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(natl.) führt aus, was der Antrag wolle, gehöre in die bestehende arbeitsstatistische Commission. Abg. Molkenbuhr äußert sich nochmals in einer kurzen Entgegnung auf die Schall'schen Auslassungen. Nach einem Schlußwort des Abg. Hitze wird der Antrag angenommen. Antrag Hammerstein und Gen. auf Vorlegung eines Gesetzentwurfs betr. das Verbot der Einwanderung nicht reichsangchörigcr Juden und Antrag Liebermann o. Sonnenberg betr. die Einwanderung ausländischer Juden. Abg. Jakobskötter (Cons.) schilldert die illoyale Concurrenz der Juden, kommt auf den Conkursschwindel zu sprechen und ersucht um Annahme des conservativen Antrages. Abg. Bindewald (Ant.) befürwortet nach längeren Ausführungen gegen die Juden, in welchen er ihnen Mädchen- und Ordensschacher nachsagt, den antisemitischen Antrag. (Wegen einer Aeußerung gegen die Sozialdemokraten wurde der Abgeordnete zur Ordnung gerufen.) Abg. Vogtherr (Soz.) hält die Vorwürfe der Vorredner für unbegründet und warnt die Conservativen den Weg der Antisemiten zu betreten. Abg. Sachße (kons.) führt unter großer Heiterkeit des Hauses aus, was der Antisemitismus in Sachsen Gutes geschaffen habe. Abg. Paasche (natl.) erklärt, der größte Teil seiner Freunde stimme, wie gegen jedes Ausnahmegesetz, gegen diese Vorlage.
Berlin, 38. Febr. (Deutscher Reichstag.) Marine-Etat. Sämtliche einschlägigen Neuforderungen werden nach Wunsch der Budget-Commission, abgelehnt. Das Gehalt des Staatssekretärs wird genehmigt, nachdem Abg. Lieber über die Erklärung der Regierung betr. den Unfall auf der „Brandenburg" referiert hat. Bei dem Kapitel Betrieb der Flotte sind 618,500 abgesetzt, ebenso bei dem Kapitel Garntsonverwaltung ca. 5000 bei dem Kapitel Instandhaltung der Flotte und Werftanlagen 181,500 Staatssekr. Hollmann erklärt, daß unter so großen Abstrichen die Verwaltung sehr zu leiden hätte. Abg. Rickert (fr. Vg.) bemängelt die Mehreinstellung von 2 Mill. in den Etat. Nachdem der Staatssekretär sich hierüber geäußert und der Abg. Rickert nochmals seiner Verwunderung über die Etats- Überschreitung Ausdruck gegeben hat, beschließt das Haus nach den Vorschlägen der Commission. Bei dem Kapitel Instandhaltung von Flotte und Werftanlagen regt Abg. Rickert eine Besserstellung der Werftverwaltungssekretäre an. Statssekr. Hollmann hält dies nicht für zulässig. Abg. Legien (Soz.) klagt über zu starken Wechsel in der Arbeiterbeschäftigung und über Entlassungen namentlich bei Ablauf des Winters. Staatssekr. Hollmann erwidert, dies läge in der Natur der Sache. Abg. Kardorff (Rp.) hält den Sozialdemokraten vor, daß sie durch ihre Verweigerung der Mittel für neue Schiffe die Arbeiterentlassungen verursachten. Abg. Hammacher (natl.) stimmt dem Vorredner zu und plaidiert für die Gehaltsaufbesserung der Werstsekretäre. Abg. Legien (Soz.) verweist die Vorredner auf die Auslassungen des Staatssekretärs. Staatssekr. Hollmann be
merkt, wenn allerdings Neubauten vorlägen, brauchten keine Arbeiterentlassungen stattzufinden. Abg. Bebel (Soz.): Wir verlangen nur, daß der Staat die vorhandenen Arbeiten gleichmäßiger verteile. Abg. Richter (fr. Vp.) regt an, das Salutschießen innerhalb der eigenen Marine wenigstens zu verringern.
Stuttgart, 1. März. Auf der Tagesordnung der heutigen Landtagssitzung stehen lediglich einige weitere Kommissionswahlen. Die Adreß- debatte würde somit frühestens erst morgen beginnen.
Tagesneuitzkeiten.
