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Amis- und Anzeigeblatt für den Bezirk (Lalw.
69. Jahrgang
Erscheint Di e« s t« g , Donnerstag und SamStag. Die EtnrückungSgebühr belrt-t im Bezirk und nächster Umgebung - Pf-, di, Heile, sonst 12 Pf-.
Donnerstag» den 22. November 1894.
AbonnemenlSpreil vierteljährlich in der Stadt SV Pfg. mck l. Trägerlohn, durch die Post bqogen Mk. L. IS, sonst t»
29 Pfg. Trägerlohn. _, ,
ganz Württemberg Mk. 1. SS.
Amtliche Nekemrrtmachuuge«.
An die Ortsdehorden.
Die Formulare für die Güterbuchs-Proto- kolle werden von der Amtspflege geliefert werden, weshalb anderweitige Bestellung nicht erforderlich ist. Calw, 19. Nov. 1894.
K. Oberamt.
V o e l t e r.
Tagesneuigkeiten.
Calw, 21. Nov. In diesen Tagen sind es 200 Jahre, daß die anläßlich eines Durchzugs -er Franzosen durch einen großen Brand zerstörte Stadtkirche fast ganz neu aufgeführt und eingeweiht wurde. Im Jahr 1692 wurde bekanntlich die Stadt vom 19.—23. Okt. von einer Abteilung der Armee des Marschalls de Lorge vollständig niedergebrannt und geplündert. Nur einige wenige Häuser und Hütten blieben erhalten. Die schöne Stadtkirche, die auf Betreiben V. Andreä's durch Malereien verschönert worden war, wurde ebenfalls mit Ausnahme der Sakristei und des Chors ein Raub der Flammen. Durch die Opferwilligkeit der Gemeinde, die reiche Beiträge beisteuerte, konnte aber bald an einen Wiederaufbau gedacht werden. Der Bau wurde aber im Jahr 1694 in der Eile nur notdürftig ausgeführt, so daß die Kirche schon in den 1840er Jahren Spuren von Baufälligkeit zeigte. Jetzt ist dieser von den Vätern in so schwerer Zeit hergestellte Bau verschwunden und an seiner Stelle ein neues prächtiges Gotteshaus entstanden. — Das Jahr 1894 erinnert sodann noch an das Jahr 1494. Der Kaplan an
der St. Johannespfründe in der Marienkapelle (auf dem Brühl), Ludwig Braun, stiftete 200 Gulden zur Erbauung eines Spitals. Durch Handreichung anderer Mitbürger konnte der Plan verwirklicht und im Jahr 1495 das Haus, welches bei der steinernen Brücke über die Nagold stand, bezogen werden.
* Calw, 21. Nov. Zur Ergänzung der Gerätschaften der hiesigen freiwilligen Feuerwehr wurde eine neue Spritze angeschafft. Dieselbe, aus der rühmlich bekannten Fabrik des Firma Kurtz in Stuttgart hervorgegangen, ist eine Saug- und Druckspritze und entspricht vollständig den Anforderungen des Neuzeit. Durch diese Neuanschaffung hat die Feuerwehr ein sehr praktisches und zweckentsprechendes Geräte erhalten, das im Bedürfnisfall sich von größten Nutzen erweisen wird. Die Spritze soll bei 45 Doppelhub in der Minute 600 1. Wasser fassen und bei 1 Rohr das Wasser 32 m., bei 2 Röhren 27 w. weit werfen. Die Anschaffungskosten, zu welche die Kasse der Landsfeuerlöschanstalt 25 "/<> beiträgt, belaufen sich auf 1700 Die Spritze wird in nächster Zeit von dem Landsfeuerlöschinspektor Kleber geprüft und sodann von der Feuerwehr übernommen werden.
(Amtliches aus dem Staatsanzeiger.s Infolge der vom 30. Oktober bis 9. November d. Js. abgehaltenen zweiten Lehrerdien st Prüfung sind zur Versetzung von Schuldiensten für befähigt erklärt worden: Staiger, Hermann, Unterlehrer in Calw, Lutz, Gottlob, Unterlehrer in Altburg, Pfeffer, Heinrich, Schulamtsverweser in Sommenhardt, Bez. Calw.
Nagold, 18. Nov. Eine Versammlung
von Vertrauensmännern aus Stadt und Bezirk tagte heute im Gasthof „zum Hirsch." Dieselbe stellte einmütig die Kandidatur des Regierungspräsidenten v. Luz, des langjährigen Abgeordneten des Bezirks, auch für die bevorstehende Landtagswahl auf. Ein Telegramm an den Kandidaten wurde abgesendrt, worin Herr v. Luz um Annahme der Kandidatur gebeten und Absendung einer Deputation in Aussicht gestellt wurde. Noch am Abend traf folgendes Telegr. ein: „Werde der ehrenvollen Wiederberufung Folge leisten, bitte Abordnung zu unterlassen. Luz."
(Gesellsch.)
Stuttgart, 19. Nov. DerEv. Landessynode lag heute als erster Beratungsgegenstand ein Antrag Völt er betreffend die Verordnungen bezüglich der Beerdigung von Selbstmördern vor. Der Antrag, der eine neue Klarlegung bezw. eine Revision der fraglichen Verordnungen seitens des Kirchen- regimems bezweckte, wurde vom Antragsteller zurückgezogen, nachdem er sich mit der von dem Präsidenten des Konsistoriums auf der Stelle gegebenen Klarlegung einverstanden erklärt hatte.
