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nerstag mittags 1 Uhr. Beratung der Umsturzvor­lage. Abg. Graf Limburg-Stirum (cons.): Die Vorlage ist ein erfreuliches Zeichen. Die Sozial­demokraten sagen jetzt, sie wollen eine soziale Reform nur auf friedlichem Wege. Die Rede des Hrn. Auer war sehr geschickt, sie hat uns die bestehenden Mängel im Staate gezeigt. Aber der sozialdemokratische Staat dürfte davon auch nicht frei sein, er wird sicherlich weniger produzieren und somit dürfte das Elend und die Armut in ihm viel größer sein. Die gestrigen Ausführungen des Hrn. v. Stumm waren sehr stich­haltig, meine politischen Freunde sind ihm hierfür sehr dankbar. Zu Hrn. Gröber übergehend, ver­mißt Redner beim Centrum die Consequenz. Früher wollte das Centrum kein Ausnahmegesetz; jetzt, wo wir auf dem Boden des gemeinen Rechts Vorgehen wollen, sagt Hr. Gröber: »Was, Sie wollen jetzt gegen Alle Vorgehen? Redner wünscht noch positive Maßnahmen zum Schutze der Handwerker und des sonstigen Mittelstandes und erklärt, seine Freunde seien mit der Verweisung der Vorlage an eine Com­mission einverstanden. Abg. Munkel (freis. Vp): Man fordert von uns Vertrauen gegenüber diesem Gesetz, aber vom Vertrauen kann ich mich nicht beim Gesetzemachen leiten lasten. Wohin uns dieses Gesetz führen würde, können wir nach den Consequenzen der Vorgänge vom 6. Dezember beurteilen. Von unserem Heer denke ich zu groß, als daß die Disziplin so leicht zu erschüttern sei, um die Ansetzung so hoher Zucht­hausstrafen zu rechtfertigen. Gröber schloß gestern: Kein Heil ohne Christus. Gut, Christus brachte aber die Befreiung des Geistes, nicht die Knechtschaft. Kriegsminister Bronsart v. Schellendorf stimmt mit dem Vorredner darin überein, daß das Vertrauen zur Armee berechtigt ist. Die Armee ist aber nicht immer gegen Ansteckungsstoffe gefeit. Auch unter den Sozialdemokraten gibt es Franktireure, die nicht warten wollen. Wie kommt es denn, daß jetzt so häufig Flugblätter in den Kasernen verbreitet wer­den ? Deswegen erbitten wir von Ihnen die Mittel, um event. Exempel statuiren zu können. Justizminister Schönstedt: Hr. Munkel hat sich früher stets be­reit erklärt, daß die zu bekämpfenden Uebel durch das gemeine Recht bestraft werden. Er kann auch nicht bestreiten, daß unsere Gerichte sich vollständiger Unabhängigkeit erfreuen. Haben Sie noch Vertrauen zur Unabhängigkeit der Rechtspflege, so prüfen Sie wenigstens die Vorlage. Abg. v. Bennigsen (nl.): Ein Hauptziel der Umsturzbestrebungen sei die Ge­winnung der Armee. Die meisten Revolutionen sind erst dann gelungen, wenn das Militär nicht mehr zuverlässig war. Daß die Sozialdemokratie republi­kanisch ist, wird keiner leugnen. In seinem Fürsten findet aber das deutsche Volk das Bewußtsein seiner Kraft. Prüfen wir die Vorlage und zeigen wir der Nation unsere Bereitwilligkeit. Abg. Barth (fr. Vg.): Die Erfolge der Sozialdemokratie liegen in dem fett Jahrzehnten stark entwickelten Glauben von der Staatsommpotenz. Darauf beruht ja auch das Programm des Bundes der Landwirte. Die Vorlage ist unklar und in einzelnen Bestimmungen sehr dehn­bar. Mit einer solchen Vorlage bekämpft man aber auch die Sozialdemokratie nicht. Einigen über­schäumenden Worten in Volksversammlungen braucht man keine große Bedeutung beizulegen. Durch polizei­liche Maßregeln bringt man die Partei nur fester

zusammen. Ich bekämpfe das Gesetz in seinen Kern­punkten, in den Nebenpunkten behalte ich mir die gründlichste Prüfung der Commissionsvorschläge vor.

