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werden mußten. Die Angekl. konnten nicht bestreiten, daß Geißler durch die von ihnen geleiteten Wagen verletzt worden sei; Klaiber, dem die Aufsicht oblag, wollte aber die Schuld auf Güttinger schieben, dem das Bremsen obgelegen habe, der aber seiner Pflicht nicht gehörig nachgekommen sei, allein da ihm die Aufsicht über das Nangiergeschäft oblag und auf dem toten Gleise gar nicht rangiert hätte werden sollen, so war er nicht frei von Schuld. Kl. wurde mit 3 Wochen, G. mit 1 Monat 15 Tagen Gefängnis bestraft. Schw. M.
Aus dem Rottweiler Bezirk, 28. Jan. Während in unserem Bezirk sonst die Wahlen zum Landtag in aller Ruhe und Stille verliefen, ist gegenwärtig bei unS — trotz des strengen Winters — ein Jagen und Treiben, toller als in der Fastnacht, eine Versammlung verdrängt die andere, heute Zentrum, morgen deutsche Partei, dann Demokratie — auch Herr Haußmann soll nächster Tage verschiedene Versammlungen abhalten, um seinen Freunden Succurs zu bringen und die Bauern zu „belehren". Da kann man mit Recht sagen: „Von all den Reden ist mir so dumm, als ging mir ein Mühlrad im Kopf herum!" Ja, wenn es die schönen Reden und Versprechungen thäten, die man alle bei Wahlzeiten hört, dann wäre uns Bauern und kleinen Handwerkern längst geholfen, aber — nach Tisch las man anders. Als ich einen Nachbar jüngst fragte, warum er denn nicht auch den verschiedenen Versammlungen, bei denen es ja oft Freibier gebe, anwohne, sagte er: „Nein, zu solchen Versammlungen gehe ich nicht mehr, ich bin alt genug, um zu wissen, wen ich zu wählen habe, das dürfen mir die Stuttgarter und Rottweiler Herren nicht erst erklären. Wenn man sieht, wieviel Geld da zum Fenster hinausgeworfen wird, wie die Herren in ihren dicken Pelzen von Ort zu Ort fahren, das Geld in vollen Händen ausstreuen und den Leuten goldene Berge versprechen, während wir Bauern bei diesem strengen Winter oft keinen Pfennig übrig haben, wenn man steht wie die Zustände immer schlimmer werden, die Bürger immer verhetzter und erbitterter gegen einander, so lange die meisten unserer Freiheitsmänner die Sorge für das Wohl des Volkes nur im Munde führen, die Taschen aber hübsch zuknöpfen, wenn es gilt, die Not der Armen durch eigene Beiträge lindern zu helfen, solange erhalten solche Kandidaten meine Stimme nicht, und wenn sie noch so schöne Versprechungen machen!" Hat der Mann nicht Recht? Vfrd.
Ebingen, 29. Jan. Wegen der noch fehlenden Inschrift am ReichstagsgebLude hat der „Franks. Gen.-Anzeiger" den neuerdings beliebten Weg einer Umfrage bei deutschen Schriftstellern eingeschlagen. Das Blatt veröffentlicht die Antworten. Sie enthalten neben Unbedeutendem einiges Bemerkenswerte. Am häufigsten kehrt der Gedanke wieder, daß es am besten wäre, man ließe es bei dem ursprünglichen Vorschlag: „Dem deutschen Volke." — Für den schlichten Vorschlag: „Deutscher Reichs
tag" stimmen Mehrere. Andern erscheint diese Fassung zu nüchtern, zu „hotelmäßig". — Julius Stinde meint scherzhaft: „Oppositionskasten" wäre die beste Inschrift, und er hat damit leider nur zu recht!
Beilstein, 27. Jan. Bei der gestrigen Verpachtung der hiesigen Jagd wurden hohe Preise erzielt. Für den sog. „kleinen Wald" wurden 1000 ^ statt bisher 110 für die Feldjagd 700 ^ statt bisher 130 ^ geboten. Für diesen Teil der Jagd ist Pächter ein Herr Klein aus Stuttgart. Für den sog. „großen Wald" wurden 400 ^ statt bisher 105 bezahlt. Der Pächter dieses Teils ist Oberförster Leipnitz hier.
Welzheim, 30. Jan. Bei der am letzten Sonntag hier gehaltenen Wahlversammlung entwickelte Gutsbesitzer Hofmann vor einer großen Zahl von Besuchern sein Programm, das sich im Wesentlichen mit dem der deutschen Partei deckt. Was der hies. volksparteiliche Wahlausschuß unter objektivem Wahlkampf, den er in Aussicht stellte, versteht, geht aus einem unter der Landbevölkerung verbreiteten poetischen Flugblatt hervor, worin ein Vers lautet:
Ich weiß einen Schulzen im Oberamt So kugelrund wie eine Zwiebel,
Da sagen die Bürger insgesammt:
Erlöse uns, Herr, von dem Uebel.
