1. Amts und Anzeigeblatt für den Bezirk Lalw.
7ü. Jahrgang.
Erscheint Dienstag, Donnerstag und SamStag. Die Einrückungrgebühr beträgt tm Bezirk und nächster Nm- ßebuntz S Pfg. di« Aeile. sonst 18 Kg.
Dienstag, den 1. Januar 1895.
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^LonnementSpreiS vierteljährlich in der Stadt so Pfg. und Pfa. TrLgerlohn, durch die Post bezöge» VN. 1. IS, sonst irr rz Württemberg Mr. 1. LS.
Amtliche Aekauutmachungr«.
Bekanntmachung.
Nachdem die Maul- und Klauenseuche in Neubulach erloschen ist, werden die am 23. v. M. über diese Gemeinde verhängten Sperrmaßregeln wieder aufgehoben.
Calw, 28. Dezember 1894.
K. Oberamt. Voelter.
Den Ortskehörden
läßt man mit der nächsten Post je 2 Exemplare der Formularien zu den nach Art. 22 des Gesetzes vom 30. Mai 1891 (Reg.-Bl. S. 152) zu fertigenden Katasternachweisungen zugehen.
Calw, den 31. Dez. 1894.
K. Oberamt. Voelter.
Tagesneuigkeiten.
Calw. Wie am Stephans feiertags, so verkehrt auch am Dienstag, den 1. Januar, ein auf allen Zwischenstationen anhaltender, außerordentlicher Personenzug von Pforzheim nach Teinach und zurück.
Pforzheim ab 3.05 Nachm. Calw „ 4.10 „
Teinach an 4.18 „
Teinach ab 6.35 Nachm. Calw „ 6.43 „
Pforzheim an 7.32 „
d. Hirsau, 29. Dez. Die am Stephansfeiertag im Gasthaus zur Schwane abgehaltene Weihnachtsfeier des hiesigen Liederkranzes «rsreute sich einer sehr zahlreichen Beteiligung und nahm einen würdigen Verlauf. Alle Räume waren
dicht besetzt. Die Männerchöre sowie der von H. Critzmann gesungene Solo wurden präcis ausgeführt und auch das vorgetragene komische Duett „Ein Jägerfrühstück", wurde von der zahlreichen Versammlung mit großem Beifall ausgenommen. Viel Spaß machte die an die Produktion anschließende Gabenverlosung. Mögen die Anwesenden sich des heiteren Abends noch lange erinnern.
Stuttgart, 28. Dez. Die Vorträge über Geflügelzucht, welche die K. Zentralstelle für Landwirtschaft neuerdings durch Kollaborator Daiber aus Laupheim in landwirtschaftlichen Bezirksvereinen auf deren Ansuchen halten läßt, erfreuten sich bis jetzt von Seiten der Landwirte einer recht zahlreichen Beteiligung. In Rottweil zählte die Zuhörerschaft über 300 Mitglieder des dortigen landwirtschaftl. Bezirksvereins, und auch in Laupheim, Ulm und Waiblingen waren je gegen 200 Zuhörer erschienen. Der Redner bemüht sich, in gemeinverständlicher Weise darzulegen, wie aus vermehrter Geflügelhaltung reichlicher Nutzen gezogen werden kann. — In Stuttgart soll eine einzige Eierhandlung in den letzten 8 Tagen nicht weniger als 5000 verdient haben.
Stuttgart, 30. Dez. In der Arbeiterhalle sprach heute Vormittag der Reichstagsabgeordnete Wilhelm Blos vor einer großen Versammlung über die Umsturzvorlage. Eine von anarchistischer Seite veranlaßt« Diskussion verlief ruhig. Die Versammlung erklärte sich in einer Resolution in allen Teilen mit den Ausführungen des Referenten einverstanden. Sie betrachtet die Umsturzvorlage als ein gemein- schädliches, dem Kulturfortschritt widerstrebendes Produkt, welches geeignet sei, die friedliche Entwicklung zu hemmen, und erblickt in der Vorlage eine Banke
rotterklärung der herrschenden Klaffen, dazu angethan, Furcht und Schrecken zu erregen, um unter diesem Merkmal um so bequemer einen neuen Aderlaß am Volkskörper vornehmen zu können. Des weitern erklärt die Versammlung, der Blut- und Eisenpolitik der herrschenden Klaffe den stählernen Willen der Arbeiterschaft entgegenzusetzen. Endlich verpflichtet sie sich, jetzt schon darauf hinzuwirken, daß bei einer eventuellen Reichstagsauflösung Stuttgart durch einen Sozialdemokraten vertreten wird.
— In Tübingen wurde vorige Woche ein 4'/-jähriger Knabe, der an Croup erkrankt war und bereits der Erstickung nahe war. durch vr. Beck noch durch Heilserum gerettet, (vr. Beck hatte das Diphterieheilmittel von seinem Sohn, der gegenwärtig Assistenzarzt bei Hm. Prof. vr. Koch in Berlin ist, erhalten. Er selbst vermochte, nach seiner eigenen Erklärung an die Eltern, nicht mehr an eine Rettung zu glauben, indem die Erkrankung zu weit vorgeschritten sei.)