Berlin, 9. Jan. Nach Mitteilungen aus Abgeordnetenkreisen dauerte der gestrige Vortrag des Kaisers bei dem Herrenabend 2'/- Stunden. Der Kaiser beherrschte seinen Stoff staunenswert und schloß: Machen Sie Bismarck, dem Begründer unserer Kolonialpolitik, zu seinem 80. Geburtstag die Freude, die für die Flotte geforderten notwendigen Summen zu bewilligen. Bei der Tafel saß Präs. v. Levetzow rechts, der Abg. Graf Hompesch (Zentr.) links vom Kaiser. Der Kaiser soll auch geäußert haben, das Fehlen der Inschrift »Dem deutschen Volke" auf dem Reichstagshause sei nicht seine Schuld, er habe davon erst durch die Zeitungen Kenntnis bekommen.

Tagksneuitzkeilen.

Stuttgart, 8. Jan. lieber die Weihnachts- meste produzierte ein amerikanischer Jmprcffario Sauer eine Truppe von 5 afrikanischen Wilden (!), welchen eine Tagesgage von 4 Mk. zugesagt war. Die Geschäfte wüsten wohl schlecht gegangen sein, denn der Jmpreffano und der Häuptling der Wilden verdufteten, dis 4 Wilden ohne Geld im Stich lastend, obgleich jeder ca. 150 Mk. bei dem Jmprestario gut hatte. Die von allem entblößten 4 Afrikaner fanden in der Stuttgarter Brauereigesellschaft vorerst Auf­nahme. Jetzt haben sie in verschiedenen Restaurationen Unterkommen gefunden.

K Pforzheim. Schon wieder ist in hies. Stadt ein Selbstmord zu verzeichnen. Als vergangenen Dienstag nachmittag der Gerichtsvollzieher zum zweiten­mal« bei dem Fabrikanten G. E. erschien, ließ er die Comptoirthüre erbrechen, um zwangsweise eine Pfändung vorzunehmen. Hinter der Thüre hatte sich der Fabrikant erhängt.

8> Pforzheim. Der vergangenen Montag abgehaltene Monatsviehmarkt war mit 104 Ochsen befahren, wovon 18 Stück meist von Land­leuten zu 450520 ^ per Stück gekauft wurden. Von 82 Kühen wurden 22 Stück zu 240370 ^ per Stück verkauft. Jungvieh waren nur 20 Stück zugetrieben und hievon nur 6 Stück zu 120 bis 190 das Stück abgesetzt. Von den 64 Kalbinnen wurden 18 Stück zu 200280 ^ per Stück verkauft. Ein nennenswerter Preisrückgang ist nicht zu verzeichnen. Der Pferdemarkt hatte 160 Pferde aufzuweisen, wovon 42 Stück als verkauft notiert sind.

T Dürrmenz-Mühläcker. In der letzten Zeit wurde der Tabak an die Käufer abgeliefert. Das Gesamtergebnis belief sich auf ca. 1300 Ztr., für welche im ganzen 29,000 ^ gelöst wurden. Die Pflanzer sind sehr befriedigt mit dieser willkommenen Bareinnahme.

Berlin, 11. Jan. In einer von 400 Per­sonen besuchten anarchist. Versammlung beschlossen die Teilnehmer, das BlattSozialist" angesichts der poliz. Verfolgungen eingehen zu lasten.

London, 11. Jan. Aus Shanghai wird gemeldet, daß nördlich von Tschool 120 Meilen von Peking, blutige Kämpfe stattfanden. Chinesische Ver­wundete wurden zu Hunderten in Tientsin eingeliefert.

Zur Mahlbrwrgmrg.

Calw. Wie wir hören, wird unser bisheriger Landtagsabgeordneter, Hr. Stadtschultheiß Haffner, von nächsten Sonntag an mit den Wahlreisen beginnen und an sämtlichen Orten des Bezirks seinen Wählern über die letzte Landtagsperiode Bericht erstatten, sein Programm eingehend darlegen, persönlich mit den Wählern in Fühlung treten und etwaige Anfragen und Wünsche der Wähler beantworten und entgegen nehmen.