Calw, l. März. > Wie aus dem Inseratenteil ersichtlich ist. werden die Geschwister Boucher aus aus Paris am nächsten Sonntag im Dreiß'schen Saale hier concertieren. Ueber deren Begabung und künstlerische Leistungen möge neben vielen anderen Empfehlungen, die uns vorliegen, ein Bericht aus Vaihingen a. E. dienen:
Vaihingen. Durch das Konzert der Geschwister Ern st ine und Elmire Boucher aus Paris wurde uns gestern abend ein Genuß ganz ungewöhnlicher Art zuteil, wie er hier noch nie geboten worden ist. Die beiden hübschen jugendlichen Künstlerinnen verstanden es, die schmierigsten Schöpfungen unserer größten Meister nicht bloß mit einer Fertigkeit der Technik, sondern auch mit einer Art der Interpretation und der Ausführung vorzutragen, wie sie nur wenigen gottbegnadeten Künstlern eigen ist. Schon in der ersten Nummer des Programms, dem Konzert von Mendelssohn, zeigte die Violistin, die 19jährige Ernstine, ein staunenswertes Können, das in den folgenden Nummern, Piecen von Rubinstein, Sarasate, Wieniawsky, Vieuxtemps, Paganini u. a. womöglich noch übertroffen wurde. Technische Schwierigkeiten kennt die Künstlerin nicht; mögen es Läufe sein, die sie mit rasender Geschwindigkeit und doch vollendeter Reinheit ihrem herrlichen Instrument entlockt, oder Doppelgriffe, oder Triller in Flagioletttönen, oder wie in dem letzten der als Zugabe gespielten Stücke „Vöglein am Baum" von Häuffer, das lieblichste täuschendste Vogelgezwitscher — das alles spielt sie — und sie spielt es vollständig frei — mit staunenswerter, geradezu fabelhafter Sicherheit, und daneben einer Virtuosität, einer Art des Vortrags, daß der Zuhörer, an dessen Ohr bald ein kraftvoller Strom von mächtigen Tönen vorüberrauscht, bald Melodien von wunderbarer Zartheit und Weichheit dahingleiten, sich der Wirklichkeit entrückt glaubt. Dasselbe Lob verdient die jüngere 14jährige Elmire. Wenn sie schon in dem Accompagnement ihrer Schwester, das ihr oblag, sich als Künstlerin zeigte, so bewies sie in den Solostücken, die sie vortrug, eine unglaubliche Sicherheit und Geläufigkeit, daneben ein Verständnis und eine Höhe der Auffassung, daß sie ihrer Schwester und den größten Künstlern getrost zur Seite stehen darf. Möge niemand, der sich an wirklich künstlerischer Musik einmal erheben möchte, den Besuch deS nächst«! Konzerts versäumen; es wird sich wohl kaum einmal wieder eine solche herrliche Gelegenheit hier bieten. Den beiden Künstlerinnen selbst aber wünschen wir Glück zu ihrer Zukunft, die sich, wie wir nicht zweifeln, zu einer glänzenden gestalten wird.
L. Schm ich. Seit einigen Tagen wird
unsere Jugend von schlimmen Gästen, Halsweh, Husten rc. heimgesucht. Auch die heimtückische Diphtheritis hat sich eingeschlichen und hat in kurzer Zeit schon ihre Opfer gefordert. So starben nach nur ötägiger Krankheit dem Oekonomen M. Rentschler (Samuelsbauer) innerhalb 15 Stunden 2 blühende, hoffnungsvolle Kinder, eine 9jährige Tochter und ein 4jähriges Söhnchen. Groß ist die Teilnahme an der schwer betroffenen Familie, und ist es nur zu wünschen, daß die gefährliche Krankheit bald aus unserem Dörflein weichen möge.
New-Iork, 27. Febr. Das Rathaus in Brooklin ist teilweise niedergebrannt. Die Kuppel mit der mehrere Tonnen schweren Glocke stürzte ein und zertrümmerte die' 25 Fuß hohe Statue der Gerechtigkeit. Das ganze Gebäude ist durch den Einsturz der Kuppel mit der Glocke stark beschädigt.
Wie s gemachL mird.
In Nr. 25 des „Calwer Wochenblattes" richtet ein Herr Naumburger, Inhaber des vaterländischen Buchverlages in Dresden, an diejenigen I n v a l i d e n des Feldzuges 1870/71, die keine Staatspension erhalten, die Aufforderung, sich unter Einsendung ihrer Papiers an die genannte Stelle zu wenden, da daselbst noch 6000 ^ zur Auszahlung bereit liegen „aus einem Teil des Reingewinnes des Werkes Deutschlands größter Held."
Dieses Werk hat Herr Naumburger seinerzeit durch Reisende und Rundschreiben an Behörden, Truppenteile und Privatpersonen in ganz Deutschland vertrieben und auch in unsere Gegend sind seine Agenten gekommen. Das Werk wurde um des guten Zweckes willen — trotz des unverhältnismäßig hohen Preises (20 — massenhaft bestellt; man nahm
an, daß der Reingewinn oder wenigstens ein erklecklicher Teil des Reingewinnes den Invaliden zu gute kommen werde, und Hr. Naumburger verfehlte nicht, dieser Meinung Nahrung zu geben, indem er in dem Vorworte zu dem genannten Werke, von dem „idealen und zugleich sehr praktischen Zwecke" sprach, „Kaiser Wilhelms I Fürsorge für die Getreuen von 70 und 71 zu ergänzen." „Das deutsche Volk" heißt es da, „muß es als eine Ehrensache betrachten, die Mitbegründer der deutschen Einheit vor dem Bettelstäbe zu bewahren und Not und Elend von ihrem Alter fern zu halten." Jeder möge durch Bestellung des Werkes „dazu beitragen, daß diese Ehrenschuld getilgt werde".
