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Marine und erklärt, daß die sozialdemokratische Partei mit den Anarchisten nichts gemein habe, wenn man es auch behaupte. Nach einer persönlichen Bemerkung des Abgeordneten Stumm (Rchsp.), wird die Sitzung um 5 Uhr auf morgen 12 Uhr vertagt.

Berlin, 13. Dez. (Deutscher Reichs­tag.) Forts, der Etatsberatung.) Abg Bötticher (natl.) bringt besonders die lebhafte Genugthuung zum Ausdruck, die seine Parteigenossen über des Reichskanzlers Erklärung inbezug auf die Colonial- politik empfinden und knüpft daran den Wunsch, daß die Interessen Deutschlands im Auslande fortan kräftiger als seither wahrgenommen werden. Abg. Payer (südd. Volksp.) erwähnt die Widersprüche in der Thronrede, worin neben den Versprechungen neue Lasten angekündigt würden. Die einzig richtige Finanzreform sei die Sparsamkeit. Nur durch diese könnten die neuen Steuerpläne, welche das Land be­unruhigten, in Wegfall kommen. Der württem- bergische Bauer brauche keine Schießplätze. Schließ­lich würden die Bauern noch auswandern. Der Reichskanzler thäte gut, die Umsturzvorlage, so­wie die Steuervorlage zurückzuziehen. Abg. Zimmermann (Refp.) entwickelt nach kurzen Er­örterungen über die Veränderung in der Regierung, die Forderungen seiner Partei: Gesetzliche Or­ganisation des Handwerks, Regelung des Lehrlings­wesens, Jnangriffsnahme der Börsenreform. Das System der Dienstalterszulagen verwirft Redner. Auch er will aus der Umsturzvorlage Verschiedenes entfernt wissen. Die Tabaksteuer mache die Tabak­arbeiter brotlos. Die Regierung sollte ein Ver­sicherung gegen Arbeitslosigkeit einführen. Nächste Sitzung morgen 1 Uhr.

Berlin, 12. Dez. Der Reichskanzler erklärte in Unterredungen mit Abgeordneten, er sei formell verpflichtet gewesen, den Antrag des Staats­anwalts gegen die sozialdemokr. Reichstagsabgeord­neten dem Reichstag zu übermitteln. Damit stellte er fest, daß er selbst noch keine Ansicht zur Sache sich gebildet habe. Außer der Reichspartei wollen nur die Konservativen für den Ver­folgungsantrag stimmen.

Tagesneuigkeilen

Calw. Im Interesse der Einwohnerschaft fei hier mitgeteilt, daß am Sonntag, den 16. Dez. der Po st sch alter nachmittags von 35 Uhr und am Sonntag, den 23. Dez. von 36 Uhr ge­öffnet sein wird.

Calw. Der Ev.Jünglingsverein brachte am letzten Mittwoch abend im Vereinshaus das Gustav-Adolf-Spiel von A. Thoma zur Auf­führung. Hiezu hatte sich eine zahlreiche Zuhörerschaft eingefunden, welche mit lebhaftem Interesse der Ent­wicklung dieses historischen Dramas folgte. Der 1. Akt spielt im Schlosse in Stockholm und ist die

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Einleitung zurFahrt Gustav Adolf's nach Deutsch­land", der 2. Akt führt uns in's LaAr vor Berlin, der 3. spielt im Lager bei Werben am Vorabend der Breitenfelder Schlacht, der 4. Akt zeigt uns die Stimmung in Nürnberg, im Lager bei Lützen und zum Schlüsse die Aufbahrung der Leiche des gefallenen Königs im Schloß Weißenfels. Was die drama­tische Wiedergabe dieser trefflichen Dichtung betrifft, so darf dieser nur lobend Erwähnung gethan werden, indem die Darsteller ihre Rollen richtig aufgefaßt und sich den Text überraschend gut eingeprägt hatten. Effectvoll gestaltete sich die Aufführung durch die malerischen Kostüme aus jener Zeit, namentlich bot der Schlußdes Königs Tod" ein wirkungsvoll gruppirtes, ergreifendes Bild. Die Einstudierung erforderte jedenfalls viel Zeit und Geduld sowohl seitens der jugendlichen Darsteller als ihres das Ganze leitenden Vorstands und wäre es zu wünschen, daß auch bei der nächsten Aufführung am Sonntag eine zahlreiche Zuhörerschaft sie mit reichem Beifall be­lohne.

* Ccklw. Die innere Einrichtung des neuen Schlachthauses ist soweit gefördert, daß dasselbe am 2. Jan. eingeweiht werden kann. Von diesem Tage an müssen alle, auch Privatschlachtungen, im Schlachthause vorgenommen werden. Nach der fest- gesezten Gebührenordnung zahlen Privatleute die doppelte Gebühr (für 1 Schwein 2 ^t) der für die Metzgerinnung bestimmten Abgabe. Sämtliche Ge­bühren fließen in die Kaffe der Metzgergenossenschaft zur allmählichen Bestreitung der Baukosten und der übrigen jährlichen Auslagen. Die städtische Fleisch­steuer wird für die Mitglieder der Genossenschaft um '/« ermäßigt. Die Freibank wird in das Schlachthaus verlegt. Als Verwalter deS Schlachthauses ist Metz­germeister Kugel von hier aufgestellt worden.

