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Berlin, 18. Dez. Vor dem Schwurgericht begann heute der Prozeß gegen mehrere Anarchisten wegen Falschmünzerei. Der Prozeß wird voraussichtlich mehrere Tage in Anspruch nehmen.
Tagesneuigkeiten
— Im Oberamt Cannstatt hat die deutsche Partei den Bankier Pfaff als Kandidaten für die Landlagswahl ausgestellt. Dem seitherigen Abgeordneten Oberbürgermeister Na st soll für feine ersprießliche Thätigkeit im Landtag eine Dankadresse dargebracht werden. — Für das Oberamt Geislingen hat die Volkspartei, der „Ulm. Ztg." zufolge, in dem Oekonomen Mohring in Großsüßen einen Landtagskandidaten gefunden. Darnach wird es in diesem Bezirk nicht weniger als 5 Kandidaten geben. — Die Abg. Aldinger (Leonberg), Essich (Bietigheim), Payer (Reutlingen Stadt), Haußmann (Balingen) haben sich dieser Tage zur Wiederannahme des Mandats bereit erklärt.
— Im Oberamt Neckarsulm ist bezüglich der Landtagswahl zwischen der deutschen Partei und der Volkspartei ein Kompromiß zu stände gekommen. Beiden Parteien stellen dem Zentrum gegenüber einen gemeinsamen Kandidaten auf. Es wurde beschlossen, die Kandidatur dem Fabrikanten Louis Bachert anzutragen, nachdem Holzhändler Klink von Gundelsheim, welcher bereits zugesagt hatte, wieder zurückgetreten ist. Herr Bachert gehört keiner Partei an.
Mergentheim, 15. Dez. Heute abend zog ein Gewitter unter lebhaftem Blitz und Donner über unsere Gegend hin.
Ulm, 18. Dez. Heute vormittag kam mit der Eisenbahn eine Auswanderergesellschaft hier durch, 5 Familien mit 39 Köpfen, darunter auch ein Wickelkind. Die Leute sind von Leutkirch, Rottum, Mittelbuch und gehen nach Argentinien, wo ein Verwandter Land für sie angekauft hat.
Friedrichshafen, 14. Dez. Ueber den Felchenfang wurden an die hiesige Fischhandlung Langenstein über 6000 Stück Felchen abgeliefert, welche nach allen Richtungen, bis Wien und Berlin, versandt wurden. Dafür werden nun in der hiesigen Fischbrutanstalt gegen 1 Million Felcheneier ausgebrütet und ebensoviel in Ueberlingen.
Pforzheim, 18. Dez. Gestern Abend wurden einer Dame von auswärts in einem hiesigen Laden das Portemonnaie mit 50—60 Mark und einem Retourbillet entwendet; desgleichen wurde gestern Mittag einem fremden Metzger, welcher ein Kalb am Bahnhof stehen ließ, um einen Karren zu holen, dasselbe gestohlen. Von den Thätern in beiden Fällen hat man bis jetzt keine Spur. — Gestern abend nach 10 Uhr lenkte ein geistig gestörtes Frauenzimmer am Bahnhof die Austnerksamkeit des Publikums dadurch auf sich, daß sie allerlei tolles Zeug sprach und u. A. angab, die Mutter Gottes zu sein. Der am
Bahnhof postirte Schutzmann verbrachte das bis jetzt unbekannte Frauenzimmer in das Stadt. Krankenhaus.
>S> Pforzheim, 19. Dez. Heute Mittwoch früh '/-6 Uhr fand ein Bahnwart beim Strecke« abschreiten beim hiesigen Tunel den ganz verstümmelten Leichnam des 37 Jahre alten verheiratheten Eisenbahnrangierers Schmidt von Königsbach. Der wohl bei der Heimfahrt gestern Nacht 11 Uhr vom Güterzug Herabgefallene hat 6 Kinder. — Dieser Tage wurde ein angesehener Fabrikant von hier infolge begang. Selbstmords beerdigt. Beweggründe unbekannt.
Frankfurt a. M., 17. Dez. Der 27 Jahre alte Kaufmann Sally Eichel, welcher zum Nachteile seiner Gläubiger Wechselfälschungen in der Höhe von 84 985 Mark ausführte, wurde heute von der hiesigen Strafkammer zu 6 Jahren Zuchthaus verurteilt.
Dresden, 15. Dez. In Freiburg hat eine Massenvergiftung durch Frühstücksbrödchen statt - gefunden. Gegen 150 Personen sind zum Teil schwer krank; ein Kind ist angeblich gestorben. Der Bäcker und seine Familie sind selbst erkrankt. Eine chemische Privatuntersuchung der Backwaren soll Arsenik nachgewiesen haben. Ob Fahrlässigkeit oder Verbrechen vorlieat, ist noch unbekannt.
