolitischen Fragen beschäftigte.

Beim Verlassen des Elysees weigerte sich Brianb, irgend eine Auskunft über den Verlauf der Beratungen zu geben. Kriegsminister Painleve erklärte dagegen, daß der Mi- nisterrat keinerlei endgültige Entscheidung in der Frage der Verminderung der französischen Besatzungsstärke im Rheinland habe treffen können, da die französische Regie­rung, die wegen der Verminderung der Besatzung gegen­wärtig mit Berlin, London und Brüssel verhandle, sich nicht im voraus die Hände binden wolle. Die in der Presse ver­breiteten Zahlen über die von der Regierung beabsichtigte Verminderung bezetchnete Painleve als unrichtig. Die Ge- sarützahl der französischen Besatzungstruppen für den Mo­nat Juli und August bezifferte Painleve mit rund 55 000 Mann, die belgische und englische Truppenstärke mit zu­sammen 14 000 Man».

Verringerung der französischen Besatzungstruppen um Svo» Mann?

Ueber die Beratungen des gestrigen Ministerrates wird ebenso, wie über den Inhalt der französischen Antwort auf die englische Rheinlandnote, strengstes Stillschweigen be­wahrt, doch versichert man, wie die TU. von gut unterrichte­ter Seite erfährt, in den zuständigen französischen Kreisen, die Pariser Negierung habe dem Foreign Office eine Ver­ringerung der Besatzungstruppen um 8000 Mann vorge- schlagen. In diesem Kalle sollten die Engländer ihre Trup­penzahl um 1800 und die Belgier um 1200 Mann hcrabsctzen. Die französischen Einwäudc gegen eine stärkere Reduzierung der Besatzungstruppen Frankreichs sollen ausschließlich tech­nischer und militärischer Art sein. Die französische Regie­rung soll aber bereit sein, die kleineren Orte, besonders die Badeorte, ausnahmslos zu räumen und die Besatzungö- truppen in den Großstädten zu konzentrieren.

Die Pariser Presse zur Frage der Truppcnheratzsetzung.

Die Morgeupresse kommt ausführlich auf den Minister­rat zu sprechen, in dem die Frage der Verringerung der Rheinlandtruppen zur Debatte stand. DemPetit Parisien" zufolge soll Briand erklärt haben, daß man die Frage als geregelt betrachten könne. Das Blatt bezweifelt die deut­schen Angaben, wonach die Truppenstärke der Vorkriegs­garnisonen etwa 40 000 Mann betragen habe und erklärt, diese Ziffer könne nicht als Maßstab gelten, da sie eine Ver­ringerung nm fast die Hälfte der augenblicklichen Effektiv­bestände der alliierten Nheinlandtruppen bedingen würde. England brauche in der Frage der Trnppenverminderung keine Rücksicht auf seine nationale Sicherheit zu nehmen. In

der französischen Antwortnote an London werbe, so berich­tetPetit Parisien", weiter auch die Frage einer Um­gruppierung der Besatzungstruppen angeschnitten, um ge­wissen Forderungen der deutschen Verwaltung Genugtuung zu geben, die sich über den Mangel an Wohnungen beklage. DerMatin" glaubt ans Grund einer eigenen Erkundigung feststellen zu können, daß Poincare und alle seine Kolle­gen der Ansicht Ausdruck gegeben hätten, daß unter den ge­genwärtigen Umständen Frankreich nicht die Garantien aus der Hand geben könne, die der Versailler Vertrag gegeben habe, indem es seine Besatzungstruppen zu stark vermin­dere. Die französische Negierung könne nicht umhin, den beunruhigenden Enthüllungen derMenschheit" und dem Bericht des Generals Guilleaumat Rechnung zu tragen und sei daher einstimmig der Meinung, daß die Zahl der Trup­penverminderung 5000 nicht übersteigen dürfe. Ein Com- munique über die Ministerratssitzung sei nicht ausgegeben worden, weil Briand noch eine neue Note Chamberlains erwarte. Das Blatt will weiter erfahren haben, daß be- schlossen worden sei, gewisse Generalstabsabteilungen aus dem Rheinland zurückzuführen. DasJournal" erklärt, der französische Ministerrat betrachte die Zahl von 4000 als das Maximum einer Verringerung der französischen Besatzungs­truppen. Das Blatt ist der Meinung, daß sich die Ange­legenheit regeln lasten werde, da die englische Regierung im voraus erklärt habe, die Gründe der französischen Re­gierung für ihre Haltung zu würdigen und anzuerkennen.

