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Staatsminister vr. v. Heim legt vom Standpunkte der Finanzen in den Einzelstaaten die Notwendigkeit dar, die Einnahmen des Reiches zu erhöhen und die bisherigen starken Rückgriffe aus die Matrikular- Umlagen zu vermeiden. Abg. Pöhlmann (Rp.) erklärt, viele seiner Freunde befürchten von der Vor­lage schwere Nachteile und machten deshalb ihre end­gültige Entscheidung von der Commissionsberatung abhängig. Abg. Gall er (südd. Vp.) spricht sich gegen die Vorlage und eine Commissionsberatung aus, weil sie die Interessen des Mittelstandes schwer schädigen würde. Abg. Frhr. v. Hammerstein (Cons.) ist für eine ausgiebige Bierbesteuerung, will von einer Tabaksteuervorlage nichts wissen, weil sie voraussichtlich einen starken Rückgang des Consums nach sich ziehen würde. Er, sowie seine Freunde in Mecklenburg, Sachsen und Hessen nähmen dieser Vor­lage gegenüber einen ablehnenden Standpunkt ein. Abg. Elm (Soz.) bekämpft die Vorlage, die mindestens 3040000 Arbeiter brotlos machen würde. Wer noch ein Herz für die Arbeiter habe, der müsse sich ablehnend verhalten. Meiningen'scher Staatsminister vr. v. Heim erklärt, die Ablehnung der Vorlage müsse eine weitere Erhöhung der direkten Steuern zur Folge haben. Abg. Brünnig (natl.) hält die Befürchtung des Consumrückganges für unbegründet. Abg. Schneider-Nordhausen (freis. Vp.) spricht sich gegen die Vorlage aus. Abg. Schultz (Rp.) tritt im Interesse einer Förderung des heimischen Tabakbaues für die Vorlage ein, die Vorlage geht sodann an eine 28iger Kommission.

Berlin, 23. Februar. Die Budget­kommission des Reichstags bewilligte mit 20 gegen 6 St. 1 Million als 1. Rate für den Bau des KreuzersErsatz Leipzig"; ferner, ebenfalls mit 20 gegen 6 St., 2 Millionen als 1. Rate für den Bau des Kreuzers L; mit 16 gegen 10 St. 2 Millionen als 1. Rate für den Bau des Kreuzers V; endlich mit 10 gegen 8 Stimmen 2 Millionen als 1. Rate für den Bau des KreuzersErsatz Freia". Für ein Torpedodivisionsboot wird eine halbe Million als 1. Rate bewilligt; die von der Negierung ver­langten 2400000 zur Herstellung von Torpedo­booten werden abgelehnt, ebenso der Antrag ».Leip­ziger (konserv.), hiefür 1400000 ^5 zu bewilligen. Staatssekretär v. Marschall befürwortet die Ver­mehrung der Kreuzer. Dieselben seien zum Schutze unserer überseeischen Interessen unbedingt notwendig. Die jetzigen Kreuzer seien den neuen Geschaffen gegen­über nicht widerstandsfähig. Es sei notwendig, wo wir Interessen haben, von Zeit zu Zeit die Flagge zu zeigen. Auch seien Schiffe nötig für Straf­expeditionen, wo völkerrechtliche Verletzungen uns gegenüber stattgefunden haben, was in erheblichem Grade auch für unsere Kolonien gelte. Der Staatssekr. verweist auf Süd- und Zentralamerika, wo kein Schiff zu hinreichendem Schutz unserer Interessen vorhanden sei.

Hamburg, 22. Febr. Die Rcichsregierung hat bei dem Senat angefragt, ob Hamburg die zur

Feier der Eröffnung des Nordostseekanals geladenen Bundesfürsten nach Hamburg einladen wolle, bezw. ob ein dazu geeigneter Festsoal vorhanden sei. Der Senat hat bejahend geantwortet, er werde den Prunksaal des neuerbauten Rathauses für diesen Zweck vollenden lassen. Ein darauf bezüglicher Antrag ist an den Bürgerausschuß gerichtet worden. Der Besuch des Kaisers findet am 17. Juni statt.