Calw, 11. Jan. Das StuttgarterNeue Tagblatt" schreibt von Calw:Auch in unserem Be­zirke scheinen der Aufstellung einer demokratischen Kandidatur Schwierigkeiten zu begegnen. Adlerwirt Dingler, der zuerst in Aussicht genommen mar, hat aus Altersrücksichten abgelehnt. Voraussichtlich wird Gastwirt Heid zum Engel in Calw aufgestellt werden." (Anmerkg. der Redaktion: Der Einsender in das »Neue Tagblatt" hat von hiesigen Verhält­nissen noch keine große Kenntnis, sonst würde er wohl eine solch plumpe, vollständig aus der Luft ge­griffene Sensationsnachricht nicht in die Welt ge­schleudert und wenigstens auch den Namen Haydt richtig geschrieben haben. Dem betreffenden Corre­spondenten ist mehr Vorsicht anzuraten.)

Rottenburg, 8. Jan. Am Sonntag fan­den hier 2 Versammlungen des Zentrums statt. In denselben waren nach der Rottend. Z. thätig: Syndikus Bader, Dompfarrer Sporer, Regens Stiegele, Dompräbendar Rieg, Stadtpfarrer Bitze- nauer, Subregens Pfaff und Oberamtsrichter Sulzer. Dompräbendar Nieg wies nach der R. Z.schlagend nach", daß ein gläubiger Christ (nicht blos ein Katholik) mit der Demokratie unserer Tage, ohne seine eigensten heiligsten Überzeugungen zu schädigen, nicht mehr Zusammengehen könne, und daß auch ein Mann, der die wahre Wohlfahrt des eigentlichen Volkes, d. h. der mittleren und unteren Stände, wahren wolle, mit der jetzigen Volkspartei nicht mehr gemeinsame Sache machen dürfe. (Schw. M.)

Hall, 9. Januar. Gegen die demokratische Kandidatur von Friedrich Hartmann, seitherigen Land­tagsabgeordneten für Oehringen, ist für den hiesigen Bezirk von Gegnern Hartmanns aus Stadt und Land die Kanditatur von Eberhardt Blezinger, resign. Apotheker und Gemeinderat m Hall, aufgestellt worden. Blezinger, dem vor Aufstellung Hartmanns von der Volkspartei, der Deutschen Partei und von parteilosen Wählern das Mandat für Hall angetragen worden war, hat angenommen.

Nachdem der Jpf in Nr. 1 die Aus­übung des Wahlrechts als eine religiöse Pflicht bezeichnet hat, beantwortet er in feiner Nr. 4 die Frage: Wem gibt der kathol. Mann am 1. Febr. seine Stimme? Er sagt:Der Katholik hat die heilige Pflicht, seine Religion in der Politik zu befragen und mitsprechen zu lassen; nur dadurch wird er zeigen, daß er ein kath. Mann ist und auf der hohen Warte einer christlichen Gesinnung steht. Thut er dieses nicht, so begeht er einen Verrat an dem Glauben seiner Väter. Daß Politik und Glauben unzertrennlich sind, das zeigt und lehrt uns zur Ge­nüge die eine Thatsache, daß eine Zentrumsfraktion existiert. Was von Politik und Glauben bei den.

zuvor. Sie wollte kein Gefühl in sich auskommen lasten, welches ihr als eine Thor- heit erschien. DaS schöne Mädchen hatte volle Gewalt über sein Herz, das sich zu regen begann, das zum erstenmal« stürmischer klopfte als sonst. Sie fuhr der Hand über die Augen und die Stirn, als wolle sie dm Eindruck, den er ge­macht, verwischen für immer. Hch will nicht mehr an ihn denken." klang es leise, aber fest entschlossen, und ihre Willenskraft war stärker als ihre Kraft, zu lieben.