Paris, 17. Dez. Der Bäckergeselle Cham- baslin gewann 500 000 Franken bei der Panamaziehung.
Paris, 18. Dez. Hiesige Blätter veröffentlichen die sensationelle Nachricht, daß wegen der schlechten Behandlung der Bevölkerung in Algier ein Aufstand der Araber auszubrechen drohe. Ein Abgesandter der Araber werde demnächst nach Paris kommen um über die Behandlung, welche ihnen die Verwaltungsbehörde angedeihen läßt, Klage zu führen.
London, 17. Dez. 1894. Aus Shanghai wird gemeldet, daß der Tschung-li-Damen entschlossen ist, offiziell und feierlichst von Japan Frieden zu verlangen. Die chinesische Regierung hat den Steuerpräsidenten Chang-jen-kung zum Spezialgesandten ernannt, um die Friedensverhandlungen zu leiten. Derselbe reist demnächst mit zahlreichem Gefolge und herrlichen Geschenken für den Mikado nach Tokio.
Rom, 18. Dez. Die telegraphisch herbeigerufenen Bataillone zur Verstärkung der Garnison sind hier eingetroffen. Die Ankunft des Militairs hat auf die Bevölkerung sehr verstimmend gewirkt. Die Stimmung, die in fast allen Kreisen herrscht, läßt das Schlimmste befürchten. Die Regierung hat bekannt gegeben, daß die hier eingetroffenen Bataillone, sich nur auf dem Durchmärsche befinden.
Permischtes.
Als unterkunftslose Kaffern meldeten sich letzter Tage etwa 13 Zulukaffern auf dem Polizeiamte in Lüttich, die völlig mittellos und halbtot vor Hunger und Kälte, zu Fuß von Verviers kamen.
um als Eingeborene einer englischen Kolonie inr Transvaal bei dem dortigen englischen Konsul Schutz, zu suchen. Die Leute waren für die Antwerpener Ausstellung geworben worden, hatten darauf in verschiedenen Schaubuden u. s. w. ihre Kriegstänze aufgeführt und waren schließlich von ihrem plötzlich erkrankten Führer auf die Straße gesetzt worden. Einstweilen sind sie in der öffentlichen Wärmestube in Pflege, um demnächst in Antwerpen nach ihrer Heimath eingeschifft zu werden.
Japanische Sprichwörter. Die Sprichwörter eines Volks sind für dessen Geist charakteristisch ; sie sind um so interessanter, je abweichender die Sitten des betreffenden Volkes von den unsrigen sind. Im Nachfolgenden mögen einige Sprüche der Japaner einen Platz finden; viele enthalten abendländische Sentenzen in ostasiatischer Einkleidung, manche geben sogar den Wortlaut unserer Gedankensprüche wieder: „Das Junge eines Frosches ist wieder ein Frosch." — „Aus einem Melonenkern wächst keine Eierpflanze." — „Wenn man den Dieb gesehen hat, dreht man den Strick." — „Ist die Anpreisung groß, so ist die Ware geringwertig." — „Wer des Tigers Junge will, muß in dessen Höhle dringen." — „Einen Reiher zu einem Raben machen." — „Der Schweigende ist dem Redenden überlegen." — „Es ist immer gut, das rechte Maß zu halten." — „Wer Geld raubt, wird getötet, wer ein Land raubt, wird König." — „Der Blinde fürchtet sich nicht vor der Schlange." — „Der Mund ist des Unglücks Thor, die Zunge des Unglücks Wurzel." — Selbst durch Anhäufen von Staub entsteht ein Berg." — „Mit einem Ei gegen einen Stein stoßen" (^ verkehrte Mittel anwenden). — „Abgefallene Blüten kehren nicht an den Zweig zurück." — Schöne Blumen geben unschöne Früchte." — „Wenn man .nächstes Jahr' sagt, dann lacht der Teufel" (---- „Aufgeschoben ist aufgehoben"). — „Ungesäter Same geht nicht auf." — „Der Wein ist ein kostbarer Sorgenbesen." — „Auch eine Affe fällt vom Baume" (-^- „Der Geschickteste kann irren"). — „Wenn man das Volk verliert, verliert man das Land."
Ncklameteil.
