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Amts- und Anzeigeblalt für den Bezirk (Lalw.

70. Jahrgang.

Erscheint DienSt«g, Donnerstag und GamStag. Die Einrückungsgebühr beträgt im Bezin und nächster Um- D^ung S Pfg. dt« Aeile, sonst 12 Pfg.

Samstag, den 12. Januar 1895.

LbonuemeutSpreiS vierteljährlich in der Stadt SO Pfg. und Sv Pfg. Drägerlohn, durch die Post bezogen ML. 1. 1L, fo«K i» ganz Württemberg ML. 1. Sb.

Amtliche Bekarmlmachrmge«.

Die Grtsdehsrden

werden darauf hingewiesen, daß von jeder Feld- Lereinignng oder Feldweganlage, welche durch freiwillige Uebereinkunft der beteiligten Grund­besitzer zu Stande gekommen ist, in Gemäßheit des Z I der Minist.-Vers. v. 19. Juli 1886 Regbl. S. 253 der K. Centralstelle für die Landwirtschaft, Abteilung für Feldbereinigung, durch Vermittlung des Oberamts Anzeige zu erstatten ist.

In diesen Anzeigen ist über nachstehende Punkte Auskunft zu geben:

1) Name des betreffenden Markungsteils,

2) Art des Unternehmens, ob Feldweganlage oder Feldbereinigung, letzterenfalls ob ohne oder mit Zusammenlegung,

3) Zeit der Ausführung,

4) Größe der bereinigten oder mit Wegen ver­sehenen Fläche,

5) Länge der neu angelegten Wege,

L) Kosten des Unternehmens a) für dis Beteilig-, ten, b) für die Gemeinde.

Bemerkt wird, daß nach Art. 1 des Ges. über die Feldbereinigung vom 30. März 1886 (Regbl. S. 111) unter Feldbereinigung jede Aendernng bezw. Neuanlegung von Feldwegen behufs besserer landwirtschaftlicher Benützung des Grund und Bodens oder jede neue Feldeinteilung zu verstehen ist.

Die Ortsbehörden, in deren Gemeinden im Jahre 1884 derartige Feldbereinigungcn ausgeführt worden sind, werden nun beauftragt, hierüber bis Ätt. Januar Bericht zu erstatten unter Bezeichnung als portopfl. D.-S.

Fehlanzeigen sind nicht erforderlich.

Calw, 10. Jan. 1895.

K. Oberamt.

Voelter.

Die KrtsbeHöröen

werden beauftragt, dafür Sorge zu tragen, daß die Straßen stets rechtzeitig und genügend breit gebahnt werden. Die Bahn muß auf mindestens 4 m Breite mit Anbringung der nötigen Ausweichplätze hergestellt werden. Vergl. Z 44 der Dienstanweisung für die Straßenwärter.

Falls die Bahnschlitten nicht die erforderliche Breite hätten, wären sie entsprechend mit Flügeln zu versehen. Die Ortsvorsteher werden für die richtige Ausführung verantwortlich gemacht.

Calw, 10. Januar 1895.

K. Oberamt.

Voelter.

Calw.

Dir Orts-Dorsteher

der Gemeinden Agenbach, Breitenberg, Dachtel, Dennjächt, Holzbronn, Liebolsberg, Liebenzell, Mött- lingen, Neubulach, Neuweiler, Schmieh, Stammheim und Teinach werden an die Einsendung der Güter­buchsprotokolle dringend erinnert. Wenn keine Aende- rungen angesallen sind, so sind nicht die Protokolle, sondern Fehlanzeigen einzusenden.

Den 11. Januar 1895.

K. Bezirksgeometerstelle.

Ströhlein.

Deutsches Reich.

Berlin, Mittwoch 9. Jan., Nachm. Reichs­tag. Zunächst wird der Antrag Auer (Soz.) auf Einstellung des Strafverfahrens gegen den Abg. Stadthagen (Soz.) gegen die Konservativen und Frei­konservativen (Reichsp.) angenommen. Darauf wird die 1. Beratung der Umsturzvorlage fortgesetzt, v. Stumm (Reichsp.): Die soz.-dem. Partei bleibe revolutionär, sie habe den deutschen Anarchismus ge­boren und stets anarchistische Thaten verherrlicht. Die

Sozialdemokratie sei nur durch Gewalt zu unter­drücken. Er hätte, wenn es auf ihn angekommen wäre, das Gesetz schärfer gemacht, den Sozialdemo­kraten das Wahlrecht entzogen. Wer die Sozial­demokratie nicht bekämpfe, mache sich verantwortlich für Ströme Bluts, wodurch die Bahn alsdann führen werde. Besser wäre statt der Vorlage ein Ausnahme­gesetz gewesen. Die Arbeiter müssen gegen die sozial- demokr. Ausbeuter geschützt werden. (Beifall rechts.) Gröber (Zentr.) hebt die Leistungen der Arbeiter­versicherungen hervor, während die Sozialdemokratie nichts gethan habe. Gewalt richte nichts aus. Die Wirkung muß von innen kommen. Die Stellung des Zentrums zur Vorlage ist durch die frühere Haltung zum Sozialistengesetz gegeben. Er beantrage Ver­weisung an die Kommission. Die Bestimmungen seien vielfach zu unbestimmt. Sind denn die Jesuiten schlimmer als die Umstürzler, welche doch des gemeinen Rechts teilhaftig sein sollen? Redner beleuchtet ver­schiedene aus der Unbestimmtheit der Fassung des Gesetzes notwendig erwachsende Schwierigkeiten und bemängelt das Beschlagnahmerecht der Polizei. Er erwähnt die Verteidigung der Selbsthilfe des Generals Kirchhofs durch den preuß. Kriegsminister, gegen wel­chen nach der Vorlage durch seinen Kollegen, den Justizminister, Bestrafung beantragt werden müßte. (Heiterkeit.) Ich lasse keine Scheidewand in der Strafwürdigkeit ziehen zwischen den das Volk ver­giftenden Professoren und den Arbeitern, welche die praktischen Konsequenzen aus deren Vorträgen ziehen. Staatssekretär vr. Nieberding glaubt, daß nach den Aeußerungen des Vorredners eine Verständigung im Centrum nicht ausgeschlossen sei. Ueber die ein­zelnen Differenzen könne man ja in der Commission sprechen. Die Regierung werde gern bessere Vor­schläge annehmen, denn es liege ihr nur daran, die zur Erhaltung der staatlichen Ordnung nötigen Garan­tien zu schaffen.