Stuttgart, 23. Febr. (Kammer der Abgeordneten.) Bei Entwurf eines kirchlichen Gesetzes, betreffend die Ausübung der landesherr­lichen Kirchcnregimentsrcchte im Falle der Zugehörig­keit des Königs zu einer andern als der evangelischen Konfession, erklärt Vicepräsident Dr. Kiene: Das Zentrum behält sich seine Stellungnahme gegenüber diesem Gesetze vor. Doch ist für das Zentrum als fest­stehender Grundsatz maßgebend, daß das Zentrum die innerkirchliche Selbständigkeit und Freiheit der evang.- lutherischen Kirche ebenso anerkennt, wie es dieselbe für die katholische Kirche beansprucht. Die Frage ist nur die, ob es lauter innerkirchliche Angelegenheiten sind, die im Gesetz zur Sprache kommen. Das zu prüfen, wird Aufgabe der Beratung des Gesetzent­wurfs sein. Bezüglich der Adreßdebatte beantragt Friedrich Haußmann-Gerabronn: Die Kammer der Abgeordneten wolle eine Kommission von 15 Mit­gliedern erwählen zur Vorberatung einer Beant­wortung der Thronrede. Auf jede Thronrede ist an sich schon eine Antwort nötig; doppelt notwendig aber ist es diesmal bei der Neubesetzung des Hauses und doppelt nötig, wenn es in der Thronrede heißt: das weitere Vorgehen der Regierung in Sachen der Ver- faflungsrevision werde abhängig gemacht von der Klärung der Anschauungen, die sich im Hause zeigen werde. Auch sonst ist es in dem einen oder andern Punkt nützlich, wenn die Meinungen und Ansichten des hohen Hauses zur Aussprache kommen. Gröber: Das Schicksal der früheren Adreßdebatten ist zwar nicht verlockend. Aber das Zentrum will aus den angeführten Gründen dem Wunsch der leitenden Fraktion sich nicht entgegenstellen, vielleicht kommen die Wünsche in der Mitte zusammen, wie es ja auch eineFreie Vereinigung" der verschiedensten Elemente im Hause giebt. Die Wahlprogramme sind überdies merkwürdig ähnlich gewesen. Dazu haben sich die Privilegierten den Nichtprivilegierten in einer besondern Vereinigung angeschlossen und so ist anzunehmen, daß sich die ersteren nicht mehr so sehr gegen eine Verfassungsreform sträuben werden. Dabei kann vielleicht auch erfahren werden, was die Regierung über die Proportionalwahlen denkt, v. Sch ad er­klärt namens der Freien Vereinigung, daß sich diese trotz Bedenken dem Verlangen einer besondern Adreß­debatte nicht cntgegenstellen werde. Doch hätte das alles bei der Etatsberatung geschehen können. Kloß- Stuttgart hält ebenfalls eine Adreßdebatte für not­wendig, um auch die Ansichten der Sozialdemokratie zum Ausdruck zu bringen. Staatsminister v. Mitt- nacht erklärt, die Negierung habe sich niemals dem

Wahne hingegebcn, daß sie mit den zwei Sätzen über die Verfassungsreform wegkommen werde. Das Staatsministerium hat sich sofort verständigt über das, was weiter zu geschehen habe, und ist jeder­zeit bereit, weitere Ausführungen zu machen, also auch über das Proportionalwahlsystem. Hauß­mann-Gerabronn: Gegenüber dem Freiherrn Don Schad ist zu betonen, daß es einen ganz andern Eindruck macht, wenn statt der in der Etatsdebatte verzettelten Anschauungen die Wünsche des Volkes zusammengefaßt dem Könige vorgetragen werden. Gegen den von demprivilegierten Sprecher der Freien Vereinigung" gegenüber der Volkspartei ge­brauchten Ausdruck,die herrschende Partei" dieses Hauses, lege er Verwahrung ein. Die Volkspartei hat diesen Ausdruck noch nie benutzt, und sie ist sich bewußt, eine Minderheitspartei zu sein, die nur durch den Willen des Volkes und die Zersetzung der übri­gen Fraktionen mit Ausnahme des Zentrums zur stärksten Fraktion, oder wie Gröber sagte, zur leitenden Fraktion des Hauses wurde. Nach einigen weiteren, mehr persönlichen Bemerkungen des Minister­präsidenten v. Mittnacht, Freiherrn v. Schad und des Abgeordneten Gröber erfolgte die 1. ge­meinschaftliche Sitzung beider Kammern der Ständeversammlung. Es erfolgte in der­selben die Wahl einer gemeinschaftlichen Kommission zur Leitung der Staatsschuldenverwaltung. In der hienach fortgesetzten Sitzung der Kammer der Abgeordneten erfolgte die Wahl der Kommis­sion für innere Verwaltung. Gewählt wur­den : Beurlen, Bürj, Erhardt, Gabler, Haußmann- Balingen, Weidle, v. Abel, Graf Adelmann, Haffner, Schürer, v. Luz, Egger, Rapp, Rathgeb, Schick. Der gegen den Antrag Haußmann-Gerabronn auf Nieder­setzung einer Kommission zur Beantwortung der Thronrede keine Partei etwas einzuwenden hatte, er­folgte noch die Wahl der Adreßkom Mission mit folgenden Mitgliedern: Betz, Hähnle, Haußmann- Gerabronn, Henning, Schmidt-Maulbronn, Kloß, v. Schad, Sachs, v. Geß, v. Weizsäcker, Stockmayer, Eggmann, Gröber, Kiene, Kollmann. Darauf ver­tagt sich das Haus, um der letztem Kommission die nötige Zeit zur Ausarbeitung der Adresse zu gewähren. Nächste Sitzung: Freitag den 1. März.

Tagesneuigkeiten.

sAmtliches aus dem Staatsanzeiger.^. Se. König l. Maje st ät haben vermöge allerhöchster Entschließung zu verleihen geruht: das Ritterkreuz erster Klasse des Friedrichsordens dem Oberamtmann Voelter in Calw.

Se. Majestät haben ferner verliehen die silberne Verdienstmedaille dem Forstwart Enderle in Stammheim, Forsts Wildberg.