Auf den Glanz wird das Schuhzeug tagtäglich hergerichtet und zwar selten mit etwas Anderem als mit schwefelsäurehaltiger, fressender Glanzwichse. Bricht dann das Leder bald, so hat eben der Schuhmacher sich schlechtes Leder für gutes bezahlen lassen: selten fällt es Jemanden ein, sich selbst und seiner nicht rationellen Behandlungsweise die Schuld zuzuschreiben. Das beste Mittel, mit dem die Wirkung schlechter Glanzwichse paralysirt werden kann, ist das „Schuhfett Marke Büffelhaut"; es macht und erhält die Stiefel wasserdicht, geschmeidig und dauerhaft, ermöglicht auch deren tägliches Glanzwichsen selbst bei Regenwetter. Verkaufsstellen siehe Inserat. -
dann wäre doch ein rechtes Leben hier wie früher. In meiner Jugend, Herr — da war es anders. Der hochselige Herr Graf und seine Gemahlin, der Junker und die kleine Komtesse Dora lebten hier, und das war ein Lachen und Scherzen und ein so glückliches Familienleben. Sehen Sie, Herr Doktor, so müßte eS wieder werden. Aber der Herr Graf hat, so scheint es, da» Heiraten verschworen, wir warten nun schon an zehn Jahre und denken, endlich muß er doch kommen und eine junge Herrin bringen, und Leben ins Schloß, Kinderlachen und Jubel. Das geht über all das Jagdvergnügen, da» die vornehmen Herren sich hier machen. Der
Herr Lieutenant — aber-ich will nur schon schweigen —" schloß der Alte
mit einem plötzlich finstern Gesicht, hieb wütend in die Lust mit seiner Peitsche, seinen Unmut dadurch andeutend, daß es nicht so auf Schönburg war, wie er es wünschte.
Immer näher kamen sie dem Schlöffe, so daß der Fremde genau die Bauart erkennen konnte, die in reinem Renaissancestil gehalten war. Ein mäßig großer Bau war eS nur, mehr für eine große Familie berechnet als zur Aufnahme zahlreicher Gäste. Ein schöner, gut gepflegter Park umgab denselben, und die breiten KieSwege führten hier und da zu kleinen Gartenhäuschen, die vereinzelt lagen, sauber, zierlich wie Puppenhäuser, jedes nur drei oder vier Räume enthaltend. Es waren die Wohnungen für Fremde, alle m verschiedenster Art eingerichtet, wie der redselige Kutscher dem Ankömmling erzählte.
„Der Herr Graf schickt jede» Jahr große, mächtig« Kisten au» aller Herren Länder, und jede» der kleinen Häuser ist nach dem Brauch der Ausländer eingerichtet. Schön ist es. Herr Doktor, Sie sollen sich wundern, und der Herr Graf hat an- geordnet, daß Sie in Japan wohnen sollen; so nennen wir e», da doch einmal alle» so ist, wie die Japaner eS haben. Schöne Dinge, kunstvoll gearbeitet, so viel versteht man auch davon, und teuer, furchtbar teuer, denn die Kiste» waren sehr hoch versichert."
„So — so — also in Japan soll ich residiren," lächelt« Doktor Justu», der
Freund de» Grafen Schönburg, der sich einige Zeit im Schlöffe aufhalten wollte und auf schriftliche Anordnung des Majoratsherrn als sein Gast betrachtet werden und dort alle Annehmlichkeiten genießen sollte, als wenn der Herr des Schlöffe» selbst anwesend wäre.
D-r Kutscher bog von der breiten Allee, die hinauf zum Schlöffe führte, gleich ab. als er das Durchfahrtsthor passiert hatte, und lenkte durch den Park, um dann vor einem der kleinen Häuser zu halten. „Nun sind Sie in Japan, Herr Doktor, da drüben ist Griechenland, und dann kommt Aegypten. Sie werden das alle» noch kennen lernen, und gefallen wird eS Ihnen schon hier."
„Hoff's auch, Alter," nickte zustimmend Doktor Justus, behende vom Wagen springend; er reckte und dehnte seine kräftige Gestalt und begrüßte freundlich den Verwalter des Schlosses, der ihn hier erwartete und im Namen deS Grafen will-- kommen hieß.
Man wähnte im Schlöffe, daß Doktor JustuS der Arzt sei, der den Grafen Schönburg auf einer langen Reise im Orient begleitet hatte, und hoffte, daß der-' selbe einst, wenn der Graf sich vermählen und das Familienschloß bewohnen würde, sich ebenfalls in der Nähe oder im Schlöffe niederlaffen werde, und daß so dem dringenden Bedürfnis nach einem Arzte in der Gegend abgeholfen sein würde.
Einen Augenblick stanv der Doktor sinnend. Er überblickte den Teil des Parkes, der sich hier vor ihm ausdehnte und einen schönen Blick auf das Schloß gewährte. Dasselbe hob sich a«S dem dunklen Laubwald, der ihm als Hintergrund - diente, gar vorteilhaft ab, ein schönes, landschaftlicher Bild, welches, vom Schein der untergebenden Sonne beleuchtet, die mannigfaltigsten Reize bot. .Es ist doch schön hier," sprach leise der Arzt; beinahe schmerzlich zuckte es in seinem Gesichts, dann wandte er sich rasch und schritt in das kleine HauS, dem Verwalter voran.
(Fortsetzung folgt.)