Berlin. Deutscher Reichstag. Don-

n» fliachdiuS »krboten-I

Der: Sonderling.

Roman von P. Felsberg.

(Fortsetzung.)

Gertrud seufzte laut auf. Die Einsamkeit drückte sie; ihr ganzes Denken widmete sie den schönen Erinnerungen aus der Well, in der sie gelebt, in die sie gehörte, die ihr einziges Element war und blieb.

Wie ein Kind, das sich fürchtend die Augen schließt, so vermied auch sie es, vor sich zu schauen, in die Zukunft zu blicken. »Lieber möchte ich sterben, als immer hier leben!* Halle sie oft geseufzt in der kurzen Zell, die sie in Felde« verbracht.

»Aber daran stirbt man nicht,* hatte sie weiter gedacht; sie fühlte sich gesund, voll Lebenskraft und Lebenslust, sie wollte leben, genießen!

Der Postbote kam und stört« die beiden Damen in ihren Gedanken. Gertrud eilt« ihm entgegen; sie konnte kaum erwarten, was er ihr brachte. Es war eine ziemlich starke Post, die er heut« hatte. Zellungen, Briefe an die Baronin und ver­schiedene kleine, zierliche Billets an Gertrud. Nur für Rosa kam nichts; sie hatte keme wirkliche Freundin zurückgelassen, und mit ihren Bekannten korrespondierte sie nicht. Sie erbat sich die Zeitungen von der Schwester und freute sich, daß dieselbe so viele Nachrichten von denen erhalten hatte, die sie ihre Freundinnen nannte; sie war also doch noch nicht vergessen.

Mit Eifer laS Gertrud die empfangenen Briefe. ES warm Stimmen aus ihrer früheren Well, die zu ihr drangen in ihre Einsamkeit. Sie lauschte ihrem Zauberklang, der ihr ein Bild entwarf von all dem. was sie hatte verlassen müssen! «S war ihr als wäre sie hinabgestürzt in einen dunklen Abgrund und blickte nun sehnend, schmachtend wie ein Hungernder, der an Brot und Wasser sich nicht laben will, hinauf zu der lichten Höhe, die ihr unerreichbar war. Sie preßte die weißen

Zähne in die Appen, wenn sie die überschwänglichen Ausdrücke des Bedauerns über ihr plötzliches Zurückziehen auf das Land laS. Ihre Freundinnen, das wußte sie gut genug, dachten ganz anders, als cs hier stand; sie hatten ihr nie ihre Triumphe gegönnt, sie war stets zu sehr die Beneidete gewesen, um jetzt aufrichtig bedauert zu werden. Sie wollte auch nicht Mitleid erwecken, und die an sie schrieben, wußten dies gut genug.

Der freudigen Erregung war eine kühle Ernüchterung gefolgt. In diesem Augenblick litt sie unaussprechlich durch ihre Armut, di« doppelt grell ihr vor Augen trat nach dem kurzen Augenblick, den man ihr gegönnt, in jene glänzende Sphäre zurückzuschauen, die sie verlassen hatte.

Arm und unglücklich war Gertrud Felde» bei all ihrer Jugend und Schön­hell; sie besaß kein treues Menschenherz, das sie auS freiem Willen um ihrer selbst willen liebte. Der Mutter und der Schwester Liebe nahm sie an wie eine Pflicht, für die sie nicht dankbar zu sein brauchte.

Sie blickte nicht auf zu Rosa, die ihr als Vorbild hätte gellen könnm, sie Hölle nicht auf die sanften, mahnenden Wolle der Baronin, sie wollte keine Zu­friedenhell suchen in dem Dasein eines armen LandfräuleinS. Za glänzen, zu strahlen war sie geboren mit ihrer kalten, stolzen Schönheit, ihrem ruhigen, überlegenden Verstand-, der jeden warmen Pulsschlag ihres Herzens zu unterdrücken gewohnt war. »Wie wird das enden mit mir?" fragte sie sich jetzt wieder, wie sie sich oft schon gefragt. In ihr gärte etwa« Neues, ihr Fremdes, fett jenem Augenblicke, da ihre kühlen, weißen Finger zum erstenmal- die Hand des Doktors, in welcher warmes Blut pulsierte, berührt hatten, seit sein mächtiger Blick in ihr Auge gedrungen, so tief, als müsse er zünden auf dem Grund« ihrer Seele und sie zwingen zu allem, was er wollte. Beklommenen Herzens erhob sie sich von ihrem Sitz, um freier atmen zu können.

»Er soll mir doch nicht gefährlich werden,* in diesem AuSruft machte sie sich Luft, und das spöttische Lächeln zuckte um ihre stolzen Lippen, deutlicher denn je