London und die Frag« der Truppenoermindernng.

An maßgebender Stelle in London legt man Wert auf die Feststellung, daß zwischen der englischen und der franzö- fischen Regierung ein Notenaustausch über die Frage der Herabsetzung der Rheinlandtruppen nicht stattgefunden habe. Der englische Botschafter in Paris habe auf Grund von In­struktionen aus London den britischen Standpunkt in der Rheinlandfrage am Quai d'Orsay dargelegt und dabei ledig­lich ein Memorandum übergeben. Ein französischer Schritt sei in Beantwortung dieser Demarche durch den französischen Botschafter in London unternommen worden. Ueber den Verlauf von dem gegenwärtige» Stand der Rheinlandver­handlungen wird offiziös mitgeteilt: Die englische Regierung habe eine Verminderung der Besatzung von 6869 000 auf 56 000, also um rund 13 000 Mann vorgeschlagen. Sie sei dabet von der Voraussetzung ausgegangen, daß die Vertei­lung dieser Verringerung auf die drei Besatzungsheere pro­zentual zu erfolgen habe, da man in London Wert auf die Beibehaltung des internationalen Charakters der Besatzung legt. In London denkt man über bas schließltche Ergebnis der augenblicklichen Verhandlungen recht optimistisch. Man glaubt zuversichtlich, daß vor dem Zusammentritt des Völ- kerbundsrates eine England und wahrscheinlich auch Deutsch­land befriedigende Einigung erzielt werden kann.

Der Handelsvertrag mit Frankreich

Briand unterzeichnet das Abkommen

TU. Paris, 20. Aug. Nach dem gestrigen Ministerrat Unterzeichnete Außenminister Briand den deutsch-französt- schen Handelsvertrag. Die Unterzeichnung erfolgte ohne Zeremoniell. Die Unterzeichnung durch den deutschen Bot­schafter von Hoesch hat am gleichen Tage wie die von Boka- nowski und Posse stattgefnnden.

Rückkehr der deutschen Delegation aus Paris.

Wie die TU. erfährt, wird die deutsche Delegation für die Handelsvertragsverhandlungcu in Paris heute vormittag in Berlin wieder eintreffen. Entgegen den bisherigen Dis­positionen ist nachträglich mit Frankreich vereinbart worden, daß der Text des deutsch-französischen Handelsvertrages aus schwerwiegenden Gründen nicht vor dem 25. d. M. veröffent­licht werden soll.

Bedeutsame Stimmen znm deutsch-französischen Handels­vertrag .

In einem längeren Aufsatz nimmt Seydoux imPetit Parisien" zum deutsch-französischen Handelsvertrag Stellung. Nach Seydoux ist der Vertrag gut, obwohl er einen Artikel des Versailler Vertrags beseitigt, nämlich den Art. 18, nach dem das deutsche Eigentum für die Reparationszahlungen des Reiches haftet. Das Vertrauen zum Handel mit Frank­reich ist damit wieder hergestellt. Bei den sehr lehrreichen Pariser Wirtschaftsverhanblungen hat es sich gezeigt, daß

Frankreich von Deutschland, bas die neuen Wirtschaftsbe- dürfniste am besten begreift, viel lernen kann.

Der Präsident der Pariser französischen Handelskammer erklärte, die Abmachung des deutsch-französischen Handels­vertrages, wonach auch für den Fall, daß bis zum 15. De­zember 1928 die französische Zollreform nicht durchgeführt sein sollte, Deutschland die volle Meistbegünstigung etnge- räumt wird, sei sehr vernünftig. Die Abgeordneten dürften infolge der bevorstehenden Wahlen vielleicht nicht die Zeit haben, sich mit der Zollreform zu beschäftigen. Die Inter­essen der beiden Länder erforderten es aber, daß die Han­delsbeziehungen zwischen Deutschland und Frankreich er- leichtert würden.

Die Wirtschaftsbeziehungen zu Polen

TU. Berlin, 20. Aug. Wie die TU. von unterrichteter Seite erfährt, bedürfen die Nachrichten, die ein Teil der Presse über die voraussichtliche Einführung eines polnischen Maximalzolltarifs enthält, vorläufig noch der Bestätigung. Es wird jedoch darauf hingewiesen, daß die Einführung eines Maximalzolltarifs sich in der Hauptsache gegen Deutsch­land richten würde und damit die deutsch-polnischen Han- belsvertragsverhandlungen außerordentlich erschwert wür­den. Ein solcher Schritt von polnischer Seite märe um so unverständlicher, als der bisherige Verlauf der deutsch-pol­nischen Handelsvertragsverhanölungen während der Som­merpause befriedigend gewesen ist,

Tages-Spiegel

Die Frage der Verminderung der Besatzungstruppen lm Rheinland, die gestern im französischen Ministcrrat end­gültig entschieden werden sollte, hat noch zn keiner Ucber- einstimmnng geführt.

