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reben beschränkenden gesetzlichen Bestimmungen herrscht, sehen wir uns veranlaßt, die Beteiligten mit Nach­stehenden, besonders auf die bezeichnten Vorschriften aufmerksam zu machen.

In Vollziehung des Z 4 Abs. 1 des Reichs­gesetzes, betreffend die Abwehr und Unterdrückung der Reblauskrankheit vom 3. Juli 1883 sind in den Weinbaugebieten des Reichs alle Gemarkungen, in welchen Weinbau getrieben wird, bestimmten Wein­baubezirken zugeteilt worden; und zwar umfaßt:

der erste württembergische Weinbaubezirk die Oberämter Ravensburg und Tettnang;

der zweite württembergische Weinbaubezirk das Oberamt Mergentheim mit Ausschluß der Gemeinde­markung Rengershausen, ferner die zu dem Oberamt Gerabronn gehörigen Gemeindemarkungen Oberstetten, Niederstetten und Wildenthierbach;

der dritte württembergische Weinbaubezirk die Oberämter Rottenburg, Tübingen, Herrenberg, Reut­lingen, Urach, Nürtingen, Kirchheim, Eßlingen, Cann­statt, Waiblingen, Schorndorf, Welzheim, Backnang, Marbach, Ludwigsburg, Stuttgart Stadt, Stuttgart Amt, Leonberg, Calw, Neuenbürg, Vaihingen, Maulbronn, Brackenheim, Besigheim, Heilbronn, Neckarsulm, Weinsberg, Oehringen, Hall, Künzelsau, sowie die Gemeindemarkungen Bächlingen und Lonzen­burg, Oberamts Gerabronn, und die Gemeindemar­kungen Rengershausen, Oberamts Mergentheim.

Nach Absatz 2 des Z 4 des zitierten Reichs­gesetzes ist nun die Versendung und Einführung be­wurzelter Reben in einen Weinbaubezirk untersagt. Hienach darf weder zwischen den württembergischen Weinbaubezirken untereinander, noch zwischen diesen und nichtwürttembergischen W-inbaubezirken ein Ver­kehr mit Wurzelreben stattfinden.

Innerhalb des einzelnen Weinbaubezirks ist der Verkehr mit bewurzelten Reben aus Rebschulen ver­boten, in welchen andere als in diesem Bezirk übliche Rebsorten gezogen werden oder innerhalb der letzten drei Jahre gezogen worden sind.

Zuwiderhandlungen gegen diese Vorschriften werden mit Geldstrafen bis zu 150 oder mit Haft bestraft.

Die Mitglieder der zum Reblausüberwachungs­dienst bestellten Ortskommissionen, die mit der Auf­sichtsführung über die letzeren betrauten Bezirksob­männer, die Landesaufsichtskommissärs und die Land­wirtschaftsinspektoren, sowie die Orts- und Bezirks­polizeibehörden werden auf ihre Obliegenheit, die Einhaltung dieser Vorschriften zu überwachen, hiemit besonders hingewiesen.

Uebrigens können nach Z 4 Abs. 3 des Reichs­gesetzes bezüglich des Verkehrs mit bewurzelten Reben Ausnahmen zu Gunsten desjenigen gestattet werden, welcher Rebpflanzungen in benachbarten Weinbau­bezirken besitzt. Gesuche um solche Vergünstigungen

sind bei dem Oberamt einzureichcn und von letzterem nach vorgängiger Jnstruierung und Vernehmung des zuständigen Aufsichtskommissärs dem Ministerium des Innern zur Entschließung vorzulegen.

Stuttgart, den 1. Februar 1895.

v. Ow.

Tagesneuigkeiten.

Stuttgart, 16. Februar. Ergebnis der Stichwahl in Stuttgart Stadt: Wahlberechtigte 25084. Abstimmende: 18878. BAM. Kloß 8.:

10 700. Rechtsanwalt vr. Schall v.: 8178. Gewählt: Kloß 8. mit einer Mehrheit von 2522 St.