Die gemütvollen Deutschen, die sich durch diese schönen Worte haben rühren lassen, haben doch wohl ein Recht, von Hrn. Naumburger zu erfahren
1) wie groß der Reingewinn aus dem Vertrieb des Werkes war;
2) wie viel von diesem Reingewinn den Invaliden zu gute gekommen ist.
Da Herr N. in seinem Aufrufe darüber schweigt, so sind wir so frei, denen, die sich dafür interessieren, mit einigen, der „Volksrundschau" entnommenen That- sachen aufzuwarten.
Bis zum 25. Oktober 1894 waren von dem genannten Werke 30000 Exemplare abgesetzt; der Reingewinn des Herrn Naumburger belief sich schon damals, wie H. N. selber in einem an die Redaktion der „Volksrundschau" gerichteten Brief zu
leise von seinen Lippen. „Rosa, arme Rosa, wie konnte ich Drch übersehen neben Deiner Schwester?"
Ein beglückendes Gefühl stieg in seiner Brust auf, und er nahm sich vor, weiter zu prüfen, ob seine Ahnung ihn nicht betrog.
Am andern Tage, als er wiederkam, und Rosa ihm beseligt cntgegenlächelte, da sprach er, sie scharf anblickend: „Gut, daß Sie wieder gesund sind, Baroneß, ich kann Sie so mit ruhigerem Gewissen meinem Nachfolger überlassen."
„Ihrem Nachfolger?' fragte Rosa und erblaßte. Ihre Blicke hingen erschreckt an seinem Antlitz.
„Ja, ich muß fort, zu dem Grafen, er bedarf meiner; so bald das Richtfest vorüber ist, werde ich Felden und das Schloß verlassen müssen," sprach er weiter und beobachtete mit klopfendem Herzen, wie Rosas Blicke sich senkten, wie es um ihren Mund zuckte, und sie sich rasch abwandte, eS ihm zu verbergen, wie schmerzlich bewegt sie war.
Rosa sprach kein Wort; sie schämte sich der Thränen, die ihr in die Augen gestiegen waren, die er nicht sehen durste.
Ein liebender, zärtlicher Blick Justus' umfing sie, ihre zarte Gestalt, ihr feines Köpfchen und das liebe Gefichtchen mit den seelenvollen Augen. Er lächelt« und freute sich der Qual, di« er ihr bereitete» um zu prüfen, ob sie ihn liebe. Er sah, wie sie jetzt die Hand auf das Her, preßte, und wie sie überwältigt von dem plötzlichen Schmerz sich in die Ecke des Sofas warf und die Thränen nicht mehr zurückhalten konnte.
Doktor Justus trat näher. Er legte seine Hand auf ihren Scheitel und beugte sich nieder zu ihr: „Welch böser Anfall ist das wieder, Rosa, Sie sind doch noch nicht gesund!"
„Ich will eS auch nicht — ich will sterben —"
,O nein, Rosa! Glauben Sie mir. Sie werden gesund und glücklich," sprach er zuversichtlich in so bedeutungsvollem Tone, daß Rosa erbebte und ihn nicht an
zusehen vermochte. So warm und innig hatte er noch nie zu ihr gesprochen; wie glücklich sie dieser Ton seiner Stimme machte, wie prophetisch ihr seine Worte erschienen. die allein sie schon mit einer nie gekannten Seligkeit erfüllten!
Ein Schwindel drohte ihr die Sinne zu rauben. Gewaltsam faßte sie sich und war.ihrer Mutter dankbar, daß sie gerade jetzt ins Zimmer trat und sie erlöste aus dieser peinlich süßen Situation des Alleinseins mit dem Manne, den sie liebte mit aller Macht ihres warmen Herzens, und dem sie es doch verbergen wollte.
„Wieder Thränen, Rosa, ich dachte, Du märst jetzt ganz wohl?" forschte erschrocken die Baronin und schloß Rosa in ihre Arme.
„Es war ein leichter Rückfall in das alte Herzleiden, bald wird eS besser sein. Rosa, ich kann Sie also nicht verlassen, wie ich es gewollt. Der Graf muß dann wohl noch etwas warten, bis ich komme," lächelte Justus und sah voll Innigkeit Rosa in das erglühende Gefichtchen. Cr nickte ihr zu, drückte ihre Hand bedeutungsvoll und ging mit leichten, elastischen Schritten so rasch hinaus, daß die Baronin ihm kopfschüttelnd nachsah.
In Justus' Brust jubelte eS wie Lerchensang. Es war Frühling in ihm geworden ; ganz plötzlich über Nacht war er gekommen, ein neuer, wonniger Liebes- frühling voll Sonnenlicht und Pracht. Mit all seinem Zauber zog er ein in das Herz des gereisten Mannes, das so lange gelitten und gekrankt an seiner erste» Enttäuschung.
Wie ganz anders war die Empfindung für Rosa als diejenige, welche er einst für deren Schwester empfunden; reizte ihn deren Schönheit, ihre jungfräuliche, stolze Herbheit, so überwältigte ihn jetzt Rosas Liebe, die er nicht gesucht, die ihm entgegengebracht wurde, ohne daß er es gewollt, wie eine große, glückliche Überraschung, auf die er nicht gehofft hatte.
(Fortsetzung folgt.)