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Das deutsch-französische Handelsabkommen ist gestern end­gültig unterzeichnet worden.

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Eine deutsch-belgische Kommission soll die Ereignisse in Bel­gien während des Krieges «ntersucheu.

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Der bisher von de Jonvcnel bekleidete Posten beim Völ­kerbund ist dem Bruder des französischen Innenministers angeboten worden.

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Die Entscheidung im Fall Sacco und Banzetti ist gegen dis beide« Verurteilten anSgefallen.

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In Tarent wnrde eine kommunistische Verschwörung gegen de« italienische« Staat entdeckt. 14 Kommunisten wnrde» verhaftet.

Deutsch-belgische Untersuchung der Kriegsereignisse

TU Berlin, 20. Aug. Von zuständiger Stelle wird der Telunion mitgeteilt: Die letzten- Veröffentlichungen -es Untersuchungsausschusses des Reichstages über gewisse Er. eignisse des Weltkrieges haben die belgische Regierung ver­anlaßt, der belgischen Kammer drei Memoranden über die Frage der Neutralität, des Franktireurkrieges in Belgien und der Arbeiterbeportationen vorzulegen. Zwei von die- sen Memoranden sind bereits veröffentlicht und den anderen Regierungen, darunter auch der deutschen Regierung zur Kenntnis gebracht worden. Das dritte Memorandum über die Arbeiterdeportationen wird demnächst veröffentlicht wer- den.

In ihrem Memorandum über die wegen des Frank- tireurkrieges gegen Belgien erhobenen Vorwürfe hat die belgische Regierung daran erinnert, daß Belgien im Lause des Krieges eine Untersuchung verlangt und daß es gegen eine solche, wenn auch verspätete Untersuchung nichts cin- zuwenden habe. Die belgische Regierung hat bei Uebersen- düng der Memoranden die Aufmerksamkeit der deutschen Regierung auf diesen Passus gelenkt. Die deutsche Regie­rung hat daraufhin der belgischen Regierung Mitteilen las­sen, baß sie die belgische Erklärung begrüße und daunt einverstanden sei, alsbald in Verhandlungen über die Ein­setzung einer mrparteiischen Untersuchnngskommission cinzn- treten. Herr Vandervelde hat Herrn von Keller diese Mit­teilung bestätigt

Kein Wiederaufnahmeverfahren im Fall Sacco-Vanzetti

TU Berlin, 20. Aug. Nach einer Meldung aus Boston hat der oberste Gerichtshof von Massachusets seine Entschei- düng im Fall Sacco und Vanzetti veröffentlicht. Darnach wird eine Wiederaufnahme des Verfahrens abgclehnt und die beiden Anträge der Verteidigung verworfen. Damit ist, falls das oberste Gericht in Washington nicht noch eingreift, jede Aussicht auf Umstoßung des Todesurteils erschöpft.

Die Verteidigung Saccos und Vanzettis hat beschlossen, sich an das Oberbunbesgertcht zu wenden. Dieses könnte möglicherweise die Prozeßakten zur Prüfung einfordern. Die Verteidigung will alle Arbeiterverbände der Welt zum Proteststreik am Montag auffordern. Sommunistendemonstrationen vor der Berliner ameri­kanischen Botschaft.

TU Berlin, 20. Aug. Nach Schluß einer Kundgebung der Kommunistischen Partei, die am Freitag abend im Her­renhaus zum Protest gegen die Verurteilung Saccos und Vanzettis tagte, versuchte nach den Morgcnblättern eine An­zahl von etwa 600 Personen in geschlossenem Zuge in die Wilhelmstratze einzudringen, um vor der amerikanischen Botschaft zu demonstrieren. Die Polizei sperrte die Wil­helmstraße, die zur Bannmeile gehört, ab, und forderte die Menge auf, auseinander zu gehen. Als die Demonstranten trotzdem versuchten, die Kette der Beamten zu durchbrechen, gingen die Polizisten mit dem Gummiknüppel gegen die Menge vor. Es kam zu einem kurzen Handgemenge, in dessen Verlauf zehn Personen festgeuommen wurden. Einige -er Demonstranten erlitten Verletzungen.