Die Deutsche Partei hatte sich am Freitag abend zur Entgegennahme der Wahlergebnisse im Festsaal der Liederhalle versammelt. Als das Resultat bekannt geworden war, hielt zuerst der Vorsitzende A. Schiedmayer eine Ansprache, worin er sein großes Bedauern aussprach, daß so manche Ange­hörige der bürgerlichen Parteien es für besser ge­halten haben, auf die Seite des sozialdemokratischen Kandidaten zu treten. Die Früchte davon werden sie einst ernten müssen. Redner schloß mit einem Hoch auf den Kandidaten, der sich der guten Sache unentwegt und opferwillig zur Verfügung gestellt habe. Dr. Schall dankte für die ihm dargebrachte Huldigung und sagte u. a.:Ich habe es mir nicht nehmen lassen, am heutigen Abend noch einmal in Ihrer Mitte zu erscheinen, einmal, um an den Tag zu legen, daß wir das Recht haben, trotz unserer Niederlage den Kopf aufrecht zu tragen, sodann aber, um Ihnen allen den wärmsten Dank zu sagen für die Ausdauer und Opferwilligkeit, mit der Sie für unsere Sache eingetreten sind. Wir sind ehrenvoll unterlegen, nicht bloß der Zahl nach, sondern haupt­sächlich auch deshalb, weil wir von der ersten bis zur letzten Stunde des Wahlkampfs uns treu geblieben sind und unsere Grundsätze niemals verleugnet haben. Wir haben, während wir hier von der Volkspartei auf Tod und Leben bekämpft wurden, in anderen Bezirken trotzdem gethan, was uns die politische Moral vorschrieb." Einstweilen könne die deutsche Partei nun abwartend zusehen, was die neue Majorität leisten werde.In Einem sind wir einig: daß wir in dem deutschen Vaterlande ein Band sehen, das uns alle verbindet, und so fordere ich Sie in dieser Stunde, die uns ein Mitglied der in tsrnationalen Partei zum Landtagsabgeordneten gegeben hat, auf, einzustimmen in den Ruf: Es lebe das deutsche Vaterland!" Mit Begeisterung fiel die Versamm­lung in den Ruf ein und brachte dem Redner aber­mals eine rauschende Ovation dar.

Stuttgart, 16. Febr. Gestern vormittag

11 Uhr ist in der Küche eines Hauses der Weimar­straße im III. Stock ein kleiner Brand entstanden.

Eine dort wohnende Frau hatte den Einfall, das Ablaufrohr des Wassersteins, welches zugefroren war, mit eingestopftem brennendem Papier aufzutauen, wo­bei sich ein hinter dem Wasserstein herunter führender Balken entzündete. Der Brand wurde durch die Hausbewohner ohne Alarm gelöscht.

Stuttgart, 17. Febr. Infolge von Schnee­wehungen ist der Eisenbahnverkehr auf den Strecken Waldsee-Memmingen; Kißlegg-Hergatz und Leutkirch- Jsny eingestellt.

Der Ausschuß der D. Turnerschaft hat für den diesjährigen Deutschen Turnertag die Tage vom 21. und 22. Juli bestimmt. Derselbe wird in Eßlingen gehalten und damit zugleich die Einweihung des G e o r g i i - Denkmals verbunden werden. Da hiebei Abgeordnete aus allen deutschen Gauen, also auch aus Deutschöstreich, anwesend sein werden, so erhalten diese Tage ein festliches nationales Gepräge. Die D. Turnerschaft zählt jetzt über

Million Mitglieder; dabei sind 90000 Zöglinge mitgezählt. 320 000 sind praktische Turner. Die Schlußabrechnung für das 8. d. Turnfest inBreslau ergiebt an Einnahmen 153 507 ^, an Ausgaben 179 734 Für den Fehlbetrag von 25000 ^ tritt die Stadt Breslau ein. Das unerfreuliche Er­gebnis ist eine ernste Mahnung, deutsche Turnfeste einfacher zu gestalten.

Tuttlingen, 14. Febr. Alt Felsenwirt Hilzinger von hier geriet gestern abend bei dem Bahnübergang an der Stuttgarterstraße auf bis jetzt noch unaufgeklärte Weise unter den abends 8 Uhr von Sigmaringen kommenden Personenzug, wobei ihnr eine Hand und ein Fuß abgefahren wurde. Er ist am gleichen Abend gestorben. Den Bahnwärterposten trifft keine Schuld, da die Schranken geschlossen waren,, vielmehr dürfte das schwache Gesicht und Gehör des- Verunglückten Schuld an dem Unglück sein.

München, 17. Febr. Die hiesigeAllgem. Ztg." enthält folgende offiziöse Mitteilung: Zu der Meldung des DepeschenbureausHerold" über dir Verhaftung und Freilassung eines bayrischen Offiziers­in Warschau eryalten wir folgende Aufklärung: Es ist richtig, daß ein mit vorzüglichen Empfehlungen versehener bayrischer Offizier gelegentlich einer Reise durch Rußland, wahrscheinlich durch eigene Unvor­sichtigkeit, in die unangenehme Lage kam, verhaftet zu werden. Die Freilassung war aber bereits erfolgt, als S. K. H. Prinz Ludwig im allerhöchsten Aufträge in Rußland eintraf und dort dem hohen Herrn eine Intervention erspart blieb.

Berlin, 15. Febr. Der Reichstagsabgeordnet^ Liebermann von Sonnenberg teilt mit, daß die Ge­rüchte von einem beabsichtigten oder bevorstehendem. Duell mit dem Abgeordneten Böcke! gänzlich unbe­gründet sind. Da mir, schreibt Herr Liebermann, seit-

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Der Sonderling.

Roman von P. Fel Sb erg.

(Fortsetzung.)