Bruchsal, 30. Jan. Wie schwierig es für die Aufseher in den Zuchthäusern ist, sich vor hinterlistigen Ueberfällen jener Menschen, deren Strafthat schon auf ihre gänzliche Verrohung schließen läßt, zu schützen, das zeigt wiederum ein dieser Tage im hies. Männerzuchthaus vorgekommener Fall. Von dem Sträfling Ratzel, der, wie erinnerlich, bei Vil- lingen ein Mädchen auf bestialische Weise ermordet hat, wurde der Aufseher Seithel (aus Zeuthern gebürtig) beim Eintreten in die Zelle mit dem Bettpfosten — einem Gegenstand, der schon so oft in gleicher Weise mißbraucht worden — auf den Nacken geschlagen und nicht unbedenklich verwundet. Nur mit großer Mühe gelang es, der „Kraichg. Zeitung" zufolge, den Wütenden, der die verdiente Lektion inzwischen empfangen haben wird, zu bewältigen.
Schwetzingen, 29. Jan. Die Petition in Betreff der Tabaksteuer ist aus dem Amtsbezirk mit 643 Unterschriften von Tabakpflanzern bedeckt, an den deutschen Reichstag abgesandt worden.
Mannheim, 29. Januar. Seit heute früh bringt auch der Oberrhein starkes eigenes Treibeis. Der Neckar ist auf seiner ganzen Breite mit dichten Eisschollen bedeckt. Auf dem Rhein sind gestern und heute sämtliche Schiffsbrücken abgefahren worden, ebenso mußte der Trajektverkehr in den meisten Orten eingestellt werden. — Eine Anarchistenversammlung fand am Sonntag in dem benachbarten Ludwigshafen statt. Als Redner traten 3 Mannheimer Anarchisten auf, dis als die größte Freiheit diejenige priesen, in der nur das eigene „Ich" für das Einzelindividuum maßgebend ist. Als einer der Redner
äußerte, daß er keine Herrscher und keine Gesetze wolle, bemerkte der anwesende Polizeikommissär, daß solche Aeußerungen zu unterlassen seien, andernfalls die Auflösung der Versammlung erfolge. Den Reden der Anarchisten trat der soz.dem Führer Erhärt von Ludwigshafen entgegen, der den Parlamentarismus als das Mittel zum Zweck feierte und den Anarchismus als einen Verrat an der Arbeiterbewegung bezeichnet«.
Heidelberg, 30. Jan. Gestern Abend explodierte in einer hiesigen Fabrik ein Motor, der probiert werden sollte. Dabei wurde ein Gießermeister am Unterleib und an der Hand verletzt und mußte ins Spital verbracht werden.
Straßburg i. E. Dis weltberühmte Schwarzwälder Uhren-Fabrikation wird auf unserer Jndustrie- und Gewerbe-Ausstellung durch etwa vierzig Aussteller vertreten sein. Ihre Erzeugnisse, Uhren aller Arten, Orchestrions, Holzschnitzereien und was sonst in das Fach schlägt, werden in einer besonderen Gruppe in 10 Kojen aufgestellt werden. Diese Ausstellung beansprucht bei einer Frontlänge von 50 Meter einen Flächenraum von im Ganzen 250 Quadratmeter. Die Aufstellung und das Arrangement der verschiedenen Objekte hat in dankenswerter Weise der Direktor der Filiale der Großherzoglich Badischen Landes-Gewerbe- Schule in Furtwangen, Herr Bichweiler übernommen.
Metz, 28. Jan. Eine freudige Ueberraschung ward gestern dem Ossizierkorps des hannoverschen Dragonerregiments Nr. 9 zu teil. Als dasselbe im Kasino zum Kaiseressen versammelt war, erschien ganz unerwartet Graf v. Häseler und überbrachte dem Kommandeur Major v. Ziethen den Kaiserpreis für taktische Leistungen, der alljährlich am Geburtstage des Kaisers verliehen wird. Derselbe besteht in einem schweren silbernen, inwendig vergoldeten Pokal. Der Preis muß 2 Jahre verteidigt werden, ehe er in den Privatbesitz des Gewinners übergeht.
Bremen, 31. Jan. Eines der neuesten und schönsten Schiffe des Norddeutschen Lloyd, der Schnelldampfer Elbe, ist in der Nordsee von einem furchtbaren Unglück betroffen worden. Nach einem in der Nacht beim Norddeutschen Lloyd eingegangsnen Telegramm aus Lowestoft (an der süd.-östl. Küste von England) ist der am 29. ds. von Bremerhaven abgegangene Dampfer gestern Früh um 6 Uhr mit einem anderen Schiff zusammengestoßen und gesunken. Ein Rettungsboot mit 22 Personen ist in Lowestoft gelandet; Nachrichten über die anderen fehlen. Nach einer Londoner Reutermeldung sind über 200 Personen ertrunken. (Wahrscheinlich noch mehr, s. unten.) Der Kapitän der „Elbe" heißt v. Gössel; auch er scheint zu den Opfern des Unglücks zu gehören. Das gesunkene Schiff war ein Dampfer von 4510 Register- Tonnen mit 5600 Pferdekraft. — Eine bei der Aus- Wanderungsagentur von Johs. Rominger in Stuttgart eingelaufene telegr. Nachr. von heute (31.) früh lautet: „Bremen 30. Jan., 10 Uhr 40 Min. Nachts.
das eine Wort hatte ihr verrate», daß sie geliebt wurde, geliebt von einem leidenschaftlichen Manne, und daß eS die Gewalt der Liebe war, die sie mit ihrem Zauber- bmm umfing, wenn sie in seiner Nähe wellt«.