Calw. In den letzten Jahrzehnten hatte die Firma I. F. Staelin u. Söhne hier schon einige Male die freudige Gelegenheit Prämien an Arbeiter, welche 50 Jahre treue Dienste in ihrem Geschäfte Baumwollspinnerei und Zwirnerei leisteten, auszuteilen. So­viel wir hören trifft es Heuer Anna Maria Kober von Stammheim, welche dieses Prämium erhält; ein Beweis, daß Arbeitgeber und -nehmer auch hier in gutem Einverständnis stehen.

Calw, 13. Dez. In der gestrigen Schwur­gerichtssitzung in Tübingen wurde der 23 Jahre alte Bäcker Otto Blaich von Altbulach, welcher in der Nacht von 9. auf 10. Sept. d. I. an 4 Stellen in Altbulach und Kohlersthal angezündet und auch gestohlen hatte, zu einer Zuchthausstrafe von 7'/, Jahren (10 Jahre Ehrenverlust) verurteilt. Der an­gerichtete Schaden beträgt 15 000

sAmtliches aus dem Staatsanzeiger.j Infolge bestandener Forstdienstprüfung ist in das Verhältnis von Forstreferendären I. Klaffe eingetreten: Paul Mezger von Naislach, Gemeinde Würzbach O.-A. Calw.

Stuttgart. Zur Landtagswahl. Jrn der kürzlich abgehaltenen Sitzung des geschäftsführenden Ausschusses des Landesverbands der Wirte Württem­bergs, kamen die Antwortschreiben auf die an die Parteien gerichteten Anfragen, betr. ihrer Stellung­nahme zur Umgeldsfrage, zur Verlesung. Während die konservative, die deutsche und die Zen­trumspartei nur Verbesserungen des bestehenden Ge­setzes anzustreben sich bereit erklären, sind es nur die Volkspartei, sowie die Sozialdemokraten, welche sich für die gänzliche Abschaffung des Umgeldes aus­sprechen. Da es der feste Entschluß der Wirte Württembergs ist, bei der nächsten Landtagswahl ihr Interesse in den Vordergrund zu stellen, wird trotz der ungünstigen Antworten unbedingt an dem Beschlüsse festgehalten, (selbst auf die Gefahr hin gegen seine politische Ueberzeugung zu stimmen), nur den Abgeordneten zu wählen und für dessen Wahl einzutreten, der verspricht, für gänzliche Abschaffung des ungerechten, mit so vielen belästigenden und entwür­digenden Kontrollmaßregeln verbunde­nen württ. Umgeldgesetzes einzutreten.

Berlin, 12. Dez. Provinzblätter melden, die Angelegenheit der Verhandlung gegen die Ober­feuerwerkerschüler werde in allernächster Zeit ihren endgültigen Abschluß finden. Es werden etwa 10 > Personen bestraft werden.

Berlin, 12. Dez. Im Prozeß Treuherz und Genossen beantragte heute der Staatsanwalt gegen Trcuherz 3 Jahre Gefängnis, 5006 Mark Geldstrafe und 3 Jahre Ehrverlust, gegen Spiegel 2 Jahre Gefängnis, 3000 Mark Geldstrafe und 2 Jahre Ehrverlust, gegen Bruck 1 Jahr 6 Monat Ge­fängnis, 1000 Mark Geldstrafe und 2 Jahre Ehr­verlust, gegen Winter und Aufrichtig je 1 Monat- Gefängnis.

Stargard, i. P. 12. Dez. In der ver­gangenen Nacht erstickte hier eine aus vier Personen , bestehende Arbeiterfamilie. Die Frau konnte gerettet werden.

Standesamt Kak«.

Geborene:

7. Dez. Gottlob, Sohn des Gottlob Kögel, Weichen­wärters hier.

Gestorbene:

13. Dez. Heinrich Benz, Hafner hier, 60 Jahre alt.-

Gottesdienste

am 3. Adventssonntag, 16. Dezember.

Vom Turm.- 84. Der Kirchenchor singt: .Es ist ein Ros' entsprungen! Predigtlied: 95. iO/- Uhr Vorm.-Predigt: Hr. Dekan Braun. 1 Uhr Christen­lehre mit den Töchtern. 2 Uhr Nachim-Predigt: Hr. Stadtpfarrer Schmid.

Mittwoch, 19. Dezember.

10 Uhr: Betstunde im Vereinshaus.

Kreitag, 21. Dezember. Feiertag des Hhomas.

9'/- Uhr Predigt: Hr. Stadtpfarrer Schmid.