Kuchen, 28. Dez. Bei der Christbaumfeier des Turnvereins im Gasthaus zum Lamm am letzten Sonntag stieß der 2Sjäh«ge Arbeiter N. der Württ. Metallwarenfabrik, als er eben vortrug, an die Erdöllampe und warf sie herunter, wurde mit Oel übergossen und stand augenblicklich in Flammen. Andern Tags erlag er im Krankenhaus den Brandwunden.
— In Durlach schoß der Korbmacher Beck, früher Schutzmann in Mannheim, seine 4 Kinder im Alter von 1, 3, 5 und 8 Jahren in ihren Betten tot. Nachher erschoß er sich selbst. Seine Frau hatte er ins Nebenzimmer eingeschloffen. Buck wollte in letzte« Zeit eine Bleichanstalt pachten und hatte zur Auftreibung von 300 Kaution seine Frau zu Ver-
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Der Sonderling.
Roman von P. Felsberg.
(Fortsetzung.)
„Er hat wenigstens Salonmanieren,* gab Gertrud Felde» schweigend zu und verneigte sich wieder hochmütig, wie sie «s beabsichtigt hatte, als Doktor JustuS ihr worgestellt ward.
Eine Sekunde begegneten sich die Blicke beider.
DaS stolze Mädchen sah ihn mit halbgeschloffenen Augenlidern und kalten Blicken an; aus seinem Auge aber traf sie ein warmer Strahl.
Der Arzt that nichts, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Er blieb zuerst ernst und schweigsam, nur mit Rosa, die er zu Tisch geführt, plauderte er und lauschte mit sichtlichem Vergnügen den lebhaften, halb kindlichen, halb tiefernsten Reden des jungen Mädchens. In der ersten Stunde, die er in RosaS Nähe verbrachte, war er von ihrem ganzen Wesen angenehm berührt und erkannt« mit Freuden, daß ein tiefes Gemüt und ein kindlicher Sinn sich bei ihr wunderbar vereint fandm.
Dennoch ruhten seine Blicke oft zerstreut auf der Schwester, die wenig sprach; aber das, was sie sagte, gefiel ihm, eS zeugte von einer selbständigen Denkungsart. „Sie besitzt Geist und Verstand und-ist schön, sehr schön," dachte Doktor Justus. und es dünkte rhm eine dankbare Aufgabe, das Herz zu wecken, das von einer unnahbar stolzen Seele bewacht zu sein schien.
Herr von Werden verstand eS, in seiner Weise die Unterhaltung so zu lenken, daß Justus bald den reichen Schatz seiner Erfahrungen, die er in fernen Ländern gesammelt, aufdeckte.
Er sprach gut, klar und ruhig, und sein lebhafter GesichtSauSdruck bei der Rede verschönerte ihn sehr.
„Wirklich, er ist schön," dachte Gertrud, und diese Ansicht teilten die anderen Dame« der Gesellschaft mit ihr. RosaS Wangen glühten, und voll warmer Hingebung lauschte sie auf jedes Wort, das aus dem Munde ihres Tischnachbars kam.
„O — wie beneide ich Sie," flüsterte sie dann, daß die anderen es nicht hören sollten, und setzte rasch hinzu; „Und doch nicht — beneiden ist nicht das rechte Wort, aber ich möchte, wenn ich ein Mann wäre — so sein wie Sie."
JustuS lächelte über dies kindliche Geständnis. Er gestand sich, wenn Gertrud dies gesagt, daß er anders darüber gedacht Halle; aber diese stolzen Lippen würden niemals ein Wort sprechen, daS mehr verriet, als sie verraten wollten. Sie war ganz die junge Dame der vornehmen Gesellschaft, nur noch kälter, mit einem ruhig erwägenden Verstand begabt, der über das Herz jederzeit zu herrschen gewohnt war. Um JustuS Lippen zuckte ein halbes, amüsiertes Lächeln, als er bemerkte, wie absichtlich hochmütig sie ihn behandelte. „Diesen Stolz beugen, dies Herz erwärme» zu heißem Liebesglück, wäre ein Triumph."
Der Gedanke reizte ihn einen Augenblick, dann aber kehrte sein alter pessimistischer Glaube zurück. „Nimm Dich in acht, sie gehört zu dm gefährlichen Frauen, die das Herzblut einer Mannes vergiften können — und ich denke, ich habe genug davon!' rief er sich selbst zur Ordnung und bannte damit dm Gedanken, der solchen Reiz für ihn hatte.
Mck Liebenswürdigkeit beschäftigte sich nunmehr JustuS nur mit Rosa; er schien ganz vergessen zu haben, daß Gertrud anwesend war, die sich in kühler Reserve gegenüber der ganzen Gesellschaft verhielt.
E» waren meist verheiratet« Paare anwesmd. nur wenige junge Mädchen, die schüchtern zu der vornehmen Gertrud Feldm «mporblickten, die mit ihrer ruhige» Sicherheit im Auftreten und Sprechen ihnen zu sehr imponierte, um sich herzlich a» sie anschließm zu können.