Doktor Justus hatte im Herrenhaus« zu Felden nichts verraten von der An­kunft des jungen Grafen Schönburg. Es war der ausdrückliche Wunsch veS Offiziers, daß seine Anwesenheit verschwiegen blieb, und Doktor Justus billigte und befestigte den Entschluß in ihm, sich erst ganz seiner Gesundheit zu widmen, um dann später frisch und neu gekräftigt die Freuden des Landlebens genießen zu können, die im Spätsommer mit der Ernte und der Jagd begannen.

Gertrud Felden ging raschen Schritte», dm großen Strohhut in die Stirn gezogen, als ob sie sich dahinter verbergen wollte, auf der Landstraße, die nach Schönburg führte.

Sie mußte sich Bewegung machen, mußte hinaus aus dem armseligen Nest, mußte wieder etwa» sehen, was ihr Auge Befriedigung erfüllte. Sie wollte nm einen Blick werfen auf das Schloß der Grafen zu Schönburg. Wie eme magnetische Macht zog es sie dorthin. Der Doktor war in Felde» bei seinen Kranken. daS wußte sie, ihn konnte sie nicht treffen, wenn sie den Rückweg durch den Wald nahm; sie wollte in dm Park gehm, sich daS Schloß aus der Ferne anseben mit seinen kleinen, seltsamen Nebengebäuden, von denen sie am Tage vorher bei Werdens so viel Wunderbares gehört.

Eilig schritt sie vorwärts. Sie achtele nicht auf die Sonnenglut, die ihr aufs Haupt brannte, trotz des winzigen Sonnenschirm», der nicht für den Landaufenthalt bestimmt war, aber jetzt verbraucht werdm mußte. Lang streckte sich noch die Straße vor ihr aus im blendenden MittagSsonnmscheine, aber sie beachtete eS nicht, sie blickte nur hinüber nach ihrem Ziel, dem Grafmschloffe, zu dem «S sie hintried, als

käme ihr von dort ihr Schicksal, als wäre dort ihr einziger rechter Platz, das Ziel all ihrer stolzen Wünsche. Hinter sich ließ sie Armut, Elend, Langeweile und Not, und vor sich sah sie Reichtum, Schönheit, Pracht und Ueberfluß.

Dort wohnen, dort herrschen, daS erschien ihr Lebm» Glück!

»Ich möchte wissen, ob es einen Weg giebt, der von Felden hierher führt, hierher für immer, ohne ein Zurück in die Erbärmlichkeit," sprach Gertrud beinahe laut vor sich hin, und ganz leise kvnte die Antwort in ihrem Obr so deutlich und klar, daß sie zusammenschrak und um sich blickte, als könne ein Fremder dies Wort gesprochen haben. »Graf Schönburg Graf Schönburg" so tönte eS wieder und wieder, als wäre eS die einzige Antwort auf die Frage, die sie an das Schick­sal gestellt.

Sie wollte den Gedanken zurückweisen, aber er blieb hasten in ihr und bildete den Anfang zu einem köstlichen wachen Traume, der ihr vorspiegelte, daß sie einst hier leben könne als Herrin d«S Schlosses, als Gräfin Schönburg.

Sie betrat dm Park und blickte halbgesenkten Augenlidern um sich; sie war ruhiger geworden, ein Seufzer hob ihre Brust, so tief und schwer, daß sie jäh erwachte und einem leisen, bittern Lachen sich mit der Hand über Stirn und Augen fuhr, als müsse sie gewaltsam das Zukunftsbild verjagen, das sie geschaut zu haben wähnte; sie ging immer näher hinauf bis mm Brunnen mit den Satyrn und Nymphen und stand lange vor dem Meisterwerk, ohne zu ahnen, daß sie be­obachtet wurde.

Oben hinter der Gardine seines Fensters lehnte Lieutenant Schönburg; er hatte sie kommen sehen, und rasch griff er zu seinem scharfen Opernglas, um sie zu beobachten. »Teufel sie ist ein schönes Weib! Gertrud Felden, hier also sehen wir uns wieder!" flüsterte blitzenden Augen der junge Graf. »Noch wenige Wochen der Ruhe, dann ist ihre Gesellschaft ein hübscher Zeitvertreib," lächelte er und maß die stolze Gestalt vom Kopf bis zu den Füßen.

(Fortsetzung folgt.)

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