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Namentlich ist über die Landwirtschaft durch den ungewöhnlich niedrigen Stand der Getreidepreise eine schwere Heimsuchung hereingebrochen.
Diese beklagenswerte Notlage thunlichst zu lindern, bleibt die ernste unausgesetzte Sorge meiner Regierung.
Durch eine Exiaenz zur Förderung der Hagelversicherung soll den Landwirten die gewünschte Erleichterung und Verbilligung der Versicherung ihrer Feldfrüchte verschafft und auf die Verallgemeinerung der Hagelversicherung hingewirkt werden.
Weitere Exigenzen sind auf die Förderung des Feldbereinigungswesens und die Hebung der Viehzucht, insbesondere auch der Pferdezucht gerichtet. Durch die ferner vorgesehene Gewährung erheblicher staatlicher Zuschüsse zu den Kosten der militärischen Einquartierung wird auch der Landwirtschaft treibenden Bevölkerung eine fühlbare Erleichterung erwachsen.
Der Entwurf eines Gesetzes über die Benützung der öffentlichen Gewässer, der sich die umfassende öffentlich-rechtliche Regelung der Wasserbenützung und Wasserableitung sowohl für landwirtschaftliche als für gewerbliche, hygienische und Wasserversorgungszwecke zur Aufgabe gesetzt hat, wird Ihnen in der nächsten Zeit unterbreitet werden.
Auf dem gewerblichen und sozialen Gebiet sind der Landesgesetzgebung enge Grenzen gezogen. Innerhalb dieser Grenzen aber bleibt das eifrige Bestreben meiner Regierung auf die Förderung der Gewerbe und die Verbesserung der Lage der gewerblichen Arbeiter fortdauernd gerichtet.
Ein Gesetzentwurf über die Vertretung des Aleingewerbs ist in der Ausarbeitung begriffen und wird Ihnen vorgelegt werden, falls nicht vorher eine Ordnung im Wege der Reichsgesetzgebung erfolgt.
Alle zur Hebung der wirtschaftlichen Lage des Landes vorgesehenen Maßnahmen der Gesetzgebung und Verwaltung entspechen aber einen nachhaltigen Erfolg nur dann, wenn sie unterstützt werden von der eignen Arbeit und dem ernsten Fleiß der beteiligten Kreise.
Möge Gottes Segen meinem Land und Volk nie fehlen, möge er auch auf den Arbeiten ruhen, zu welchen Sie jetzt als die berufenen Vertreter des Landes sich vereinigen!
Ich erkläre den Landtag für eröffnet.
Stuttgart, 21. Febr. In der heutigen Sitzung der Kammer der Abgeordneten wurden die zwei sozialdemokr. Abgeordneten eingeführt und leisteten oen verfassungsmäßigen Ständeeid. — Als der Alterspräsident die Präsidentenwahl vornehmen lassen wollte, ersuchte Sachs, diesen Gegenstand abzusetzen, weil die Bildung einer dritten Fraktion — neben der demokratischen und der Zentrumsfraktion — die sich eben vollziehe, noch nicht vollendet sei. K. Hauß - mann will zugestehen, daß die Wahl jetzt abgesetzt, aber diesen Nachmittag vorgenommen werde. Frhr. v. Gü Illingen empfahl Verschiebung bis morgen, appellierte an die Loyalität der Gegenparteien und berief sich auf den Vorgang im Jahre 1868. Gröber bezweifelte das Zustandekommen der neuen Partei, von der man im Wahlkampf nichts gemerkt habe, und welche dazu bestimmt scheine, die seitherige Verschwommenheit aufrecht zu erhalten. Es sei klar, gegen wen diese neue Parteibildung gemünzt sei;
es sollen neue Waffen gegen die jetzige Mehrheit geschmiedet werden. Es sei jedenfalls allen Rücksichten genügt, wenn man den Herren den Nachmittag noch freigebe, um diesen Plan auszuführen. Soweit geh« die Gutmütigkeit des Zentrums nicht, daß es den Gegnern einen ganzen Tag zur Verfügung stellen sollte. Frhr. v. Gemmingen tritt Gröber entgegen und verwahrt die neu zu bildende Partei gegen die Angriffe des Vorredners. Gröber repliziert scharf, bezeichnet die neue Partei als „politischen Mischmasch" und bezweifelt, ob so disparate Elemente überhaupt in einer Fraktion zu vereinigen seien. Schließlich wurde die Präsidentenwahl per majora auf 4 Uhr nachm, festgesetzt.
