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Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk Lalw.

69. Zahrgau-.

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Dienstag, Len 16. Oktober 1894.

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Tagesneuigkeiten.

* Calw, 15. Okt. Die gestern abend vom Kirchengesangverein im Saale des Vereins« Hauses gegebene Aufführung brachte verschiedene, tief religiöse Lieder zum Vortrag. Die gut zusammen­gestellte Stückfolge bot Kompositionen vom 15.19. Jahrhundert. Der Chor trat in 5 Nummern auf. Den Anfang eröffnet« der alte, innig ansprechende ChoralO Welt sieh hier dein Leben" von Isaak. Hierauf folgtenLobet den Herrn" von Vulpius, O großer Schmerzensmann" von Vopelius, eine MotetteIch weiß, daß mein Erlöser lebt" von Bach und ein geistliches LiedHerr, zu dir will ich mich retten" von F. Mendelssohn. Sämtliche Stücke wurden mit Wärme und Gefühl eindrucksvoll wieder­gegeben. Frl. Helene Weber auß Wildberg, von ihrem früheren Auftreten hier in bestem Andenken stehend, sang mit durchaus ansprechender, ungekünstelter Aussprache und feinem Verständnis mehrere Lieder: ein LiedStell o Herz, dein Trauern ein" von Franck, zwei Lieder und eine Arie von Seb. Bach und eine Arie aus dem OratoriumJosua" von Händel. Alle diese Lieder kamen zu gediegener Dar­stellung. Das geistliche LiedHerr Hab Erbarmen", sowie der ChoralChristus, der ist mein Leben" wurden von Hrn. W. Schwämmle mit einer Ab­rundung und Wärme gesungen, die einen guten Er­folg garantieren. Ebenso wußte Hr. Gotth. Leube mit 2 Violostcellovorträgen durch schönen Ton und ausdrucksvolles Spiel die Zuhörer für sich zu ge­winnen. Die Klavierbegleitung hatte der Dirigent Hr. Fr. Gundert und in einer Nummer Hr. Lehrer Gerst übernommen. Der Besuch der Aufführung war leider nur schwach, was um so mehr zu bedauern ist, da alle Nummern des Programms sorgfältig aus- gewählt und eingeübt waren. So mögen denn die

Sänger und Sängerinnen und deren umsichtiger und kunsteifriger Leiter, sowie die Solisten mit der vollen Anerkennung seitens der Kritik fürlieb nehmen.

sAmtliches aus dem Staatsanzeiger.s Am 13. Oktober ist von der Evangelischen Oberschul­behörde die Schulstelle in Jselshausen, Bez. Nagold, dem Schullehrer Singer in Unterreichen­bach, Bez. Calw, übertragen worden.

Altensteig, 10. Oktbr. Einen sträflichen Spaß gestattete sich lautSchw. B." kürzlich ein verheirateter Schneider in unserem Nachbarbezirk Neuenbürg. Er sandte Briefe überallhin, wo er Verwandte hatte, so auch hierher, darin er den Tod seiner Frau ankündigte, die plötzlich an einem Herz­schlag gestorben sei. Die Verwandten machten sich auf, um an der Beerdigung sich zu beteiligen. Wie erstaunten sie aber, als sie in das vermeintliche Trauer­haus kamen und die für tot ausgegebene Frau lebend und gesund antrafen! Zu seiner Entschuldigung gab der Schneider seinen Verwandten an, er habe nur erfahren wollen, ob sie auch wirklich zur Beerdigung seiner Frau gekommen wären. Nur die Rücksicht auf seine Frau und seine Kinder bewog die Verwandten, keinen Antrag auf gerichtliches Einschreiten gegen denselben zu stellen.

Stuttgart, 13. Okt. In einer Versamm­lung der deutschen Partei referierte gestern Abend im Bürgermuseum Rechtsanwalt vr. Schall über den Frankfurter Delegiertentag der nationalliberalen Partei. Die Versammlung wurde eröffnet durch Gustav Müller, der der Verluste gedachte, welche die Partei durch den Tod von Kommerzienrat Stälin und Prof. vr. Frau er erlitten hat. Lichtblicke seien für die Partei die Feier des 70. Geburtstages von Bennigsen, sowie der Frankfurter Delegierten­tag gewesen. Gegen die Behauptung, daß die Kan­

didatur von Rechtsanwalt Stockmayer zur Stutt­garter besoldeten Gemeinderatsstelle ein Parteiregiment habe einführen wollen, müsse entschieden Verwahrung eingelegt werden. Rechtsanwalt vr. Schall bezeichnet« sodann den Frankfurter Delegiertentag als einen Höhepunkt in dem Leben der nationalliberalen Partei. Nach gründlicher Aussprache haben sich die Mein­ungen in der erfreulichsten Weise geeinigt, so daß auch die Vertreter der abweichenden Ansichten nicht in Abrede ziehen können, daß die Gesamtheit der Delegierten zu wohlüberlegten Entschlüssen und Be­schlüssen gekommen sei. Der Mißklang, der durch daS Frankfurter Journal nachträglich hereingetragen worden sei, sei sehr zu bedauern, er sei völlig grund­los, ebenso ungerecht als disciplinloS. Der Redner bespricht sodann der Reihe nach die bekannten Reso­lutionen, indem er längere Zeit bei der ersten, die sich auf die Umsturzbestrebungen bezieht, verweilte. Einig sei alles darin gewesen, daß es eine gewisse Grenze gebe, von der aus es ein selbstmörderischer Liberalismus wäre, einfach Gewehr bei Fuß zuzu­sehen, wie immer gewissenloser die Verhetzung mit allen Mitteln des Haffes, der Lüge und der Ver­leumdung geführt werde. Zweifel seien nur darüber bestanden, ob man nicht die Initiative der Regierung überlaffen solle. Die ganz überwiegende Mehrheit der Delegierten habe dies jedoch abgelehnt, und er, der Redner, stehe heute bei dem ganz kläglichen Ver­halten der offiziösen Presse auf demselben Stand­punkt. Der Redner schloß unter lebhaftem Beifall mit der zuversichtlichen Hoffnung, daß die national­liberale Partei, wenn sie das Gold, das in den Re­solutionen enthalten sei, auszumerzen verstehe, einen neuen Aufschwung erleben werde.

