10
Kuchen empfahl. Wie aus Geislingen geschrieben wird, traten diesem Vorschlag mehrere Redner entgegen, welche den bisherigen Abgeordneten Präs, von Hohl warm empfahlen.
Aus dem Oberamt Crailsheim, 29. Dez. Das Jahr neigt sich zu Ende. Die Stille des Winters, der sich bis jetzt recht gelind angelassen hat, liegt auf den beschneiten Dörfern. Der Landmann überschlägt, was ihm der Jahrgang gebracht hat: ein recht befriedigendes Dreschergebnis aus den vielen Garben, Körner und Stroh in Menge, ebenso Heu und Oehmd in Hülle und Fülle, weit mehr, als der noch immer halb leere Stall erfordert, desgleichen einen ordentlichen Vorrat an Kartoffeln und sonstigen Hackgewächsen, die trotz dem fort und fort regnerischen Herbst doch noch alle eingebracht werden konnten; auch ein Faß oder doch ein Fäßchen Most im Keller vom eigenen Obst. Aber kein Geld zur Deckung der dringenden Verbindlichkeiten aus früherer und noch mehr aus neuester Zeit, zur Bezahluug nötiger Ausgaben; kein Erlös aus den Früchten, außer wenn man sie um einen Spottpreis hergiebt, höchstens noch ein Ertrag aus den Nebenzweigen der Landwirtschaft, wenn man darin gerade Glück hat. Von dem Geldmangel, wie er gegenwärtig bei uns, in dem sonst so gesegneten Frankenlande, herrscht, macht man sich in den Städten, in Fabrikorten oder verkehrsreichen Gegenden keinen Begriff. Möge das kommende Jahr der bedrängten Landwirtschaft bessere Zeiten bringen, als seine beiden Vorgänger!
Löwenstein, 1. Januar. Eine schöne alte Sitte ist es, die hier noch immer am Sylvesterabend im Gebrauch ist. Sobald der Abendgottesdienst vollendet ist, zieht Jung und Alt mit harzreichen Fackeln auf die in nächster Nähe des Städtchens gelegene Burg. Dort werden di« Fackeln in Brand gesteckt und im Kreise geschwungen. Eine Zeit lang erstrahlt der Berggipfel in Hellem Fackelglanze. Auf der Burg und nach der Rückkehr von derselben werden geistliche Lieder gesungen. Der Zug bewegt sich dann durch die Straßen des Städtchens, die Einwohner haben die Lichter am Christbaum angezündet und denselben in die Nähe der Fenster gerückt und draußen ertönen schöne Weisen unseres Choralbuches. Erft wenn in allen Straßen gesungen worden ist, löst sich der Zug auf. Von 12—1 Uhr werden die Glocken geläutet, und die Nachtwächter singen im angebrochenen neuen Jahre ihre Glückwünsche vor den Häusern der Bürger, jeden derselben beim Namen nennend. Dies dauert natürlich oft einige Stunden lang. Diese alten Gebräuche sind hier sehr beliebt.
Rottweil, 2. Jan. In der Neujahrsnacht um 11 Uhr warf hier ein unbekannter in den Laden des Konditors Lehre einen brennenden Frosch, wodurch dessen sehr beträchtlicher Vorrat von Feuerwerkskörpern aller Art Feuer fing und unter einem wahren Höllenlärm explodierte. DaS Lokal selbst geriet in Brand, der aber bald gelöscht werden konnte. Dagegen sind eine Masse Konditoreiwaren, Liqueure und dergl. ver
nichtet worden und ist der Gesamtschaden ein ganz erheblicher. Glücklicherweise wurde keine Person verletzt; Lehre selbst und seine Ladnerin konnten sich flüchten; ein im Laden anwesender Pulverarbeiter hatte sich eben Feuerwerk gekauft und solches in die Tasche gesteckt; auch dieses wurde von der Explosion ergriffen, so daß dem Mann der Rock teilweise verbrannte. Der Laden bietet das Bild größter Zerstörung.
Berlsn, 2. Januar. In einer gestern in Friedenau bei Berlin abgehaltenen Volksversammlung sprach Reichstagsabgeordneter Zubeil über die Entstehung des Bierboykotts und die Ursachen des Kampfes. Bei der Aufhebung des Bierboykotts seien die bevorstehenden politischen Ereignisse nicht bestimmend gewesen, die Kräfte dürften bei dem ver Arbeiterschaft bevorstehenden Kampfe nicht zersplittert werden. Redner ist der Ansicht, in nächster Zeit stehe die Auflösung des Reichstages bevor, nicht wegen der Umsturzvorlage die höchst wahrscheinlich eine Majorität finden werde, sondern wegen der Steuervorlagen, wegen der geforderten Panzerschiffe, sowie wegen der Erhöhung der Halbbataillone in Vollbataillone. Deshalb sei eS geraten, alle Parteikräfte beisammen zu behalten. Am Schluffe der Versammlung wurde der sogenannte Kleinkrieg gegen einzelne Wirte, welche sich während des Bierboykotts gegen die Arbeiterschaft ungehörig benommen hätten, angekündigt.