Stuttgart, 21. Febr. (2. Sitzung der Kammer der Abgeordneten.) Alterspräsident Dekan Kollmann (Z.) eröffnet die Sitzung um 4'/^ Uhr. Das Haus schreitet ohne Debatte zur Abstimmung über die Präsidentschaft. Dieselbe geschieht mittels Stimmzettel. Payer erhält 51, v. Hohl 32 Stimmen. Die Verkündigung des Resultats wird von der Volkspartei und dem Zentrum mit lautem Bravo beantwortet. Payer tritt auf Aufforderung des Alterspräsidenten an den Präsidentensitz heran unh. richtete an die Kammer eine Ansprache folgenden In-, Halts: Er nehme die Wahl mit aufrichtigem Danke an. Im Augenblick fei er sich vollbewußt nicht nur der großen Ehre, die ihm zuteil geworden, sondern auch der schweren Last der Pflichten, die er übernehme. Noch kein Präsident der Abgeordnetenkammer habe die Last leichtgenommen, um so weniger könne das jetzt geschehen, als man vor einer außerordentlich arbeitsvollen Session stehe. Er habe das lebhafte Gefühl, daß es ihm nicht leicht werde, herauszutreten aus der Arena. Er werde sich der positivsten, reinsten Objektivität befleißigen. Zwar könne er verstehen, wenn das eine oder andere Mitglied der Kammer es schwer finde, volles Vertrauen zu ihm zu haben; aber er habe nur eine Bitte, nicht ihn anzusehen, sondern seine Geschäftsführung. Jene Mißtrauischen würden einsehen lernen, daß auch auf seinem jetzigen Posten für ihn der Grundsatz gelte: „Gleiches Recht für alle!" An gutem Willen werde es ihm nicht fehlen, und er bitte, ihm beizustehen in dem Bestreben, die Bedeutung und Unabhängigkeit des Hauses hochzuhalten ! Zum Schluß richtet der neue Präsident noch einige Worte des Dankes an den abtretenden Alterspräsidenten für dessen Geschäftsleitung. (Lebhaftes Bravo!) Beginn der morgigen Sitzung: 10 Uhr. Tagesordnung: Wahl des Vizepräsidenten, der Schriftführer, derFinanz-, Legitima- tions- und Geschäfsordnungskommission.
— Die Fraktion der Volkspartei hat sich mit 34 Mitgliedern konstituiert und in den Vorstand die Abgeordneten Payer, Schnaidt und Hähnle gewählt.
— Die Zentrumsfraktion des Landtags hat sich am 19. konstituiert und zum ersten Vorsitzenden Landrichter Gröber, zum zweiten Dr. Kiene, zum dritten Landgerichtsrat Nieder gewählt.
Berlin, 20. Febr. Der Reichstag nahm heute den Jesuitenantrag in dritter Lesung ohne Debatte an. Das Zentrum war fast vollzählig erschienen und begleitete die Verkündigung der Annahme des Antrags mit Beifall. Dagegen stimmten die Konservativen, die Reichspartei und die Nationalliberalen.
Tagesncuigkeiten.
K Vaihingen a. E. Am 16. d. M. ist kurz nach 12 Uhr mittags die Feuerwehr allarmiert worden; es brannte in dem Gerbereianwesen des Gemeinderat Häcker (Mühlstraße.) Die große Rindenscheuer wurde vollständig zerstört, während das angebaute Wohnhaus zwar gerettet, jedoch durch die hineingeworfenen Wassermassen stark beschädigt wurde. Entstehungsursache unbekannt. — Am letzten Freitag starb dahier der älteste Mann der Stadt, ein Nagelschmiedmeister im Alter von 90 Jahren 5 Monaten.
Z> Pforzheim. Auf dem Mittwoch's Jung- Schweinemarkt waren in 14 Körben 64 Stück Ferkel und 6 Läuferschweine zugebracht. Die Ferkel fanden bis auf 4 Stück bei lebhaftem Handel zu 24 vA 50 27, 30, 32 und 37 Abnahme.
— Auf dem Mittwochs-Wochenmarkt kostete Landbutter 90 ^ bis 1 Landeier 2 Stück 16 bis 18 -A Kisten- und Kalkeier 2 Stück 14—15 -H. Die Fleischpreise sind folgende: Ocdsenfleisch 76, Rindfleisch 70, Kalbfleisch 76, Schweinefleisch 70 und Hammelfleisch 60 per Pfund.
Standesamt Kalw.
Geborene:
15. Febr. Gottlob Paul, Sohn des Karl Moros, Kutschers hier.
20. „ Anna Helene, Tochter deS Adolf Ba chteler,
Lehrers hier.
Getraute:
19. Febr. Karl Christof Eberspächer, Unterlehrer in Weil im Schönbuch und Fricdrike Marie Essig von hier.
G estorben e:
17. Febr. Eduard Schöll, pens. Baninspektor hier,
761- Jahre alt.
18. . Jakob Seeg er, gew. Nagelschmied hier,
87^4 Jahre alt.
Gottesdienste
am Sonntag Estomihi, 24. Februar.