Wir werden uns einzurichten lernen; nur Rosa, meine arme Rosa macht mir Sorgen."

Nicht doch, Mütterchen," meinte die Kranke und lehnte ihr Köpfchen an die Schütter der Mutter. .Wir werden unS auch daran gewöhnen müssen, daß ich nun einmal flügellahm bin. Ich will eS ja zufrieden sein, aber du, Liebste, darfst mich nicht immer bedauern."

Mein kleiner lahmer Vogel," schmeichelte die Baronin leise.

Giebt der Arzt denn jede Hoffnung auf?" fragte Herr von Werden.

Nicht jede," erwiderte die Mutter der Kranken,aber vor allem gilt es, den Körper zu kräftigen. Vielleicht, daß dann durch eine Operation das Übel gehoben «ird. Reine, frische Landluft uud gute Pflege, das fehlt meiner Rosa jetzt, und dar soll sie haben. Leider ängstigt mich nur, daß nicht ein Arzt in der Nähe wohnt."

Ja, ja, das ist eine rechte Kalamität in Felden und seiner Umgebung. Es hält sich kein Arzt dort, die Leute sind zu arm, um zahlen zu können; so kommt eS daß immer nach ein bis zwei Jahren die Aerzte das Dorf verlassen, um sich loh­nendere Praxis zu suchen."

Früher war es anders, als die SchönburgS ihr Schloß noch bewohnten. Wo steckt denn der Majoratsherr, der sich gar nicht um sein Stammschloß kümmert?*

Das ist uns allen ein Rätsel, teuerste Baronin; er soll ein sonderbarer Mensch geworden sein, eine Art Menschenfeind, der ruhelos die Welt durchschweift," erwiderte Werden.

.Er ist nicht mehr ganz jung; ich glaube, es wäre Zeit für ihn. daran zu denken, sich eine Gemahlin zu suchen, sonst fällt das Majorat an seinen Neffen, den tollen Schönburg, der bald genug unter Kuratel gestellt werden müßte."

.Mein Gott, Mama, Schönburg ,st noch jung genug, um sich ändern zu können," ließ sich plötzlich die schöne stolze Tochter der Baronin vernehmen.

»Ich kenne Deine Vorliebe für ihn, Gertrud," lächelte die Baronin.

.Bäte, Mama, cs ist durchaus nicht dies; aber ich finde eS nicht so schrecklich, wenn ein junger Offizier sein Leben genießt. Er ist ein schöner Mann, ein liebens­

würdiger Kavalier, er wird verhätschelt im Salon, von seinen Kameraden, er liebt eS, der Held des TagrS zu sein, und hat ein Recht dazu, ich verstehe ihn ganz gut." Die offene, freimütige Verteidigung zog der jungen Dame einen mißbilligenden Blick ihrer Mutter zu. welche nicht ohne Bedeutung zu dem Fremden hinüber blickte, der jedoch keinen Blick von seinem Buche hob.

.Wirklich, Fräulein Gertrud, Ihr Interesse scheint groß zu sein," neckte gut­mütig Werden.

O, Sie kennen meine Schwester nicht," lachte Rosa leise dazwischen,sie wird stets jedermann verteidigen, von dem sie Übles sprechen hört, darin ist sie groß; ich nenne sie stets den Anwalt der Verleumdeten. Aber hier, wo es sich um Schön­burg handelt, würde ich Mama recht geben."

Aber Kinder, ich bitte Euch, kein Wortgefecht!" mahnte die Baronin mit einem ernsten Blick auf Gertrud, als diese etwas erwidern wollte.

Es lag ein klein wenig Ironie in der Art, mit welcher Rosa Felden das Lob ihrer Schwester ausfprach. Der Fremde hörte es wohl heraus und dachte bei sich, welche von den beiden Schwestern die bessere sem könne. Forschend flog sein Blick über das bleiche, anmutige Gesicht der Kranken, haftete auf dem süßen Mund, als er sich zum Sprechen bewegte und leise Grübchen um ihn zuckten, erhaschte einen der zärtlichen Blicke der großen strahlenden Augen, die blau wie ein See, in dem der Himmel sich spiegelt, zu ihm herüberleuchtcten. Sie war noch sehr jung, wohl siebzehn Jahre alt, aber in dem Blicke ihrer Augen lag eine Tiefe, wie er sie nur bei gereisten, denkenden Frauen gesunden hatte.

Schade," dachte er, und sein mitleidsvoller Blick prüfte die zarte, gebrechliche Gestalt, die in der Ecke kauerte wie ein flügellahmer kleiner Vogel oder wie eine geknickte Blume, und unwillkürlich dachte er weiter:Arme Rose!"

Also wirklich Sie wollen weiter fahren, uns nicht die Freude gönnen,, unter unserem Dache einige Wochen zu verbringen, bis alles da drüben in Ordnung ist?" fragte nochmals Werden, und auf seinem gutmütigen Gesicht war deutlich genug das Bedauern zu bemerken, welches er empfand. (Forts, folgt.)