„Gertrud," klang es wieder leis«, zärtlich dicht an ihrem Ohr; sie fühlte sich umschlungen von seinem Arm, halb betäubt lag sie eine Minute in seinem Arm; dann riß sie sich loS. Waffen Sie mich — ich bin nicht verletzt," klang eS laut und kalt von Gertrud« Lippen; sie richtete sich empor, und em tiefer, erlösender Atemzug hob ihre beklemmte Brust. Ihr Stolz wallte auf. Sie rürnte ihm, ein verletzendes Wort schwebte auf ihren Lippen; aber sie unterdrückte eS doch, sie erkannte, fühlte, daß er eine Herrschaft über sie besaß, der sie willenlos unterlag. Wie hätte es sonst geschehen können, daß sie, Gertrud Felben, die Spröde, Stolze, ihn nicht zurückgestoßen>
Schweigend standen nun beide eine Wecke in der finsteren Grotte sich gegenüber. Dann und wann zuckte ein Blitz und »leuchtete matt die Dunkelheit, die sie umgab. Ferner rollte der Donner, nur der Regen floß noch in Strömen.
„Vergeben Sie, Gertrud," begann JustuS und «griff die Hand des Mädchens, das einen Schritt zurückgetreten war und an der Felswand lehnte. „Vergeben Sie meine Angst um Sie," bat er und küßte innig, ehrfurchtsvoll ihre Hand. „Ich rverde zu einer passenderen Stunde kommen und fragen, ob Sie mir zürnen können."
Er wandte sich dem Ausgang der Grotte zu und versuchte mit seiner ganzen Kraft die Äste des gestürzten Baumes zu entfernen, um Gertrud und sich den Austritt zu ermöglichen. „ES wird schw« halten, hi« heraulzukommen; die Dunkel- hell nimmt zu. ich glaube, wir dürfen den Regen nicht scheuen, um dann ins Trockene zu kommen —" meinte JustuS, und Gertrud stimmte ihm bei.
„Ja, ja — nur fort — nach Hause — durchnäßt find wir doch schon —" «widerte sie, und eine angstvolle Hast lag in ihrem Ton.
Schweigend sah Gertrud zu, wie « sich mühte, den AuSgang frei zu machen.
Sie half ihm nicht dabei, sie lehnte ruhig an der Felswand, und ihre Blicke hafteten an sein« elastischen kräftigen Gestalt.
Ein leises Lächeln lag um ihre Lippen, eine wunderbare, seltsam weiche Regung beschlich sie. Sie wußte, daß er sie liebte, daß er sie begehrte zu seinem Weibe. Gewaltsam schüttelte sie das Gefühl ab. das sie zu ängstigen begann, weil eS ihr so fremd war, well ihr der Gedanke bisher fern gelegen, daß sie sein werden könnte, sein, des einfachen Landarztes Weib. „Nimmermehr," dachte sie, und der alte, unbändige Stolz bäumte sich auf. „Nimmermehr." wiederholte sie sich, „ich will nicht leben von der Arbeit eines Mannes; ich will nicht hinabfieigen, nicht einen Schritt, mein Weg geht hinauf, nicht hinab I"
Plötzlich wandte sie sich dem Ausgange zu, und wie ein scheues Reh durch daS Dickicht bricht in eilig«, angstvoll« Flucht, so suchte sie sich Bahn zu brechen, und eS gelang ihr, obwohl ihr Kleid sich festhakte in dem Geäst; sie riß eS los, daß eS in Fetzen hing. Schweigend, ohne einen Blick wollte sie fort eilen von ihm; aber « sprang ihr nach, faßte sie fest am Handgelenk, und zwingend klang es in einem Hcrrscherton, der Gertrud voll Staunen ihn anblicken ließ: „So scheiden wir heute nicht!"
Sein Blick bohrte sich in ihr Auge, daß sie «bebte; angstvoll, demütig flehte sie: „Lassen Sie mich gehen, allein gehen."
So demütig, so wie jetzt, so hatte JustuS sie sehen wollen; sie sollte die Macht erkennen, die er über sie besaß.
„Bitte — lassen Sie mich los," klang eS weich von dem stolzen Munde.
„Ich lasse Sie nicht allein durch den dunklen Wald gehen."
„Doch — ich bitte darum — ich fürchte mich nicht," kam es von deL Mädchens bebenden Lippen, »nd die weißen Zähne schlugen zusammen wie im Fieberfrost.
(Fortsetzung folgt.)