Vom Turm: 85. Predigtlied: 445. 9'/- Uhr
Vorm.-Pred.: Herr Dekan Braun. 1 Uhr Christcul-chre mit -den Töchtern. 5 Uhr Abend-Pred.: Hr. Stadtpfarrer Sch mid.
Wonlag, 25. Februar, Geburtsfest Sr.. Majestät des Königs. Vom Turm: 3. Vorm.- Pred.: um 10 Uhr, Hr. Dekan Braun.
Ilreitag, 1. März. 10 Uhr: Vorbcreitungsprcdigt und Beichte (im Vereinshaus), Hr. Stadtpfarrer Schmid.
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Der Sonderling.
Roman von P. Felsberg.
(Fortsetzung.)
JustuS lächelte und drehte sich rasch auf dem Absatz um. „Möglich, daß wir uns früher schon gesehen. Menschen begegnen sich oft im Leben," entgegnete er.
»Nein, mein lieber Doktor, es war keine flüchtige, alltägliche Begegnung; ich habe Ihre Augen im Gedächtnis behalten, und eS ist mir wie eine dunkle Erinnerung, als hätte ich in einer wichtigen Stunde meines Leb.ns Ihre Stimme gehört."
Justus war an» Fenster getreten und schwieg wie nachdenklich, als besinne auch er sich auf diese Begegnung mit Günther Schönburg.
„Ich habe meinen Onkel ein einziges Mal gesehen beim Begräbnis meines Vaters. Warm Sie damals in der Begleitung des Grafen?"
„Ja, gewiß! Ich dachte, Sie erinnerten sich meiner nicht mehr."
Günther sah noch immer fragend zu Justus hinüber. „Und doch ist es mir, als wäre mein Oheim damals allein gewesen."
„Sie haben mich vergessen, ich war bei dem Begräbnis Ihres Vaters."
„So lange befreundet find Sie schon mit Graf Schönburg?"
„Ja, seit ich denken kann, find wir die bestm Freunde und Vertrauten. Deshalb können Sie mir auch Ihr Herz auSschütten; ich will vermitteln zwischen Jhnm und Ihrem Oheim."
„Sie sagten vor gar nicht langer Zeit, daß mein Oheim ein kranker Mann sei, ein Greis trotz seines jugendlichen Alters, dessen Tage gezählt seien. Thaten Sie es im Auftrag meines OnkelS, um mich zu prüfen?"
Günther stand jetzt dicht vor Doktor Justus; es schien ihm plötzlich wie ein Schleier von dm Augen zu fallen, er fühlte, daß sein Oheim ihn hatte beobachten
lassen durch den Ar,t. ZorneSröte stieg einen Augenblick in seinen Wangen auf, es lag ihm schon auf den Lippen, zu sagen: „Sie sind der Spion meines Onkels," als Justus ihn voll und groß anblickte und dann mit eigentümlichem Ausdruck sprach: „Ja, ich habe Sie geprüft, Günther Schönburg, es war der Wille Ihre» Oheims, der stets an Ihr Wohl gedacht."
„Wird er eS auch jetzt, wird er seine Einwilligung geben zu meiner Verbindung mit Gertrud Felde» ? Wmn Sie so vertraut mit ihm find, dann müssen Sie auch dieses wissen. Haben Sie ihm noch nichts berichtet von meinen Plänen, die ich Ihnen nicht verhehlt? Übrigens, Doktor, es ist kein ehrliches Geschäft, zu spionieren!'
Er konnte es doch nicht zurückhalten, daS beleidigende Wort, und wandte sich jetzt von Justus ab, der merkwürdig ruhig blieb bei der Beleidigung. Er lächelte nur sein gewöhnliches, belustigtes Lächeln und sagt«: „Sie habm recht, es ist nicht ehrlich zu spionieren, aber zuweilen wird man doch dazu gezwungen. Schreiben Sie selbst an Graf Schönburg, was Sie wünschen. Vielleicht stimmt er Jhnm zu, die Baroneß Felde» zu heiratm, wenn Sie ihm schildern, wie sehr Ihr LebenSglück von dieser Verbindung abhängt und wohl auch das von Gertrud Felde», deren Herz Sie doch besitzen?"
Günther biß sich auf die Lippen; die Worte des Arztes dünktm ihm wie Hohn. Liebte ihn denn das stolze, kalte Mädchen, besaß Gertrud ein Herz, und gehörte eS ihm? ftagte er sich. Sein altes Siegcsbewußlsein kam wieder über ihn; er wollte sie fragen so bald wie möglich.
Doktor JustuS verabschiedete sich von dem Grafen; dieser blickte ihn voll Mißtraum an, und der geheime Groll stieg von neuem auf gegen den Freund seines Oheims, der ihn auSgeforscht, wie man einm Knaben ausforscht, voll List,. Lug und Trug.
(Fortsetzung folgt.)