Bei der in der letzten Woche in Mött- lin gen stattgefundenen Wahl eines Ortsvorstehers erhielt Gemeindepfleger und derzeitiger Schultheißen­amtsverweser Graze 60 und Gcmeinderat Ko pp 35 Stimmen. Ersterer ist somit als gewählt zu betrachten.

Günther hatte kein rechtes Verständnis für die wenigen Zeilen seines Onkels und blickte befremdet Doktor Justus an, der sich behaglich in die Ecke des Sofas lehnte und in sehr animierter Stimmung zu sein schien.

Mein Onkel weist mich an Sie. Er schreibt hier: ES ist ganz gleich, ob Du mit mir oder mit meinem Freunde JufluS verhandelst. Du kannst Zeit dadurch ersparen, indem Du ihm Deine Meinung anvertraust. Er und ich sind so gut wie eine Person"

Günther hielt inne. Er sah hinüber zu Justus, und die Blicke der beiden Männer begegneten sich. Groß und voller Ernst sah Justus den jungen Mann an, und Günther mußte plötzlich seine Augen Niederschlagen; er erblaßte jäh. ein Ge­danke durchzuckte ihn. der ihn erschreckte. Nochmals las er dieselben Zeilen, während der Arzt keinen Blick von ihm wendete.

So schrieb kein Graf Schönburg an seinen Neffen, und doch war eS die ihm wohlbekannte Handschrift semes Onkels, der sich gleich mit fernem Arzt stellte.Er und ich find so gut wie eine Person," auf diesen Worten hastete sein Blick, er las sie immer wieder, und wie ein gelöstes Rätsel erschien ihm nun der Arzt, seine An­wesenheit hier, seine enge Freundschaft mit dem Grafen, sein ihm so bekannter Blick, seine Stimme, die immer und immer wieder Erinnerungen in ihm geweckt hatte.

Ein Chaos von Gedanken und Empfindungen stürmte in Günther Schön­burg, während sein Antlitz über den Brief gebeugt blieb, als lese er Hieroglyphen, die ihm ganz unverständlich seien. Jener Mann, der dort vor ihm saß, der an­gebliche Freund seines Onkels, der monatelang mit ihm hier gelebt auf dem Schlosse der SchönburgS, er war eL selbst, sein Onkel, der Graf Schönburg, der Herr und Gebieter des Schlosses, sein Wohlthäter, der ihn geprüft die ganze Zeit hindurch. Wie Schuppen fiel eS Günther von den Augen. Er wagte nicht, hinüber zu schauen zu Justus; er fürchtete sich vor seinem Blicke, der sein Innerstes zu durchschauen schien.

Sollten diese Zeilen dazu dienen, das Geheimnis, in welches sein Onkel sich gehüllt, zu entschleiern, wollte er sich jetzt, heute, zu erkennen geben, oder sollte eS

ein WarnungSruf sein? fragte sich Günther und hielt das verhängnisvolle Blass mit den bedeutsamen Worten noch immer in der Hand, die leise zitterte vor Er­regung.

Nun," tönte eS jetzt von Justus hinüber zu dem jungen Mann,verstehen Sie Ihren Onkel jetzt?"

Günther erhob sich rasch; er hob den Kopf mutig, er wollte nicht wie ein Schulknabe zittern, er wollte sein Urteil hören ohne Bangen von dem Manne, der sein Schicksal in der Hand hielt.Ja, ich verstehe ihn und unterwerfe mich seinem Urteil," sprach er und trat zu JustuS, als erwarte er von ihm eine weitere Erklärung.

Auch der Arzt erhob sich von seinem Sitz. Hoher Ernst lag auf der weißen, schönen Stirn desselben, und dock klang seine Stimme weich, als er sprach:Günther, wir kennen uns jetzt, nicht wahr? Ich schrieb diesen Brief, denn ich bin Dein Onkel. Ich wollte Dich kennen lernen, wie Du bist."

Onkel, geh' nicht zu streng mit mir ins Gericht; jetzt weiß ich eS, daß ich nicht war, wie ich sein sollte, daß ich es nicht bin, und ich habe keine Entschuldigung für mich. Gebiete über mich, ich will Dir folgen" entgegnete der junge Graf und beugte sich nieder, die Hand seines OheimS zu küssen, die ihm stets nur Gutes gethan.

Ich will Dir keine Vorwürfe machen, Günther! Du bist jung, ich selbst trage einen Teil der Schuld, daß Du so bist, wie Du Dich mir gezeigt; ich hätte Dich im Auge behalten, Dich erziehen sollen, statt ungezählte Summen Dir in den Schoß zu werfen. Laß die Vergangenheit ruhen und folge jetzt meinem Rat. Du darfst Gertrud Felden heiraten, aber unter der Bedingung, daß Du ihr mein Ge­heimnis nicht enthüllst bis nach Eurer Vermählung; auch soll sie nicht wissen, daß das Erbe der SchönburgS Dir nicht zufällt. Laß sie in dem alten Glauben, daß Dein Onkel unvermählt sterben wird."

(Fortsetzung folgt.)