Eßlingen, 20. Nov. In Nellingen wurden am Sonntag Abend 10 junge Leute aus Denkendorf verhaftet, welche in angetrunkenem Zustand Unfug trieben, den Polizeidiener mißhandelten und zwei Männer, die dem letzteren zu Hilfe eilten, mittels Messerstichen verletzten. Heute wurden weitere 13 Verhaftungen vorgenommen.
Tübingen, 17. Nov. Im Festsaal deS Museums wurde gestern ein Wohlthätigkeitsbazar eröffnet, dessen Ertrag dem Bau eines FrauenheimS für Honoratiorentöchter in der Art des bestehenden.
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Dcrs Lote Kcrus.
Roman von Carl Görlitz.
(Fortsetzung.)
„Damit hat es keine Not," sagte Dorothea, die die Lust anwandelte, zu sondiren, -wie weit sie bei Frau Dreßler ein geneigtes Ohr für ihr gefaßtes Projekt finden würde, „ich bin in meiner Krankheit zu gut gepflegt worden, um deswegen nicht auch mit den besten Hoffnungen in die Zukunft sehen zu können. Betty ist Tag und Nacht um mich gewesen und das Fräulein — ach ja so, gnädige Frau haben mir verboten, von demselben zu sprechen." — Sie hielt hier ein, als wage sie es nicht, so rtzufahren.
Frau Dreßler aber sah sie ermutigend an. Somit fuhr sie fort:
„Doch darf ich wohl sagen, daß mich beide mit Aufopferung gepflegt haben."
„So? Nun, dann ist es nicht mehr wie billig, daß sie Beide von mir eine Anerkennung erhalten; sie sollen erfahren, welchen Wert ich auf die Genesung meiner alten Kammerjungfer lege. Betty soll eine Extragratifikation und eine Erhöhung ihres Lohnes erhalten, während die Andere, der ich natürlich keine Bezahlung bieten l>arf, meinen Dank persönlich in Empfang nehmen kann. Schicke sie mir nach einer Stunde in meinen Salon."
„Wie gut sind Sie, gnädige Frau!"
„In diesem Falle nur gerecht," erwiderte Frau Dreßler, „bin ich es nicht immer gewesen, so waren meine Sinne von dem Übermaß der Trauer befangen. Nie werde ich das Andenken der Toten vergessen, aber ich werde eS mit meiner Pflicht gegen die Lebenden zu vereinen suchen, so lange Gott mir selbst daS Leben läßt."
M>t diesen Worten stand sie »uf, nickte Dorothea zu und verließ da» Zimmer.
Als Angelika über die Schwelle trat, rief ihr die Rekonvalescentin mit freude
strahlendem Gesicht entgegen: „Ich habe Ihnen eine frohe Nachricht mitzuteilen. Ihre ganze Zukunft hängt davon ab. Aber erschrecken Sie nicht."
„Meine Zukunft?" fragte Angelika, welche Dorothea's Worte mit den geheimnisvollen Andeutungen des Sanitätsrals von heute früh in Verbindung bracht«. Angelika richtete ihre Augen gespannt auf Dorothea's Gesicht. Sie war überzeugt, irgend etwas zu erfahren, das mit Gerhard in Verbindung stand, denn in Angelika'» Gedanken war er mit ihrer Zukunft'identisch.
„Sie sollen," sprach Dorothea weiter, „zur gnädigen Frau hinüberkommen."
Enttäusch,mg malte sich in Angelika's Zügen, und gleiche Enttäuschung erfüllte Dorothea, als das junge Mädchen ruhig fragte: „Warum sollte ich deshalb erschrecken?'
„Nun," die Kammerjungfer errötete hierbei stark, „weil ich Ihnen doch Frau Dreßler als sehr unzugänglich und mürrisch geschildert Hab-, aber daS war unrecht von mir, denn sie ist eS nicht, wenigstens jetzt nicht mehr."
„Ich weiß, daß sie nicht so schlimm ist, wie ich sie mir erst vorgestellt habe," versetzte Angelika beinahe gleichgiltig. Ihr Jnterreffe für Gerhard und die Sorge um ihn absorbirte jede« andere Gefühl bei ihr. Sie legte keinen Wert mehr darauf, in dem reichen Hause ihrer Großtante ein Asyl gefunden zu haben, da seine finsteren Mauern sie von Gerhard trennten. Sie würde ihm unbedingt in die Well hinaus folgen, falls er sie riefe.
„Wie können Sie wissen, daß sie nicht schlimm ist?' fragte Dorothea erstaun^ „da Sie sie doch nicht kennen."
„Ich kenne sie wohl, denn ich habe sie schon gesprochen."
„Sie? Wo?"
„Hier im Zimmer."
Angelika erzählte nun der atemlos lauschenden Dorothea, daß am ersten Abend, als ihre Krankheit auSgebrochen war und sie im Fieber gelegen, Fra« Dreßler hier gewesen sei und mit ihr gesprochen habe, wenn auch nur über die ihrer kranken Kammerfrau zuzuwendende nötige Pflege.