Berlin, 2. Jan., Abends. Beim gestrigen Neujahrsempfange behandelte der Kaiser den Reichskanzler mü großer Auszeichnung; der Reichskanzler war der Einzige, dem der Kaiser und die Kaiserin beim Defiliren die Hand reichten. Bei der Paroleausgabe durch den Kaiser sind politische Worte nicht gefallen. Die Unterredung drehte sich nur um die diesjährigen Kaisermanöver zwischen der Garde und dem 2. Armeekorps.
Berlin, 3. Jan. Die „Post" bespricht anläßlich des Telegrammwechsels zwischen Kaiser Wilhelm und dem König von Württemberg die Bieldung der „Kölnischen Ztg." über die Aeußerung des Königs Wilhelm zu einem hohen Staatsbeamten. Das Blatt bezeichnet die Version der „Köln. Ztg." als nicht ganz korrekt, denn der König habe nach seinem Erkranken am 9. September überhaupt nicht mehr am Manöver teilgenommen und eine Parade habe vom 8. bis 12. September gar nicht mehr stattgefunden. Der Umstand, daß König Wilhelm infolge seines Unwohlseins sich nicht persönlich vom Kaiser verabschieden konnte, mag zu dem Gerücht einer Verstimmung beigetragen haben.
Crossen, 1. Jan. Das „Croffener Wochenbl." meldet: Der wegen Verdachtes der Ermordung des Nachtwächters Ziegler verfolgte Schiffer Otto Erpel ist gestern hier dingfest gemacht worden, als er mit seinem Bruder und Möser, die beide wegen desselben Verdachtes verfolgt werden, einen Einbruch auf einem Oderkahn versuchte. Die Komplicen entflohen und
werden verfolgt. Viele Diebstahlsobjekte wurden beschlagnahmt.
Kopenhagen, 27. Dezbr. Die vereinigte Dampfschiffgesellschaft in Kopenhagen erhielt heute ein Telegramm, wonach ihr Dampfer Alexander III. Sonntag vormittag in der Nordsee gänzlich verunglückt ist. Der Kapitän und fünf Mann sind gerettet. Das Schicksal der übrigen 16 oder 17 Personen, die sich an Bord befanden, ist unbekannt.
Paris, 3. Januar. Der „Patrie" zufolge Unterzeichnete der Minister des Innern 15 Ausweisungsdekrete gegen Ausländer verschiedener Nationalität. Acht werden nach der deutschen Grenze gebracht. Dasselbe Blatt behauptet, der Polizei sei ein Bericht über eine neue Verratsaffäre zugegangen.
London, 3. Jan. Eine furchtbare Feuersbrunst zerstörte das Wäschegeschäft der Biadame Martin in Edgewareroad, bestehend aus zwei dreistöckigen Häusern und zwei Hinterhäusern. Madame Martin, fünf junge Mädchen, ein Mann und ein Knabe kamen in den Flammen um, ferner wurden sechs verkohlte Leichen gefunden, die noch nicht rekognosziert werden konnten. Fünfzehn Personen werden vermißt.
Standesamt Kal«.
Geborene:
31. Dez. Wilhelm, Sohn des Andreas Haug, Fabrikarbeiters hier.
2. Jan. Albert Gustav. Sohn des Christian Wid- maier, Cigarrenmachcrs hier.
G esto rbene:
1. Jan. Ludwig Friedrich Herr, led. Schmiedgeselle
von Schwann OA. Neuenbürg 18'/« I. a.
2. Jan. Friedrich Wilh. Proß, '/- Jahr alt, Sohn deS
Jak. Fried. Proß, Maschiuenstrickers hier.
Gottesdienste
am Sonntag den 6. Januar.
Ers cheinungsfest.
Vom Turm: 221. Predigtlied: 220. Der Kirchenchor singt: .Lobt Gott, ihr Heiden allzumal.' (Velpius 1540) 9'/- Uhr Vorm.-Pred.: Hr. Dekan Braun. 1 Uhr Christenlehre mit den Söhnen. 5 Uhr Missionsstunde, im Vereinshaus- Hr. Stadtpfarrer Schmid. Das Opfer des Tages ist für die Heidenmisston bestimmt.
Mittwoch, 9. Januar.
10 Uhr: Betstunde im Vereinshaus.
Rettameteil.