Cannstatt, 12. Okt. Die Grabungen an dem röm. Kastell haben zu neuen interessanten Funden geführt. So gelang es gestern, im Thale

tt. jN-chdruch vertöte».!

Dccs tote Kcrrrs.

Roman von Carl Görlitz.

(Fortsetzung.)

Sie erwartete an diesem Abend Jordan mit großer Ungeduld, und als er endlich eintrat, theilte sie ihm mit freudestrahlendem Gesichte mit. daß es ihr gelungen sei, die gnädige Frau zur Aussetzung ihres letzten Willens zu bestimmen.

Endlich!' rief Jordan mit freudiger Überraschung aus und schloß di« alte Jungfer in seine Arme.Dies Testament führt uns beide zur Ehe. Durch welche Mittel haben Sie das bei der apathischen Frau zu Weg« gebracht?"

Durch die Furcht, Ich traf sie heute krank, in trübster Stimmung und arger Beklommenheit an. Diesen Umstand benutzte ich. um ihr zart beizubringen, wie leicht sie der Tod überraschen könne. Was wird dann aus den Armen, sagte ich, denen sie eine Trösterin, eine Retterin waren? Wer wird den treuen Jordan für alle Dienste belohnen, die er Ihrem Hause leistete? Sie wurde nachdenklich und sagte nach einer Weile: Ja, Du hast Recht, ich darf die, welche mir in so großer Treue anhingen, nicht unbelohnt lasse». Jordan soll morgen den Justizrat rufen, ich will memen letzten Willen aufsetzen."

Gute, beste Dörte, das haben Sie herrlich gekracht," rief Jordan.Nun ist unsere Zukunft gesichert."

Am nächsten Morgen war Jordan sehr früh aufgestanden. Allerhand Pläne, den Justizrat Löbell hinsichtlich der Abfassung de« Testaments zu beeinflussen, ent­standen in seinem Gehirn und wurden sehr bald wieder verworfen. Er mußt« sich doch sagen, daß ein so kluger Rechtsgelehrter und Menschenkenner, wie der Justizrat

eS war, möglicherweise seine erbschleicherischen Absichten durchschauen konnte, wenn er sich durch ein unbedachtes Wort vielleicht verriet. Ferner sagte er sich, daß Alle» schließlich doch nur auf Frau Dreßler selbst ankommen würde, aber trotzdem er von Dorothea am vorigen Abend unterrichtet worden war, daß Frau Dreßler die Ab­sicht hatte, in dem von ihm gewünschten Sinne zu testiren, peinigte ihn doch fort­während die Furcht, daß irgend ein unvorhergesehener Zwischenfall die Erfüllung seines Wunsches vereiteln könnte. Vor Allem kam es darauf an, daß der Justizrat am Nachmittage zu der von Frau Dreßler festgesetzten Zeit sich ihr zur Disposition stellte. Da Löbell in den späteren Vormittagsstunden gewöhnlich Termine auf dem Amtsgericht abzuhalten hatte, so beeiste sich Jordan, schon in aller Frühe nach dem Büreau des Justizrats zu gehen, um denselben noch anzutreffen, und für den Nach­mittag zu Frau Dreßler einzuladen.

Es war acht Uhr, als Jordan da»tote Haus" verließ. Beim Justizrat Löbell angekommrn, konnte er nicht gleich vorgrlafsen werden. Der Büreauvorsteher sagte chm, daß sein Prinzipal soeben eine Konferenz mit einigen Herren habe, in der man di« Statuten zur Bildung einer Aktien-Gesellichast entwerfen wolle, und daß der Justizrat befohlen hätte, ihn nicht zu stören. Deshalb wurde Jordan ge­beten, zu warten und Platz zu nehmen.

So ungeduldig Jordan auch war, mußte er sich doch in Geduld fassen und warten. Um keine» Preis wäre er nach Hause zurückgckehrt und später wieder­gekommen. da er dann vielleicht den Justizrat nicht mehr angetroffen hätte und da­durch die Abfassung de» Testaments für heute unmöglich gemacht wurde, was Jordan am allermeisten fürchtete; er wollte e» heute zu Ende bringen. Die Ungewißheit war für ihn di« schlimmste Folter.

Er hatte sich an ein Fenster gesetzt und wartete. Aber Minute auf Minute verrann, die Thür, welch« zum Privatkabinet des Justizrats führte, öffnete sich nicht.