Wenn es Rosa besser geht, werde ich hinüber fahren; Mama hat cs erlaubt, und Werden schickt seinen Wagen. Nur um eins bitte ich Sie, lieber Graf, sorgen Sie, daß Doktor Justus nicht hinkommt, der Mensch ist mir fürchterlich. Ich hasse ihn!"

Sie hatte erregt gesprochen. Ihre Augen schillerten grünlich und verkündeten »inen tiefen Haß.

Mir ist dieser Doktor auch nicht sympathisch, durchaus nicht, aber, Baroneß, warum hassen Sie ihn so?" entgegnete Günther verwundert.

Er ist rin anmaßender Mensch, der eine Züchtigung verdiente. Ich sollte «in Mann fein, wahrlich, er sollte an mich denken!' Gertrud hatte sich immer mehr ereifert; sie war schön in ihrem Zorn, das sah sie an den bewundernden Blicken Günther Schönburgs. Er hatte sie nie so gesehen, in solch stolzer Entrüstung, er beneidete Doktor Justus beinahe, daß er sie in so große Erregung versetzen konnte; hätte nicht gar zu deutlich der Haß aus ihren Mienen gesprochen, so hätte er eifer­süchtig werden können.

Sie plauderten nun von anderem, von hundert nichtigen Dingen in leb­hafterem Tone wie gewöhnlich; sie halten beide Interesse dafür. Günther dachte daran, wie Gertrud es ausnehmrn würde, wenn er ihr sagte:Ich biete Ihnen mein Herz und meine Hand." Er iürchtete den Augenblick und wunderte sich über sich selbst. Wie sonderbar ihn die Leidenschaft zu Gertrud Melden verändert hatte, darüber dachte er nach auf seinem NachhauserUt. Er hatte nie geglaubt, ein armes Mädchen zu heiraten, am wenigsten, wenn er das Majoratserde nicht erhallen sollte, und nun bongte er, daß Gertrud Felde» ihn nicht erhören könnte, die nichts besaß als ihre eigene Person mit ihrem bestrickenden Reiz.

Wenn der Onkel sich auch vermählte, wer sagt, daß er einen männlichen Erben hinterläßt,' tröstete sich Günther schließlich; der Gedanke, ganz verzichten zu

müssen, war ihm nicht recht faßbar. Er hoffte auf das Schicksal, das sich vielleicht doch ihm günstig zeigte, wenn auch sein Oheim ihm einen Strich durch die Rechnung machen sollte.

In besserer Stimmung als er das Schloß verlassen, betrat er dasselbe wieder.. Aber er sollte plötzlich aus allen seinen Himmeln gerissen werden. Justus erschien bei ihm mit einem Schreiben des Grafen Schönburg. Er reichte es Günther, und dieser erkannte sofort die ihm wohlbekannten Schriftzüge seines Oheims.

Er wurde sehr bleich und laS mehreremale die Worte:Teile meinem Neffen mit. daß ich mich binnen kurzem zu verwählen gedenke, und nimm ihm jede Hoff­nung auf das MajoratScrbe; versichere ihn aber meiner Gunst, so lange er dieselbe zu schätzen weiß und ihrer sich würdig zeigt. Ich bin jedoch nicht geneigt, ferner einen Verschwender zu unterstützen; er ist alt genug, um den Ernst des Lebens zu erkennen. So lange er keine Thorheiten macht, bin ich sein väterlicher Freund, wie ich stets gewesen bin. Lieber Justus, ich weiß, daß sich ein Brief meines ver­storbenen Vetters im Besitz seines Sohnes befindet, und wünschte sehr, daß Du den Inhalt desselben kennen lernst. Derselbe soll erst geöffnet werden, wenn ich die Absicht habe, mich zu vermählen. Da dieser Zeitpunkt gekommen, so ermächtige meinen Neffen zu dieser Öffnung und bitte ihn, den Inhalt, wenn thunlich, mir oder Dir, was gleich ist, zu unterbreiten. Ich zwinge ihn jedoch nicht dazu, sondern überlasse es ihm, nach seinem eigenen Ermessen zu handeln, wie es seine Pflicht ist und ihm recht erscheint."

In klaren, deutlichen Worten stand es von seines Onkels Hand geschrieben;. Günther konnte nicht zweifeln, daß Doktor Justus das vollste Vertrauen deS Grafen besaß. Sein Stolz empörte sich dagegen, den Arzt als Vermittler zwischen sich und dem Grafen anzuerkennen. Wiederholt las er den Brief von Anfang bis zu Ende; manches erschien ihm rätselhaft. Woher wußte sein Onkel, daß dieser uneröffnete Brief in seiner Hand sich befand. Keinem Menschen hatte er es jemals verraten;, er hütete ihn wie einen kostbaren Schatz, den niemand zu Gesicht bekam, der ihn stets begleitete auf allen seinen Reisen. Justus beobachtete mit feinem, belustigtem Lächeln die Wirkung des Briefes an den Grafen.

(Fortsetzung folgt.)