Jeder Familienvater muß doch von Zeit zu Zeit eine Zusammenstellung der Haushaltungskosten machen. Bei Prüfung der einzelnen Posten wird er finden, daß das Schuhzeug eine nicht kleine Ausgabe macht und daß es gar nicht übel wäre, die Hälfte dieses Betrages ohne Mühe und Entbehrung zu ersparen. Dieß kann leicht bei regelmäßiger Anwendung des Lederconserviermittels „Schuhfett Marke Büffelhaut" geschehen. Dieses Fett macht und erhält die Stiefel wasserdicht, geschmeidig und dauerhaft, ohne daß das Glanzwichsen derselben einen Tag ausgesetzt zu werden braucht. Verkaufsstellen siehe Inserat.
sam war er noch nie hier gewesen. ES lag auf chm wie ein Alp, wenn er daran dachte, zwei Monate so zu verbringen.
„Nehmen Sie eS nicht leicht," hatte der Arzt ihm ernst gesagt, und wahrhaftig» er spürt«, daß derselbe recht gehabt.
Die paar Stunden Eisenbahnfahrt hatten ihn mitgenommen; doch lehnte er es ab, das Abendessen in seinem Zimmer einzunehmrn. Er wünschte, mit Doktor Justus zu speisen. Sobald derselbe zurück sei, möge man eS chm melden, befahl er seinem Diener.
Mü Anstrengung machte nun Günther Toilette; viele Büchsen und BüchSchen mußten ihren Inhalt tropfenweise hergeben, bis er endlich mit sich zufrieden war. Eine elegante Dame hätte kaum mehr Sorgfalt auf ihre Schönheitspflege verwenden können, als unser junger Held.
Im leichten Jnterimsrock lehnte er auf dem bequemen Ruhebett, als Doktor JustuS chm gemeldet wurde.
Der Offizier erhob sich halb, maß mü einem flüchtigen Blick die ganze Erscheinung de» Arztes, der chm mü ruhiger Haltung gegenüberstand. In JustuS' Luge schien eS aufzuleuchten, als der junge Mann in nachlässiger Wesse ihm einen Platz bot.
„Pardon — angegriffen von der Reise — fatale Nervenabspannung,' entschuldigte sich Günther, indem er vermied, dem Arzt freundlich entgegenzukommen.
„Die Abspannung scheint allerdings sehr groß zu sein. Herr Graf," bemerkte JustuS mit seinem stillen Lächeln und verwandte keinen Blick von dem Gesicht des jungen ManneS.
„Ruhe — Schlaf — Langeweile — Leben wie ein Philister," meinte der Lieutenant.
„Dem stimme ich vollkommen bei, junger Herr!"
Der Ton de» ArzteS war gutmütig, gefiel aber augenscheinlich dem Offizier
h«kch«MS nicht.
.Sie sind der Arzt meines Onkels — wie geht eS ihm? Erzählen Sie mir etwas von dem sonderbarsten Menschen, den ich kenne."
„Den Sie nrcht kennen," lächelte Doktor Justus.
„Leider nicht — offen gestanden interessiert mich, von ihm zu hören," erwiderte Günther.
„Sie haben übrigen« Recht, Ihr Onkel ist ein alter Sonderling," bemerkte
JustuS.
„Alt nicht — dreißig — will nichts sagen."
„Und doch schon ein verbitterter Greis; das Alter hat nichts damü zu schaffen."
Günther von Schönburg horchte auf und bot dem Arzt eine Cigarrette, die dieser ablehntr.
„Dachte ich immer — hörte davon! Weiß nicht mehr — fatale Liebesgeschichte gehabt — zu sehr zu Heizen genommen, der arme Onkel thut mir leid."
Ueber Doktor Justus' Gesicht huschte ein schwaches Rot.
„Also davon haben Sie gehört?"
„Ja — weiß nicht — schon lange her — mein Vater sprach davon. Möchte mehr wissen von der Geschichte — ein treuloses Weib — nicht neu — schon oft passiert, wenn auch mir noch nicht."
Mü Wohlgefallen blickte Günther auf seine schönen, wohlgepflegten Hände, aus die rosigen Fingerspitzen, die er vor kurzem in eine Tinktur getaucht, durch deren Wirkung er voll zufrieden gestellt schien.
JustuS' Auge blickte an ihm hinab; in strengerem, beinahe rauhem Tone klang es von seinen Lippen: „Treulos zu sein haben Sie sich als Vorrecht behalten?"
Der Olsizier lächelte leichthin. „Habe «S nie ernst genommen — Keffer so — man amüsiert sich. Onkel hätte es auch so machen sollen — Leben will genossen sein, dann spät heiraten, eine VerstandeSehe!"
„Ihr Onkel wird nicht heiraten um dieser — Liebesgeschichte willen. Besser s, — siir Sir, junger Herr," sagte mü leisem Spott Doktor JustuS. (F. fgt.)'